Wir grüngewaschenen Sklavenhalter
«Ausbeutung ist oft der einfachste Weg, eine Lieferkette zu optimieren»
Sklaverei ist seit langem verboten, sklavenähnliche Arbeitsbedingungen nicht. Wer keine Wahl hat, wird sich in der Not als «neuer» Sklave verdingen. Das sind «eigentlich ganz normale Arbeiter, die für 50 Cent am Tag arbeiten – bei 60 Grad am Arbeitsplatz, total dehydriert – und weder zum Trinken noch zum Pinkeln aufstehen dürfen. Dafür werden sie von bewaffneten Wachen drangsaliert und müssen nachts im verschlossenen Bretterverschlag schlafen.» Das sagt Evi Hartmann, Professorin für «Supply Chain Management» an der Universität Erlangen-Nürnberg. Sie hat vor kurzem das Buch «Wie viele Sklaven halten Sie?» herausgebracht.
Ausbeutung sei oft der einfachste Weg, eine Lieferkette zu optimieren, meint die Professorin. In den letzten Jahren sei aber immerhin die Moral in den Fokus der Konzerne gerückt – als Risikofaktor. «Kein grosser Hersteller riskiert heute mit derselben Nonchalance wie vor zehn Jahren die öffentliche Empörung. Das Internet und der berüchtigte Shitstorm sind eine mächtige Waffe geworden. Aber auch ein praktisches Tool, um den Ruf schnell wieder herzustellen. Es gibt wirklich ungeheuer viel Greenwashing.» Hinter unserem guten Gewissen versteckt sich also möglicherweise eine ganz andere Realität. Wie siehst sie aus?
Die Berechnung des Anteils der Sklavenarbeit zur Gewährleistung des eigenen Lebensstils ist enorm aufwändig. Einfacher geht es auf der Website slaveryfootprint.org. In einer Viertelstunde habe ich den Fragebogen über Lebensumstände und Konsumgewohnheiten ausgefüllt und erhalte ein erschreckendes Resultat: 35 Sklaven erleichtern mir das Leben.
Selbst wenn ich den dahinterliegenden Statistiken misstraue – unter zehn Sklaven komme ich nicht.
Evi Hartmann schildert locker, drastisch und ohne Umschweife das Dilemma zwischen Moral und Moneten. Sie ist überzeugt: Wir können eine Menge tun, um Sklaverei und Ausbeutung ein Ende zu bereiten. Vielleicht erkennen wir nicht immer eine Wirkung, aber es ist allemal besser, Teil der Lösung zu sein als Teil des Problems.
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Evi Hartmann: Wie viele Sklaven halten Sie?
Über Globalisierung und Moral. Campus Verlag, 2016. 224 S. Fr. 22,90/€ 17,95
Berechnen Sie Ihren Sklavenanteil auf www.slaveryfootprint.org
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„Wie viele Sklaven halten Sie?“ Kritisches Buch oder neoliberale Kampagne?
Replik von Hannes Sies, (stud.d.pol.Wiss./Publizistik, Hamburg) Mai 2016
Professor Evi Hartmanns mit Lob überschüttetes Buch verspricht im Untertitel „Über Globalisierung und Moral“ zu informieren. Aber es bemüht sich vielmehr auf raffinierte Weise, die moralische Verantwortung der Konzerne und ihrer Experten für Ausbeutung und Sklaverei zu vertuschen. Mit einem ganzen Schwarm von Artikeln, positiven Rezensionen usw. von Focus und Spiegel bis Psychologie heute promoted die BWL-Professorin ihr Buch, das in flott-zynischem Jargon das Thema Sklavenarbeit und globale Ausbeutung neoliberal umdeutet. Statt politischer Lösung sucht sie individuelle Schuld für die Globalisierung und ihre schlimmsten Auswüchse in der Kindersklaverei. Nicht Markt-Ideologen und globale Konzerne sind verantwortlich für Ausbeutung und Sklaverei in der Dritten Welt, sondern "wir alle". Wir alle sollen "eigenverantwortlich" nach Lösungen der globalen Ausbeutungswirtschaft suchen. Wo? Natürlich auf den Märkten, wo Konsumenten richten sollen, was Politik und Wirtschaft angeblich nicht schaffen: Menschenrechte bei Großkonzernen durchsetzen.
„Wenn Sie Kleidung tragen, Nahrung zu sich nehmen, ein Auto fahren oder ein Smartphone haben, arbeiten derzeit ungefähr 60 Sklaven für Sie und mich. Ob wir wollen oder nicht. Und ohne dass wir das veranlasst hätten. Wie fühlen Sie sich damit?“, fragt uns BWL-Professorin Evi Hartmann. Das klingt kritisch, das klingt gut und auch links der Mitte wurde der PR-Köder geschluckt: Sogar Labournet und die Nachdenkseiten haben es empfohlen. Die „Blätter für deutsche und internationale Politik“ haben der Autorin sogar ihre Titelseite gewidmet (Nr.3/2016) und sie einen Zweiteiler von unsäglicher Qualität schreiben lassen, um für ihr Opus werben zu können. Auch Zeitpunkt.ch brachte eine lobende Kurzkritik.
Doch der Ansatz des Buches ist nur oberflächlich kritisch. Tatsächlich läuft es auf eine Freisprechung der Finanzeliten für die Untaten ihrer Konzerne hinaus: Am Ende sind wir bei Evi Hartmann alle „Sklavenhalter“, denn „unsere Wirtschaft“ mache uns alle zu Sklavenhaltern - das führe uns „jedes Drei-Euro-T-Shirt und jede Reportage über die Sweatshops in der Dritten Welt vor Augen“. Ob die Professorin wohl jemals ein solches Billig-T-Shirt getragen hat?
Wir alle sind schuldig! Wirklich?
„Über den Daumen gerechnet eineinhalb Milliarden privilegierter Menschen im Westen konsumieren rund 80 Prozent aller Güter dieser Welt.“ (Hartmann, a.a.O., S. 22)
Das meiste davon, das verschweigt Hartmann, konsumieren freilich nicht die im Westen ausgebeuteten Träger von Drei-Euro-T-Shirts, sondern die reichen zehn Prozent, die über 50% des Vermögens angehäuft haben (zu denen Frau Hartmann selber zählen dürfte). Worauf will sie also hinaus? Wir kennen diese Anklagen gegen eine ausbeuterische globale Industrie doch seit Jahrzehnten, besonders von Globalisierungskritikern wie Attac. Doch die Logistik-Professorin Hartmann hat ein Mantra für ihre Kritik, das für Attac wie ein Schlag ins Gesicht klingt: „Wir können die Globalisierung nicht abschaffen, auch können wir die Spielregeln nicht ändern.“
Wäre ja auch dumm für ihr Fach Logistik, das seinen Reputations- und Postengewinn (unter dem neuen Label „Supply Chain Management“) der Globalisierung verdankt: Professorinnen wie sie bringen den Konzernen bei, wie sie die Ausbeutung global organisieren und die Produktion dahin verlegen müssen, wo sie ihre Arbeiter bis aufs Blut ausbeuten können. Besonders gern werden die Lieferketten bis in Länder verlegt, wo kleine Kinder wie Sklaven gehalten werden. Aber ist daran wirklich der hiesige prekär schuftende oder Ein-Euro-Sklave, der sich nur billige Hemden leisten kann, Schuld? Oder nicht vielmehr die Konzerne, die korrupte Politik, die keine Gesetze dagegen erlässt, und vor allem die VWL- und BWL-Professoren, die der Politik die Deregulierung und Globalisierung predigen und den Konzernen erklären, wie sie damit am meisten Profit machen können?
Ihre Lösung: Statt Politik muss der Markt die Menschenrechte regeln. Wenn wir alle nur bei „guten Konzernen“ kaufen, die nicht ausbeuten, dann gibt es keine Ausbeutung mehr. Also ein moralisch begründeter Warenboykott. Leider hat Hartmann scheinbar keine Ahnung von der bei ihr behandelten Materie. Sonst wüsste sie, dass Boykott -wenn überhaupt- nur bei Markenprodukten wirksam ist (etwa Greepeace-Kampagne gegen Schokoriegel Kittkat mit ökologisch bedenklichem Palmöl).
Wird das Leid von Kindern für PR missbraucht?
Evi Hartmanns Fokus liegt nicht auf den Menschenrechten der Kinder, deren Leid sie ausufernd schildert, was sicher ein Beitrag zur Globalisierungskritik wäre, wäre es nicht allzu offensichtlich als bloße Manipulation der Emotionen der Leser gedacht. Politische Ansätze sind ihr nicht bekannt, mit den Büchern etwa von Jean Ziegler, der sein Leben dem Kampf gegen globales Unrecht widmet, ist sie nicht vertraut. Sie will den ausgebeuteten Menschen nicht mehr Rechte geben, sich etwa gewerkschaftlich zu organisieren und für bessere Arbeitsbedingungen, menschenwürdigen Lohn und Befreiung der Kindersklaven zu kämpfen. Hartmanns Perspektive ist ausschließlich die der Managerin, die geschockt von Tausenden Toten Näherinnen bei Fabrikbränden und -einstürzen in Bangladesh, nach Verantwortlichen sucht. Nach anderen Verantwortlichen als ihr selbst, hilfsweise nach Verantwortung „bei uns allen“. Von Ethik und Politik versteht sie nichts. Aber viel von BWL, PR und Marketing, wie der künstliche, nicht durch das dümmliche Propaganda-Büchlein zu rechtfertigende Hype um sie und ihr Opus zeigt.
„Jeder von uns ist ein Sklavenhalter, wenn er meint bestimmte Produkte so günstig kaufen zu sollen wie sie ihm angeboten werden. Jeder kennt die Unternehmen, die ihre Lieferanten ausquetschen. Globalisierung ist das Fortsetzen dieses Ausquetschens über moralische Grenzen hinweg mit Kinderarbeit und Sklaven, die in würdelosen Umgebungen menschenentrechtet arbeiten müssen. Der Kampf Moral gegen Moneten wird nicht gewonnen, wenn wir Konsumenten nicht beginnen, diese Dinge zu durchschauen - und zu handeln.“ So lässt sich Hartmann in zahlreichen auffällig oft positiven (angeblichen) „Kunden-Rezension“ bei Amazon bejubeln: Hat sie wirklich schon so viele begeisterte Leser gefunden, die ihr dort fünf von fünf Sternchen geben? Oder betreibt sie nur hochprofessionelles Marketing für ihre Rechtfertigung der Globalisierung?
Eine unter dem Decknamen „Vielleserin“ geschriebene angebliche Kunden-Rezension klingt fast wie ein marktschreierischer Werbetext aus der PR-Branche: „..sie überzeugt auch durch einen spritzigen Schreibstil, der dazu verleitet, ihr Buch in einem Rutsch durchzulesen - fast schon wie bei einen packenden Krimi.“ Auf mich wirkte das zynisch herunter geschnodderte Opus der Professorin weniger spritzig als vielmehr wie kalter Kaffee, der altbekannte Kritik von Links in stramm rechtspopulistische Formen gießt. Der Krimi besteht allenfalls darin, wie hier eine Gruppe von hoch kriminellen Sklavenhalter-Konzernen durch eine aalglatte Anwältin die Fakten zu ihren Gunsten hinbiegen lässt. Sie vermischt dabei ohne jeden wissenschaftlichen Anspruch Ausbeutung, Menschenhandel, Sklavenhaltung und (angebliche) Konsumkritik.
Expertin für Lieferketten und "Social Responisbility"-PR
Die von ihrem Verlag zur „Expertin für globale Netzwerke“ hochgejubelte Autorin („BWL-Professorin und vierfache Mutter“) liefert angeblich „weit mehr als eine kritische Analyse“, nämlich einen „Wegweiser, wie Fairplay in der Globalisierung funktioniert“, „die persönlichste Globalisierungskritik, die Sie je gelesen haben“. Das Buch sei zwar „keine Aufforderung, die Globalisierung abzuschaffen“, aber biete „eine Anleitung zum kritischen Denken und pragmatischen Handeln“. Kritisches Denken ist aber nicht feststellbar und die "globalen Netzwerke", für die Evi Hartmann "Expertin" ist, sind nicht die der Menschen, die auf Sozialforen, bei Attac und in der UNO für Menschenrechte kämpfen. Hartmann steht für die Finanz-Netzwerke der Großkonzerne und ihre rassistische Ausbeutung (weiße Menschen werden weniger brutal ausgebeutet als farbige). Expertin ist sie dafür, diese Ausbeutung zu verschleiern, indem Konzerne etwa mit windigem, unverbindlichem Firmenkodex der kritischen Öffentlichkeit Sand in die Augen streuen können. Die dort oft versprochene "Social Responsibility" der Großkonzerne ist nur PR und soll den Kampf für echte soziale Verantwortung per Gesetz und Regulierung schwächen.
Das "pragmatische Handeln" der Expertin besteht darin, mit dem Finger auf andere zu zeigen und in Wahrheit nichts am Elend der Ausgebeuteten ändern zu wollen. Denn die Möglichkeiten dafür liegen seit Jahrzehnten auf dem Tisch, die unter Dominanz des Neoliberalismus deregulierte Weltwirtschaft braucht dringend eine Reregulierung. Im Weg stehen korrupte Politik und Medien (zu denen jetzt offenbar auch der Campus-Verlag gehört), die Globalisierungskritik weitmöglichst totschweigen und Bücher und Texte von Akteuren der Globalisierung unters Volk bringen, wo sie nur können. Eine bequeme Methode für die „Winner“ des neoliberalen Sozialdarwinismus, sich ihrer Verantwortung zu entledigen und dem Kampf für Menschenrechte in den Rücken zu fallen.
Ausbeutung sei oft der einfachste Weg, eine Lieferkette zu optimieren, meint die Professorin. In den letzten Jahren sei aber immerhin die Moral in den Fokus der Konzerne gerückt – als Risikofaktor. «Kein grosser Hersteller riskiert heute mit derselben Nonchalance wie vor zehn Jahren die öffentliche Empörung. Das Internet und der berüchtigte Shitstorm sind eine mächtige Waffe geworden. Aber auch ein praktisches Tool, um den Ruf schnell wieder herzustellen. Es gibt wirklich ungeheuer viel Greenwashing.» Hinter unserem guten Gewissen versteckt sich also möglicherweise eine ganz andere Realität. Wie siehst sie aus?
Die Berechnung des Anteils der Sklavenarbeit zur Gewährleistung des eigenen Lebensstils ist enorm aufwändig. Einfacher geht es auf der Website slaveryfootprint.org. In einer Viertelstunde habe ich den Fragebogen über Lebensumstände und Konsumgewohnheiten ausgefüllt und erhalte ein erschreckendes Resultat: 35 Sklaven erleichtern mir das Leben.
Selbst wenn ich den dahinterliegenden Statistiken misstraue – unter zehn Sklaven komme ich nicht.
Evi Hartmann schildert locker, drastisch und ohne Umschweife das Dilemma zwischen Moral und Moneten. Sie ist überzeugt: Wir können eine Menge tun, um Sklaverei und Ausbeutung ein Ende zu bereiten. Vielleicht erkennen wir nicht immer eine Wirkung, aber es ist allemal besser, Teil der Lösung zu sein als Teil des Problems.
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Evi Hartmann: Wie viele Sklaven halten Sie?
Über Globalisierung und Moral. Campus Verlag, 2016. 224 S. Fr. 22,90/€ 17,95
Berechnen Sie Ihren Sklavenanteil auf www.slaveryfootprint.org
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„Wie viele Sklaven halten Sie?“ Kritisches Buch oder neoliberale Kampagne?
Replik von Hannes Sies, (stud.d.pol.Wiss./Publizistik, Hamburg) Mai 2016
Professor Evi Hartmanns mit Lob überschüttetes Buch verspricht im Untertitel „Über Globalisierung und Moral“ zu informieren. Aber es bemüht sich vielmehr auf raffinierte Weise, die moralische Verantwortung der Konzerne und ihrer Experten für Ausbeutung und Sklaverei zu vertuschen. Mit einem ganzen Schwarm von Artikeln, positiven Rezensionen usw. von Focus und Spiegel bis Psychologie heute promoted die BWL-Professorin ihr Buch, das in flott-zynischem Jargon das Thema Sklavenarbeit und globale Ausbeutung neoliberal umdeutet. Statt politischer Lösung sucht sie individuelle Schuld für die Globalisierung und ihre schlimmsten Auswüchse in der Kindersklaverei. Nicht Markt-Ideologen und globale Konzerne sind verantwortlich für Ausbeutung und Sklaverei in der Dritten Welt, sondern "wir alle". Wir alle sollen "eigenverantwortlich" nach Lösungen der globalen Ausbeutungswirtschaft suchen. Wo? Natürlich auf den Märkten, wo Konsumenten richten sollen, was Politik und Wirtschaft angeblich nicht schaffen: Menschenrechte bei Großkonzernen durchsetzen.
„Wenn Sie Kleidung tragen, Nahrung zu sich nehmen, ein Auto fahren oder ein Smartphone haben, arbeiten derzeit ungefähr 60 Sklaven für Sie und mich. Ob wir wollen oder nicht. Und ohne dass wir das veranlasst hätten. Wie fühlen Sie sich damit?“, fragt uns BWL-Professorin Evi Hartmann. Das klingt kritisch, das klingt gut und auch links der Mitte wurde der PR-Köder geschluckt: Sogar Labournet und die Nachdenkseiten haben es empfohlen. Die „Blätter für deutsche und internationale Politik“ haben der Autorin sogar ihre Titelseite gewidmet (Nr.3/2016) und sie einen Zweiteiler von unsäglicher Qualität schreiben lassen, um für ihr Opus werben zu können. Auch Zeitpunkt.ch brachte eine lobende Kurzkritik.
Doch der Ansatz des Buches ist nur oberflächlich kritisch. Tatsächlich läuft es auf eine Freisprechung der Finanzeliten für die Untaten ihrer Konzerne hinaus: Am Ende sind wir bei Evi Hartmann alle „Sklavenhalter“, denn „unsere Wirtschaft“ mache uns alle zu Sklavenhaltern - das führe uns „jedes Drei-Euro-T-Shirt und jede Reportage über die Sweatshops in der Dritten Welt vor Augen“. Ob die Professorin wohl jemals ein solches Billig-T-Shirt getragen hat?
Wir alle sind schuldig! Wirklich?
„Über den Daumen gerechnet eineinhalb Milliarden privilegierter Menschen im Westen konsumieren rund 80 Prozent aller Güter dieser Welt.“ (Hartmann, a.a.O., S. 22)
Das meiste davon, das verschweigt Hartmann, konsumieren freilich nicht die im Westen ausgebeuteten Träger von Drei-Euro-T-Shirts, sondern die reichen zehn Prozent, die über 50% des Vermögens angehäuft haben (zu denen Frau Hartmann selber zählen dürfte). Worauf will sie also hinaus? Wir kennen diese Anklagen gegen eine ausbeuterische globale Industrie doch seit Jahrzehnten, besonders von Globalisierungskritikern wie Attac. Doch die Logistik-Professorin Hartmann hat ein Mantra für ihre Kritik, das für Attac wie ein Schlag ins Gesicht klingt: „Wir können die Globalisierung nicht abschaffen, auch können wir die Spielregeln nicht ändern.“
Wäre ja auch dumm für ihr Fach Logistik, das seinen Reputations- und Postengewinn (unter dem neuen Label „Supply Chain Management“) der Globalisierung verdankt: Professorinnen wie sie bringen den Konzernen bei, wie sie die Ausbeutung global organisieren und die Produktion dahin verlegen müssen, wo sie ihre Arbeiter bis aufs Blut ausbeuten können. Besonders gern werden die Lieferketten bis in Länder verlegt, wo kleine Kinder wie Sklaven gehalten werden. Aber ist daran wirklich der hiesige prekär schuftende oder Ein-Euro-Sklave, der sich nur billige Hemden leisten kann, Schuld? Oder nicht vielmehr die Konzerne, die korrupte Politik, die keine Gesetze dagegen erlässt, und vor allem die VWL- und BWL-Professoren, die der Politik die Deregulierung und Globalisierung predigen und den Konzernen erklären, wie sie damit am meisten Profit machen können?
Ihre Lösung: Statt Politik muss der Markt die Menschenrechte regeln. Wenn wir alle nur bei „guten Konzernen“ kaufen, die nicht ausbeuten, dann gibt es keine Ausbeutung mehr. Also ein moralisch begründeter Warenboykott. Leider hat Hartmann scheinbar keine Ahnung von der bei ihr behandelten Materie. Sonst wüsste sie, dass Boykott -wenn überhaupt- nur bei Markenprodukten wirksam ist (etwa Greepeace-Kampagne gegen Schokoriegel Kittkat mit ökologisch bedenklichem Palmöl).
Wird das Leid von Kindern für PR missbraucht?
Evi Hartmanns Fokus liegt nicht auf den Menschenrechten der Kinder, deren Leid sie ausufernd schildert, was sicher ein Beitrag zur Globalisierungskritik wäre, wäre es nicht allzu offensichtlich als bloße Manipulation der Emotionen der Leser gedacht. Politische Ansätze sind ihr nicht bekannt, mit den Büchern etwa von Jean Ziegler, der sein Leben dem Kampf gegen globales Unrecht widmet, ist sie nicht vertraut. Sie will den ausgebeuteten Menschen nicht mehr Rechte geben, sich etwa gewerkschaftlich zu organisieren und für bessere Arbeitsbedingungen, menschenwürdigen Lohn und Befreiung der Kindersklaven zu kämpfen. Hartmanns Perspektive ist ausschließlich die der Managerin, die geschockt von Tausenden Toten Näherinnen bei Fabrikbränden und -einstürzen in Bangladesh, nach Verantwortlichen sucht. Nach anderen Verantwortlichen als ihr selbst, hilfsweise nach Verantwortung „bei uns allen“. Von Ethik und Politik versteht sie nichts. Aber viel von BWL, PR und Marketing, wie der künstliche, nicht durch das dümmliche Propaganda-Büchlein zu rechtfertigende Hype um sie und ihr Opus zeigt.
„Jeder von uns ist ein Sklavenhalter, wenn er meint bestimmte Produkte so günstig kaufen zu sollen wie sie ihm angeboten werden. Jeder kennt die Unternehmen, die ihre Lieferanten ausquetschen. Globalisierung ist das Fortsetzen dieses Ausquetschens über moralische Grenzen hinweg mit Kinderarbeit und Sklaven, die in würdelosen Umgebungen menschenentrechtet arbeiten müssen. Der Kampf Moral gegen Moneten wird nicht gewonnen, wenn wir Konsumenten nicht beginnen, diese Dinge zu durchschauen - und zu handeln.“ So lässt sich Hartmann in zahlreichen auffällig oft positiven (angeblichen) „Kunden-Rezension“ bei Amazon bejubeln: Hat sie wirklich schon so viele begeisterte Leser gefunden, die ihr dort fünf von fünf Sternchen geben? Oder betreibt sie nur hochprofessionelles Marketing für ihre Rechtfertigung der Globalisierung?
