Stadtgärtnern als Überlebenskunst
Wer in der Stadt lebt, hat zwar Kontakt zu vielen Menschen, verliert aber oft die Verbindung zur Natur. Als Gegenbewegung entwickelt sich seit den 90er Jahren die städtische Landwirtschaft. Sie gibt den Menschen Beziehung zur Natur, zu sich selber und hilft im Kampf ums tägliche Überleben.
Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Städten. Schon heute ist die Stadtbevölkerung am stärksten von steigenden Lebensmittelkosten und knapper werdenden Rohstoffen betroffen. Ist in einer Grossstadt ein gesundes, nachhaltiges Leben überhaupt möglich? Eine weltweite Bewegung antwortet: Ja, wir können. Einige Beispiele einer leisen Revolution.
Berlin, eine Art Hauptstadt urbaner Gartenkultur: Auf besetzten Grundstücken entstanden seit den 80er Jahren Kinderbauernhöfe und Gemeinschaftsgärten als Vorzeigeprojekte für alternatives Leben. Im Tempelhofer Feld, dem stillgelegten städtischen Flughafen Tempelhof, gedeiht ein vielfältiges Permakultur-Leben mit Hochbeeten und Fahrradstrecken. Über die Zukunft der «Tempelhofer Freiheit» wird am 26. Mai per Volksentscheid abgestimmt. Weiteres prominentens Beispiel sind die Prinzessinnengärten im Stadtteil Kreuzberg. Auf einer Brache von 6000 qm nahe der ehemaligen Mauer beseitigten 2009 die Anwohner den Müll und schufen – da die Eigentumsverhältnisse unklar waren – mobile Gärten in Tetra-Packs, Bäckerkisten und Reissäcken. Die Prinzessinnengärten sind eine Oase in der Stadt, ein Kultur- und Lehrzentrum für Nachbarschaftshilfe und organischen Gartenbau.
Guerilla Gardening: Garten-Guerilleros führen ihre Anschläge mit Saatgutbomben, Spaten und Hacke aus. Sie verwandeln Hochhausschluchten oder Industriegebiete in Wildgärten. Auf Verkehrsinseln pflanzen sie Sonnenblumen und Möhren, lassen in alten Autoreifen Kartoffeln wachsen. Bekannt wurde die Bewegung, als Globalisierungskritiker am 1. Mai 2000 in London eine Rasenfläche des verkehrsreichen Parliament Square umgruben und bepflanzten, um die «Strasse zurückzuerobern».
Lissabon: Mit seinen über 70‘000 offiziellen, heimlichen und spontanen Gärten ist die portugiesische Hauptstadt rekordverdächtig. Der Gemüseanbau auf allen Flächen ist Krisenhilfe von unten. Die Initiative «Banca das Terras» (Land-Bank) verbindet Landlose mit Landbesitzern. Maria Inacia Chaves, 70, aus Évora: «Seit ich meinen Hof nicht mehr bewirtschaften kann, habe ich vier Familien Land gegeben, damit sie sich dort etwas anbauen können. Geld will ich nicht dafür, aber immer, wenn ich nach Hause komme, finde ich einen Korb mit frischem Gemüse vor.»
«Internationale Gärten» entstanden in den 90ern in Buenos Aires, New York und Toronto und verbreiteten sich weltweit: Gärten, von Migranten gemeinsam mit Einheimischen bestellt, erwiesen sich als geeignetes Medium für den Austausch von Kulturen. Für Asylbewerber ist die Arbeit in den Gärten eine willkommene Aktivität, die sie mit ihren Wurzeln verbindet. «Endlich kommen wir nicht mehr mit leeren Händen, wenn wir eingeladen werden, sondern haben etwas, das wir verschenken können», sagt eine Kleingärtnerin aus Kroatien.
Das heutige Detroit, von der Auto-Industrie verlassen, verwandelt sich in eine Garten- und Fahrradstadt. Arbeitslose legten mehr als 1400 Gärten, davon 900 regelrechte Stadtfarmen auf verlassenen Grundstücken der ehemaligen 2-Millionen-Stadt an. Mehr als 50 Prozent des hier verzehrten Obstes und Gemüses sollen, so das Ziel, innerhalb der Stadtgrenzen angebaut werden.
In Lateinamerika verbindet die Gartenbewegung modernes und indigenes Pflanzenwissen mit dem Leben in der Grossstadt. In Mexiko-Stadt lehrt das Zentrum für Urban Gardening Schüler und Nachbarn, wie man in Regenrinnen, an Hauswänden und in alten Klodeckeln Gemüse anbaut, um vom Tropf der US-Importe loszukommen. Betreiberin Caroline Lukac: «Spätestens nach Peak-Oil wird Mexiko-Stadt verhungern und verdursten, wenn wir nicht rechtzeitig lernen, unsere Lebensmittel selbst zu erzeugen.» Die meisten ihrer Schüler haben noch nie eine Kuh gesehen. «Und beim Anblick von Regenwürmern wird ihnen schlecht», lacht sie.
