Thich Nhat Hanh: «Mit sein, von allem durchdrungen»

Der vietnamesische Mönch ist einer der wichtigsten Vertreter eines engagierten Buddhismus.

Er gründete die «Schule der Jugend für Soziale Dienste» (SYSS), den «Tiep-Hien-Orden» für buddhistisch inspirierte Friedensprojekte und half beim Wiederaufbau zerstörter Ortschaften im Vietnam-Krieg. Er verzieh dem US-amerikanischen Bomberpiloten Claude Thomas, der viele seiner Landsleute getötet hatte und bildete ihn zum buddhistischen Mönch aus. Martin Luther King schlug ihn sogar für den Friedens-Nobelpreis vor. Der vietnamesische Mönch Thich Nhat Hanh entwickelte eine moderne Spielart des engagierten Buddhismus, die mit Weltabgewandtheit nichts zu tun hat. Seine Argumente lehnen sich an die Schriften des Religionsgründers und dessen Lehre vom «Nicht-Selbst» an. Was der Mensch sein «Selbst» nennt, ist nach Buddha durchdrungen von Elementen des «Nicht-Selbst». Dazu gehören Wasser, Luft, pflanzliche und mineralische Strukturen sowie Gedanken und Gefühle, die ihren Ursprung nicht im Menschen selbst haben. Thich Nhat Hanh nennt diese Erkenntnis «die Lehre des gegenseitigen Sich-Durchdringens, des Zusammenseins» (interbeing). «Man kann nicht einfach nur sein, man muss mit sein, von allem durchdrungen».



Von Thich Nhat Hanh stammt auch der schöne Satz: «Wir müssen beginnen, die Erde in uns weinen zu hören.» Er entwirft ein ganz anderes Bild von einem religiösen Menschen: «Wenn die Erde dein Körper wäre, könntest du viele Bereiche wahrnehmen, an denen sie leidet. Viele Menschen sind sich des Leidens der Welt bewusst, und ihre Herzen sind voller Mitgefühl. Sie wissen, was getan werden muss. Sie setzen sich auf politischer, sozialer und ökologischer Ebene ein, um die Zustände zu verändern.» Thich Nhat Hanh baute jedoch nicht nur Klöster, Schulen und Krankenhäuser. Seine spirituelle Praxis ist ganz dem Wohl der Mitgeschöpfe gewidmet – selbst einfache Technik wie die Gehmeditation. Mit jedem achtsam gegangenen Schritt, sagt der Zen-Meister, pflanzen wir eine Saat des Friedens und des Glücks in den Boden. Wir beginnen, die Erde, unsere Mutter, zu heilen und uns zugleich von ihr heilen zu lassen. Die Praxis des heute 86-jährigen Mönchs ist ganz vom buddhistischen Bodhisattva-Ideal durchdrungen. Bodhisattvas geloben, so lange auf die Erde zurückzukehren, bis «alle Wesen» gerettet sind. Ein anspruchsvolles Projekt, doch der bescheiden wirkende Vietnamese macht in diesem Leben damit ernst.



www.intersein.de



Weitere Beiträge zum Thema «Spiritualität und Politik» finden Sie in der neuen Printausgabe des «Zeitpunkt».

04. September 2012
von: