Das Kirchturmprinzip
Friedrich Raiffeisen – «Nur so weit wirtschaften wie man vom Kirchturm aus sieht.»
Was passiert, wenn man mit umgekehrter Blickrichtung vom eigenen Kirchturm auf die Welt herunter schaut und beschliesst, das eigene Wirtschaften auf diese Reichweite zu beschränken, damit Auswirkungen überschaubar und Fehler begrenzbar bleiben? Die Idee steht im starken Kontrast zur globalisierten Wirtschaft von heute: Wenn in China heute ein Sack Reis umfällt und dabei vielleicht den mächtigen Hafenboss von Shanghai mitreisst, dessen Tod wie eine Bombe in Chinas Exportwirtschaft einschlägt, kann morgen schon die nächste grosse Krise losbrechen.
Erfinder des «Kirchturmprinzips» ist Friedrich Wilhelm Raiffeisen, einer der Begründer des Genossenschaftswesens. Im Hungerwinter von 1846/47 amtierte der 28-jährige als Bürgermeister der Samtgemeinde Weyerbusch im Westerwald tief in der deutschen Kleinstaaterei. Weil die Armen hungerten, beantragte er Mehl aus staatlichen Beständen. Doch die preussische Regierung verlangte, das Mehl dürfe nur verkauft und nicht verteilt werden. Raiffeisen bezahlte die preussischen Gierschlunde aus einem Fonds, den er den Reicheren seiner Gemeinde abknöpfte, und gab Brot an die Armen aus. Anders als in anderen Orten blieb diese Kommune vom Hunger verschont.
Danach gründete Raiffeisen in schneller Folge weitere Vereinigungen, die Bauern mit Saatgut, Vieh, Heugabeln und Krediten versorgten. Er kam zur Einsicht, dass karitative Organisationen nur kurzfristigen Nutzen stiften – und allein Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung dauerhaft aus der Not heraushelfen. Sein 1864 gegründeter
«Heddesdorfer Darlehnskassen-Verein» war die erste ländliche Genossenschaft in deutschen Landen. «Was dem Einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele», wurde Raiffeisens Wahlspruch. Und: «Das Geld des Dorfes dem Dorfe». Er legte Wert darauf, dass Wirkungskreise nur so weit reichten, wie man von einem Kirchturm aus blicken konnte – damit die Beteiligten einander kannten. Wie anders würde die heutige Wirtschaft aussehen, wenn man dabei geblieben wäre.
Die süssbittere Ironie der Geschichte: Raiffeisen-Genossenschaften waren so erfolgreich, dass sie heute weltweit mehr als 500 Millionen Mitglieder zählen – unter Preisgabe des «Kirchturmprinzips».
Mehr zum Thema «oben und unten» in Zeitpunkt 142
Erfinder des «Kirchturmprinzips» ist Friedrich Wilhelm Raiffeisen, einer der Begründer des Genossenschaftswesens. Im Hungerwinter von 1846/47 amtierte der 28-jährige als Bürgermeister der Samtgemeinde Weyerbusch im Westerwald tief in der deutschen Kleinstaaterei. Weil die Armen hungerten, beantragte er Mehl aus staatlichen Beständen. Doch die preussische Regierung verlangte, das Mehl dürfe nur verkauft und nicht verteilt werden. Raiffeisen bezahlte die preussischen Gierschlunde aus einem Fonds, den er den Reicheren seiner Gemeinde abknöpfte, und gab Brot an die Armen aus. Anders als in anderen Orten blieb diese Kommune vom Hunger verschont.
Danach gründete Raiffeisen in schneller Folge weitere Vereinigungen, die Bauern mit Saatgut, Vieh, Heugabeln und Krediten versorgten. Er kam zur Einsicht, dass karitative Organisationen nur kurzfristigen Nutzen stiften – und allein Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung dauerhaft aus der Not heraushelfen. Sein 1864 gegründeter
«Heddesdorfer Darlehnskassen-Verein» war die erste ländliche Genossenschaft in deutschen Landen. «Was dem Einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele», wurde Raiffeisens Wahlspruch. Und: «Das Geld des Dorfes dem Dorfe». Er legte Wert darauf, dass Wirkungskreise nur so weit reichten, wie man von einem Kirchturm aus blicken konnte – damit die Beteiligten einander kannten. Wie anders würde die heutige Wirtschaft aussehen, wenn man dabei geblieben wäre.
Die süssbittere Ironie der Geschichte: Raiffeisen-Genossenschaften waren so erfolgreich, dass sie heute weltweit mehr als 500 Millionen Mitglieder zählen – unter Preisgabe des «Kirchturmprinzips».
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11. März 2016
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