The Revolution Will Not Be Televised
Nach offizieller Lesart tragen die Sowjets bis heute die Alleinschuld an der deutschen Teilung, dem Kalten Krieg und dem Rüstungswettlauf. Doch: 1959 war die Erd-Atmosphäre durch die Atomtests radioaktiv verseucht und der sowjetische Staatschef, Nikita Chruschtschow, forderte vor den Vereinten Nationen ein Ende des Rüstungswettlaufs und ein Ende aller Atomtests. Gleichzeitig wollte er einen Friedensvertrag für ein vereinigtes und neutrales Deutschland. Diese Vorschläge sollten auf einer Gipfelkonferenz im Mai 1960 in Paris von den alliierten Siegermächten verhandelt und beschlossen werden. Doch durch gezielte Provokationen änderten die USA den Lauf der Geschichte zu Lasten Russlands, Deutschlands und Europas für die nächsten 29 Jahre. Wie und warum taten sie dies? Und wie gelang es ihnen, die Abrüstung und ein neutrales Gesamtdeutschland schließlich zum Scheitern zu bringen? Warum werden wichtige Atomversuche in Patagonien bis heute verschwiegen, dafür aber eine „heldenhafte Entführung“ eines Nazi-Kriegsverbrechers durch den Mossad erfunden? Auch das Erdbeben 1960 in Chile, das bisher stärkste in der Menschheitsgeschichte, gilt nach wie vor als Naturkatastrophe – und nicht als durch die US-Atomversuche ausgelöst. Bis heute wird die Weltöffentlichkeit über diese Katastrophen schamlos belogen. In den Archiven der USA, der Bundesrepublik, Argentiniens und der Katholischen Kirche finden sich indessen Dokumente, die ein Licht auf die wahren Ereignisse sowie die Machenschaften von CIA und Pentagon werfen. Doch wie rankommen an derlei Dokumente? Und was enthüllen sie? Zu diesen Fragen sprach Jens Wernicke mit der Journalistin und Filmemacherin Gaby Weber, die im letzten Jahr den Alternativen Medienpreis erhielt und soeben den Dokumentarfilm „Krater für den Frieden“ veröffentlicht hat.
Frau Weber, soeben erschien ihr Film „Krater für den Frieden: Wie der militärisch-industrielle Komplex die Abrüstung überlebte”. Was ist Ihr Anliegen mit diesem Film? Worum geht es?
Es geht um den gescheiterten Abrüstungsgipfel in Paris von 1960. Dort sollte auf Vorschlag der Sowjetunion ein Ende der Atomtests und die Wiedervereinigung eines neutralen Gesamtdeutschlands beschlossen werden.
Die Konferenz scheiterte, laut offizieller Geschichtsschreibung, weil Chruschtschow einen cholerischen Wutanfall wegen eines U-2-Flugzeuges bekommen hatte, und alle Journalisten und Historiker beten das bis heute brav nach.
Und wie ist es wirklich gewesen?
Na, ich will Ihnen nicht einfach alles erzählen, Sie sollen ja den Streifen schon noch selber sehen. Aber die US-Regierung wollte auf jeden Fall die Abrüstung und ein neutrales Gesamtdeutschland verhindern. Sie richteten dafür einen Einsatzstab ein, den Joint Chiefs of Staff, in dem die ganzen Dunkelmänner von CIA, Atomkommission und den Generälen sassen.
Und die hatten einen Masterplan, bestehend aus mehreren Provokationen. Die erste war das CIA-Spionageflugzeug, das sie absichtlich auf einer Höhe nach Russland einfliegen liessen, die es der sowjetischen Flugabwehr unmöglich machte, es nicht abzuschiessen. Und dann machten Sie zeitgleich Atomtests.
Also, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Am 16. Mai 1960 wird in Paris feierlich der Abrüstungsgipfel eröffnet und am selben Tag fliegen in Argentinien mehrere Atomwaffen-Träger ein um dort Tests zu veranstalten. Illegale Tests. Daraus machte man auch gar kein Geheimnis, es stand in den Zeitungen. Es wurde erst später vertuscht, nachdem das Erdbeben geschehen war, aber am 16. Mai wollte man mit dieser Aktion unter Beweis stellen, dass man sich einen Kehrricht um Abrüstung schert.
Wie kommt es denn dazu, dass wir alle etwas für die Wahrheit ansehen, was mit Wahrheit so wenig zu tun hat? Ich meine, dass die landläufige Geschichtsschreibung mit dem, was Sie zu berichten wissen, so wenig Gemeinsamkeiten hat…?
