Bei Atomunfällen in der Schweiz wäre vor allem Deutschland gefährdet
Das belegt die Studie «Grenzenloses Risiko» des Atomschutzverbandes vom Juni 2025.
Screenshot Studie
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In der Zusammenfassung heisst es: 

Die Schweizer AKW gehören zu den ältesten der Welt und sind mit unbefristeten Betriebsbewilligungen ausgestattet. Keines von ihnen entspricht aktuellen Sicherheitsanforderungen an Atomkraftwerke. Alle vier stehen auf oder sehr nahe an der deutschen Grenze.

Ein schwerer Atomunfall in der Schweiz hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit großräumige und gravierende Auswirkungen auf Deutschland. Das haben zahlreiche Studien nachgewiesen und mit realen Wetterdaten simuliert. Aufgrund der grenznahen Lage der Schweizer AKW und der Windverhältnisse würde Deutschland in vielen Fällen sogar die Hauptlast einer Schweizer Atomkatastrophe tragen. Baden-Württemberg und Süddeutschland sind besonders gefährdet.

Die Öffentlichkeit, insbesondere auch die von einem Unfall am massivsten betroffene Bevölkerung in Süddeutschland, ist über die von den Schweizer AKW ausgehende Gefährdung ihrer Heimat und Gesundheit nicht informiert. Eine öffentliche Debatte über die Sicherheitsdefizite der Reaktoren und das Risiko ihres Überzeitbetriebs findet bisher nicht statt.

Nach einem Atomunfall in einem Schweizer AKW müssten bei entsprechender Wetterlage weite Teile Baden-Württembergs und gegebenenfalls sogar Bayerns großräumig evakuiert werden. Betroffen wären unter Umständen Regionen bis in mehreren Hundert Kilometern Entfernung. Die Evakuierungszone könnte nicht nur die Großstadt Freiburg i. Br., sondern auch Städte wie Karlsruhe, Stuttgart, Mannheim, Heidelberg, Reutlingen, Heilbronn, Ulm, Nürnberg, Augsburg und München umfassen. Auch die gleichzeitige Evakuierung mehrerer Großstädte oder etwa des gesamten Oberrheingrabens könnte erforderlich sein. Darauf ist der Katastrophenschutz nicht ausgelegt.

Selbst bei für Deutschland günstigen Wetterlagen, bei denen der Wind aus nordöstlicher Richtung weht und die radioaktive Wolke größtenteils in die Schweiz und/oder nach Frankreich bläst, kann das Dreiländereck Deutschland/Schweiz/Frankreich so hohe Strahlendosen abbekommen, dass weite Teile der Region zwischen Waldshut-Tiengen,
Freiburg und Basel komplett evakuiert werden müssten.

Es können Situationen auftreten, in denen rund ein Drittel der Bundesrepublik so stark von der radioaktiven Wolke betroffen wäre, dass die Bevölkerung dort unter Umständen tagelang im Haus bleiben müsste, idealerweise in fensterlosen Kellerräumen.

Ein Atomunfall in einem Schweizer AKW führt zu einer Strahlenbelastung der Bevölkerung, die das normalerweise geltende Strahlenlimit um Größenordnungen übertrifft. Dies bedeutet, dass mit zahlreichen strahlenbedingten Erkrankungen, Spätfolgen wie Krebs und sogar genetischen Strahlenschäden zu rechnen ist, die auch nachfolgende Generationen noch beeinträchtigen. Selbst bei durchschnittlichen Wetterverhältnissen wären allein in Deutschland Zehntausende
Todesfälle und eine deutlich darüber hinausgehende Anzahl von schweren, lebenslangen Erkrankungen nicht auszuschließen, bei ungünstigen Wetterverhältnissen deutlich mehr.

Noch in 85 Kilometer Abstand zum AKW könnten akute Strahlenschäden auftreten. Etwas näher am AKW könnte die Strahlung sogar tödlich sein. Bei einer Vorwarnzeit von wenigen Stunden oder einer falschen Ausbreitungsprognose bleibt für wirksame Katastrophenschutzmaßnehmen unter Umständen schlicht keine Zeit mehr.

Das bei einem schweren Atomunfall in einem Schweizer AKW freigesetzte radioaktive Jod bedroht die Gesundheit insbesondere von Kindern in Deutschland bis in vielen Hundert Kilometern Entfernung. Die Einnahme hochdosierter Jodtabletten bietet nur begrenzten Schutz. Zudem ist fraglich, ob die Tabletten so großräumig rechtzeitig verteilt und im richtigen Moment eingenommen werden können.

Ein schwerer Unfall in einem Schweizer AKW gefährdet die Trinkwasserversorgung aller Gemeinden, über deren Wassergewinnungsgebieten die radioaktive Wolke abregnet. Selbst der Bodensee, aus dem Millionen Menschen in Baden-Württemberg mit Trinkwasser versorgt werden, könnte so stark kontaminiert werden, dass das Wasser nicht mehr als Trinkwasser genutzt werden darf. Besonders gefährdet sind Rheinanliegergemeinden, die ihr Wasser aus dem Fluss gewinnen. Gelangen radioaktive Stoffe wie in Fukushima direkt ins Wasser, das heißt in Aare oder Rhein, ist binnen weniger Stunden noch im Großraum Basel mit einer langanhaltenden vieltausendfachen Überschreitung der Trinkwasser-Grenzwerte zu rechnen.

Wegen der langen Halbwertszeit des bei einem Atomunfall freigesetzten radioaktiven Cäsiums könnten bei ungünstigen Bedingungen weite Teile Süddeutschlands und immense Gebiete bis in mehreren Hundert Kilometern Entfernung vom AKW auf Dauer unbewohnbar werden. Viele Tausend, in ungünstigen Fällen auch mehrere Hunderttausend oder gar Millionen Menschen in Süddeutschland – unter Umständen auch weit darüber hinaus – könnten dauerhaft ihre
Wohnung, ihren Arbeitsplatz und ihre Heimat verlieren.

Schon bei dem sehr kleinen Unfallszenario, mit dem die Schweizer Behörden rechnen, würden diese für Gebiete im Umkreis von 100 Kilometern um das AKW ein Ernte-, Fischerei-, Weide- und Jagdverbot erlassen. Auf Deutschland übertragen würde dieses bis auf Höhe von Straßburg und Tübingen gelten. Andere Studien, die einen schwerwiegenderen Unfall zugrunde legen, rechnen schon in durchschnittlichen Wettersituationen mit länderübergreifend mehreren
Zehntausend Quadratkilometern, die als Anbau- oder Weidefläche ausfallen. Simulationsrechnungen legen nahe, dass in Deutschland ein Mehrfaches an Ackerfläche betroffen wäre als in der Schweiz selbst. 

Weder die Behörden in der Schweiz noch die in Deutschland haben für Unfallabläufe in Schweizer AKW mit größeren Freisetzungen, längerer Freisetzungsdauer und ungünstiger Wetterlage Ausbreitungsrechnungen oder Folgeabschätzungen veröffentlicht. Die von der Schweizer Atomaufsicht auf Basis eigener Szenarien und realer Wetterdaten erstellten Simulationen liegen dem für radiologischen Notfallschutz zuständigen deutschen Bundesumweltministerium nicht vor. Ob und wie detailliert Behörden in Baden-Württemberg oder Südbaden von den Berechnungen Kenntnis haben, ist unbekannt.

Die auf Empfehlung der deutschen Strahlenschutzkommission 2014 als Konsequenz aus der Reaktorkatastrophe von Fukushima beschlossene Vervierfachung der Evakuierungszonen und Ausweitung der Katastropheneinsatzpläne ist in Südbaden bis heute nicht umgesetzt. 

Die offiziellen Annahmen zu möglichen Freisetzungen bei Reaktorunfällen bilden schon angesichts der geänderten Sicherheitslage in Europa und der Weiterentwicklung vergleichsweise leicht verfügbarer Angriffsmittel wie Drohnen das tatsächliche Risiko nicht mehr adäquat ab. Mögliche radioaktive Freisetzungen und daraus abgeleitet das Risiko des AKW-Betriebs müssen – auch unter Berücksichtigung militärischer Aggression – neu bewertet werden.

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