Schritte zu einem globalen Machtwechsel. Oder: Wir sind Griechenland!

Wir erleben seit Monaten einen erbitterten Kampf des bestehenden Geld- und Machtsystems gegen alle, die es in Frage stellen. Von den Rändern Europas, vor allem aus Griechenland und Spanien kommt die klare Botschaft: So nicht. Die Kinder, die in den Schulen nicht genug zu essen bekommen, die arbeitslosen Jugendlichen, die verarmten Rentner und unzählige obdachlos gewordene Familien tragen keine Schuld an der Verschuldung. Sie werden Opfer einer gnadenlosen Sparpolitik, an der Menschen und ihre Sozialgefüge zugrunde gehen. Sie brauchen eine andere Vision, eine andere Politik und ein anderes Geldsystem, damit Land und Wirtschaft wieder aufblühen.


Doch nicht nur Südeuropa braucht ein anderes System, sondern die ganze Welt, einschließlich der Wälder und Ozeane, der Tiere und des Klimas. Das Leben selbst hat unter den bestehenden Gesetzen des Kapitalismus, unter den Bedingungen von Freihandelspolitik, Profitmaximierung, Konzernwirtschaft mit ihren Kriegen und ihrer Zerstörung der letzten intakten Ökosysteme keine Chance auf Zukunft. Wir alle sind Griechenland.


Es geht heute längst nicht mehr nur um Schulden. Es geht um einen fundamentalen Machtwechsel: Wenn die Mega-Systeme ihre Macht verlieren, könnte das Leben gewinnen. Gewinnen werden vor allem diejenigen, die sich an vielen Orten und auf vielen Ebenen zusammenschließen, die autonome, dezentrale Systeme aufbauen und dazu mit den Kräften der Natur kooperieren. Denn nur mit einer gesunden Natur und gesunden Gemeinschaften kann eine nachhaltige und gerechte Wirtschaft gedeihen.


Der Protest und das Ausscheren der ersten Länder wird dann Erfolg haben, wenn er sich verbindet mit dem Konzept einer globalen Alternative - einem Konzept für autonome Regionen, für eine Industrie, die keine Abfälle produziert und keine Ressourcen vernichtet, für einen gesunden Wasserkreislauf, Energieautonomie und Wiederaufforstung, für ein gerechtes Geldsystem und moderne Subsistenz, für ein Zusammenleben, das auf Solidarität und Vertrauen beruht.


Wie anders könnten Tsipras und Co agieren, wenn sie wüssten, wie der potentielle Reichtum ihres Landes genutzt werden könnte! Wenn sie sehen könnten, wie sich Agrarsteppen in kürzester Zeit in lebendige Biotope mit vielfältigen Wirtschaftsmöglichkeiten und gesundem Sozialgefüge wandeln können. Wie Gemeinschaftsbildung auf lokaler, regionaler und landesweiter Ebene zur Revitalisierung von Dörfern und Regionen, lokalen Geldkreisläufen und gleichzeitig zur Gesundung der Natur führen kann - und damit unabhängig macht von so genannten Hilfsmaßnahmen, hinter denen sich doch nur Knebelverträge und weitere Profitinteressen verstecken.


Es gibt solche Konzepte, und mehr: Es gibt bereits Erfahrungen ihrer Umsetzung. Einige Beispiele:

    •    Die Renaturierung des Lößplateaus in China, einem Gebiet von der Größe Belgiens, zeigt, wie schnell die Wüstenbildung rückgängig gemacht werden kann.
    •    In der Slowakei beteiligten sich 2011 354 Gemeinden am Bau von 100.000 kleinen dezentralen Wasserretentionsmaßnahmen, die die katastrophalen Auswirkungen der Agrarindustrie reduzieren.
    •    Im Alwar-Distrikt von Rajasthan haben ähnliche Maßnahmen dazu geführt, dass fünf ausgetrocknete Flüsse wieder fließen und 1000 Dörfer wieder Trinkwasser erhalten. Dadurch entstanden Lebensmöglichkeiten für hunderttausende von Menschen.
    •    Die weltweite Bewegung zur Gründung von Gemeinschaften, Ökodörfer, Transition Towns und Transition Villages in allen Kontinenten und Kulturkreisen zeugt von großer Bereitschaft, ganzheitliche Modelle für ökologische und soziale Nachhaltigkeit aufzubauen.
    •    In verschiedenen Ländern werden grüne Industriekonzepte erprobt wie z.B. Cradle to Cradle, wo alle Stufen von Fertigungskreisläufen in Kooperation mit der Natur geschehen.
    •    In ehemaligen Industriestädten wie Detroit entstand ein neues Stadtleben durch ökologische Kleinproduktion und lokale Wirtschaftskreisläufe.


