Wohin mit dem Müll aus den Schweizer Atomkraftwerken?
Der Verein LoTi klärt über die Gefahren eines Endlagers im Zürcher Umland auf. Dr. Christine Born sprach mit Karin Joss, der Co-Präsidentin des Vereines
Von der Webseite des Vereins LoTi
Von der Webseite des Vereins LoTi

Die Nutzung ziviler Atomenergie hinterlässt hochbelastende Müllspuren, die uns und die Generationen nach uns für eine halbe Ewigkeit gesundheitsgefährdender radioaktiver Strahlung aussetzen. Diese Strahlung können wir zwar mit unseren Sinnen nicht erfassen, aber nichtsdestotrotz gefährdet sie Mensch, Tier und Natur. Einige Spaltprodukte, die sich im Atommüll befinden, haben sehr lange Halbwertszeiten. Plutonium-239 etwa, das nach einer Kernspaltung im Reaktor in den abgebrannten Brennstäben verbleibt, ist erst nach rund 24 000 Jahren zu schwach-radioaktivem Uran-235 zerfallen – das wiederum mit einer Halbwertszeit über 700 Millionen Jahren weiter strahlt und erst danach in das stabile Bleiisotop übergeht. Wer sich für die zivile Nutzung von Atomenergie einsetzt, berücksichtigt oft die ungelösten Probleme mit dem Atommüll nicht ausreichend und ist sich der gefährlichen Wirkung radioaktiver Strahlung nicht bewusst. Auch denken viele nicht darüber nach, woher das Uran kommt und dass bereits der Uranabbau die Bergleute krank macht. Die gesamte «nukleare Kette» birgt hohe Gesundheitsrisiken.

Endlager für Atommüll im Bereich Nördlich Lägern

Vor allem die Frage: «Wohin mit dem radioaktiven Atommüll?» beschäftigt die Schweiz, aber auch Deutschland seit Jahrzehnten. In der Schweiz hat man jetzt anscheinend eine Antwort darauf gefunden. Es soll ein Endmülllager in etwa 800 Metern Tiefe im Bereich «Nördlich Lägern» entstehen. Die Lägern ist ein zehn Kilometer langer Höhenrücken kurz vor der Grenze zu Deutschland. Die Atommülldeponie soll ab 2045 in der Gemeinde Stadel, Ortsteil Windlach, mitten im Grossraum Zürich gebaut werden. Ab 2050 könnten dann laut der Nagra, der nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, die ersten Atomabfälle eingelagert werden. Gegen das geplante Tiefenlager formiert sich Widerstand.

jossInterview mit Karin Joss, Co-Präsidentin des Vereines LoTi

Karin Joss ist Co-Präsidentin des Vereines LoTi - «Nördlich Lägern ohne Tiefenlager», der sich gegen das geplante Endmülllager wehrt und in seiner Mitgliederversammlung ein mögliches Volksreferendum prüfen möchte. Karin Joss sprach mit dem Zeitpunkt über die Motive und Ziele des Vereins, der auch einen deutschen Co-Präsidenten hat, Bodo Schröder.

Zeitpunkt: Wie viele Atomkraftwerke gibt es aktuell in der Schweiz?

Karin Joss: Drei Atomkraftwerke mit vier Reaktorblöcken, Leibstadt, Beznau und Gösgen, erzeugen etwa 37 Prozent des Schweizer Gesamtstroms. Sie werden von der Axpo und der BKW betrieben. Nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima beschloss die Schweiz den Ausstieg aus der Atomenergie. Es sollen künftig keine weiteren Atomkraftwerke gebaut werden. Bis 2034 soll der Atomausstieg abgeschlossen sein. Für den Atommüll wird seit 2001 das zentrale Zwischenlager (Zwilag) in Würenlingen genutzt.

Die Schweizer Atomkraftwerke stehen übrigens alle an der deutschen Grenze, am Rhein. Das Wasser aus dem Rhein wird als Kühlwasser benötigt. Die Gegend ist bevölkerungsreich und als Einflugschneise des Zürcher Flughafens Kloten bereits durch intensiven Flugverkehr belastet. Und die Deutschen wären vom Endlager, das etwa zehn Kilometer von der deutschen Grenze entfernt entstehen soll, ebenfalls stark betroffen.

Was spricht gegen das Endlager für den Atommüll genau an diesem Ort?

Wir gehen davon aus, dass die zivile Nutzung von Atomenergie immer bedeutet, dass strahlender Atommüll übrig bleibt, von dem eine unvorstellbar lange Zeit Gesundheitsgefährdung ausgeht. Keine Gemeinde möchte also wirklich ein Atommülllager auf ihrem Gebiet haben. Hier bei Stadel wären das Grundwasser, das Tiefengrundwasser, die Flüsse und auch die Thermalbäder Baden und Zurzach gefährdet. Man weiss viel zu wenig über den Untergrund, sagen die Geologen, mit denen wir sprechen. Das Lager soll in einer Tiefe von 800 bis 900 Meter innerhalb einer Tonschicht angelegt werden. Über dieser Schicht ist das Grundwasser, darunter das Tiefengrundwasser. Man weiss nicht, ob die Wasserschichten ausreichend geschützt sind, sollte es hier eine Endmülldeponie geben. Auch Erdbeben lassen sich in dieser Gegend nicht ausschliessen.

Was kann man gegen die Errichtung des Endlagers tun?