Weil es so bequem ist: Zum einen, weil wir nicht arbeiten müssen, wenn wir einfach die offizielle Version übernehmen. Ansonsten müssten wir ja in die Archive rennen, uns mit den Geheimdiensten wegen Desklassifizierung herumschlagen und unsere Karriere riskieren, wenn wir an der offiziellen Version zweifeln. Diese Arbeit kostet Geld und Zeit, und heute finanziert keine Redaktion so etwas mehr.
Außerdem ist diese offizielle Geschichtsschreibung zwar unwahr, aber wir mögen sie, weil wir gerne die Guten sein möchten und die anderen als die Bösen betrachten.
Interessant ist auch, dass in geheimer Sitzung im NATO-Rat sehr wohl nach den wahren Gründen des Scheiterns des Abrüstungsgipfels gefragt wurde, aber der US-Vertreter im NATO-Rat legte dort lediglich ein Statement im US-Senat vor. Das beweist, wie vulgär das Pentagon auch seine engsten militärischen Partner in Europa verarschte.
Verstehe ich recht: Geschichte wird also, wenn ich recht verstehe, von den Regierenden und Mächtigen verfälscht? Und Sie wollen mit dem Film den Blick freigeben auf die Realität hinter den Mythen?
Naja, wenn wir unsere Geschichte nicht kennen, wie wollen wir dann unsere demokratischen Rechte wahrnehmen? Und es geht hier ja nicht um Peanuts, um einen verrutschten Hosenträger eines Präsidenten. Es geht hier um die deutsche Geschichte, das heisst um die damals gescheiterte Wiedervereinigung aber auch um einen Nazi-Kriegsverbrecher. Und es geht darum, wie mit Atomwaffen unser Planet zerstört werden sollte und bis heute zerstört werden kann.
Erinnern Sie sich noch an die hübschen Worte des gerade gewählten US-Präsidenten Barack Obama, der eine “Welt ohne Atomwaffen” propagiert hatte? Was ist denn davon übrig geblieben? Man hat einige alte Waffensysteme verschrottet und neue Atomwaffen angeschafft. Und dabei wollen auch noch die sogenannten “Schurkenstaaten” mitspielen.
Die Situation ist heute furchtbarer als noch vor ein paar Jahren. Vermutlich hat Obama auch deshalb gerade in Washington die internationale Konferenz über nukleare Sicherheit eröffnet…
Das ist doch reine Machtpolitik und unglaubwürdig noch dazu. 2009 hatte er noch von einer “globalen Abrüstung” gesprochen. Er tut so, als sei alleine sein Pentagon eine sichere Option. Aber ich habe diese Papiere aus der Feder des Physikers Edward Teller aus dem Jahr 1960, und wenn ich das heute Experten zeige, dann stehen denen die Haare zu Berge.
Aus meinem Film geht eben genau hervor, dass das Pentagon schon damals einfach rücksichtslos drauflos gebombt und sich um die Sicherheit der Bevölkerung nicht im geringsten geschert hat. Das verschweigen sie bis heute, weil sich daraus klar die Notwendigkeit ergibt, dass gerade auch die Großmächte mit der Abrüstung beginnen müssen.
Wie ist es Ihnen denn gelungen, die Ereignisse von 1960 jenseits der offiziellen Geschichtsschreibung zu recherchieren?
Da gucken Sie am besten den Film an, er steht in drei Sprachen auf YouTube zur Verfügung.
Vor allem habe ich versucht, in diverse Archive zu kommen, weil ich denke, was dort aufgewahrt wird, kommt der Wahrheit schon ziemlich nahe, insbesondere wenn wir dieses Archivmaterial vergleichen. Das war nicht einfach. Denn als ich die Papiere des US National Security Council einsehen wollte, wurde ich deportiert und mein Visum widerrufen. Seitdem darf ich nicht mehr in die USA einreisen.
Das heisst, Sie können dort nicht mehr recherchieren?
Ich kann dort nicht mehr einreisen, aber US-Historikerinnen haben mir geholfen und mir die Unterlagen schließlich gemailt. Ausserdem stehe ich – trotz Einreiseverbots – mit den Archivaren in E-Mail-Verbindung, die diese Unterlagen herausgesucht haben. Und selbst CIA, Pentagon und Energie-Ministerium beantworten meine Anträge. Die nehmen also mein Einreiseverbot selbst nicht ganz so ernst…
Freiwillig rücken die aber doch sicher nicht mit Staatsgeheimnissen heraus.
Das ist richtig. Die stellen sich auf den Standpunkt: Wir haben zu Ihrem Thema keine Unterlagen. Sie gehen einfach in ihr Archiv, in dem die offenen Vorgänge liegen und sehen: dort ist nichts. Das stimmt natürlich, weil diese Unterlagen noch nicht offen sind. Aber sie verschweigen mir den Weg, wie ich die Offenlegung beantragen kann. Das heisst: von Rechtsstaat keine Rede. Und die Anträge auf Herausgabe bisher noch klassifizierter Dokumente, die ich mit Registriernummer belegen kann, sind abgelehnt worden. Bis heute top-secret, absolute Geheimhaltung.
Sie klagen ja in Deutschland gerade gegen den Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz auf Aktenzugang. Und auch in Argentinien klagen Sie auf Information…
Ja, da habe ich gerade Klage gegen das argentinische Außenministerium eingereicht. Es geht um denselben Forschungsgegenstand, an dem ich seit Jahren sitze: Um die Aufklärung der sogenannten „Entführung“ des Nazi-Kriegsverbrechers Adolf Eichmann im Mai 1960 aus Buenos Aires. Die Argentinier haben sich bislang immer doof gestellt und gemeint, bei ihnen gäbe es nichts.
Auch diesbezüglich bestreiten Sie ja die offizielle Geschichtsschreibung, wonach der israelische Geheimdienst Mossad Eichmann mit einer heldenhaften Operation nach Israel entführt haben will. Der Fall landete damals sogar vor dem UN-Sicherheitsrat…
Ja, die argentinische Regierung veranstaltete damals wegen der angeblichen „Verletzung seiner Souveränität“ ein Riesen-Spektakel. Doch nach jahrelangen Recherchen habe ich Dokumente gefunden, aus denen hervorgeht, dass die Geschehnisse vom Mai 1960 Teil des Kalten Krieges waren.
Laut einem Dokument des argentinischen Geheimdienstes SIPBA wurde die Operation von Mitgliedern der Regierung von Präsident Arturo Frondizi durchgeführt. Er kam vom linken Flügel der UCR, der Radikalen Bürgerunion und war Antifaschist. Deshalb wurden er und seine Minister vom Geheimdienst überwacht, ebenso wie eine Gruppe linker Bischöfe. Das Geheimdienstdokument beschreibt die Details sowie die Autos, mit denen Eichmann transportiert wurde. Von Israelis ist an dieser Stelle nicht die Rede. Deren Rolle war wohl eher „vorgeschoben“, so ein Dokument des Bundesnachrichtendienstes, das ich 2008 gerichtlich erstritten habe.
Nach wenigen Stunden wurde diese Operation aber vom argentinischen Geheimdienst in Zusammenarbeit mit der CIA aufgemischt und die Entführer, die israelischen Helfer und ihre Geisel Eichmann festgesetzt. Der israelische Außenminister Abba Eban flog sofort nach Argentinien, um seine Leute herauszuholen; und er unterschrieb eine bilaterale Vereinbarung, wonach die argentinische Regierung versprach, die Angelegenheit nicht gerichtlich verfolgen zu wollen.
Wenn es also eine „Verletzung der argentinischen Souveränität“ gegeben haben soll, dann maximal eine von zwei Tagen, danach landeten alle Beteiligten im souveränen argentinischen Knast. Und es gab keine Entführung nach Israel sondern eine Aneinanderreihung von Peinlichkeiten.
Wenn Sie das alles schon wissen: Auf Herausgabe welcher Informationen klagen Sie dann denn noch?
Es ist mindestens dieser vom Geheimdienst erwähnte bilaterale Vertrag zwischen Israel und Argentinien. Ich versuche, seit 2005 die argentinische Regierung dazu zu bewegen, diese Dokumente herauszurücken, hatte damals sogar ein Gespräch mit dem Außenminister Rafael Bielsa, der mir zuerst die Offenlegung aller Dokumente mündlich versprach, dann aber nichts mehr davon wissen wollte.
Gibt es in Argentinien denn kein Informationsfreiheitsgesetz?
Nein, das ist ja das Problem. In Chile, Uruguay und Brasilien gibt es das und wird auch von den Journalisten eifrig genutzt. In Argentinien hatte Präsident Néstor Kirchner ein Dekret unterzeichnet, wonach amtliche Dokumente offen zu legen seien, aber trotz aller Versprechungen ist es für die Regierungen immer bequemer, die Akten geschlossen zu lassen. Unter seiner Nachfolgerin Cristina Kirchner war das besonders schlimm und autoritär.
Und wie, meinen Sie, sehen ihre juristischen Chancen aus, da es doch kein Informationsfreiheitsgesetz gibt?
Gut. Bisher haben die Verwaltungsgerichte und der Oberste Gerichtshof fast immer für die Offenlegung gestimmt und für das Argument, dass die Bürger ihre demokratischen Rechte nur wahrnehmen können, wenn das Regierungshandeln auch transparent ist. Und in diesem Fall geht es um einen Vertrag von vor 56 Jahren! Außerdem gibt es in Argentinien keine geheimen Verträge mit anderen Staaten. Ich bin sehr optimistisch, was das Juristische angeht. Und vielleicht sieht ja auch die israelische Regierung ein, dass es irgendwann mit dem Lügen vorbei ist.
Haben Sie das erwähnte Geheimdienstdokument dabei denn vorgelegt? Und wo haben Sie es her?
Ja, ich habe es bei Gericht eingereicht und die amtliche Beglaubigung beantragt, da es aus einem öffentlichen Archiv stammt. Es hat, so meine Vermutung, die Zensur überlebt, weil es in einer Akte des Geheimdienstes abgeheftet war, in der Informationen über fortschrittliche katholische Bischöfe gesammelt wurden. Einer dieser Bischöfe hatte in seiner Kathedrale, so das Dokument, die Unterzeichnung dieses bilateralen Vertrages „zusammen mit der israelischen Delegation“ gefeiert. Wo ich es her habe – möchte ich nicht sagen. Nur so viel: Ich werde dieses Dokument in meinem neuen Dokumentarfilm „Krater für den Frieden“ veröffentlichen. Der steht inzwischen im Netz.
Wie finanzieren Sie denn Ihre Recherchen und Filme? Ich meine: Da steckt ja jahrelange Archivarbeit dahinter. Und nicht nur das…
Ich habe leider nicht einen Cent von dritter Seite erhalten sondern Schulden gemacht. Und viele haben auch umsonst an dem Projekt mitgearbeitet.
Aber ein neues Projekt kann ich so nicht noch einmal stemmen. Deshalb bitte ich am Ende des Films die Leute, die unabhängige und nicht-interessen-orientierte Recherche wollen, diese auch mitzufinanzieren. Und solange wir kein neues Mediengesetz haben, bitte ich eben um Spenden. Anders geht es leider nicht.
Haben die Medien denn über den Film oder Ihre neue Klage berichtet? Und, ja: Wieso sieht man derlei Dokumentationen nicht auf den Öffentlich-Rechtlichen? Die haben doch genug Geld…
Wir hatten die großen argentinischen Tageszeitungen, sämtliche Auslandskorrespondenten und mehreren Agenturen über die Einreichung der Klage und das neue Dokument informiert.
Eigentlich ist es ja so, dass, wenn ein Handschuh oder eine Brille oder sonst was von Eichmann auftaucht, dann steht das sofort in den Schlagzeilen. Aber wenn ein Dokument aus nachgewiesener Quelle auftaucht, das die Geheimdienstversion widerlegt – dann schweigen sie alle.
Nicht ein einziges Medium hat darüber berichtet. Und dann wundern sich die Journalisten, dass die normalen Leute sie als „Lohnschreiber“ verachten.
Und das Geld der Öffentlich-Rechtlichen geht in erster Linie in die Altersversorgung und in die hohen Gehälter, in die Fussballrechte und seichte Serien. Die wollen sich nicht mit der Macht anlegen, denn sie brauchen sie ja für die eigene Finanzierung.
Hätten Sie abschließend noch einen Rat für andere kritische Journalisten? Und, ja, ggf. auch für kritische Mediennutzer wie jene der NachDenkSeiten? Wie streiten wir am besten für ausgewogene, gut recherchierte Berichterstattung? Was könnte man tun?
Ich denke, wir brauchen ein neues Mediengesetz, und zwar dringend. Die Öffentlich-Rechtlichen sind mit dem, was sie den Zuschauern zumuten, nicht mehr zu legitimieren. Und auf der Rechten fordert man schon lange eine komplette Abschaffung und die Privatisierung von ARD und ZDF. Das ist aus deren Augen auch verständlich, denn sie sind derart in der Krise, dass sie nicht mal mehr als Machtinstrument dienen. Man glaubt ihnen ja kaum noch etwas.
Außerdem sollten wir eine gesellschaftliche Diskussion darüber anstossen, wie wir die Medien demokratisieren, das heißt, wie wir sie auch für die neuen Entwicklungen der Blogs und unabhängiger Projekte öffnen.
Die ARD hat schon lange kein Meinungsmonopol mehr, hier ist ein gewaltiger Reformstau entstanden. Aber ich sehe im Moment, zumindest im Parlament, keine politische Kraft, die sich für die Modernisierung und Demokratisierung der Medien einsetzt.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Gaby Weber, 1954 in Stuttgart geboren, Magister und Promotion an der FU Berlin, ist seit 1978 hauptberufliche Journalistin, arbeitete zuerst für den stern und ab 1981 für die ARD. Seit 1985 ist sie freiberuflich als Südamerika-Korrespondentin tätig. Ihre Homepage ist gabyweber.com.
Es geht um den gescheiterten Abrüstungsgipfel in Paris von 1960. Dort sollte auf Vorschlag der Sowjetunion ein Ende der Atomtests und die Wiedervereinigung eines neutralen Gesamtdeutschlands beschlossen werden.
Die Konferenz scheiterte, laut offizieller Geschichtsschreibung, weil Chruschtschow einen cholerischen Wutanfall wegen eines U-2-Flugzeuges bekommen hatte, und alle Journalisten und Historiker beten das bis heute brav nach.
Und wie ist es wirklich gewesen?
Na, ich will Ihnen nicht einfach alles erzählen, Sie sollen ja den Streifen schon noch selber sehen. Aber die US-Regierung wollte auf jeden Fall die Abrüstung und ein neutrales Gesamtdeutschland verhindern. Sie richteten dafür einen Einsatzstab ein, den Joint Chiefs of Staff, in dem die ganzen Dunkelmänner von CIA, Atomkommission und den Generälen sassen.
Und die hatten einen Masterplan, bestehend aus mehreren Provokationen. Die erste war das CIA-Spionageflugzeug, das sie absichtlich auf einer Höhe nach Russland einfliegen liessen, die es der sowjetischen Flugabwehr unmöglich machte, es nicht abzuschiessen. Und dann machten Sie zeitgleich Atomtests.
Also, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Am 16. Mai 1960 wird in Paris feierlich der Abrüstungsgipfel eröffnet und am selben Tag fliegen in Argentinien mehrere Atomwaffen-Träger ein um dort Tests zu veranstalten. Illegale Tests. Daraus machte man auch gar kein Geheimnis, es stand in den Zeitungen. Es wurde erst später vertuscht, nachdem das Erdbeben geschehen war, aber am 16. Mai wollte man mit dieser Aktion unter Beweis stellen, dass man sich einen Kehrricht um Abrüstung schert.
Wie kommt es denn dazu, dass wir alle etwas für die Wahrheit ansehen, was mit Wahrheit so wenig zu tun hat? Ich meine, dass die landläufige Geschichtsschreibung mit dem, was Sie zu berichten wissen, so wenig Gemeinsamkeiten hat…?
Weil es so bequem ist: Zum einen, weil wir nicht arbeiten müssen, wenn wir einfach die offizielle Version übernehmen. Ansonsten müssten wir ja in die Archive rennen, uns mit den Geheimdiensten wegen Desklassifizierung herumschlagen und unsere Karriere riskieren, wenn wir an der offiziellen Version zweifeln. Diese Arbeit kostet Geld und Zeit, und heute finanziert keine Redaktion so etwas mehr.
Außerdem ist diese offizielle Geschichtsschreibung zwar unwahr, aber wir mögen sie, weil wir gerne die Guten sein möchten und die anderen als die Bösen betrachten.
Interessant ist auch, dass in geheimer Sitzung im NATO-Rat sehr wohl nach den wahren Gründen des Scheiterns des Abrüstungsgipfels gefragt wurde, aber der US-Vertreter im NATO-Rat legte dort lediglich ein Statement im US-Senat vor. Das beweist, wie vulgär das Pentagon auch seine engsten militärischen Partner in Europa verarschte.
Verstehe ich recht: Geschichte wird also, wenn ich recht verstehe, von den Regierenden und Mächtigen verfälscht? Und Sie wollen mit dem Film den Blick freigeben auf die Realität hinter den Mythen?
Naja, wenn wir unsere Geschichte nicht kennen, wie wollen wir dann unsere demokratischen Rechte wahrnehmen? Und es geht hier ja nicht um Peanuts, um einen verrutschten Hosenträger eines Präsidenten. Es geht hier um die deutsche Geschichte, das heisst um die damals gescheiterte Wiedervereinigung aber auch um einen Nazi-Kriegsverbrecher. Und es geht darum, wie mit Atomwaffen unser Planet zerstört werden sollte und bis heute zerstört werden kann.
Erinnern Sie sich noch an die hübschen Worte des gerade gewählten US-Präsidenten Barack Obama, der eine “Welt ohne Atomwaffen” propagiert hatte? Was ist denn davon übrig geblieben? Man hat einige alte Waffensysteme verschrottet und neue Atomwaffen angeschafft. Und dabei wollen auch noch die sogenannten “Schurkenstaaten” mitspielen.
Die Situation ist heute furchtbarer als noch vor ein paar Jahren. Vermutlich hat Obama auch deshalb gerade in Washington die internationale Konferenz über nukleare Sicherheit eröffnet…
Das ist doch reine Machtpolitik und unglaubwürdig noch dazu. 2009 hatte er noch von einer “globalen Abrüstung” gesprochen. Er tut so, als sei alleine sein Pentagon eine sichere Option. Aber ich habe diese Papiere aus der Feder des Physikers Edward Teller aus dem Jahr 1960, und wenn ich das heute Experten zeige, dann stehen denen die Haare zu Berge.
Aus meinem Film geht eben genau hervor, dass das Pentagon schon damals einfach rücksichtslos drauflos gebombt und sich um die Sicherheit der Bevölkerung nicht im geringsten geschert hat. Das verschweigen sie bis heute, weil sich daraus klar die Notwendigkeit ergibt, dass gerade auch die Großmächte mit der Abrüstung beginnen müssen.
Wie ist es Ihnen denn gelungen, die Ereignisse von 1960 jenseits der offiziellen Geschichtsschreibung zu recherchieren?
Da gucken Sie am besten den Film an, er steht in drei Sprachen auf YouTube zur Verfügung.
Vor allem habe ich versucht, in diverse Archive zu kommen, weil ich denke, was dort aufgewahrt wird, kommt der Wahrheit schon ziemlich nahe, insbesondere wenn wir dieses Archivmaterial vergleichen. Das war nicht einfach. Denn als ich die Papiere des US National Security Council einsehen wollte, wurde ich deportiert und mein Visum widerrufen. Seitdem darf ich nicht mehr in die USA einreisen.
Das heisst, Sie können dort nicht mehr recherchieren?
Ich kann dort nicht mehr einreisen, aber US-Historikerinnen haben mir geholfen und mir die Unterlagen schließlich gemailt. Ausserdem stehe ich – trotz Einreiseverbots – mit den Archivaren in E-Mail-Verbindung, die diese Unterlagen herausgesucht haben. Und selbst CIA, Pentagon und Energie-Ministerium beantworten meine Anträge. Die nehmen also mein Einreiseverbot selbst nicht ganz so ernst…
Freiwillig rücken die aber doch sicher nicht mit Staatsgeheimnissen heraus.
Das ist richtig. Die stellen sich auf den Standpunkt: Wir haben zu Ihrem Thema keine Unterlagen. Sie gehen einfach in ihr Archiv, in dem die offenen Vorgänge liegen und sehen: dort ist nichts. Das stimmt natürlich, weil diese Unterlagen noch nicht offen sind. Aber sie verschweigen mir den Weg, wie ich die Offenlegung beantragen kann. Das heisst: von Rechtsstaat keine Rede. Und die Anträge auf Herausgabe bisher noch klassifizierter Dokumente, die ich mit Registriernummer belegen kann, sind abgelehnt worden. Bis heute top-secret, absolute Geheimhaltung.
Sie klagen ja in Deutschland gerade gegen den Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz auf Aktenzugang. Und auch in Argentinien klagen Sie auf Information…
Ja, da habe ich gerade Klage gegen das argentinische Außenministerium eingereicht. Es geht um denselben Forschungsgegenstand, an dem ich seit Jahren sitze: Um die Aufklärung der sogenannten „Entführung“ des Nazi-Kriegsverbrechers Adolf Eichmann im Mai 1960 aus Buenos Aires. Die Argentinier haben sich bislang immer doof gestellt und gemeint, bei ihnen gäbe es nichts.
