Analyse: Wie Polen still und heimlich die Kontrolle über die Westukraine übernimmt

Polens politische Macht über die Ukraine wurde gefestigt, nachdem die Kiew Polen praktisch die gleichen Rechte wie den eigenen Staatsbürgern eingeräumt hat. Für Polen besteht somit keine Notwendigkeit, offiziell Truppen in die Ukraine zu entsenden – was jedoch nicht bedeutet, dass dies nicht geschehen könnte, schreibt Andrew Korybko.
Veröffentlicht: 31. Jul 2023 - Zuletzt Aktualisiert: 31. Jul 2023

Die Analyse erschien bei RT DE, das Leserinnen und Leser in Deutschland auf Grund der EU-Zensur nur mit VPN oder über Mirror-Sites lesen können. Wir bringen daher die wichtigsten Auszüge der Analyse nachfolgend im Wortlaut:

«Polens Bevollmächtigte für die polnisch-ukrainische Entwicklungszusammenarbeit Jadwiga Emilewicz eröffnete am 17. Juli in Lwow Polens erstes Büro für den "Dienst zum Wiederaufbau der Ukraine (SOU)". Das war eine Veranstaltung, die außerhalb der beiden betroffenen Länder kaum Medienaufmerksamkeit erregte. Das öffentlich finanzierte Polskie Radio berichtete über ein Seminar, das am selben Tag unter der Schirmherrschaft des Warschauer Unternehmensinstituts abgehalten wurde, sowie über ein Seminar am darauffolgenden Tag in Luzk, der benachbarten Regionalhauptstadt der Region Wolhynien.

Zusammengefasst kündigte Emilewicz an, dass bald weitere solcher Büros in der Ukraine eröffnet werden und dass "wir Versicherungs- und Kreditinstrumente für polnische Unternehmen vorbereiten". Sie fügte hinzu: "Wir wollen vor Ort präsent sein, um polnische Unternehmer beim Aufbau von Kontakten zu unterstützen und den Investitionsbedarf zu beobachten. Wir schaffen eine Dialogplattform zwischen polnischen und ukrainischen Unternehmen und beziehen sowohl nationale als auch lokale Institutionen und Behörden mit ein."

An beiden Seminaren nahmen einflussreiche Persönlichkeiten teil. An der Veranstaltung in Lemberg nahm der Regionalgouverneur Maxim Kosizki teil, der auf seinem Telegram-Kanal Einzelheiten über die Aktivitäten des WDU in dieser Region teilte. Am Seminar in Luzk nahm hingegen auch der Chef der Militärverwaltung der benachbarten Region Rowno, Witali Kowal, teil, der polnische Unternehmen einlud, alsbald in dieser Region zu investieren. Es ist wichtig zu beachten, dass alle drei Regionen – Lwow, Wolhynien und Rowno – vor dem Zweiten Weltkrieg polnisches Territorium waren.

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Auf dem Weg zu einer polnischen Militärintervention in der Ukraine

Bemerkenswert ist, dass die Verteidigungsausgaben Polens auf fünf Prozent des BIP erhöht werden sollen, dass die polnische Armee bis 2035 über 300.000 aktive Soldaten verfügen soll und dass es moderne militärische Güter in Milliardenhöhe aus den USA und Südkorea kauft. Polen ist jedoch ein Mitglied der NATO und genießt somit gemäß Artikel 5 der NATO-Charta Verteidigungsgarantien der US-Atomsupermacht, so dass alle diese oben genannten Maßnahmen übertrieben erscheinen, falls Polen sich damit lediglich vor einem spekulativen russischen Angriff schützen möchte. Diese Beobachtung legt vielmehr nahe, dass sich Polen tatsächlich auf eine Militärintervention in der Ukraine vorbereitet.

Auch wenn es noch viele Jahre dauern wird, bis Polen seine ehrgeizigen militärischen Pläne umsetzt haben wird, bedeutet die Mitgliedschaft in der NATO, dass Polen theoretisch alles in das benachbarte ukrainische Ausland verlegen kann, was man derzeit zur Verfügung hat, ohne Angst vor einem Angriff durch Russland haben zu müssen, weil der Atomschirm der USA dies verhindert. Die russische und die weißrussische Führung nehmen dieses Szenario sehr ernst, wie Vertreter beider Länder Ende Juli betonten – nur wenige Tage, nachdem Polen sein erstes SOU-Büro in Lwow eröffnet hatte.

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Zusammenfassende Gedanken

So wie es derzeit aussieht, hat Polen bereits heimlich die Kontrolle über die Westukraine übernommen, ohne einen Schuss abgefeuert zu haben. Seine politische Macht wurde im vergangenen Sommer gefestigt, nachdem die Rada den Polen praktisch die gleichen Rechte wie den Ukrainern gewährt hatte, entsprechend dem Versprechen, das Selenskij Duda im Mai 2022 gegeben hatte, während der wirtschaftliche Aspekt durch die Eröffnung des ersten SOU-Büros in Lwow Mitte Juli vorangetrieben wurde. In diesem Falle besteht für Polen außer dem Prestige nicht einmal eine Notwendigkeit, offiziell Truppen in die Ukraine zu entsenden.

Dennoch könnte aus den bisher beschriebenen Gründen genau das passieren. Einerseits könnte eine militärische Intervention in der Ukraine die Aussichten der Regierungspartei bei den Wahlen im Herbst verbessern, andererseits würde es der Welt zeigen, dass Polen dabei ist, seine seit Langem verlorene Vergangenheit als Großmacht wiederherzustellen. Allerdings ist die formelle Integration der Westukraine in Polen keine vollendete Tatsache. Selbst wenn dies geschehen sollte, birgt dies das Risiko heftigen Aufruhrs unter den nationalistischen Kräften auf beiden Seiten.

Angesichts dieser Bedenken, die sehr schwerwiegende politische und sogar latent sicherheitsrelevante Auswirkungen haben, ist das Szenario der eines Tages formalisierten polnisch-ukrainischen De-facto-Konföderation viel realistischer als das Szenario, dass Warschau den westlichen Teil der Ukraine gänzlich abspaltet. Mit einer Konföderation würde man das gleiche strategische Ziel erreichen, nämlich die Ausweitung des Einflussbereichs Polens auf einen Teil seines ehemaligen Territoriums, ohne einen größeren Rückschlag zu riskieren. Ehrlich gesagt, könnte ein solches Szenario sogar unvermeidlich werden.