Die friedlichen Rebellen von Sarayaku
Erdöl bringt keinen Reichtum, sondern Probleme.
Das wissen die Kichwa-Indianer im Amazonasgebiet von Ecuador.
Seit Jahren leisten sie Widerstand gegen Regierung und Ölkonzerne.
Das wissen die Kichwa-Indianer im Amazonasgebiet von Ecuador.
Seit Jahren leisten sie Widerstand gegen Regierung und Ölkonzerne.
«W ir indigenen Völker haben den Regenwald, wo wir frei sind vom Stress der Stadt. Aber leider müssen wir zwischen den Städten und unserem Dorf hin- und herpendeln, denn die Politiker treffen ihre Entscheidungen in den Städten.» Franco Viteri, 49 Jahre alt, vom Stamm der Kichwa-Indianer, lebt gerne im Amazonasgebiet von Ecuador. Er weiss aber genau, dass sein Volk immer wachsam sein muss im Kampf gegen die Erdölkonzerne. «Sie zwingen uns ihre Politik auf, die Erdölförderung, den Extraktivismus …, und diese Politik schadet uns Ureinwohnern.»
Fünf Uhr früh. Noch hüllt der Morgennebel den Regenwald ein – vereinzelt kommt die Sonne durch und lässt die Grösse der Urwaldriesen erahnen. Im Dorf Sarayaku, tief im ecuadorianischen Amazonasbecken, versammeln sich die Familien um ihr Lagerfeuer und trinken Wayusa, einen Kräutertee, der den Magen reinigt. Die Kleinkinder schlafen noch auf den Knien ihrer Eltern. Am Feuer deuten die Erwachsenen die Träume der vergangenen Nacht und reden über den neuen Tag. Franco Viteri nippt vorsichtig an seiner Teeschale. «Das ist für mich Demokratie: miteinander reden, den Grosseltern zuhören, den Kindern, den Geschwistern, Onkeln … Beim Teetrinken am Morgen lösen wir gemeinsam unsere Probleme.»
Hier im Regenwald geniesst Franco Viteri die Ruhe und seine Freiheit – er kann mit nacktem Oberkörper und barfuss herumlaufen. Die vergangenen vier Jahre dagegen musste der Indianer seinem Empfinden nach viel zu oft Hemd und Anzug tragen. Als Präsident von CONAIE, dem Zusammenschluss der indigenen Völker Ecuadors, war er viel unterwegs: UN-Konferenz New York, Klima-Gipfel Paris, – auch Deutschland hat Franco Viteri schon besucht. Der Familienvater ist das Sprachrohr zwischen Urwald und Konsumgesellschaft. Er kämpft für die Rechte der Indios im Amazonasgebiet, Rechte, die durch den Abbau von Erdöl und Kupfer bedroht sind.
Das Problem: Das kleine Andenland setzt auf die Ausbeutung des Rohstoffes Öl – ein Segen und Fluch zugleich. Die Wirtschaft des Landes hängt massiv vom Ölpreis auf dem Weltmarkt ab, eine Elitenclique kontrolliert den Ölreichtum. Der Armutsfalle dagegen ist Ecuador bis heute nicht entkommen: Jeder fünfte Ecuadorianer versucht sein Glück im Ausland. Der Ökonom Eduardo Valencia Vásquéz lastet die Missstände der Regierung an: «Das Erdöl hat uns keinen Wohlstand gebracht, sondern immer mehr Armut! Obwohl wir die grössten Ölvorkommen in unserer Geschichte hatten, leben in Ecuador heute genauso viele Menschen in Armut wie vor zehn, zwanzig, dreissig Jahren.» Vásquéz gehörte vor Jahren selbst der Regierung des Präsidenten Raffael Correa an. Heute zählt er zu dessen grössten Kritikern: «Die grössten Gewinner der Wirtschaftspolitik von Rafael Correa im Sozialismus des 21. Jahrhunderts sind wieder einmal die Grossbanken und die Grosskonzerne, wie in den letzten vierzig Jahren auch.»
Das Dorf Sarayaku wirkt wie ein Gegenmodell zur Gewinnmaximierung. Die Indios setzen auf Gemeinschaft und den Schutz des Regenwaldes – ihre Lebensgrundlage. Sie ernähren sich von der Jagd, von Fischen, und sie bauen Gemüse an. Zwischen den runden Stelzenhäusern aus Bambus flattert die Wäsche, Hühner stolzieren herum, Hunde ruhen sich im Schatten aus.