Es gibt zahlreiche weitere Beispiele, die zeigen, dass die Basis jeder gesunden wirtschaftlichen Entwicklung eine intakte Natur ist sowie Menschen und Gemeinschaften, die lernen, mit ihr zu kooperieren.


"Wasser, Nahrung und Energie stehen allen Menschen kostenlos zur Verfügung, wenn wir nicht mehr den Gesetzen des Kapitalismus folgen, sondern der Logik der Natur", schreibt Dieter Duhm. Er ist Mitbegründer von Tamera in Portugal, einer Schule für konkrete Utopie und einem Friedensforschungszentrum mit derzeit ca. 140 Mitarbeitern und Bewohnern. Tamera trägt Wissen und Erfahrungen von weltweiten Autonomie-Experten zusammen, erprobt und lehrt deren Entwicklungen auch in verschiedenen Krisengebieten der Erde.


Auf Tameras Gelände von 140 ha konnte die Wüstenbildung durch vielfältige innovative Maßnahmen zur Wasserretention rückgängig gemacht werden. Neue Technologien für dezentrale Energie- und Lebensmittelautonomie finden Anwendung. In einer Region, aus der bisher junge Menschen wegzogen, siedeln sich vermehrt neue Gemeinschaften an. Ähnliches geschieht bei Tameras Kooperationspartnern in Palästina, Kenia, Kolumbien und Brasilien. Im Kern der Arbeit Tameras steht die Forschung über Gemeinschaftsbildung, Liebe, Sexualität, Partnerschaft, Konfliktlösung und Kommunikation.


All diese Erfahrungen können jetzt in größerem Maßstab angewendet werden. Sie können die Grundlage bilden für eine planetarische Bewegung der Erneuerung, für einen globalen Machtwechsel, für einen New Deal für die Erde, für die Ausbildung einer ganzen Generation in Strategien der Nachhaltigkeit.
Dafür müssen die ausscherenden Länder Südeuropas, die Protestbewegungen weltweit und die Forschungsprojekte für Alternativen eine Allianz eingehen, denn sie haben eine gemeinsame Aufgabe: Den Aufbau von Modellregionen, in denen wir erleben und erfahren können, wie ein gesundes und reiches Leben ohne Troika, ohne Konzernherrschaft und ohne Naturzerstörung aussieht.


Orte wie Tamera bieten sich an als Ausbildungsstätten für alle Schritte des globalen Machtwechsels: Wasser, Energie, Nahrung, Gemeinschaftsbildung, Ökonomie.
Wir können aus dem alten System aussteigen, wenn wir wissen, wie wir ein neues aufbauen. Es ist der Ausstieg aus der Illusion des Mangels in die Realität der Fülle. Griechenland könnte jetzt das Startsignal setzen für einen globalen Systemwechsel. Wir alle sind Griechenland. Wenn das Leben siegt, wird es keine Verlierer mehr geben.

Ein Dank an Alexis Tsipras und seine Genossen von Syriza. Ebenso an Ada Calau, der ersten weiblichen Bürgermeisterin Barcelonas, eine frühere soziale Aktivistin, die vielfach verhaftet worden war. Die Wirtschaftskrisen haben Menschen aus den Protestbewegungen in Leitungspositionen gebracht. Durch ihr humanes und unerschrockenes Auftreten werden die Machtstrukturen der bestehenden Systeme, aber auch deren Zerbrechlichkeit sichtbar. Sie können jetzt mithelfen, dass weltweite Protestbewegungen und die Forschung an Alternativen sich zu einem planetarischen Aufbruch verbinden.

______________________


Mehr Informationen zu Tamera: www.tamera.org
02. Juli 2015
von: