Im Boden wurzeln die Lösungen
Die kleine Biovision-Stiftung von Hans Rudolf Herren und die milliardenschwere Gates Foundation wollen afrikanische Kleinbauern unterstützen und die Malaria bekämpfen, aber mit völlig gegensätzlichen Zielen.
Hans Rudolf Herren, Insektenforscher, Alternativer Nobelpreisträger, wirbelt in einen Arbeitsraum von Biovision in Zürich. So ein stürmischer junger Mann, dieser 69-jährige Weltbürger: gestern in Genf, morgen wieder zur UNO, übermorgen USA. Das Leitbild seiner Stiftung lautet: «Biovision bekämpft Armut und Hunger an der Wurzel». Offenbar sehr erfolgreich – aus lächerlichen 50 000 Franken Gründungskapital 1998 sind heute 35 Projekte in Ostafrika und der Schweiz geworden, die Millionen Menschen zugute kommen.
Aber auch sein Gegenspieler ist höchst dynamisch, und dazu der reichste Mann der Welt. Den Gründer von Microsoft und der Bill & Melinda Gates Foundation zu treffen ist für Normalsterbliche schier aussichtslos. Bill Gates‘ Entourage von mehr als 1000 Beschäftigten in Seattle und anderswo plant seine Auftritte strategisch und minutengenau schon Monate im Voraus. Das Ehepaar Gates begann 1999 mit einem Stiftungskapital von über 36 Milliarden Dollar – fast zeitgleich mit Biovision, aber mit einem etwa um das 700 000-fache grösseren Etat. Plus Zuschüsse und weitere Milliardenspenden, etwa vom drittreichsten Mann der Welt, Warren Buffett. Die Foundation ist die mit Abstand grösste und einflussreichste Privatstiftung der Welt.
Was für ein Unterschied zu Biovision. Der Chef persönlich nimmt sich Zeit, reisst sich die Krawatte vom Hals, lacht und strahlt. Inzwischen lebt er mit seiner amerikanischen Frau in Kalifornien, manche deutschen Wörter fallen ihm nicht gleich ein. Sanft und starrsinnig, optimistisch und wütend sei er, wird ihm nachgesagt. Starrsinnigen Optimismus muss man auch haben, wenn man internationale Institutionen fast im Alleingang überzeugen muss, wie man Hunger und Armut an deren Wurzeln behandelt.
Aber wird die regenwurmkleine Biovision nicht völlig zermalmt von dem stampfenden Dinosaurier Gates-Foundation? Kämpft David hier aussichtslos gegen Goliath? Die Foundation finanziert sogar UN-Institutionen, etwa die Weltgesundheitsorganisation WHO mit rund elf Prozent ihres Etats. Gates’ weit grösstes Projekt aber ist die «Alliance for a New Green Revolution in Africa», kurz: AGRA.
«Die Gates-Stiftung und AGRA arbeiten mit afrikanischen Regierungen zusammen, was für Minister den Vorteil hat, dass auch etwas für sie abfällt. Ich weiss doch, wie das läuft», ärgert sich Hans Herren. «Millionen werden in Forschungsprojekte gesteckt, dadurch entsteht ein faktisches Monopol», während die Ökoforschung verkümmere. Herren schlägt deshalb einen Kurswechsel vor: «NGOs sollten nicht mehr so viel in kleine Projekte investieren, sondern vor allem in die agrarökologische Forschung.»
Im Umkreis der AGRA, die Gates 2006 mit Unterstützung der Rockefeller-Stiftung gründete, tummeln sich Agrokonzerne wie Monsanto, Cargill, DuPont, Dow Chemical. Wie ein internes Papier verrät, geht es auch um «die Wiederherstellung der amerikanischen Führerschaft im Kampf gegen globalen Hunger und Armut.» Aus Sicht des Amerikaners entstammt der Hunger einem technischem Defizit in Afrika, das mit Hybrid- und Gensaaten und einer Heerschar von Kunstdünger- und Pestizidberatern beseitigt werden kann. In ihrem «Fortschrittsbericht» gibt die AGRA an, über 15 Millionen Kleinbauern durch «verbessertes Saatgut» geholfen zu haben, weil sie in 91 private Saatunternehmen investierte. Saatgut, früher auf lokalen Tauschmärkten kostenlos, müssen arme Bäuerinnen und Landwirte nun kaufen. Das ist «Fortschritt».
«Wenn man Geld gibt, dann darf man nicht bestimmen wollen, wo es eingesetzt wird», regt sich Herren auf. «Aber Bill Gates will seine Nase und seine Finger überall reinstecken. Biovision nimmt deshalb keinerlei Geld von solchen Leuten an, auch nicht von Syngenta.»
Hans Rudolf Herren, geboren 1947 im Unterwallis, erlebte schon als Jugendlicher auf dem Bauernhof seines Vaters, welcher Preis für «Fortschritt» zu zahlen ist – etwa in Form von Pestiziden. Er wurde Agraringenieur und spezialisierte sich als Insektenforscher auf biologische ‹Schädlings›bekämpfung. Von 1979 bis 2005 arbeitete er in Afrika, seine drei Kinder wuchsen dort auf. In Westafrika verheerte damals eine Schmierlaus den Maniok, Grundnahrungsmittel für 200 Millionen Menschen. Die Beschäftigung mit der Maniokwurzel war für Herren eine Rückkehr zu den eigenen Wurzeln.
Der Forscher suchte nach natürlichen Feinden der Schmierlaus und fand schliesslich in Paraguay eine Schlupfwespe. Er testete sie unter strenger Quarantäne und liess sie in einem Grossprogramm ab 1986 in den Maniokgebieten Westafrikas freisetzen, zeitweise bis zu 2000 Wespen pro Sekunde. Der Erfolg war durchschlagend: In 30 Ländern entstand ein Gleichgewicht zwischen Schlupfwespen und Schmierläusen, die Läuseplage war 1993 unter Kontrolle.
Herren rettete damit etwa 20 Millionen Menschen vor dem Hungertod. 1995 erhielt er hierfür den Welternährungspreis und gründete damit seine Stiftung. In Kenia forschte weiter an Biomitteln, etwa Fallen aus blauem Tuch und Kuh-Urin, die Tsetsefliegen anlocken. Und an der «Push and Pull»-Methode.
Rund 50 000 kleinbäuerlichen Familien können nun mit dieser Methode ihre Maisernte verdoppeln oder verdreifachen, indem sie Desmodium in ihren Maisfeldern anbauen. Das Bohnengewächs verdrängt durch kräftige Wurzeln das Striga-Unkraut und wehrt den maisfressenden Stängelbohrer durch seinen Geruch ab («Push»). Das Insekt flüchtet auf das Elefantengras, das rund ums Feld gepflanzt wird, seine Larven bleiben dort kleben («Pull»). Die nahrhaften Pflanzen werden ans Vieh verfüttert, das wiederum mehr Milch gibt. 2013 erhielt Herren für seine Arbeiten den Alternativen Nobelpreis.
Aber immer wieder kam ihm Goliath in die Quere: «Bill Gates macht mich fertig. Früher bauten afrikanische Bauern Artemisia an, ein Heilkraut gegen Malaria, das sich gut verkaufte. Jetzt investierte er 50 Millionen Dollar, damit künstliches Artemisin hergestellt wird. Binnen kurzem entstanden Resistenzen, das Produkt war nicht mehr wirksam, und Tausende von bäuerlichen Familien verloren ihre Einkommensquelle. Das ist doch ein Skandal!»
Gates investierte zwei Milliarden in die Malariabekämpfung, Herren nur einen winzigen Bruchteil – aber mit enormem Erfolg. Im kenianischen Malindi reduzierten seine Mitarbeiter die Malariamückenplage um fast drei Viertel – durch Austrocknung ihrer Brutstätten in Tümpeln und Swimming Pools der Reichen, die Zucht von mückenfressenden Speisefischen und mit Moskitogittern vor Betten, Türen und Fenstern. Und im äthiopischen Luke beseitigten sie in nur zwei Jahren die Tsetsefliege, gefürchtete Überträgerin der Schlafkrankheit bei Mensch und Tier, indem kommunale Verantwortliche Fliegenfallen mit Kuh-Urin regelmässig warteten. Folge: Das Vieh vermehrte sich wieder, Milcherträge verdreifachten sich, Mehreinnahmen flossen in den Aufbau einer Dorfschule.
Auch das wohl durch Stechmücken übertragene Zika-Virus, das in Lateinamerika Babyhirne zerstört, könne man so bekämpfen, sagt der Insektenforscher. «Ich kenne mich zu wenig in den Details aus, aber ich sehe den Fehler, dass man immer nur Symptome behandelt statt Ursachen. Gemeinden müsse Verantwortliche bestimmen, die Tümpel austrocknen oder Fallen aufstellen. Stattdessen werden nun gentechnisch veränderte Mücken losgelassen – das funktioniert, wenn überhaupt, nur kurzfristig. Und da steckt auch wieder Bill Gates dahinter. Mit einem Bruchteil des Geldes könnte man die Brutstätten vernichten!»
Während die Gates-Foundation mit gigantischem technischen Aufwand Symptome kuriert, versucht Biovision die Probleme an der Wurzel anzupacken – mit billigen, ungiftigen, lokal angepassten ganzheitlichen Methoden. Allein über Bodenverbesserung könne man die landwirtschaftliche Produktion Afrikas ganz ohne Gift und Hybridsorten «verdoppeln und verdreifachen», sagt Herren. Deshalb verschafft Biovision insgesamt fünf Millionen Menschen Zugang zu Ökoanbaumethoden – via Internet, Smartphones, Radio, Infozentren und Bauernzeitungen.
Herren ist überzeugt: In fruchtbarem Humus wurzeln die Lösungen für Armut und Hunger. In Kenia, Tansania und Uganda fördert Biovision die Gewinnung von Heilkräutern und Honig aus den Wäldern – was rund 5000 Personen ein Auskommen sichert und gefährdeten Bienen hilft. In den Uluguru-Bergen Tansanias unterstützt die Stiftung den «Garten der Solidarität», ein Ausbildungszentrum mit Demonstrationsgärten. Die terrassierten Hänge strotzen vor Fruchtbarkeit – wohl auch, weil die Frauen dieses matrilinearen Stammes ihr eigenes Land bewirtschaften. Fast überall ist das anders: Die Bäuerinnen Afrikas stellen 90 Prozent aller Lebensmittel her, besitzen aber nur 2 Prozent der Äcker – diese krasse Ungerechtigkeit fördert ebenfalls Armut und Hunger.
«Wir versuchen vor allem Frauen auszubilden und Frauengruppen zu helfen, das bringt viel bessere Ergebnisse», sagt Herren. «Von der Grundschule bis zur universitären Forschung oder bei der Kreditvergabe werden Frauen stark benachteiligt. Aber sie wissen sich besser zu helfen als Männer: Sie bilden Genossenschaften und unterstützen sich gegenseitig.» Auch die Gates-Foundation bildet Frauen aus – von solchem Kollektivzeugs wie Genossenschaften will sie allerdings nichts wissen.
Das gewaltigste Ringen zwischen David und Goliath aber findet derzeit auf globaler Ebene statt. Während Gates das US-Modell der Agroindustrie der ganzen Welt aufdrücken will, glaubt Herren, dass die Menschheit auf Dauer über kleinbäuerliche Höfe ernährt werden kann und muss, und die Zahlen sprechen für ihn: Agrokonzerne heute tragen nur etwa 30 Prozent zur Welternährung bei, Kleinbauern 70 Prozent.
«Weiter so ist keine Option», war auch die zentrale Botschaft des Weltagrarberichts der UNO von 2008, den Hans Rudolf Herren zusammen mit 400 Forschern und Wissenschaftlerinnen veröffentlichte – gegen massiven Widerstand aus Goliaths Fraktion, von Agrokonzernen und Regierungen. «Die Person, die in der Welternährungsorganisation FAO für den Bericht mitverantwortlich war, ist jetzt in der Gates-Stiftung», sagt Herren. «Das besagt alles.»
Aber der Schweizer hofft, dass die Zeit für seine Ziele arbeitet: Die neuen UN-Nachhaltigkeitsziele verpflichten alle Staaten auf klimafreundliche Produktionsweisen. «Die Landwirtschaft ist verantwortlich für etwa die Hälfte aller Treibhausgase. Sie verbraucht 10 Kalorien aus fossilen Quellen, um eine zu produzieren. Bio-Landbau aber produziert bis zu 30 Kalorien aus einer. Wenn wir die Erderwärmung bremsen wollen, brauchen wir einen globalen Kurswechsel Richtung regenerative Agrikultur.» Über Humusaufbau und Bodenregeneration entziehe man der Atmosphäre CO2 und bringe Kohlenstoff unter die Erde – damit könne man auf Dauer alle Emissionen unschädlich machen. «Landbau ist der einzige Produktionszweig, der schnell und billig umgestellt werden kann. Durch Schliessung von Agrochemiefabriken gehen zwar ein paar tausend Jobs verloren, aber dafür könnten Millionen Menschen auf dem Land neue Arbeit finden.»
Rastlos rast Hans Rudolf Herren um die Welt, hält einen Vortrag nach dem anderen, um diese Botschaft zu verbreiten – wohlwissend, dass nicht nur Bill Gates seine Lösung blockiert, sondern auch das herrschende Wirtschaftssystem. «Alle Subventionen, die an die Schweizer Landwirtschaft gezahlt werden, sollten darauf ausgerichtet sein, Bauern den Übergang vom konventionellen zum Bio-Landbau zu ermöglichen», findet Herren. «Wir brauchen nicht 10, sondern 100 Prozent Bio.»
Und der Staat solle dafür sorgen, dass Verbraucher und Käuferinnen «wahre Preise» zahlen, in denen Umweltschäden eingerechnet würden. Dann plötzlich werde die Ökomöhre ganz billig und das Fleisch von gequälten Schweinen sehr teuer. «Nur so kann das Problem an der Wurzel gepackt werden.» Sagt er und wirbelt zur Tür hinaus. David muss weiterkämpfen.
______________
Biovision – Stiftung für ökologische Entwicklung,
Heinrichstr. 147, 8005 Zürich, Tel. 044 512 58 58. www.biovision.ch
Aber auch sein Gegenspieler ist höchst dynamisch, und dazu der reichste Mann der Welt. Den Gründer von Microsoft und der Bill & Melinda Gates Foundation zu treffen ist für Normalsterbliche schier aussichtslos. Bill Gates‘ Entourage von mehr als 1000 Beschäftigten in Seattle und anderswo plant seine Auftritte strategisch und minutengenau schon Monate im Voraus. Das Ehepaar Gates begann 1999 mit einem Stiftungskapital von über 36 Milliarden Dollar – fast zeitgleich mit Biovision, aber mit einem etwa um das 700 000-fache grösseren Etat. Plus Zuschüsse und weitere Milliardenspenden, etwa vom drittreichsten Mann der Welt, Warren Buffett. Die Foundation ist die mit Abstand grösste und einflussreichste Privatstiftung der Welt.
Was für ein Unterschied zu Biovision. Der Chef persönlich nimmt sich Zeit, reisst sich die Krawatte vom Hals, lacht und strahlt. Inzwischen lebt er mit seiner amerikanischen Frau in Kalifornien, manche deutschen Wörter fallen ihm nicht gleich ein. Sanft und starrsinnig, optimistisch und wütend sei er, wird ihm nachgesagt. Starrsinnigen Optimismus muss man auch haben, wenn man internationale Institutionen fast im Alleingang überzeugen muss, wie man Hunger und Armut an deren Wurzeln behandelt.
Aber wird die regenwurmkleine Biovision nicht völlig zermalmt von dem stampfenden Dinosaurier Gates-Foundation? Kämpft David hier aussichtslos gegen Goliath? Die Foundation finanziert sogar UN-Institutionen, etwa die Weltgesundheitsorganisation WHO mit rund elf Prozent ihres Etats. Gates’ weit grösstes Projekt aber ist die «Alliance for a New Green Revolution in Africa», kurz: AGRA.
«Die Gates-Stiftung und AGRA arbeiten mit afrikanischen Regierungen zusammen, was für Minister den Vorteil hat, dass auch etwas für sie abfällt. Ich weiss doch, wie das läuft», ärgert sich Hans Herren. «Millionen werden in Forschungsprojekte gesteckt, dadurch entsteht ein faktisches Monopol», während die Ökoforschung verkümmere. Herren schlägt deshalb einen Kurswechsel vor: «NGOs sollten nicht mehr so viel in kleine Projekte investieren, sondern vor allem in die agrarökologische Forschung.»
Im Umkreis der AGRA, die Gates 2006 mit Unterstützung der Rockefeller-Stiftung gründete, tummeln sich Agrokonzerne wie Monsanto, Cargill, DuPont, Dow Chemical. Wie ein internes Papier verrät, geht es auch um «die Wiederherstellung der amerikanischen Führerschaft im Kampf gegen globalen Hunger und Armut.» Aus Sicht des Amerikaners entstammt der Hunger einem technischem Defizit in Afrika, das mit Hybrid- und Gensaaten und einer Heerschar von Kunstdünger- und Pestizidberatern beseitigt werden kann. In ihrem «Fortschrittsbericht» gibt die AGRA an, über 15 Millionen Kleinbauern durch «verbessertes Saatgut» geholfen zu haben, weil sie in 91 private Saatunternehmen investierte. Saatgut, früher auf lokalen Tauschmärkten kostenlos, müssen arme Bäuerinnen und Landwirte nun kaufen. Das ist «Fortschritt».
«Wenn man Geld gibt, dann darf man nicht bestimmen wollen, wo es eingesetzt wird», regt sich Herren auf. «Aber Bill Gates will seine Nase und seine Finger überall reinstecken. Biovision nimmt deshalb keinerlei Geld von solchen Leuten an, auch nicht von Syngenta.»
Hans Rudolf Herren, geboren 1947 im Unterwallis, erlebte schon als Jugendlicher auf dem Bauernhof seines Vaters, welcher Preis für «Fortschritt» zu zahlen ist – etwa in Form von Pestiziden. Er wurde Agraringenieur und spezialisierte sich als Insektenforscher auf biologische ‹Schädlings›bekämpfung. Von 1979 bis 2005 arbeitete er in Afrika, seine drei Kinder wuchsen dort auf. In Westafrika verheerte damals eine Schmierlaus den Maniok, Grundnahrungsmittel für 200 Millionen Menschen. Die Beschäftigung mit der Maniokwurzel war für Herren eine Rückkehr zu den eigenen Wurzeln.
Der Forscher suchte nach natürlichen Feinden der Schmierlaus und fand schliesslich in Paraguay eine Schlupfwespe. Er testete sie unter strenger Quarantäne und liess sie in einem Grossprogramm ab 1986 in den Maniokgebieten Westafrikas freisetzen, zeitweise bis zu 2000 Wespen pro Sekunde. Der Erfolg war durchschlagend: In 30 Ländern entstand ein Gleichgewicht zwischen Schlupfwespen und Schmierläusen, die Läuseplage war 1993 unter Kontrolle.
Herren rettete damit etwa 20 Millionen Menschen vor dem Hungertod. 1995 erhielt er hierfür den Welternährungspreis und gründete damit seine Stiftung. In Kenia forschte weiter an Biomitteln, etwa Fallen aus blauem Tuch und Kuh-Urin, die Tsetsefliegen anlocken. Und an der «Push and Pull»-Methode.
Rund 50 000 kleinbäuerlichen Familien können nun mit dieser Methode ihre Maisernte verdoppeln oder verdreifachen, indem sie Desmodium in ihren Maisfeldern anbauen. Das Bohnengewächs verdrängt durch kräftige Wurzeln das Striga-Unkraut und wehrt den maisfressenden Stängelbohrer durch seinen Geruch ab («Push»). Das Insekt flüchtet auf das Elefantengras, das rund ums Feld gepflanzt wird, seine Larven bleiben dort kleben («Pull»). Die nahrhaften Pflanzen werden ans Vieh verfüttert, das wiederum mehr Milch gibt. 2013 erhielt Herren für seine Arbeiten den Alternativen Nobelpreis.
Aber immer wieder kam ihm Goliath in die Quere: «Bill Gates macht mich fertig. Früher bauten afrikanische Bauern Artemisia an, ein Heilkraut gegen Malaria, das sich gut verkaufte. Jetzt investierte er 50 Millionen Dollar, damit künstliches Artemisin hergestellt wird. Binnen kurzem entstanden Resistenzen, das Produkt war nicht mehr wirksam, und Tausende von bäuerlichen Familien verloren ihre Einkommensquelle. Das ist doch ein Skandal!»
Gates investierte zwei Milliarden in die Malariabekämpfung, Herren nur einen winzigen Bruchteil – aber mit enormem Erfolg. Im kenianischen Malindi reduzierten seine Mitarbeiter die Malariamückenplage um fast drei Viertel – durch Austrocknung ihrer Brutstätten in Tümpeln und Swimming Pools der Reichen, die Zucht von mückenfressenden Speisefischen und mit Moskitogittern vor Betten, Türen und Fenstern. Und im äthiopischen Luke beseitigten sie in nur zwei Jahren die Tsetsefliege, gefürchtete Überträgerin der Schlafkrankheit bei Mensch und Tier, indem kommunale Verantwortliche Fliegenfallen mit Kuh-Urin regelmässig warteten. Folge: Das Vieh vermehrte sich wieder, Milcherträge verdreifachten sich, Mehreinnahmen flossen in den Aufbau einer Dorfschule.
Auch das wohl durch Stechmücken übertragene Zika-Virus, das in Lateinamerika Babyhirne zerstört, könne man so bekämpfen, sagt der Insektenforscher. «Ich kenne mich zu wenig in den Details aus, aber ich sehe den Fehler, dass man immer nur Symptome behandelt statt Ursachen. Gemeinden müsse Verantwortliche bestimmen, die Tümpel austrocknen oder Fallen aufstellen. Stattdessen werden nun gentechnisch veränderte Mücken losgelassen – das funktioniert, wenn überhaupt, nur kurzfristig. Und da steckt auch wieder Bill Gates dahinter. Mit einem Bruchteil des Geldes könnte man die Brutstätten vernichten!»
Während die Gates-Foundation mit gigantischem technischen Aufwand Symptome kuriert, versucht Biovision die Probleme an der Wurzel anzupacken – mit billigen, ungiftigen, lokal angepassten ganzheitlichen Methoden. Allein über Bodenverbesserung könne man die landwirtschaftliche Produktion Afrikas ganz ohne Gift und Hybridsorten «verdoppeln und verdreifachen», sagt Herren. Deshalb verschafft Biovision insgesamt fünf Millionen Menschen Zugang zu Ökoanbaumethoden – via Internet, Smartphones, Radio, Infozentren und Bauernzeitungen.
Herren ist überzeugt: In fruchtbarem Humus wurzeln die Lösungen für Armut und Hunger. In Kenia, Tansania und Uganda fördert Biovision die Gewinnung von Heilkräutern und Honig aus den Wäldern – was rund 5000 Personen ein Auskommen sichert und gefährdeten Bienen hilft. In den Uluguru-Bergen Tansanias unterstützt die Stiftung den «Garten der Solidarität», ein Ausbildungszentrum mit Demonstrationsgärten. Die terrassierten Hänge strotzen vor Fruchtbarkeit – wohl auch, weil die Frauen dieses matrilinearen Stammes ihr eigenes Land bewirtschaften. Fast überall ist das anders: Die Bäuerinnen Afrikas stellen 90 Prozent aller Lebensmittel her, besitzen aber nur 2 Prozent der Äcker – diese krasse Ungerechtigkeit fördert ebenfalls Armut und Hunger.
«Wir versuchen vor allem Frauen auszubilden und Frauengruppen zu helfen, das bringt viel bessere Ergebnisse», sagt Herren. «Von der Grundschule bis zur universitären Forschung oder bei der Kreditvergabe werden Frauen stark benachteiligt. Aber sie wissen sich besser zu helfen als Männer: Sie bilden Genossenschaften und unterstützen sich gegenseitig.» Auch die Gates-Foundation bildet Frauen aus – von solchem Kollektivzeugs wie Genossenschaften will sie allerdings nichts wissen.
Das gewaltigste Ringen zwischen David und Goliath aber findet derzeit auf globaler Ebene statt. Während Gates das US-Modell der Agroindustrie der ganzen Welt aufdrücken will, glaubt Herren, dass die Menschheit auf Dauer über kleinbäuerliche Höfe ernährt werden kann und muss, und die Zahlen sprechen für ihn: Agrokonzerne heute tragen nur etwa 30 Prozent zur Welternährung bei, Kleinbauern 70 Prozent.
«Weiter so ist keine Option», war auch die zentrale Botschaft des Weltagrarberichts der UNO von 2008, den Hans Rudolf Herren zusammen mit 400 Forschern und Wissenschaftlerinnen veröffentlichte – gegen massiven Widerstand aus Goliaths Fraktion, von Agrokonzernen und Regierungen. «Die Person, die in der Welternährungsorganisation FAO für den Bericht mitverantwortlich war, ist jetzt in der Gates-Stiftung», sagt Herren. «Das besagt alles.»
Aber der Schweizer hofft, dass die Zeit für seine Ziele arbeitet: Die neuen UN-Nachhaltigkeitsziele verpflichten alle Staaten auf klimafreundliche Produktionsweisen. «Die Landwirtschaft ist verantwortlich für etwa die Hälfte aller Treibhausgase. Sie verbraucht 10 Kalorien aus fossilen Quellen, um eine zu produzieren. Bio-Landbau aber produziert bis zu 30 Kalorien aus einer. Wenn wir die Erderwärmung bremsen wollen, brauchen wir einen globalen Kurswechsel Richtung regenerative Agrikultur.» Über Humusaufbau und Bodenregeneration entziehe man der Atmosphäre CO2 und bringe Kohlenstoff unter die Erde – damit könne man auf Dauer alle Emissionen unschädlich machen. «Landbau ist der einzige Produktionszweig, der schnell und billig umgestellt werden kann. Durch Schliessung von Agrochemiefabriken gehen zwar ein paar tausend Jobs verloren, aber dafür könnten Millionen Menschen auf dem Land neue Arbeit finden.»
Rastlos rast Hans Rudolf Herren um die Welt, hält einen Vortrag nach dem anderen, um diese Botschaft zu verbreiten – wohlwissend, dass nicht nur Bill Gates seine Lösung blockiert, sondern auch das herrschende Wirtschaftssystem. «Alle Subventionen, die an die Schweizer Landwirtschaft gezahlt werden, sollten darauf ausgerichtet sein, Bauern den Übergang vom konventionellen zum Bio-Landbau zu ermöglichen», findet Herren. «Wir brauchen nicht 10, sondern 100 Prozent Bio.»
Und der Staat solle dafür sorgen, dass Verbraucher und Käuferinnen «wahre Preise» zahlen, in denen Umweltschäden eingerechnet würden. Dann plötzlich werde die Ökomöhre ganz billig und das Fleisch von gequälten Schweinen sehr teuer. «Nur so kann das Problem an der Wurzel gepackt werden.» Sagt er und wirbelt zur Tür hinaus. David muss weiterkämpfen.
______________
Biovision – Stiftung für ökologische Entwicklung,
Heinrichstr. 147, 8005 Zürich, Tel. 044 512 58 58. www.biovision.ch
02. Juli 2016
von:
von:
- Anmelden oder Registieren um Kommentare verfassen zu können