Des Beelzebubs Guru

Es war einmal eine Glaubensgemeinschaft. Jahrelang hatten die Mitglieder grosse Anteile ihres erarbeiteten Ersparten in die Gemeinschaftskasse einzahlen müssen und lebten miteinander zufrieden nach gemeinsam beschlossenen Gesetzen. Die Samstagskolumne.

Foto: Mikhail Nilov

Eines Tages liess der anführende Guru mit Hilfe eines panischem Gesichtsausdrucks verlauten, der Teufel habe sich in der Gemeinschaft eingenistet; man müsse ihn kompromisslos bekämpfen, ihn unerschrocken exorzieren. Er, der Guru, habe Beweise, könne sie aber gerade nicht vorlegen und er habe ausserdem ein Zeichen von ganz oben bekommen, vom allmächtigen Gottwesen WOH.

Panik machte sich breit. Viele bekamen es mit grosser Angst zu tun, flüchteten sich ins Gebet und den schützenden Schoss des Meisters. Eine Minderheit hingegen blieb skeptisch und stellte Fragen. Der Guru und seine Schranzen wurden darüber so ärgerlich, dass sie die Skeptiker als Ketzer, als Teufelsleugner beschimpften, ihnen mit harten Konsequenzen drohten.

Dass auch die Intellektuellen, die Ärzte, die Rechtsgelehrten, die Prominenten schwiegen, bestärkte die einfachen Mitglieder darin, dass schon alles seine Richtigkeit habe.

Der Guru setzte die bis anhin geltenden Gesetze kurzerhand ausser Kraft und erliess stattdessen eigene, willkürliche und ständig wechselnde Regeln, um vordergründig dem Beelzebub Herr zu werden. Wer die Regeln hinterfrage, mache sich so nur zum leichten Opfer des hinterhältigen, seelenjagenden Luzifers.

Als das noch nichts nutzte, erklärte der Guru, die neuen Regeln erlaubten auch, dass er mit etlichen der Gemeinschaftsmitgliedern - auch gegen ihren Willen und ohne Schutz - Sex haben müsse, um den Teufel auszutreiben. Wer es über sich hatte ergehen lassen, wurde zwar den Teufel nicht los, aber bekam einen «Göttlichen Sticker» aufs Revers geklemmt, zählte fortan zu den Exorzierten und erhielt statt der alten, unveräusserlichen Grundrechte jederzeit wieder entziehbare Privilegien.

Manche der Gemeinschaftsmitglieder wurden zunehmend unruhiger, äusserten ihre Zweifel weiter, baten um die Rückkehr zu den demokratisch beschlossenen Gemeinschaftsgesetzen. Sie aber wurden niedergeschrien, diffamiert, ausgegrenzt, als Leugner, Asoziale und Teufelswichte beschimpft. Je bekannter und angesehener diese Kritiker waren, desto gröber war die Hetzkampagne, die die Günstlinge des Gurus gegen sie auffuhren - um so weitere potenzielle Zweifler einzuschüchtern.

Die ungeschützten Vergewaltigungen wurden häufiger und heftiger. Manche schauten dabei sogar zu, verhöhnten die Opfer, feuerten den verehrten Guru regelrecht an; andere schauten verschämt hin und irritiert wieder weg. Manche der paralysierten Opfer erhielten grosszügig Geld aus der Gemeinschaftskasse, auch die schweigenden Mitläufer wurden nicht zu kurz entschädigt. Die Schweigenden gingen sodann spazieren, verbrachten die freie Zeit im Garten oder beim Wandern in den Hügeln und machten das Beste aus der Situation.

Dass auch die Intellektuellen, die Ärzte, die Rechtsgelehrten, die Prominenten schwiegen, bestärkte die einfachen Mitglieder darin, dass schon alles seine Richtigkeit habe. Zwei Jahre dauerte die Rund-um-die-Uhr-Teufelsaustreibung, spaltete die Gemeinschaft in Anhänger des göttlichen Gurus und verstummte Kritiker eines zwar charismatischen, aber entzauberten Scharlatans. Die flammenden Jünger des Gurus buhlten ungestüm und unbeirrt weiterhin um seine Zuwendung, indem sie die Ketzer bei ihm denunzierten, nachdem sie mit Heuchelei und Halbwahrheiten deren Vertrauen erschlichen hatten.

Dann wieder grenzten sie sie aus, streuten Gerüchte, stifteten Zwietracht und Aufregung. Der Guru führte seine Schäfchen mit Zuckerbrot und Peitsche, auch Stockholm-Syndrom genannt. Die Geiselnahme war ihnen nicht bewusst und wurde es nie. Eines schönen Tages erklärte der Guru, dass der Teufel nun endlich vertrieben sei und beendete den zermürbenden Zustand, ohne die ursprünglichen Gesetze wieder in Kraft zu setzen. Man müsse wachsam bleiben. Der Teufel sei verjagt, aber nicht getötet.

Die Gemeinschaft aber blieb vergiftet; ob vom Teufel oder durch das grassierende Misstrauen, war einerlei. Als einer der bekannten Zweifler vorschlug, man müsse das Geschehene ergebnisoffen aufarbeiten, winkten die Schranzen und Schergen des Gurus ab und die Geiseln stimmten zu; der Beelzebub sei doch nun weg. Was geschehen ist, ist geschehen, man müsse jetzt nach vorne schauen. Die Vergewaltigungen waren doch gar nicht so schlimm: «Schwamm drüber!».

Der Guru nahm bald die Kasse, liess die Gemeinschaft zurück und entschwebte zu Gott WOH. Dort empfing ihn aber Luzifer (ein Pseudonym) zum Tête-à-Tête und sie sinnierten angeregt darüber, ob sich die Jünger nochmals auf einen Exorzismus einliessen oder ob man es ein nächstes Mal doch mit den Klimawechseljahren probieren wolle.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann lachen sie noch heute.

PS. Aufgearbeitet wurde die teuflische Ära tatsächlich nie, aber dafür gab’s eine PUK, um herauszufinden, wer und warum denn wohl die Kasse hat mitlaufen lassen.

08. Juli 2023
von:

Über

Thomas Brändle

Submitted by admin2 on Do, 08/18/2022 - 14:51

Thomas Brändle lebt im zugerischen Ägerital, ist Familienvater, Bäcker-Konditor-Confiseur, gewerblicher Kleinunternehmer, www.cafe-braendle.ch, Autor (Mitglied ISSV, AdS, PEN), alt Kantonsrat, Mitinitiant der www.vollgeld-initiative.ch. In seinem Romanerstling «Das Geheimnis von Montreux» thematisierte er Kellers Prophezeiung durch den Protagonisten Marco Keller, Nationalrat und Nachfahre des Schriftstellers Gottfried Keller.

Die Bücher von Thomas Brändle.

Kommentare

WOH

von Thom Ram
Träf. Ich, Auslandschweizer, bin gluecklich, einen weiteren klaren CH Geist hier vorgefunden zu haben. Meine Nachkommen, die sind durchgespritzt...seufz