«Total Vermessen» – Quantifizierung der Welt

Vom Jahresniederschlag bis zum Glücksindex: die ganze Welt wird vermessen. Eine Studie versucht den Zahlensalat zu ordnen und beleuchtet, wie sich die Quantifizierung auf Politik und Gesellschaft auswirkt.

Dänemark ist das glücklichste Land der Welt, lautet das Ergebnis einer Studie der Universität Leicester. Wie sind die Wissenschaftler zu dieser Erkenntnis gelangt? Sie haben Umfragen durchgeführt, um das Glück zu messen, oder zumindest das, was die Leute in einem Fragebogen preis gaben. Längst werden nicht mehr nur Temperaturen oder Scheidungsraten in Zahlen erfasst. «Was mit Messdaten unterlegt ist, gilt als objektiv und glaubwürdig», schreibt TA-SWISS, Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung, in einer neuen Studie zum Einsatz von Indikatoren. Solche werden verwendet, um komplexe Vorgänge und abstrakte Begriffe messbar zu machen: das BIP zum Beispiel für die Wirtschaftsleistung einer Volkswirtschaft oder Schulnoten zur Bewertung der Fähigkeiten eines Kindes. Sie dienen nicht nur der wissenschaftlichen Erkenntnis, sondern ebenso der politischen Entscheidfindung und Legitimierung.
«Indikatoren vermögen vielschichtige Zusammenhänge relativ einfach abzubilden», heisst es bei TA-SWISS. Doch sie bergen Risiken: Die Schulnoten beispielsweise sind bereits dermassen als Qualitätsmass in unseren Alltag eingeflossen, dass wir sie gar nicht mehr als Indikatoren wahrnehmen. Infolge internationaler Vergleiche liefen Schulsysteme in Gefahr, «den Unterricht auf möglichst gute Indikatorwerte wie erfolgreiche Prüfungen zu fokussieren und nicht auf die Vermittlung von Inhalten.» Die Studie, deren Ergebnisse übrigens nicht in Zahlen gefasst sind, warnt deswegen vor einer unkritischen Übernahme scheinbar objektiver Messungen. Insbesondere wenn Politiker und Medien auf Indikatoren Bezug nähmen, sei ein gesundes Misstrauen angebracht. Ebenso bei Glücksmessungen: «Die Dänen waren freundlich, aber viele sahen betrübt aus», hat mir eine Bekannte nach einer Dänemark-Reise erzählt. Diese Einschätzung ist selbstverständlich subjektiver als die wissenschaftliche Messung, trotzdem führt sie auf die unumgängliche Frage hin: kann ein standardisierter, auf den Geist zielender Fragebogen die sensible menschliche Wahrnehmung ersetzen? Wo stösst die Vermessung der Welt an ihre Grenzen?

Studie: Messen, werten, steuern. Indikatoren – Entstehung und Nutzung in der Politik. Ruth Feller-Länzlinger, Stefan Rieder, Martin Biebricher, Karl Weber. TA-SWISS (Hrsg.). Bern 2010.
http://ta-swiss.ch/a/soku_indik/TA-SWISS-Studie_Indikatoren.pdf

Kurzfassung: Total vermessen. Zählen, berechnen und steuern in der Wissensgesellschaft. Kurzfassung der Studie von TA-SWISS, «Messen, werten, steuern. Indikatoren – Entstehung und Nutzung in der Politik.», TA-SWISS (Hrsg.). Bern 2010.
http://ta-swiss.ch/a/soku_indik/Indikatoren_Kurzfassung_TA-SWISS.pdf
09. Juli 2010
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