Int. Gesundheitsrichtlinien: Die WHO hat die rechtliche Frist verpasst
Für eine ordnungsgemässe Revision der Int. Gesundheitsrichtlinien hätte der vorgeschlagene Text den Regierungen schon im Januar zugestellt werden müssen.
Die umstrittenen Int. Gesundheitsrichtlinien der WHO können dieses Jahr nicht mehr völkerrechtskonform verabschiedet werden. Dies geht aus einer Antwort des Bundesamtes für Gesundheit auf eine Anfrage hervor. Das Amt bestätigte indirekt, dass die WHO den Termin für die Zustellung des zu behandelnden Revisionsvorschlages verpasst hat.
Die Revision der Int. Gesundheitsrichtlinien, im Original «Int. Health Regulations»(IHR) bewegen Bürgergruppen und Politiker in vielen Ländern, auch in der Schweiz. Der Revisionsprozess erscheint recht diffus.
Es gibt die «Working Group on Amendments to the International Health Regulations» (WGIHR), den «Intergovernmental Negotiating Body» (INB) und mehrere sog. «Review Committees», die alle mit der Sache befasst sind.
Gemäss Artikel 55 IHR muss der Text für eine Revision den Regierungen der Mitgliedstaaten vier Monate vor den Verhandlungen übermittelt werden. Im vorliegenden Fall wäre das der vergangene 27. Januar.
Eine Anfrage beim zuständigen Bundesamt für Gesundheit nach dem vorgeschlagenen Text und dem Zustellungsdatum hat ergeben, dass noch gar kein verhandlungsfähiges Dokument vorliegt und dass eine nächste Verhandlungsrunde vom 22. bis 26. April stattfindet. Eine völkerrechtlich konforme Behandlung und Verabschiedung der IHR an der Weltgesundheitsversammung vom kommenden Mai ist also nicht möglich.
Auf die Frage, ob der zu verhandelnde Text veröffentlicht würde, antwortete das BAG: «Bisher wurden die Verhandlungstexte nicht veröffentlicht, da nicht alle Mitgliedstaaten einer Publikation zugestimmt hatten.»
Ob die Publikation eines Textes, der über das Völkerrecht sogar verfassungsmässige Rechte tangiert und eine Debatte erfordert, die Zustimmung anderer Staaten erfordert, ist eine strittige Frage. Immerhin hat das Bureau der WHO vorgeschlagen, den Text, über den im April verhandelt wird, zu veröffentlichen. Die Schweiz unterstützt diesen Vorschlag.
Der Bundesrat wird gemäss Auskunft des BAG eine Verhandlungsposition definieren und die Delegation der Eidgenossenschaft unter Leitung von Bundesrätin Baume-Schneider entsprechend beauftragen. Ob das Mandat wie im Fall der Verhandlungen mit der EU veröffentlicht wird, dazu wollte sich das BAG nicht äussern, hat aber gegen die Fristverletzung offenbar nicht protestiert.
Die Int. Gesundheitsrichtlinien sind insbesondere umstritten, weil der Generaldirektor der WHO die Befugnis erhält, in einzelnen Ländern einen Gesundheitsnotstand auszurufen und verbindliche Anweisungen zu erteilen – was früher noch Empfehlungen waren. Im Gegensatz zum ebenfalls umstrittenen Pandemie-Vertrag mit ähnlichen Inhalten, müssen die neuen Int. Gesundheitsrichtlinien nicht ratifiziert werden, sondern treten automatisch in Kraft, wenn ein Staat nicht innerhalb von zehn Monaten Einspruch erhebt. Für die Gesundheitsrichtlinien ist nur das einfache Mehr der Weltgesundheitsversammlung notwendig, für den Pandemie-Vertrag eine Zweidrittelsmehrheit.
Die Fristenverletzung ist auch dem Parlament nicht verborgen geblieben. So hat Nationalrat Remy Wyssmann (SVP/SO) am 13. März eine Motion eingereicht, nach der der Bundesrat beauftragt wird, bei der Weltgesundheitsversammlung «wegen Nichteinhaltung der vorgeschriebenen vertraglichen Fristen» «den Vertragsabschuss auf einen späteren Zeitpunkt» zu beantragen.
Die Arbeitsgruppe, die sich mit der Revision befasst (WGIHR), hat sich an ihrer Sitzung vom vergangenen Oktober mit dem Fristenproblem befasst. Der Rechtsexperte der Arbeitsgruppe vertrat dabei die Ansicht, dass bisher alle Revisionsanträge von Mitgliedstaaten kamen und noch nie von einer WHO-Arbeitsgruppe, weshalb es keinen Präzendenzfall für die Auslegung von Artikel 55 gebe. Wenn der Generaldirektor der WHO in seinen Mitteilungen vom Januar auf die fortdauernden Verhandlungen und die verschiedenen Anträge hinweise, sei das Fristenerfordernis sinngemäss erfüllt. (Video der Sitzung dazu).
eMail-Verkehr zwischen dem Autor und dem Bundesamt für Gesundheit vom 13., bzw. 18. Maärz 2024
Liste der parlamentarischen Vorstösse zu den Int. Gesundheitsrichtlinien und dem Pandemievertrag (bis Ende 2023, Text auf französisch und mit Links zu den Vorstössen auf parlament.ch. dort steht eine deutsche Übersetzung zur Verfügung).
Weiterführende Artikel:
Norbert Häring: WHO plant Rechtsbruch, um verschärfte Internationale Gesundheitsvorschriften verabschieden zu können. 11.3.2024
Andrea Drescher/TKP: Ein weiblicher David gegen den WHO-Goliath. 10.3.2024
Video dazu:
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Christoph Pfluger
Christoph Pfluger ist seit 1992 der Herausgeber des Zeitpunkt. "Als Herausgeber einer Zeitschrift, deren Abobeitrag von den Leserinnen und Lesern frei bestimmt wird, erfahre ich täglich die Kraft der Selbstbestimmung. Und als Journalist, der visionären Projekten und mutigen Menschen nachspürt weiss ich: Es gibt viel mehr positive Kräfte im Land als uns die Massenmedien glauben lassen".
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