1400 Menschen leben hier. Aber die Ruhe trügt: Ihr Land ist sehr begehrt, denn in ihrem Territorium lagert Erdöl. Der Konflikt: Der Staat beansprucht das Erdöl unter der Erde – aber den Indios gehört das Land. Doch darüber setzt sich der Staat hinweg.
Die Regierung vergibt Lizenzen an die Konzerne, sichert Ölbohrungen und setzt diese notfalls auch mit Militärgewalt durch. Schon im Jahr 2002 drangen Ingenieure mit Soldaten in ihr Gebiet ein, das Dorf leistete daraufhin gewaltfreien Widerstand: Mit Worten, mit Blockaden, per Internet machten sie so lange auf ihre Situation aufmerksam, bis die Firmen die Voruntersuchungen abbrachen. Darauf ist Franco Viteri heute noch stolz: «Der Staat hat Waffen. Wir aber verteidigen uns mit Verstand, Herz, Gefühlen – und unserer Sprache. Das sind unsere Waffen.» Mit ihrer Klage gegen den Staat zogen sie bis vor den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte nach Costa Rica – und gewannen!
Eines der bekanntesten Gesichter des Widerstandes ist Patricia Gualinga, langes, schwarzes Haar fast bis zu den Knien, fester Blick. Die 43-Jährige ist weltweit unterwegs, um auf die Rechte ihres Volkes aufmerksam zu machen. Sie weiss längst: So lange die Weltöffentlichkeit auf ihr Dorf schaut, so lange sind sie und ihre Mitbewohner sicher. Und sie sind nicht allein: Auch Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International und die Regenwaldstiftung Oro Verde unterstützen den Widerstand Sarayakus gegen Erdölfirmen.
«Unsere Entschlossenheit hat uns Kraft gegeben, um weiterzukämpfen.» Für Patricia Gualinga ist die Schöpfung ein Werk Gottes, und sie ist sicher, «wenn wir uns für eine Sache einsetzen, dann hilft uns Gott». 2012 gewann das Rebellendorf die Klage gegen den eigenen Staat: Sarayaku wurden 1,4 Millionen Dollar Entschädigung zugesprochen. Das Geld haben sie in die Zukunft ihres Dorfes investiert:
Zum Beispiel in die «Solidarbank Sarayaku» – das erste indigene Geldinstitut Ecuadors. Startkapital 300 000 Dollar. Die Idee: nachhaltige Entwicklung.
Geschäftsführer Rolando Santi erklärt das Prinzip: Zinssatz 1 Prozent, maximaler Kredit 500 Dollar. «Wir unterstützen vor allem Familien, die zum Beispiel Hühner halten oder Gemüse anbauen wollen … es geht immer um lebensnotwendige Dinge, die wir hier in Sarayaku brauchen: Bananenstauden, Yuca, und vor allem Mais.»
Und dann gibt es noch einen ganz besonderen Kredit: Sarayaku hat zwar eine ambulante Krankenstation, doch bei Notfällen – wie zum Beispiel Schlangenbissen – müssen Patienten in weit entfernte Kliniken transportiert werden. Wer Sarayaku besucht, der spürt schon bei der Anreise, dass die Indios aus dem Stamm der Kichwa sich viele Gedanken über ihre Art zu leben machen. Denn nach Sarayaku führt keine Strasse, man gelangt nur durch eine vier- bis fünfstündige Kanufahrt oder eben durch die Luft dorthin, mit der «Aero Sarayaku».
Das Startkapital für die Fluglinie stammt ebenfalls aus den Entschädigungszahlungen des ecuadorianischen Staates, zwei Cessnas wurden davon gekauft. Ende 2015 erhob sich die erste Propellermaschine in die Lüfte. «Surcando cielos de la selva viva» – Himmelsgleiter im lebendigen Urwald, wie es auf der Homepage steht. Auf den Flügeln ist ein stolzer Kichwa-Krieger mit einem Speer auf der Schulter abgebildet.
Pilot Arau Viteri ist von Anfang an dabei. Seine Familie stammt ebenfalls aus dem Dorf und so ist auch er stolz auf das «Rebellendorf» Sarayaku. «Die eigene Fluglinie zeigt, wie stark das Dorf Sarayaku ist. Es ist ein besonderes Hilfsangebot, und zwar von Kichwa-Indianern für Kichwa-Indianer und auch für alle anderen Indianerstämme im Urwald, für alle, die Hilfe brauchen – das ist toll.» Die Fluggesellschaft versteht sich als sozialer Dienstleister: Wird in einer der Amazonasgemeinden jemand von einer Schlange gebissen, wird er schnell mit «Aero Sarayaku» ins Krankenhaus in die Kleinstadt Puyo geflogen. Auch Reissäcke, Baumaterial oder Treibstoff werden oft transportiert.
Einzeltickets gibt es nicht. Wer das Flugzeug nutzen will, muss gleich eine ganze Maschine chartern, den Dreisitzer für 228 Dollar. Wenn dann noch Platz ist, nutzen auch gerne Einheimische die Maschine – kostenlos. So leisten fliegende Touristen ein Stück «Sozialdienst», denn mit den Fliegern kommen nun auch häufiger internationale Gruppen zu Besuch, die die Einwohner in ihrem Kampf bestärken.
Auf Verhandlungen mit den Ölkonzernen hat sich Sarayaku nie eingelassen, im Gegensatz zu anderen Dörfern im Urwald. Der «Fall Lago Agrio» hat sie vorgewarnt. Nur 400 Kilometer nördlich von Sarayaku hatte die amerikanische Firma Texaco dreissig Jahre lang Öl gefördert, bis 1992. Die Verschmutzungen, die Texaco verursacht hat, bezeichnen Umweltorganisationen als «Tschernobyl» im Dschungel Ecuadors. Als Folge der Erdölbohrungen sind dort Trinkwasser und Böden bis heute verseucht, Gemüseanbau ist nicht möglich.
Zurück nach Sarayaku. Eines der Kinder erzählt, dass heute ein ganz besonderer Tag sei: «Día de la abundancia», Tag des Überflusses. An diesem Tag gibt es, saisonbedingt, Fisch in Hülle und Fülle. Kurz vor Beginn der Regenzeit wandern die Fische den Fluss hoch, um zu laichen. Jetzt macht sich das ganze Dorf auf, um gemeinsam zu fischen – nur die Jüngsten bleiben zurück und stellen das Dorf auf den Kopf, klettern auf die Urwaldriesen, schaukeln in den Hängematten zwischen den Bambushütten.
Der «Tag des Fischfangs» wird in Sarayaku ganz offiziell von der gewählten Dorfspitze angeordnet. Nur an diesen Tagen darf in grossen Mengen gefischt werden, um den Bestand der Fische nicht zu gefährden. Mit der Natur in Einklang leben, nur so viel fangen, wie man zum Leben braucht, das ist einer der Grundsätze der Kichwa-Indianer. Am Abend wird der Fang aufgeteilt. Nelson Gualinga von der Dorfleitung erzählt: «Wenn eine Familie zu wenig für sich gefischt hat, bekommt sie von den anderen welche geschenkt. Auch die Frauen, die alleine leben, zum Beispiel als Witwen, versorgen wir als Zeichen unserer Solidarität.» Am Abend werden die Fische dann von den Frauen ausgenommen, eingewickelt in Bananenblätter, mit Kräutern gewürzt und auf einem Rost über einer offenen Feuerstelle gegart.
Solidarisch den Fischfang teilen, die eigene Sprache Kichwa sprechen: die etwa 1400 Einwohner Sarayakus halten ihre traditionellen Werte hoch. Sarayaku, das heisst so viel wie «Fluss des Maises». Der Legende nach haben ihre Vorfahren auf der Suche nach neuem Lebensraum in einer Vision am Ufer des Río Bobonaza eine Ansammlung Mais gesehen – und sich für das Sesshaftwerden an genau dieser Stelle entschieden. Vierhundert Jahre ist das nun her. Die Kichwa glauben fest daran, dass Pachayaya – ihr Name für Gott, der die Welt erschaffen hat –dieses Stück Land für sie vorgesehen hat. Immer nur so viel Fisch fangen, wie wirklich gebraucht wird und nur an bestimmten Tagen. Der Mensch ist in eine feste Gemeinschaft eingebettet – und diese ist wiederum Teil der Natur.
«Sumak Kawsay» nennen die Indios dieses Prinzip. Es zielt auf die Zufriedenheit aller Mitglieder einer Gemeinschaft ab, auf materieller, sozialer und spiritueller Ebene. Das Wohl Einzelner darf jedoch nicht auf Kosten Anderer und nicht auf Kosten der natürlichen Lebensgrundlagen gehen.
Was wie eine romantische Verklärung des Urwaldlebens klingt, hat sogar auf politischer Ebene grossen Anklang gefunden. «El buen vivir», heisst es auf Spanisch, das «Prinzip des guten Lebens». Der Wirtschaftswissenschaftler und Politiker Alberto Acosta, der in Deutschland studiert hat, sieht in der Aufwertung der Natur eine grosse Chance für eine neue Form des Miteinanders. «Gemeinschaft, weil die Leute verstanden haben, dass wir Menschen als Individuen in einer Gemeinschaft leben müssen. Und wir sind zweitens Teil der Natur. Nicht nur Teil der Natur – wir sind Natur. Wir müssen uns auch in der Natur anders bewegen und anders organisieren. Die Natur ist ein Subjekt, nicht mehr ein Objekt.»
Alberto Acosta war es auch, der im Jahr 2008 das «Buen Vivir» in der neuen Verfassung Ecuadors verankerte. Sein Credo: Nachhaltigkeit statt Rohstoffausbeutung. Doch anders als in einem Nationalstaat ist der Grundsatz des «Buen Vivir» in einem Dorf mit 1400 Menschen einfacher zu verwirklichen.
Professor Acosta ist von dem friedlichen Widerstand Sarayakus’ begeistert – er selbst bezeichnet die Bewohner als «Asterix und Obelix der Globalisierung». Sie hätten ihren ganz eigenen Zaubertrank: eine Mischung aus Organisationstalent und Glauben an die eigene Kraft. «Ich glaube, wir könnten viel von diesen Leuten aus Sarayaku lernen, und darum brauchen diese Leute auch unsere Solidarität und darum müssen wir alle diese Lebensweise unterstützen.»
Am nächsten Morgen sitzt Franco Viteri wieder mit seiner Familie an der Feuerstelle. So einfach seine Bambushütte eingerichtet ist, ohne Strom, Herd, fliessendes Wasser, so klar sieht er seine Verantwortung für die Zukunft: «Das ist meine Aufgabe, den nachfolgenden Generationen die Weisheit einer intakten Natur zu übermitteln. Wie sollen denn unsere Kinder sonst erfahren, wie zum Beispiel Tiere aussehen, wenn es keine mehr gibt hier? Auf einem anderen Planeten? Wenn wir unsere Umwelt bewahren, können die europäischen Kinder, die amerikanischen, die asiatischen hierher zu uns ins Dorf kommen und lernen, wie eine intakte Umwelt aussieht.»
Fünf Uhr früh. Noch hüllt der Morgennebel den Regenwald ein – vereinzelt kommt die Sonne durch und lässt die Grösse der Urwaldriesen erahnen. Im Dorf Sarayaku, tief im ecuadorianischen Amazonasbecken, versammeln sich die Familien um ihr Lagerfeuer und trinken Wayusa, einen Kräutertee, der den Magen reinigt. Die Kleinkinder schlafen noch auf den Knien ihrer Eltern. Am Feuer deuten die Erwachsenen die Träume der vergangenen Nacht und reden über den neuen Tag. Franco Viteri nippt vorsichtig an seiner Teeschale. «Das ist für mich Demokratie: miteinander reden, den Grosseltern zuhören, den Kindern, den Geschwistern, Onkeln … Beim Teetrinken am Morgen lösen wir gemeinsam unsere Probleme.»
Hier im Regenwald geniesst Franco Viteri die Ruhe und seine Freiheit – er kann mit nacktem Oberkörper und barfuss herumlaufen. Die vergangenen vier Jahre dagegen musste der Indianer seinem Empfinden nach viel zu oft Hemd und Anzug tragen. Als Präsident von CONAIE, dem Zusammenschluss der indigenen Völker Ecuadors, war er viel unterwegs: UN-Konferenz New York, Klima-Gipfel Paris, – auch Deutschland hat Franco Viteri schon besucht. Der Familienvater ist das Sprachrohr zwischen Urwald und Konsumgesellschaft. Er kämpft für die Rechte der Indios im Amazonasgebiet, Rechte, die durch den Abbau von Erdöl und Kupfer bedroht sind.
Das Problem: Das kleine Andenland setzt auf die Ausbeutung des Rohstoffes Öl – ein Segen und Fluch zugleich. Die Wirtschaft des Landes hängt massiv vom Ölpreis auf dem Weltmarkt ab, eine Elitenclique kontrolliert den Ölreichtum. Der Armutsfalle dagegen ist Ecuador bis heute nicht entkommen: Jeder fünfte Ecuadorianer versucht sein Glück im Ausland. Der Ökonom Eduardo Valencia Vásquéz lastet die Missstände der Regierung an: «Das Erdöl hat uns keinen Wohlstand gebracht, sondern immer mehr Armut! Obwohl wir die grössten Ölvorkommen in unserer Geschichte hatten, leben in Ecuador heute genauso viele Menschen in Armut wie vor zehn, zwanzig, dreissig Jahren.» Vásquéz gehörte vor Jahren selbst der Regierung des Präsidenten Raffael Correa an. Heute zählt er zu dessen grössten Kritikern: «Die grössten Gewinner der Wirtschaftspolitik von Rafael Correa im Sozialismus des 21. Jahrhunderts sind wieder einmal die Grossbanken und die Grosskonzerne, wie in den letzten vierzig Jahren auch.»
