Wider die marktkonforme Demokratie
Die Bildung im Lande wird immer mehr zu Markte getragen: Rankings, Elite, Diversifizierung, Schulprofile, Globalbudgets und anderes dienen der Steuerung der längst als Betriebe gedachten Schulen und Hochschulen. Wirtschaftsvertreter bestimmen die „Hochschulräte“ und private Institutionen über die „Marktgängigkeit“ und also Zulassung von Studiengängen. Die Bildungslobbyisten sitzen überall und ihr Technokratismus, der sich eines ganzen Sammelsuriums politischer Psychotechniken bedient, um der Bevölkerung immer neue gegen ihre Interessen gerichteten „Reformen“ schmackhaft zu machen, kennt keine Grenzen mehr. Diese zog nun allerdings ein Urteil des obersten deutschen Gerichtes ein, das feststellt, dass den Deregulierern und Privatisierern nicht alles erlaubt ist. Jens Wernicke sprach hierzu mit Pierangelo Maset, der dafür plädiert, dem zunehmenden „Geistessterben“ im Lande entschieden entgegenzutreten.
Herr Maset, Sie sind Professor an der Leuphana Universität Lüneburg, einer Stiftungsuniversität, die sich der zunehmenden Ökonomisierung und Privatisierung von Bildung alles andere als in den Weg stellt, tun dies jedoch selbst und kritisieren unter anderem ein zunehmendes „Geistessterben“, wie Sie es in einem Ihrer Bücher heißt, im Land. Was stört Sie an Bachelor und Master, G8, Elite- und Stiftungsuniversitäten; was stört Sie am entstehenden „Bildungsmarkt“?
Vor allem, dass durch die Anwendung ökonomischer Modelle und Vorgaben auf das gesamte Bildungssystem eine Umwertung erfolgt ist, bei der die Bildung am Ende auf der Strecke bleibt. Das verschulte, kleinteilige Studium, die Lehre als unendliche Routine, und die Forschung als angepasste Drittmittelbetriebsamkeit sind die Folgen der massiven Umwertungen im Bildungsbereich. Am Ende mündet alles in pathologische Symptome: Bulimie-Lernen, Bulimie-Lehre und Bulimie-Forschung.
Und wir verlassen den Boden, der die Grundlage öffentlicher Bildung im modernen Sinne darstellte, die Grundlage, die mit Kants Prinzip „Sapere aude!“ treffend bezeichnet ist. Dieses „Wage zu wissen“ ist kein Faktor betriebswirtschaftlicher Kennzahlen, sondern die zentrale Bedingung der Möglichkeit von Wissenschaft. Durch die heutige Kontroll- und Effizienzorientierung des Bildungssystems wird das Prinzip immer mehr zum Verschwinden gebracht, und Bildung wird immer mehr zur Ausbildung nach den Vorstellungen der Wirtschaft.
Nun haben die Kritiker dieser Entwicklungen vor dem höchsten deutschen Gericht ja soeben einen Etappensieg errungen: Das Bundesverfassungsgericht hat in einem den Akkreditierungswahn und damit eine der wichtigsten Deregulierungspraktiken der Neoliberalen für verfassungswidrig erklärt. Wie kam es zu diesem Urteil und wie bewerten Sie es?
In den zurückliegenden Jahren gab es eine große Anzahl an Publikationen, die die Entwicklungen an Schulen und Hochschulen kritisch begleitet haben. Lange konnte man den Eindruck haben, dass die vielen differenzierten Widerlegungen der heutigen Ausrichtung des Bildungssystems gesellschaftlich kaum eine Wirkung zeigten, denn die Politiker basteln ja munter weiter an ihrer technokratischen Vision von „Bildungslandschaft“, wofür ja auch unglaubliche Summen eingesetzt werden.
Selbst die „Wirtschaftswoche“ bemängelte die „Babylonische Gefangenschaft des Bildungsministeriums“, angesichts der Tatsache, dass zum Beispiel die inhaltlich längst überholte und äußerst fragwürdige „Kompetenzorientierung“ in der Lehrerbildung vom BMBF in der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ mit satten 500 Millionen Euro gefördert wird.
Aber nach und nach sickerte durch, dass einige der Instrumente der schönen neuen Bildungswelt nicht nur viele unerwünschte Nebenwirkungen hatten, sondern darüber hinaus möglicherweise mit geltendem Recht nicht vereinbar sind.
Im konkreten Fall klagte eine private Fachhochschule, weil ihr von einer Akkreditierungsagentur im Verlauf eines entsprechenden Verfahrens die Akkreditierung von zwei Studiengängen versagt wurde. Die Hochschule strengte ein Normenkontrollverfahren an, das feststellen sollte, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass ein privates Unternehmen wie eine Akkreditierungsagentur hoheitsrechtliche Aufgaben übernimmt.
Es liegt zwar auf der Hand, dass das nicht vereinbar ist, doch da die heute allesamt von vielen Beratern umgebenen Wissenschafts- und Bildungspolitiker offensichtlich auch gewisse Beratungsresistenzen aufweisen, waren Gerichte notwendig, um an die bedrohte Lehr- und Forschungsfreiheit zu erinnern. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist sehr wichtig, weil zum Ausdruck gebracht wurde, welch wichtiges Grundrecht die Lehr- und Forschungsfreiheit darstellt. Überdies wird den Akkreditierungsagenturen im Grunde der Boden entzogen, sie sind unsinnig und ihre Expertise ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.