Eine unter dem Decknamen „Vielleserin“ geschriebene angebliche Kunden-Rezension klingt fast wie ein marktschreierischer Werbetext aus der PR-Branche: „..sie überzeugt auch durch einen spritzigen Schreibstil, der dazu verleitet, ihr Buch in einem Rutsch durchzulesen - fast schon wie bei einen packenden Krimi.“ Auf mich wirkte das zynisch herunter geschnodderte Opus der Professorin weniger spritzig als vielmehr wie kalter Kaffee, der altbekannte Kritik von Links in stramm rechtspopulistische Formen gießt. Der Krimi besteht allenfalls darin, wie hier eine Gruppe von hoch kriminellen Sklavenhalter-Konzernen durch eine aalglatte Anwältin die Fakten zu ihren Gunsten hinbiegen lässt. Sie vermischt dabei ohne jeden wissenschaftlichen Anspruch Ausbeutung, Menschenhandel, Sklavenhaltung und (angebliche) Konsumkritik.
Expertin für Lieferketten und "Social Responisbility"-PR
Die von ihrem Verlag zur „Expertin für globale Netzwerke“ hochgejubelte Autorin („BWL-Professorin und vierfache Mutter“) liefert angeblich „weit mehr als eine kritische Analyse“, nämlich einen „Wegweiser, wie Fairplay in der Globalisierung funktioniert“, „die persönlichste Globalisierungskritik, die Sie je gelesen haben“. Das Buch sei zwar „keine Aufforderung, die Globalisierung abzuschaffen“, aber biete „eine Anleitung zum kritischen Denken und pragmatischen Handeln“. Kritisches Denken ist aber nicht feststellbar und die "globalen Netzwerke", für die Evi Hartmann "Expertin" ist, sind nicht die der Menschen, die auf Sozialforen, bei Attac und in der UNO für Menschenrechte kämpfen. Hartmann steht für die Finanz-Netzwerke der Großkonzerne und ihre rassistische Ausbeutung (weiße Menschen werden weniger brutal ausgebeutet als farbige). Expertin ist sie dafür, diese Ausbeutung zu verschleiern, indem Konzerne etwa mit windigem, unverbindlichem Firmenkodex der kritischen Öffentlichkeit Sand in die Augen streuen können. Die dort oft versprochene "Social Responsibility" der Großkonzerne ist nur PR und soll den Kampf für echte soziale Verantwortung per Gesetz und Regulierung schwächen.
Das "pragmatische Handeln" der Expertin besteht darin, mit dem Finger auf andere zu zeigen und in Wahrheit nichts am Elend der Ausgebeuteten ändern zu wollen. Denn die Möglichkeiten dafür liegen seit Jahrzehnten auf dem Tisch, die unter Dominanz des Neoliberalismus deregulierte Weltwirtschaft braucht dringend eine Reregulierung. Im Weg stehen korrupte Politik und Medien (zu denen jetzt offenbar auch der Campus-Verlag gehört), die Globalisierungskritik weitmöglichst totschweigen und Bücher und Texte von Akteuren der Globalisierung unters Volk bringen, wo sie nur können. Eine bequeme Methode für die „Winner“ des neoliberalen Sozialdarwinismus, sich ihrer Verantwortung zu entledigen und dem Kampf für Menschenrechte in den Rücken zu fallen.
11. Mai 2016
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Christoph Pfluger
Christoph Pfluger ist seit 1992 der Herausgeber des Zeitpunkt. "Als Herausgeber einer Zeitschrift, deren Abobeitrag von den Leserinnen und Lesern frei bestimmt wird, erfahre ich täglich die Kraft der Selbstbestimmung. Und als Journalist, der visionären Projekten und mutigen Menschen nachspürt weiss ich: Es gibt viel mehr positive Kräfte im Land als uns die Massenmedien glauben lassen".
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