Auch diesbezüglich bestreiten Sie ja die offizielle Geschichtsschreibung, wonach der israelische Geheimdienst Mossad Eichmann mit einer heldenhaften Operation nach Israel entführt haben will. Der Fall landete damals sogar vor dem UN-Sicherheitsrat…
Ja, die argentinische Regierung veranstaltete damals wegen der angeblichen „Verletzung seiner Souveränität“ ein Riesen-Spektakel. Doch nach jahrelangen Recherchen habe ich Dokumente gefunden, aus denen hervorgeht, dass die Geschehnisse vom Mai 1960 Teil des Kalten Krieges waren.
Laut einem Dokument des argentinischen Geheimdienstes SIPBA wurde die Operation von Mitgliedern der Regierung von Präsident Arturo Frondizi durchgeführt. Er kam vom linken Flügel der UCR, der Radikalen Bürgerunion und war Antifaschist. Deshalb wurden er und seine Minister vom Geheimdienst überwacht, ebenso wie eine Gruppe linker Bischöfe. Das Geheimdienstdokument beschreibt die Details sowie die Autos, mit denen Eichmann transportiert wurde. Von Israelis ist an dieser Stelle nicht die Rede. Deren Rolle war wohl eher „vorgeschoben“, so ein Dokument des Bundesnachrichtendienstes, das ich 2008 gerichtlich erstritten habe.
Nach wenigen Stunden wurde diese Operation aber vom argentinischen Geheimdienst in Zusammenarbeit mit der CIA aufgemischt und die Entführer, die israelischen Helfer und ihre Geisel Eichmann festgesetzt. Der israelische Außenminister Abba Eban flog sofort nach Argentinien, um seine Leute herauszuholen; und er unterschrieb eine bilaterale Vereinbarung, wonach die argentinische Regierung versprach, die Angelegenheit nicht gerichtlich verfolgen zu wollen.
Wenn es also eine „Verletzung der argentinischen Souveränität“ gegeben haben soll, dann maximal eine von zwei Tagen, danach landeten alle Beteiligten im souveränen argentinischen Knast. Und es gab keine Entführung nach Israel sondern eine Aneinanderreihung von Peinlichkeiten.
Wenn Sie das alles schon wissen: Auf Herausgabe welcher Informationen klagen Sie dann denn noch?
Es ist mindestens dieser vom Geheimdienst erwähnte bilaterale Vertrag zwischen Israel und Argentinien. Ich versuche, seit 2005 die argentinische Regierung dazu zu bewegen, diese Dokumente herauszurücken, hatte damals sogar ein Gespräch mit dem Außenminister Rafael Bielsa, der mir zuerst die Offenlegung aller Dokumente mündlich versprach, dann aber nichts mehr davon wissen wollte.
Gibt es in Argentinien denn kein Informationsfreiheitsgesetz?
Nein, das ist ja das Problem. In Chile, Uruguay und Brasilien gibt es das und wird auch von den Journalisten eifrig genutzt. In Argentinien hatte Präsident Néstor Kirchner ein Dekret unterzeichnet, wonach amtliche Dokumente offen zu legen seien, aber trotz aller Versprechungen ist es für die Regierungen immer bequemer, die Akten geschlossen zu lassen. Unter seiner Nachfolgerin Cristina Kirchner war das besonders schlimm und autoritär.
Und wie, meinen Sie, sehen ihre juristischen Chancen aus, da es doch kein Informationsfreiheitsgesetz gibt?
Gut. Bisher haben die Verwaltungsgerichte und der Oberste Gerichtshof fast immer für die Offenlegung gestimmt und für das Argument, dass die Bürger ihre demokratischen Rechte nur wahrnehmen können, wenn das Regierungshandeln auch transparent ist. Und in diesem Fall geht es um einen Vertrag von vor 56 Jahren! Außerdem gibt es in Argentinien keine geheimen Verträge mit anderen Staaten. Ich bin sehr optimistisch, was das Juristische angeht. Und vielleicht sieht ja auch die israelische Regierung ein, dass es irgendwann mit dem Lügen vorbei ist.
Haben Sie das erwähnte Geheimdienstdokument dabei denn vorgelegt? Und wo haben Sie es her?