Die Standortgemeinden haben kein Vetorecht mehr. Es gibt jetzt in solchen Fällen Regionalkonferenzen mit 100 bis 150 Personen, die vier mal jährlich stattfinden. Hier lernt man als Teilnehmer viel, kann aber nur in kleinen Fragen entscheiden. Es gibt bereits andere Organisationen, die das Referendum ergreifen werden, damit im Jahr 2030 ein Volksentscheid möglich wird. Wir können uns eine Beteiligung daran vorstellen. Der Grundsatzentscheid fällt in der nächsten Mitgliederversammlung. Es braucht mehrere starke Organisationen und idealerweise Parteien, die diese Aufgabe gemeinsam angehen. Und es sind finanzielle Mittel nötig, die wir nicht alleine aufbringen könnten. Um eine Volksabstimmung über das Endlager im Bereich Nördlich Lägern zu bewirken, benötigen wir dann 60 000 Unterschriften.

Wie kann es sein, dass der Atommüll dermassen verdrängt wird? Dass die Befürworter den Atommüll so ignorieren?

Im Grunde war Entscheidung für die Atomenergie in der Schweiz falsch, nicht durchdacht, ja verantwortungslos. Die Schweiz ist so dicht besiedelt, die Geologie schwierig. Die meisten wollen den Atommüll einfach aus den Augen haben und nicht weiter darüber nachdenken, eine archaische Vorgehensweise.  

Gibt es andere Lösungen für den Atommüll?

Wir beschäftigen uns auch mit dem Thema Transmutation. Bei dem Verfahren wird hochradioaktiver, langlebiger Atommüll mit sehr energiereichen, schnellen Neutronen beschossen, gespalten und in Isotope mit deutlich kürzerer Lebensdauer verwandelt. Es gibt also zumindest in der Theorie die Möglichkeit, nuklearen Abfall in einer Anlage zu entschärfen, so dass seine Strahlungsdauer reduziert wird. Und es gibt ausserdem die Möglichkeit, Atommüll in einem Reaktor zu entschärfen und seine Restenergie zu nutzen,  eine Art Recycling. In der Schweiz gibt es da die Firma Transmutex in Genf, die sich mit solchen Themen befasst.

Wir können aber zur Transmutation noch nicht Stellung beziehen. Es ist noch zu unklar, wie gross die Chance ist, den Atommüll zu reduzieren, indem man ihn nochmals nutzt. Bis hin zu einem klaren Ergebnis kann das noch Jahre dauern. Das Problem mit dem Atommüll bleibt dennoch weiterhin bestehen. Transmutation wird keine vollständige Lösung bieten können. Wir betrachten diesen Weg jedoch mit Interesse. Unserer Meinung nach sollte man sich Zeit lassen und ausreichend erforschen, wie man mit dem Atommüll umgehen möchte.

Was ist die Hauptaufgabe des Vereins LoTi?

Wir wollen das Thema des Tiefenlagers in der Schweiz publik machen und die Bevölkerung für das Atommüll-Problem sensibilisieren, gerade im Hinblick darauf, dass man die Atomenergie wieder hoffähig machen möchte, ohne die Risiken zu bedenken und klar und eindeutig zu benennen.

Wir begleiten den Prozess der Endlagerplanung seit 2010 kritisch und suchen Information und Beratung bei Fachleuten. Wir diskutieren auch auf der ethischen Ebene: Ist unser Vorgehen in Hinblick auf die vielen Generationen, die noch unter den Folgen des Atommülls zu leiden haben, verantwortlich? Wir sind mit anderen Initiativen vernetzt. Wir machen durch unsere Arbeit auf die massiven Risiken der zivilen Nutzung von Atomenergie aufmerksam. Wir können nicht verstehen, dass man jetzt wieder für Atomenergie wirbt, wo man doch nicht einmal weiss, wohin mit dem alten Atommüll. Selbst die CO2 – Reduktion, die man durch Atomenergie erreichen möchte, legitimiert neue oder renovierte Atomkraftwerke nicht. Das hiesse den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.

Dr. Christine Born

Dr. Christine Born

Dr. Christine Born ist Diplom-Journalistin und Autorin. Sie interessiert sich für Politik, Kultur, Pädagogik, Psychologie sowie Naturthemen aller Art.

Kommentare

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Hat Russland mit dem BN-800 Brutreaktor in Belojarsk (KKW 4. Generation) das Problem der Atommüll-Endlagerung nicht schon praktisch gelöst? https://anti-spiegel.ru/2023/loest-russland-das-problem-der-endlagerung…

Bericht des Nuklearforums Schweiz von 2024 dazu: https://www.nuklearforum.ch/de/news/russland-experimentelle-brennelemen…

Aber die Entwicklung geht weiter in Richtung KKW der 5. Generation, welche noch sicherer sind und auch Wasserstoff in rentablen Grossprozessen günstig herstellen können. Siehe dazu das Whitepaper von Dual Fluid: https://dual-fluid.com/wp-content/uploads/2022/03/Dual-Fluid_Whitepaper…

Anstelle von bis zu 3'000 Windrädern in der Schweiz sollten Axpo, BKW & Co. nicht einfach die 60% Bundessubventionen (unser Steuergeld!) dafür abholen und die schöne Schweiz verschandeln, sondern sie sollten verpflichtet werden, sich bereits heute aktiv an der Entwicklung obiger KKW's zu beteiligen, auf die Windräder und den kurzfristigen Profit verzichten und in Mühleberg z.B. einen Dual Fluid Versuchsreaktor planen und finanzieren!
Damit wären in 10-20 Jahren möglicherweise die Atommüllprobleme gelöst und kein Endlager nötig!

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