Richtig breit könnte die Bewegung in Lateinamerika werden, wenn sie auch in die Slums einzieht. Rund eine Milliarde Menschen leben weltweit in Slums, Barrios und Favelas. Die meisten von ihnen sind ehemalige Kleinbauern, die nun versuchen, sich und ihre Familien an den Stadträndern durchzubringen. Alles, was bei uns organisiert ist – Müllabfuhr, Trinkwasser, Stromversorgung, Polizei, irgendeine staatliche Ordnung – ist hier von Eigeninitiative und Gemeinschaftsgeist abhängig. Und die können Erstaunliches bewirken, wie das wahre Märchen aus Sao Paulo auf der nächsten Seite zeigt.
Berlin, eine Art Hauptstadt urbaner Gartenkultur: Auf besetzten Grundstücken entstanden seit den 80er Jahren Kinderbauernhöfe und Gemeinschaftsgärten als Vorzeigeprojekte für alternatives Leben. Im Tempelhofer Feld, dem stillgelegten städtischen Flughafen Tempelhof, gedeiht ein vielfältiges Permakultur-Leben mit Hochbeeten und Fahrradstrecken. Über die Zukunft der «Tempelhofer Freiheit» wird am 26. Mai per Volksentscheid abgestimmt. Weiteres prominentens Beispiel sind die Prinzessinnengärten im Stadtteil Kreuzberg. Auf einer Brache von 6000 qm nahe der ehemaligen Mauer beseitigten 2009 die Anwohner den Müll und schufen – da die Eigentumsverhältnisse unklar waren – mobile Gärten in Tetra-Packs, Bäckerkisten und Reissäcken. Die Prinzessinnengärten sind eine Oase in der Stadt, ein Kultur- und Lehrzentrum für Nachbarschaftshilfe und organischen Gartenbau.
Guerilla Gardening: Garten-Guerilleros führen ihre Anschläge mit Saatgutbomben, Spaten und Hacke aus. Sie verwandeln Hochhausschluchten oder Industriegebiete in Wildgärten. Auf Verkehrsinseln pflanzen sie Sonnenblumen und Möhren, lassen in alten Autoreifen Kartoffeln wachsen. Bekannt wurde die Bewegung, als Globalisierungskritiker am 1. Mai 2000 in London eine Rasenfläche des verkehrsreichen Parliament Square umgruben und bepflanzten, um die «Strasse zurückzuerobern».
Lissabon: Mit seinen über 70‘000 offiziellen, heimlichen und spontanen Gärten ist die portugiesische Hauptstadt rekordverdächtig. Der Gemüseanbau auf allen Flächen ist Krisenhilfe von unten. Die Initiative «Banca das Terras» (Land-Bank) verbindet Landlose mit Landbesitzern. Maria Inacia Chaves, 70, aus Évora: «Seit ich meinen Hof nicht mehr bewirtschaften kann, habe ich vier Familien Land gegeben, damit sie sich dort etwas anbauen können. Geld will ich nicht dafür, aber immer, wenn ich nach Hause komme, finde ich einen Korb mit frischem Gemüse vor.»
«Internationale Gärten» entstanden in den 90ern in Buenos Aires, New York und Toronto und verbreiteten sich weltweit: Gärten, von Migranten gemeinsam mit Einheimischen bestellt, erwiesen sich als geeignetes Medium für den Austausch von Kulturen. Für Asylbewerber ist die Arbeit in den Gärten eine willkommene Aktivität, die sie mit ihren Wurzeln verbindet. «Endlich kommen wir nicht mehr mit leeren Händen, wenn wir eingeladen werden, sondern haben etwas, das wir verschenken können», sagt eine Kleingärtnerin aus Kroatien.
Das heutige Detroit, von der Auto-Industrie verlassen, verwandelt sich in eine Garten- und Fahrradstadt. Arbeitslose legten mehr als 1400 Gärten, davon 900 regelrechte Stadtfarmen auf verlassenen Grundstücken der ehemaligen 2-Millionen-Stadt an. Mehr als 50 Prozent des hier verzehrten Obstes und Gemüses sollen, so das Ziel, innerhalb der Stadtgrenzen angebaut werden.
In Lateinamerika verbindet die Gartenbewegung modernes und indigenes Pflanzenwissen mit dem Leben in der Grossstadt. In Mexiko-Stadt lehrt das Zentrum für Urban Gardening Schüler und Nachbarn, wie man in Regenrinnen, an Hauswänden und in alten Klodeckeln Gemüse anbaut, um vom Tropf der US-Importe loszukommen. Betreiberin Caroline Lukac: «Spätestens nach Peak-Oil wird Mexiko-Stadt verhungern und verdursten, wenn wir nicht rechtzeitig lernen, unsere Lebensmittel selbst zu erzeugen.» Die meisten ihrer Schüler haben noch nie eine Kuh gesehen. «Und beim Anblick von Regenwürmern wird ihnen schlecht», lacht sie.
Richtig breit könnte die Bewegung in Lateinamerika werden, wenn sie auch in die Slums einzieht. Rund eine Milliarde Menschen leben weltweit in Slums, Barrios und Favelas. Die meisten von ihnen sind ehemalige Kleinbauern, die nun versuchen, sich und ihre Familien an den Stadträndern durchzubringen. Alles, was bei uns organisiert ist – Müllabfuhr, Trinkwasser, Stromversorgung, Polizei, irgendeine staatliche Ordnung – ist hier von Eigeninitiative und Gemeinschaftsgeist abhängig. Und die können Erstaunliches bewirken, wie das wahre Märchen aus Sao Paulo auf der nächsten Seite zeigt.
28. April 2014
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