Ja, ich habe es bei Gericht eingereicht und die amtliche Beglaubigung beantragt, da es aus einem öffentlichen Archiv stammt. Es hat, so meine Vermutung, die Zensur überlebt, weil es in einer Akte des Geheimdienstes abgeheftet war, in der Informationen über fortschrittliche katholische Bischöfe gesammelt wurden. Einer dieser Bischöfe hatte in seiner Kathedrale, so das Dokument, die Unterzeichnung dieses bilateralen Vertrages „zusammen mit der israelischen Delegation“ gefeiert. Wo ich es her habe – möchte ich nicht sagen. Nur so viel: Ich werde dieses Dokument in meinem neuen Dokumentarfilm „Krater für den Frieden“ veröffentlichen. Der steht inzwischen im Netz.
Wie finanzieren Sie denn Ihre Recherchen und Filme? Ich meine: Da steckt ja jahrelange Archivarbeit dahinter. Und nicht nur das…
Ich habe leider nicht einen Cent von dritter Seite erhalten sondern Schulden gemacht. Und viele haben auch umsonst an dem Projekt mitgearbeitet.
Aber ein neues Projekt kann ich so nicht noch einmal stemmen. Deshalb bitte ich am Ende des Films die Leute, die unabhängige und nicht-interessen-orientierte Recherche wollen, diese auch mitzufinanzieren. Und solange wir kein neues Mediengesetz haben, bitte ich eben um Spenden. Anders geht es leider nicht.
Haben die Medien denn über den Film oder Ihre neue Klage berichtet? Und, ja: Wieso sieht man derlei Dokumentationen nicht auf den Öffentlich-Rechtlichen? Die haben doch genug Geld…
Wir hatten die großen argentinischen Tageszeitungen, sämtliche Auslandskorrespondenten und mehreren Agenturen über die Einreichung der Klage und das neue Dokument informiert.
Eigentlich ist es ja so, dass, wenn ein Handschuh oder eine Brille oder sonst was von Eichmann auftaucht, dann steht das sofort in den Schlagzeilen. Aber wenn ein Dokument aus nachgewiesener Quelle auftaucht, das die Geheimdienstversion widerlegt – dann schweigen sie alle.
Nicht ein einziges Medium hat darüber berichtet. Und dann wundern sich die Journalisten, dass die normalen Leute sie als „Lohnschreiber“ verachten.
Und das Geld der Öffentlich-Rechtlichen geht in erster Linie in die Altersversorgung und in die hohen Gehälter, in die Fussballrechte und seichte Serien. Die wollen sich nicht mit der Macht anlegen, denn sie brauchen sie ja für die eigene Finanzierung.
Hätten Sie abschließend noch einen Rat für andere kritische Journalisten? Und, ja, ggf. auch für kritische Mediennutzer wie jene der NachDenkSeiten? Wie streiten wir am besten für ausgewogene, gut recherchierte Berichterstattung? Was könnte man tun?
Ich denke, wir brauchen ein neues Mediengesetz, und zwar dringend. Die Öffentlich-Rechtlichen sind mit dem, was sie den Zuschauern zumuten, nicht mehr zu legitimieren. Und auf der Rechten fordert man schon lange eine komplette Abschaffung und die Privatisierung von ARD und ZDF. Das ist aus deren Augen auch verständlich, denn sie sind derart in der Krise, dass sie nicht mal mehr als Machtinstrument dienen. Man glaubt ihnen ja kaum noch etwas.
Außerdem sollten wir eine gesellschaftliche Diskussion darüber anstossen, wie wir die Medien demokratisieren, das heißt, wie wir sie auch für die neuen Entwicklungen der Blogs und unabhängiger Projekte öffnen.
Die ARD hat schon lange kein Meinungsmonopol mehr, hier ist ein gewaltiger Reformstau entstanden. Aber ich sehe im Moment, zumindest im Parlament, keine politische Kraft, die sich für die Modernisierung und Demokratisierung der Medien einsetzt.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Gaby Weber, 1954 in Stuttgart geboren, Magister und Promotion an der FU Berlin, ist seit 1978 hauptberufliche Journalistin, arbeitete zuerst für den stern und ab 1981 für die ARD. Seit 1985 ist sie freiberuflich als Südamerika-Korrespondentin tätig. Ihre Homepage ist gabyweber.com.
Dieser Text erschien zuerst auf den "NachDenkSeiten - die kritische Website". Die Verwertung durch uns erfolgt im Rahmen der Creative Commons Lizenz 2.0 Non-Commercial, unter welcher er publiziert wurde.
13. April 2016
von:
von:
- Anmelden oder Registieren um Kommentare verfassen zu können