Das höchste Gericht hat also ein Mittel massiver Entdemokratisierung und Vermarktlichung nach Jahren seiner Nutzung als verfassungswidrig eingestuft – und damit ein Stückweit die Restdemokratie vor „Privatisierung“ geschützt?
Zumindest scheint es beim Bundesverfassungsgericht eine verschärfte Sensibilität dafür zu geben, dass die zunehmende Fremdbestimmung des Hochschulwesens und seine Übernahme durch wirtschaftliche Interessen schädlich für die Demokratie sind.
Dass eine Hochschule in ihrer gelingenden Form ein Raum für Aushandlungen und für die Entwicklung und Betrachtung von Ideen ist, ist wichtig für die gesamte Gesellschaft, weshalb die Lehr- und Forschungsfreiheit nicht nur die Hochschulen betrifft. Sie ist ein Indikator für die demokratische Verfasstheit einer Gesellschaft. Die Akkreditierungen setzen die Hochschulen mit aus der Ökonomie übernommenen Verfahren unter Druck und verlangen von Wissenschaftlern die Unterordnung unter ihre übergriffigen Prinzipien.
Jürgen Kaube bezeichnet das gesamte Akkreditierungssystem in der FAZ ja als „teuren Blödsinn“…
Ich finde es wichtig, dass Jürgen Kaube die Zahlen noch einmal deutlich macht: Rund 18.000 Studiengänge müssen akkreditiert und nach 5 Jahren reakkreditiert werden. Eine Akkreditierung kostet bis zu 15.000 Euro, und da man in der Gutachtergruppe auch noch Professoren benötigt, fallen pro Akkreditierungsjahr ca. 250.000 Arbeitsstunden an.
Dann sind gewaltige Summen, und man fragt sich, wer ein Interesse daran hat, diesen riesigen Einsatz zu bringen? Man könnte diese Ressourcen vernünftigerweise ja auch in die Hochschulen stecken.
Meint, bei den Akkreditierungen geht es auch ums Geschäft? Private „verkaufen“ für Geld, das dann an diese statt an die Schulen und Hochschulen geht, vermeintliche „Qualitätskontrollen“? Geht es darum? Welche Interessen verwirklichen sich hier?
Der wachsende Bildungsmarkt verspricht enorme Gewinne, und wer mit seinen Methoden und seinem Personal dort eine Vorherrschaft erringt, kann auch dafür sorgen, die Richtung zu bestimmen, in die die Gewinne fließen.
Ich denke, es ist ein Grundprinzip des New Public Management, mit einer Wechselwirkung von Geiz und Verschwendung zu arbeiten, um eine Struktur zu verfestigen, die alle Akteure zum Teil der Maschinerie werden lässt. Hierbei wird mit öffentlichen Mitteln gleichzeitig eine Kontrollindustrie entwickelt, in der die die Agenten der entsprechenden Netzwerke tätig werden können.
Um das zu erreichen, musste den Lehrenden und Studierenden Autonomie entzogen werden, die auf der anderen Seite dann in den Präsidien, Stiftungsräten, Verwaltungen und Agenturen gelandet ist. Im Zuge dieser Entwicklung hat die Lehr- und Forschungsfreiheit Schaden genommen.
Wie würden Sie die Gesamtgemengelage denn auf den Punkt bringen: Was ist hier im Bildungssystem seit einiger Zeit zu beobachten? Und um welche Akteure und Interessen geht es hier?
Die Bildungspolitik der Bundesländer folgt nahezu geschlossen den technokratischen Modellen, die Bologna, PISA etc. hervorgebracht haben. Im Kern geht es bei diesen Modellen um die Steuerung des Bildungswesens mit ökonomischen Kennziffern und um eine flächendeckende Standardisierung. Damit werden die vielen Unterschiede, die in Prozessen der Bildung bestehen – Unterschiede der Beteiligten, der Inhalte, der Strukturen – rabiat zu Gunsten einseitiger Leistungs- und Effektivitätskriterien eingeebnet.
Dass die Hochschulen total verschult sind, ihre Inhalte erodieren, ihr Personal zu Drittmitteljägern dressiert wird und ihre Studierenden zu angepassten Credit-Point-Collectors, dass das bundesdeutsche Schulsystem im permanenten Reformfieber erstickt, gleichzeitig aber stark sozial selektive Effekte produziert – das sind Kollateralschäden auf dem Wege zur absoluten Fitness für die globalen Märkte.
In dieser Situation kann es nur die Konsequenz geben, sich der ökonomischen Übergriffe auf das Bildungswesen deutlich entgegenzustellen und in dem Sinn tätig zu werden, dass Freiheitsgrade aufrechterhalten bzw. entfaltet werden können. Zu beobachten ist, dass sich zum Beispiel Konzerne im Verbund mit Wissenschaftsfunktionären immer stärker in die Inhalte von Lehre und Forschung einmischen.
Man schaue sich nur einmal das Projekt „Monitor Lehrerbildung“ an, das von der Bertelsmann Stiftung, dem CHE, der Telekom-Stiftung und dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft gefördert wird. Hier wird die Verzahnung von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft unverhohlen deutlich, und das Projekt entwirft „Strukturen für eine professionelle Lehrerbildung“. Diese werden nicht in einem wissenschaftlichen Diskurs verhandelt, sondern von den Netzwerk-Funktionsträgern zur baldigen Umsetzung „vorgeschlagen“. Auch hier werden Lehre und Forschung zugunsten lobbyistischer Interessen beeinflusst.
Doch mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts bewegen wir uns möglicherweise auf einen Wendepunkt zu. Das Urteil stärkt zum Beispiel auch das Recht des einzelnen Hochschullehrers, Inhalte und Methoden seiner Lehre selbst zu bestimmen und sich diese nicht vorschreiben zu lassen. Außerdem schärft das Urteil die Sensibilität für übergriffige Entwicklungen im Bildungssystem.
Wie kann es denn sein, dass all das geschieht – und sich hiergegen so wenig tut? Diese ganze Entwicklung kann doch gar nicht im Sinne der Mehrheit der Bürger im Lande sein…
In Island sind kürzlich über 20.000 Menschen bei einer Gesamtbevölkerung von 320.000 auf die Straße gegangen, nachdem Regierungschef Gunlaugsson in den Panama Papers als möglicher Steuerhinterzieher geoutet wurde.
Deutschland hat im 20. Jahrhundert eine Geschichte mit zwei Diktaturen hervorgebracht, die weiterhin nachwirken.
Nach meinen Beobachtungen existiert noch immer das, was mit einem vielleicht altmodischen, doch immer noch zutreffenden Wort als „Untertanengeist“ bezeichnet werden könnte. Hinzu kommt die heutige Medien- und Konsumgesellschaft, deren Normen und Werte die Politik mittlerweile dominieren.
Warum machen die Parteien bei all diesen Entwicklungen gen „marktkonformer Demokratie“ und Entstaatlichung denn eigentlich mit? Das dürfte doch alles andere als in ihrem Interesse sein…
Weil es ihre Selbst-Reproduktion ermöglicht, genau da anzuschließen, wo die Gesellschaft steht. Und im Grunde genommen sind Parteien in der heutigen Mediengesellschaft nichts anderes, als Job-Vermittlungen für Menschen, die eine bestimmte Form von Selbstdarstellung professionalisiert haben.
Auch deshalb sind die politischen Personen so wichtig geworden und die Inhalte, die sie vortragen, so austauschbar.
Hat das etwas mit dem zu tun, was Sie in Ihrem „“ skizziert haben? Denken, Fühlen, Handeln – alles wird seit einiger Zeit immer „technokratischer“ und die Zahl der derlei entfremdeten Akteure, ja, Unmenschen, wie Sie sie nennen, nimmt zu?
Das hat sehr viel damit zu tun, und der Gipfel der Entfremdung ist dann erreicht, wenn sie selbst als das Natürlichste überhaupt empfunden wird. Wenn viele Menschen, wie man heute überall beobachten kann, sich in ihrem Verhalten von Geräten wie Smartphones oder Tablets steuern lassen, selbst dann, wenn sie andere zum Gespräch treffen, dann ist die Steuerung durch technologische Apparaturen tief im Alltagsleben angekommen.
Ganz zu schweigen von all den gesellschaftlichen Bereichen, die ohne Computertechnologie nicht mehr existieren könnten, vom Finanzsektor bis zum Militär.
Damit verbunden ist ein neues Klima der lückenlosen technologischen Durchdringung und Überwachung des gesamten Planeten, sogar darüber hinaus. Die Steuerung aller Lebensbereiche durch die Digitalisierung beinhaltet eben auch eine politische, kulturelle und gesellschaftliche Steuerung nie geahnten Ausmaßes, und es ist klar, dass das Bildungssystem dabei im Fokus steht, da die jungen Generationen in eine technokratisch verfasste Welt geführt werden, die dann für sie zur natürlichen wird.
Wie kam es zu dieser Entwicklung? Und was könnten wir hiergegen ggf. tun?
Die technokratische Regierungsform gründet auf wissenschaftlichen Modellen der Steuerung und Regierung, die unter dem Begriff „Kybernetik“ zusammengefasst werden können. In den USA gab es in den 1920er Jahren sogar eine „Technokratische Bewegung“, die auch parlamentarisch tätig wurde.
Die dahinter stehenden Konzepte sind vom Ansatz her weitaus älter, der Begriff Kybernetik stammt ursprünglich aus dem antiken Griechenland. Was alle diese Konzepte bis heute gemeinsam haben, ist die Machbarkeit bzw. Formbarkeit aller lebendigen Prozesse durch Maßnahmen technologischer Regelung. Alle gesellschaftlichen Bedürfnisse sollen mittels technischer Verfahren und einer durchgreifenden Rationalisierung lösbar werden. Die gesamte Existenz wird im Laufe dieser Entwicklung mathematischer Verfahren unterzogen, und die Standardisierung hält überall Einzug. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen.
Die Lage, in der wir uns heute befinden, ist dabei außerordentlich verwickelt, denn auch das „kritische“ Bewusstsein ist keineswegs frei von technokratischer Einfärbung. Die Verallgemeinerung technokratischer Sprachformeln macht nirgends halt.
Der Nachhaltigkeit“, unter dessen scheinheiliger Maßgabe heute ebenso Wälder abgeholzt werden wie veraltete politische Programme ihre Wiederkehr feiern. All das sind Begriffe, die zu Marketinginstrumenten verkommen sind. Was man dagegen tun kann, ist, sie unbedingt zu vermeiden bzw. zu ersetzen und ihre ideologische Funktion aufzudecken.
Wir werden uns sicherlich nicht zurück in eine sozusagen vor-technologische Evolutionsstufe bewegen können, deshalb sehe ich es als möglichen Weg an, Technologie in nicht-technokratischer Form zu entwickeln, zu erproben und anzuwenden. Warum soll nicht die Gesellschaft von den Produktivitätszuwächsen durch neue Technologien zum Beispiel mit deutlich kürzeren Arbeitszeiten profitieren?
Hierzu würden selbstverständlich auch politische Handlungen und Interventionen zählen, die demokratische Spielräume erhalten und ergründen. Überhaupt ginge es sowohl in der Bildung wie in der Politik um die Entwicklung von Imagination. Wir werden uns von der gegenwärtigen misslichen zivilisatorischen Schieflage nur verabschieden können, wenn wir Ideen für andere politische und gesellschaftliche Gestaltungen entwickeln und verwirklichen.
Was genau darf man sich darunter denn vorstellen? Hätten Sie vielleicht ein konkretes Beispiel parat?
Da gibt es zum Glück viele Beispiele. Zunächst sind alle Bestrebungen zu begrüßen, die beispielsweise einem Finanzsystem, das derzeit absolut gegen die Wand fährt, etwas entgegensetzen.
Das fängt mit solch zarten Pflanzen an wie Überlegungen zu einer Gemeinwohlökonomie und einer Postwachstumsgesellschaft, die ich für absolut notwendig erachte. Ich denke da auch an Harald Welzers „Transformationsdesign“ und die zahlreichen Aktivitäten gegen TTIP, CETA und TISA. Die Masse der Menschen, die sich hiergegen engagieren, ist immens.
Und auch gegen die neoliberalen Reformen im Bildungssystem haben sich viele Stimmen erhoben von Richard Münch bis Jochen Krautz. Es liegen hervorragende Arbeiten vor, die diese „Reformen“ inhaltlich längst widerlegt haben. Die heutigen Bildungsfabriken mit gleichen Ausbildungsmaschinen für angehende Roboter. Damit werden wir uns – auch im Interesse der Demokratie – nicht zufrieden geben.
Und wenn sich diese Entwicklungen ungehindert fortsetzten – wohin führte uns das? Was wären die zu erwartenden Folgen für unsere Bildungseinrichtungen und uns?
Die technokratische Zurichtung unserer Bildungseinrichtungen ist untrennbar mit ihrer Ökonomisierung verbunden. Doch gerade ökonomisch gesehen sind aber wesentliche Folgen dieser Kontrollmaßnahmen gewaltige Verschwendungen von personellen und materiellen Ressourcen. Die skizzierten Entwicklungen haben ökonomisch verheerende Auswirkungen, schritte man nicht dagegen ein, würde es in absehbarer Zeit zum ökonomischen und sozialen Overkill kommen. Es ist ja deutlich wahrnehmbar, wie sehr der soziale Kitt derzeit bröckelt.
Konkret: Wenn irgendwann internationale Firmenkonglomerate und nur diese entscheiden sollten, was Bildung ist und sein darf, wenn diese Entwicklung in Richtung „marktkonformer Demokratie“ ungehindert weiter geht, wird von Demokratie schon sehr bald nicht mehr viel übrig sein. Elemente totalitärer Herrschaft sind längst am Start – von TTIP bis zur Geldpolitik der Europäischen Zentralbank.
Was bräuchten Schulen und Hochschulen Ihrer Meinung nach denn? Ich meine: Statt Akkreditierung, Evaluation, Rankings und all dem anderen Kram? Wie bekämen wir das, was „gute Bildung“ einmal meinte, in diese Einrichtungen zurück?
Kurzfristig geht es zentral um eine Wiederaneignung der Hochschulen und Schulen durch die wesentlichen Akteure, nämlich die Lehrenden, Forschenden und Lernenden. Um noch einmal auf die Akkreditierungen zu sprechen zu kommen: Ihre Studiengänge können die Hochschulen bzw. die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch ohne fremde Kontrolle entwickeln.
Grundsätzlich müssen wir gemeinsam daran arbeiten, von einer Kultur der Kontrolle zu einer Kultur des Vertrauens zu wechseln; – das ist die mittelfristige Perspektive. Langfristig sollte die aktuelle Phase der europäischen Bildungsgeschichte als die Epoche der „Neuen Schwarzen Pädagogik“ beschrieben werden. Begriffe wie Akkreditierung, Evaluation, Rankings, Benchmarks etc. werden in das „Schwarzbuch der Zivilisationen“ aufgenommen und den nachfolgenden Generationen als ständige Mahnung dienen.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Pierangelo Maset, geboren 1954, studierte Kunst/Visuelle Kommunikation, Philosophie, Anglistik und Soziologie. Seit 2001 Professor für Kunst und ihre Vermittlung an der Universität Lüneburg. Lehraufträge in Weimar, Linz, Canterbury, Hamburg und Kassel. 2005 Roman-Debüt Klangwesen. Seit 2006 Chefredakteur der Kulturzeitschrift DAS PLATEAU. Zahlreiche Publikationen in den Gebieten Kunst, Ästhetik, Kunstvermittlung. 2010: Geistessterben. Eine Diagnose; 2012: Wörterbuch des technokratischen Unmenschen; 2013: Beauty Police (Roman).
Vor allem, dass durch die Anwendung ökonomischer Modelle und Vorgaben auf das gesamte Bildungssystem eine Umwertung erfolgt ist, bei der die Bildung am Ende auf der Strecke bleibt. Das verschulte, kleinteilige Studium, die Lehre als unendliche Routine, und die Forschung als angepasste Drittmittelbetriebsamkeit sind die Folgen der massiven Umwertungen im Bildungsbereich. Am Ende mündet alles in pathologische Symptome: Bulimie-Lernen, Bulimie-Lehre und Bulimie-Forschung.
Und wir verlassen den Boden, der die Grundlage öffentlicher Bildung im modernen Sinne darstellte, die Grundlage, die mit Kants Prinzip „Sapere aude!“ treffend bezeichnet ist. Dieses „Wage zu wissen“ ist kein Faktor betriebswirtschaftlicher Kennzahlen, sondern die zentrale Bedingung der Möglichkeit von Wissenschaft. Durch die heutige Kontroll- und Effizienzorientierung des Bildungssystems wird das Prinzip immer mehr zum Verschwinden gebracht, und Bildung wird immer mehr zur Ausbildung nach den Vorstellungen der Wirtschaft.
Nun haben die Kritiker dieser Entwicklungen vor dem höchsten deutschen Gericht ja soeben einen Etappensieg errungen: Das Bundesverfassungsgericht hat in einem den Akkreditierungswahn und damit eine der wichtigsten Deregulierungspraktiken der Neoliberalen für verfassungswidrig erklärt. Wie kam es zu diesem Urteil und wie bewerten Sie es?
In den zurückliegenden Jahren gab es eine große Anzahl an Publikationen, die die Entwicklungen an Schulen und Hochschulen kritisch begleitet haben. Lange konnte man den Eindruck haben, dass die vielen differenzierten Widerlegungen der heutigen Ausrichtung des Bildungssystems gesellschaftlich kaum eine Wirkung zeigten, denn die Politiker basteln ja munter weiter an ihrer technokratischen Vision von „Bildungslandschaft“, wofür ja auch unglaubliche Summen eingesetzt werden.
Selbst die „Wirtschaftswoche“ bemängelte die „Babylonische Gefangenschaft des Bildungsministeriums“, angesichts der Tatsache, dass zum Beispiel die inhaltlich längst überholte und äußerst fragwürdige „Kompetenzorientierung“ in der Lehrerbildung vom BMBF in der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ mit satten 500 Millionen Euro gefördert wird.
Aber nach und nach sickerte durch, dass einige der Instrumente der schönen neuen Bildungswelt nicht nur viele unerwünschte Nebenwirkungen hatten, sondern darüber hinaus möglicherweise mit geltendem Recht nicht vereinbar sind.
Im konkreten Fall klagte eine private Fachhochschule, weil ihr von einer Akkreditierungsagentur im Verlauf eines entsprechenden Verfahrens die Akkreditierung von zwei Studiengängen versagt wurde. Die Hochschule strengte ein Normenkontrollverfahren an, das feststellen sollte, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass ein privates Unternehmen wie eine Akkreditierungsagentur hoheitsrechtliche Aufgaben übernimmt.
Es liegt zwar auf der Hand, dass das nicht vereinbar ist, doch da die heute allesamt von vielen Beratern umgebenen Wissenschafts- und Bildungspolitiker offensichtlich auch gewisse Beratungsresistenzen aufweisen, waren Gerichte notwendig, um an die bedrohte Lehr- und Forschungsfreiheit zu erinnern. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist sehr wichtig, weil zum Ausdruck gebracht wurde, welch wichtiges Grundrecht die Lehr- und Forschungsfreiheit darstellt. Überdies wird den Akkreditierungsagenturen im Grunde der Boden entzogen, sie sind unsinnig und ihre Expertise ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.
Das höchste Gericht hat also ein Mittel massiver Entdemokratisierung und Vermarktlichung nach Jahren seiner Nutzung als verfassungswidrig eingestuft – und damit ein Stückweit die Restdemokratie vor „Privatisierung“ geschützt?
Zumindest scheint es beim Bundesverfassungsgericht eine verschärfte Sensibilität dafür zu geben, dass die zunehmende Fremdbestimmung des Hochschulwesens und seine Übernahme durch wirtschaftliche Interessen schädlich für die Demokratie sind.
Dass eine Hochschule in ihrer gelingenden Form ein Raum für Aushandlungen und für die Entwicklung und Betrachtung von Ideen ist, ist wichtig für die gesamte Gesellschaft, weshalb die Lehr- und Forschungsfreiheit nicht nur die Hochschulen betrifft. Sie ist ein Indikator für die demokratische Verfasstheit einer Gesellschaft. Die Akkreditierungen setzen die Hochschulen mit aus der Ökonomie übernommenen Verfahren unter Druck und verlangen von Wissenschaftlern die Unterordnung unter ihre übergriffigen Prinzipien.
Jürgen Kaube bezeichnet das gesamte Akkreditierungssystem in der FAZ ja als „teuren Blödsinn“…
Ich finde es wichtig, dass Jürgen Kaube die Zahlen noch einmal deutlich macht: Rund 18.000 Studiengänge müssen akkreditiert und nach 5 Jahren reakkreditiert werden. Eine Akkreditierung kostet bis zu 15.000 Euro, und da man in der Gutachtergruppe auch noch Professoren benötigt, fallen pro Akkreditierungsjahr ca. 250.000 Arbeitsstunden an.
Dann sind gewaltige Summen, und man fragt sich, wer ein Interesse daran hat, diesen riesigen Einsatz zu bringen? Man könnte diese Ressourcen vernünftigerweise ja auch in die Hochschulen stecken.
Meint, bei den Akkreditierungen geht es auch ums Geschäft? Private „verkaufen“ für Geld, das dann an diese statt an die Schulen und Hochschulen geht, vermeintliche „Qualitätskontrollen“? Geht es darum? Welche Interessen verwirklichen sich hier?
Der wachsende Bildungsmarkt verspricht enorme Gewinne, und wer mit seinen Methoden und seinem Personal dort eine Vorherrschaft erringt, kann auch dafür sorgen, die Richtung zu bestimmen, in die die Gewinne fließen.
Ich denke, es ist ein Grundprinzip des New Public Management, mit einer Wechselwirkung von Geiz und Verschwendung zu arbeiten, um eine Struktur zu verfestigen, die alle Akteure zum Teil der Maschinerie werden lässt. Hierbei wird mit öffentlichen Mitteln gleichzeitig eine Kontrollindustrie entwickelt, in der die die Agenten der entsprechenden Netzwerke tätig werden können.
Um das zu erreichen, musste den Lehrenden und Studierenden Autonomie entzogen werden, die auf der anderen Seite dann in den Präsidien, Stiftungsräten, Verwaltungen und Agenturen gelandet ist. Im Zuge dieser Entwicklung hat die Lehr- und Forschungsfreiheit Schaden genommen.
Wie würden Sie die Gesamtgemengelage denn auf den Punkt bringen: Was ist hier im Bildungssystem seit einiger Zeit zu beobachten? Und um welche Akteure und Interessen geht es hier?
Die Bildungspolitik der Bundesländer folgt nahezu geschlossen den technokratischen Modellen, die Bologna, PISA etc. hervorgebracht haben. Im Kern geht es bei diesen Modellen um die Steuerung des Bildungswesens mit ökonomischen Kennziffern und um eine flächendeckende Standardisierung. Damit werden die vielen Unterschiede, die in Prozessen der Bildung bestehen – Unterschiede der Beteiligten, der Inhalte, der Strukturen – rabiat zu Gunsten einseitiger Leistungs- und Effektivitätskriterien eingeebnet.
Dass die Hochschulen total verschult sind, ihre Inhalte erodieren, ihr Personal zu Drittmitteljägern dressiert wird und ihre Studierenden zu angepassten Credit-Point-Collectors, dass das bundesdeutsche Schulsystem im permanenten Reformfieber erstickt, gleichzeitig aber stark sozial selektive Effekte produziert – das sind Kollateralschäden auf dem Wege zur absoluten Fitness für die globalen Märkte.
In dieser Situation kann es nur die Konsequenz geben, sich der ökonomischen Übergriffe auf das Bildungswesen deutlich entgegenzustellen und in dem Sinn tätig zu werden, dass Freiheitsgrade aufrechterhalten bzw. entfaltet werden können. Zu beobachten ist, dass sich zum Beispiel Konzerne im Verbund mit Wissenschaftsfunktionären immer stärker in die Inhalte von Lehre und Forschung einmischen.
Man schaue sich nur einmal das Projekt „Monitor Lehrerbildung“ an, das von der Bertelsmann Stiftung, dem CHE, der Telekom-Stiftung und dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft gefördert wird. Hier wird die Verzahnung von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft unverhohlen deutlich, und das Projekt entwirft „Strukturen für eine professionelle Lehrerbildung“. Diese werden nicht in einem wissenschaftlichen Diskurs verhandelt, sondern von den Netzwerk-Funktionsträgern zur baldigen Umsetzung „vorgeschlagen“. Auch hier werden Lehre und Forschung zugunsten lobbyistischer Interessen beeinflusst.
Doch mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts bewegen wir uns möglicherweise auf einen Wendepunkt zu. Das Urteil stärkt zum Beispiel auch das Recht des einzelnen Hochschullehrers, Inhalte und Methoden seiner Lehre selbst zu bestimmen und sich diese nicht vorschreiben zu lassen. Außerdem schärft das Urteil die Sensibilität für übergriffige Entwicklungen im Bildungssystem.
Wie kann es denn sein, dass all das geschieht – und sich hiergegen so wenig tut? Diese ganze Entwicklung kann doch gar nicht im Sinne der Mehrheit der Bürger im Lande sein…
In Island sind kürzlich über 20.000 Menschen bei einer Gesamtbevölkerung von 320.000 auf die Straße gegangen, nachdem Regierungschef Gunlaugsson in den Panama Papers als möglicher Steuerhinterzieher geoutet wurde.
Deutschland hat im 20. Jahrhundert eine Geschichte mit zwei Diktaturen hervorgebracht, die weiterhin nachwirken.
Nach meinen Beobachtungen existiert noch immer das, was mit einem vielleicht altmodischen, doch immer noch zutreffenden Wort als „Untertanengeist“ bezeichnet werden könnte. Hinzu kommt die heutige Medien- und Konsumgesellschaft, deren Normen und Werte die Politik mittlerweile dominieren.
Warum machen die Parteien bei all diesen Entwicklungen gen „marktkonformer Demokratie“ und Entstaatlichung denn eigentlich mit? Das dürfte doch alles andere als in ihrem Interesse sein…
Weil es ihre Selbst-Reproduktion ermöglicht, genau da anzuschließen, wo die Gesellschaft steht. Und im Grunde genommen sind Parteien in der heutigen Mediengesellschaft nichts anderes, als Job-Vermittlungen für Menschen, die eine bestimmte Form von Selbstdarstellung professionalisiert haben.
Auch deshalb sind die politischen Personen so wichtig geworden und die Inhalte, die sie vortragen, so austauschbar.
Hat das etwas mit dem zu tun, was Sie in Ihrem „“ skizziert haben? Denken, Fühlen, Handeln – alles wird seit einiger Zeit immer „technokratischer“ und die Zahl der derlei entfremdeten Akteure, ja, Unmenschen, wie Sie sie nennen, nimmt zu?
Das hat sehr viel damit zu tun, und der Gipfel der Entfremdung ist dann erreicht, wenn sie selbst als das Natürlichste überhaupt empfunden wird. Wenn viele Menschen, wie man heute überall beobachten kann, sich in ihrem Verhalten von Geräten wie Smartphones oder Tablets steuern lassen, selbst dann, wenn sie andere zum Gespräch treffen, dann ist die Steuerung durch technologische Apparaturen tief im Alltagsleben angekommen.
Ganz zu schweigen von all den gesellschaftlichen Bereichen, die ohne Computertechnologie nicht mehr existieren könnten, vom Finanzsektor bis zum Militär.
Damit verbunden ist ein neues Klima der lückenlosen technologischen Durchdringung und Überwachung des gesamten Planeten, sogar darüber hinaus. Die Steuerung aller Lebensbereiche durch die Digitalisierung beinhaltet eben auch eine politische, kulturelle und gesellschaftliche Steuerung nie geahnten Ausmaßes, und es ist klar, dass das Bildungssystem dabei im Fokus steht, da die jungen Generationen in eine technokratisch verfasste Welt geführt werden, die dann für sie zur natürlichen wird.
Wie kam es zu dieser Entwicklung? Und was könnten wir hiergegen ggf. tun?
Die technokratische Regierungsform gründet auf wissenschaftlichen Modellen der Steuerung und Regierung, die unter dem Begriff „Kybernetik“ zusammengefasst werden können. In den USA gab es in den 1920er Jahren sogar eine „Technokratische Bewegung“, die auch parlamentarisch tätig wurde.
Die dahinter stehenden Konzepte sind vom Ansatz her weitaus älter, der Begriff Kybernetik stammt ursprünglich aus dem antiken Griechenland. Was alle diese Konzepte bis heute gemeinsam haben, ist die Machbarkeit bzw. Formbarkeit aller lebendigen Prozesse durch Maßnahmen technologischer Regelung. Alle gesellschaftlichen Bedürfnisse sollen mittels technischer Verfahren und einer durchgreifenden Rationalisierung lösbar werden. Die gesamte Existenz wird im Laufe dieser Entwicklung mathematischer Verfahren unterzogen, und die Standardisierung hält überall Einzug. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen.
Die Lage, in der wir uns heute befinden, ist dabei außerordentlich verwickelt, denn auch das „kritische“ Bewusstsein ist keineswegs frei von technokratischer Einfärbung. Die Verallgemeinerung technokratischer Sprachformeln macht nirgends halt.
Der Nachhaltigkeit“, unter dessen scheinheiliger Maßgabe heute ebenso Wälder abgeholzt werden wie veraltete politische Programme ihre Wiederkehr feiern. All das sind Begriffe, die zu Marketinginstrumenten verkommen sind. Was man dagegen tun kann, ist, sie unbedingt zu vermeiden bzw. zu ersetzen und ihre ideologische Funktion aufzudecken.
Wir werden uns sicherlich nicht zurück in eine sozusagen vor-technologische Evolutionsstufe bewegen können, deshalb sehe ich es als möglichen Weg an, Technologie in nicht-technokratischer Form zu entwickeln, zu erproben und anzuwenden. Warum soll nicht die Gesellschaft von den Produktivitätszuwächsen durch neue Technologien zum Beispiel mit deutlich kürzeren Arbeitszeiten profitieren?
Hierzu würden selbstverständlich auch politische Handlungen und Interventionen zählen, die demokratische Spielräume erhalten und ergründen. Überhaupt ginge es sowohl in der Bildung wie in der Politik um die Entwicklung von Imagination. Wir werden uns von der gegenwärtigen misslichen zivilisatorischen Schieflage nur verabschieden können, wenn wir Ideen für andere politische und gesellschaftliche Gestaltungen entwickeln und verwirklichen.
Was genau darf man sich darunter denn vorstellen? Hätten Sie vielleicht ein konkretes Beispiel parat?
Da gibt es zum Glück viele Beispiele. Zunächst sind alle Bestrebungen zu begrüßen, die beispielsweise einem Finanzsystem, das derzeit absolut gegen die Wand fährt, etwas entgegensetzen.
Das fängt mit solch zarten Pflanzen an wie Überlegungen zu einer Gemeinwohlökonomie und einer Postwachstumsgesellschaft, die ich für absolut notwendig erachte. Ich denke da auch an Harald Welzers „Transformationsdesign“ und die zahlreichen Aktivitäten gegen TTIP, CETA und TISA. Die Masse der Menschen, die sich hiergegen engagieren, ist immens.
Und auch gegen die neoliberalen Reformen im Bildungssystem haben sich viele Stimmen erhoben von Richard Münch bis Jochen Krautz. Es liegen hervorragende Arbeiten vor, die diese „Reformen“ inhaltlich längst widerlegt haben. Die heutigen Bildungsfabriken mit gleichen Ausbildungsmaschinen für angehende Roboter. Damit werden wir uns – auch im Interesse der Demokratie – nicht zufrieden geben.
Und wenn sich diese Entwicklungen ungehindert fortsetzten – wohin führte uns das? Was wären die zu erwartenden Folgen für unsere Bildungseinrichtungen und uns?
Die technokratische Zurichtung unserer Bildungseinrichtungen ist untrennbar mit ihrer Ökonomisierung verbunden. Doch gerade ökonomisch gesehen sind aber wesentliche Folgen dieser Kontrollmaßnahmen gewaltige Verschwendungen von personellen und materiellen Ressourcen. Die skizzierten Entwicklungen haben ökonomisch verheerende Auswirkungen, schritte man nicht dagegen ein, würde es in absehbarer Zeit zum ökonomischen und sozialen Overkill kommen. Es ist ja deutlich wahrnehmbar, wie sehr der soziale Kitt derzeit bröckelt.
Konkret: Wenn irgendwann internationale Firmenkonglomerate und nur diese entscheiden sollten, was Bildung ist und sein darf, wenn diese Entwicklung in Richtung „marktkonformer Demokratie“ ungehindert weiter geht, wird von Demokratie schon sehr bald nicht mehr viel übrig sein. Elemente totalitärer Herrschaft sind längst am Start – von TTIP bis zur Geldpolitik der Europäischen Zentralbank.
Was bräuchten Schulen und Hochschulen Ihrer Meinung nach denn? Ich meine: Statt Akkreditierung, Evaluation, Rankings und all dem anderen Kram? Wie bekämen wir das, was „gute Bildung“ einmal meinte, in diese Einrichtungen zurück?
Kurzfristig geht es zentral um eine Wiederaneignung der Hochschulen und Schulen durch die wesentlichen Akteure, nämlich die Lehrenden, Forschenden und Lernenden. Um noch einmal auf die Akkreditierungen zu sprechen zu kommen: Ihre Studiengänge können die Hochschulen bzw. die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch ohne fremde Kontrolle entwickeln.
Grundsätzlich müssen wir gemeinsam daran arbeiten, von einer Kultur der Kontrolle zu einer Kultur des Vertrauens zu wechseln; – das ist die mittelfristige Perspektive. Langfristig sollte die aktuelle Phase der europäischen Bildungsgeschichte als die Epoche der „Neuen Schwarzen Pädagogik“ beschrieben werden. Begriffe wie Akkreditierung, Evaluation, Rankings, Benchmarks etc. werden in das „Schwarzbuch der Zivilisationen“ aufgenommen und den nachfolgenden Generationen als ständige Mahnung dienen.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Pierangelo Maset, geboren 1954, studierte Kunst/Visuelle Kommunikation, Philosophie, Anglistik und Soziologie. Seit 2001 Professor für Kunst und ihre Vermittlung an der Universität Lüneburg. Lehraufträge in Weimar, Linz, Canterbury, Hamburg und Kassel. 2005 Roman-Debüt Klangwesen. Seit 2006 Chefredakteur der Kulturzeitschrift DAS PLATEAU. Zahlreiche Publikationen in den Gebieten Kunst, Ästhetik, Kunstvermittlung. 2010: Geistessterben. Eine Diagnose; 2012: Wörterbuch des technokratischen Unmenschen; 2013: Beauty Police (Roman).
Dieser Text erschien zuerst auf den "NachDenkSeiten - die kritische Website". Die Verwertung durch uns erfolgt im Rahmen der Creative Commons Lizenz 2.0 Non-Commercial, unter welcher er publiziert wurde.
17. April 2016
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