"148"

Robin Dunbar fand eine Antwort auf die ewige Frage nach dem optimalen Mass zwischen Individuum und Gemeinschaft.

Nein, nicht 42. Das war die Antwort auf alle jemals gestellten Fragen, die der Superintelligenzcomputer in dem berühmten Roman «Per Anhalter durch die Galaxis» nach sieben Millionen Jahren Rechnerei lieferte. Warum 42? Keine Ahnung. Auch der Autor behielt sein Geheimnis für sich.
Inzwischen haben wir jahrelang weiter geforscht nach den Rätseln der menschlichen Existenz. Und vor allem nach dem richtigen Ausgleich zwischen Autonomie und Gemeinschaft, Alleinsein und Zusammensein, Freiheit und Geborgenheit, Liebe und Triebe. Denn wenn wir ehrlich sind, dann geben wir zu, dass eine dauerhafte Antwort auf diese Fragen der allerhöchsten Lebenskunst bedarf.
Aber einer scheint inzwischen diese Antwort gefunden zu haben. Sie lautet: 148. So sagt es der britische Primatenforscher, Anthropologe und Psychologe Robin Dunbar.

Warum schleppen Menschen eigentlich so grosse Gehirne mit sich rum? Was ist der evolutionäre Nutzen eines Organs, das ein Fünftel unserer gesamten Nahrungsenergie verschlingt, bei einem Kind sogar die Hälfte? So fragte Dunbar bereits 1992 in einem viel beachteten Aufsatz. Und kam nach allerlei Vergleichen mit anderen Primatenhirnen zum Ergebnis: Je grösser das Gehirn, umso grösser die soziale Gruppe. Unser Hirn ist das evolutionäre Produkt von Gemeinschaft und zugleich ihr Antreiber. Oder in den Worten des Forschers: Es sei «das Bedürfnis» gewesen, «in immer grösseren Gruppen zu leben», das «die Evolution immer grösserer Gehirne in Primaten vorantrieb». Erst die sozialen Beziehungen machen Menschen zu Menschen, lassen symbolische Kommunikation und Sprache entstehen und natürlich auch Kultur.
Dunbar versuchte auch zu errechnen, welche Gruppengrösse optimal für die Grösse des menschlichen Hirns ist – oder genauer: dem Verhältnis zwischen Hirnrinde und Resthirn. Und kam hier auf die Zahl von 148 Personen. Ganz so exakt wollte er das aber nicht verstanden haben. Etwa 150 seien es, mit Schwankungsbreiten zwischen 100 und 230. Werden es mehr, dann seien wir aufgrund unseres begrenzten Hirns nicht mehr in der Lage, dauerhafte, stabile und egalitäre Beziehungen untereinander zu pflegen; Kontrollinstanzen und Hierarchien entstünden.

Diese «Dunbar-Zahl» von 150 lässt sich offenbar vielfach nachweisen. Dies belegte der Ulmer Gehirnforscher Manfred Spitzer in einem Aufsatz von 2011 anhand vieler Beispiele. In prähistorischen Zeiten streiften unsere Vorfahren in Horden von bis zu 150 Personen durch die afrikanische Steppe. Auch bei heutigen Indigenen, die noch wie in der Steinzeit leben, findet sich laut Spitzer eine durchschnittliche Clan- oder Dorfgrösse von 153 Mitgliedern, «mit einer Spannbreite von 100 bis 230, die für alle untersuchen Stämme bis auf einen einzigen zutrifft». Die neusteinzeitlichen Siedlungen des Mittleren Ostens wurden ebenfalls von 130 bis 160 Menschen bewohnt. Englische Dörfer hatten um das Jahr 1000 herum etwa 150 Einwohner. Und auch in den religiösen Gemeinden der Hutterer oder Amish-People in den USA leben ungefähr 150 Mitglieder; werden es mehr, teilen sie sich.

Aber wieso leben wir dann heute in Städten oder sogar Millionenmetropolen? Schauen wir genauer hin, dann unterteilen sich anscheinend auch diese riesigen Massen bei ihrer zwischenmenschlichen Kommunikation in solche optimalen Gruppengrössen. Wenn man Leute fragt, wieviel Menschen sie um einen kleinen Gefallen bitten würden, kommt man laut einer anthropologischen Studie von 1984 im Schnitt auf 134. Auch mit ihren Weihnachtspostkarten erreichen Briten nach einer weiteren Untersuchung von Dunbar durchschnittlich 153 Personen. Betriebe mit bis zu 150 Beschäftigten funktionieren weitgehend ohne Hierarchie, was Bill Gore, Erfinder der «Gore-Tex»-Kleidung, dazu motivierte, immer dann eine neue Fabrikationseinheit zu gründen, wenn die Belegschaft die Zahl 150 überschritt. Und selbst in sozialen Netzwerken bestätigt sich die Dunbar-Zahl: Bei Twitter unterhalten die Nutzenden zwischen 100 und 200 «stabile Beziehungen».
Dunbar selbst sieht den Grund dafür auch in der begrenzten Zeit, die Menschen für Sozialpflege zur Verfügung steht. Und er differenziert: Im Schnitt hätten Menschen nur fünf intime Freundschaften – einschliesslich der eigenen Familienmitglieder. Hinzu kämen ungefähr 15 enge Freundinnen und Freunde, 50 weitere Freunde und 80 gute Bekannte, was sich zu 150 summiere.

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09. September 2016
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