Vom Framing zum Blaming
Diesseits und jenseits von Gut und Böse. Die Samstagskolumne
Ach, würden wir doch mit den Schuldzuweisungen - Englisch Blaming genannt – aufhören können! Sie entstehen durch Framing, von Englisch frame für Rahmen. Framing ist das Rahmen eines Events, das diesem einen Sinn gibt. Im obigen Bild ist der Sinn des vom TV gezeigten Bildes: Links ist der Täter, rechts das von ihm bedrohte Opfer.
Ein weiter gefasster Rahmen zeigt jedoch:Rechts ist der Täter, links das Opfer. Ein noch weiterer Rahmen würde vielleicht wieder in dem links Fliehenden einen Täter sehen – vielleicht flieht er, weil er einen Mord begangen hat) –, oder beide Seiten sind in gleicher Weise schuldig. Immer weitere Rahmen zeigen immer weitere Kontexte, bis hin zur mystischen Schau des Ganzen.
Auch der Cartoon urteilt: Mit der Aussage «It’s Media» verurteilt er die TV-Anstalt als eine, die dem Falschen die Schuld gibt. Wobei auch hier ein weiterer Rahmen die TV-Anstalt wahrscheinlich als in ihrem eigenen Kontext verstrickt zeigen würde, in dem sie Opfer von Einflüssen ist, über die sie nicht verfügen kann. Könnte sie sich denen widersetzen? Vielleicht. Wenn nicht, warum nicht? So zeigen sich immer weitere kausale Kreise um den engen Fokus auf das Einzelevent.
«Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort treffen wir uns.»
Jenseits von richtig und falsch
Die Ebene jenseits von solchem Framing und Blaming nenne ich manchmal den weiten Raum, das Unendliche oder auch das Jenseits und beziehe dabei auf das berühmte Zitat des Sufi-Dichters Rumi: «Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort treffen wir uns.»
Das ist der Ort, der Raum oder die Ebenejenseits Schuld und Sühne, Recht und Unrecht, Opfer und Täter. Dort sind wir «in Gott» oder «bei dem Geliebten», Rumi es vielleicht nennen würde. Für ihn war der Geliebte Gott. Dort erfahren wir Geborgenheit, Glück, Stille. Die Berührung mit diesem Raum nennen Religionswissenschaftler Mystik. Meditation und Kontemplation sind Praktiken, mit dieser Ebene Kontakt zu halten.
Es gibt jedoch eine Ebene,auf der die Frage «schuldig oder unschuldig?» eine Rolle spielt. Ich nenne sie das Diesseits. Würden wir nie auf dieser Ebene wahrnehmen, urteilen und handeln, gäbe es kein Recht und Unrecht und somit auch nichts Gutes. Würden wir nur auf dieser Ebene wahrnehmen, urteilen und handeln, wären wir permanent in Konflikte verstrickt.
Sinn entsteht im Kontext
In der Semiotik, der Wissenschaft vom Sinn der (auch nichtsprachlichen) Zeichen, sagt man: Der Sinn zeigt sich erst im Kontext. Je nach Kontext kann ein Signal sehr verschiedenen Bedeutungen haben, wie der obige Cartoon zeigt. Deshalb ist es zugleich so verführerisch und so gefährlich, ein Zitat aus seinem Kontext zu reißen. Im politischen Streit ist das ein beliebtes Mittel, um einen Gegner als böse oder gefährlich zu denunzieren.
Selbstgerechtigkeit
Im Privaten ebenso wie in der Politik erleben wir durch und Blaming entstehende Eskalationsspiralen. Der Wunsch nach Gerechtigkeit und Vergeltung treibt sie an. Auf das Bewerten ganz zu verzichten bringt keinen Frieden – Gewalt ist Gewalt, sie muss verurteilt werden. Sie nur zu verurteilen ohne Verweis auf den weiten Raum, der uns alle umgibt und hält, bringt jedoch auch keinen Frieden, sondern weitere Konflikte. Meist noch viel schlimmere als der die Eskalation auslösende es war. Denn die typisch menschliche Selbstgerechtigkeit sagt: Was mir oder meiner Partei angetan wurde, ist viel schlimmer als das, was ich – als Kämpfer für die Gerechtigkeit – dir oder deiner Partei antue.
von:
Über
Wolf Sugata Schneider
Wolf Sugata Schneider, Jg. 52., war von 1985-2015 Hrsg. der Zeitschrift Connection. Er ist u.a. Autor von: «Sei dir selbst ein Witz - Humor als spiritueller Weg»
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