Das Dorf Sarayaku wirkt wie ein Gegenmodell zur Gewinnmaximierung. Die Indios setzen auf Gemeinschaft und den Schutz des Regenwaldes – ihre Lebensgrundlage. Sie ernähren sich von der Jagd, von Fischen, und sie bauen Gemüse an. Zwischen den runden Stelzenhäusern aus Bambus flattert die Wäsche, Hühner stolzieren herum, Hunde ruhen sich im Schatten aus.
1400 Menschen leben hier. Aber die Ruhe trügt: Ihr Land ist sehr begehrt, denn in ihrem Territorium lagert Erdöl. Der Konflikt: Der Staat beansprucht das Erdöl unter der Erde – aber den Indios gehört das Land. Doch darüber setzt sich der Staat hinweg.
Die Regierung vergibt Lizenzen an die Konzerne, sichert Ölbohrungen und setzt diese notfalls auch mit Militärgewalt durch. Schon im Jahr 2002 drangen Ingenieure mit Soldaten in ihr Gebiet ein, das Dorf leistete daraufhin gewaltfreien Widerstand: Mit Worten, mit Blockaden, per Internet machten sie so lange auf ihre Situation aufmerksam, bis die Firmen die Voruntersuchungen abbrachen. Darauf ist Franco Viteri heute noch stolz: «Der Staat hat Waffen. Wir aber verteidigen uns mit Verstand, Herz, Gefühlen – und unserer Sprache. Das sind unsere Waffen.» Mit ihrer Klage gegen den Staat zogen sie bis vor den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte nach Costa Rica – und gewannen!
Eines der bekanntesten Gesichter des Widerstandes ist Patricia Gualinga, langes, schwarzes Haar fast bis zu den Knien, fester Blick. Die 43-Jährige ist weltweit unterwegs, um auf die Rechte ihres Volkes aufmerksam zu machen. Sie weiss längst: So lange die Weltöffentlichkeit auf ihr Dorf schaut, so lange sind sie und ihre Mitbewohner sicher. Und sie sind nicht allein: Auch Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International und die Regenwaldstiftung Oro Verde unterstützen den Widerstand Sarayakus gegen Erdölfirmen.
«Unsere Entschlossenheit hat uns Kraft gegeben, um weiterzukämpfen.» Für Patricia Gualinga ist die Schöpfung ein Werk Gottes, und sie ist sicher, «wenn wir uns für eine Sache einsetzen, dann hilft uns Gott». 2012 gewann das Rebellendorf die Klage gegen den eigenen Staat: Sarayaku wurden 1,4 Millionen Dollar Entschädigung zugesprochen. Das Geld haben sie in die Zukunft ihres Dorfes investiert:
Zum Beispiel in die «Solidarbank Sarayaku» – das erste indigene Geldinstitut Ecuadors. Startkapital 300 000 Dollar. Die Idee: nachhaltige Entwicklung.
Geschäftsführer Rolando Santi erklärt das Prinzip: Zinssatz 1 Prozent, maximaler Kredit 500 Dollar. «Wir unterstützen vor allem Familien, die zum Beispiel Hühner halten oder Gemüse anbauen wollen … es geht immer um lebensnotwendige Dinge, die wir hier in Sarayaku brauchen: Bananenstauden, Yuca, und vor allem Mais.»
Und dann gibt es noch einen ganz besonderen Kredit: Sarayaku hat zwar eine ambulante Krankenstation, doch bei Notfällen – wie zum Beispiel Schlangenbissen – müssen Patienten in weit entfernte Kliniken transportiert werden. Wer Sarayaku besucht, der spürt schon bei der Anreise, dass die Indios aus dem Stamm der Kichwa sich viele Gedanken über ihre Art zu leben machen. Denn nach Sarayaku führt keine Strasse, man gelangt nur durch eine vier- bis fünfstündige Kanufahrt oder eben durch die Luft dorthin, mit der «Aero Sarayaku».
Das Startkapital für die Fluglinie stammt ebenfalls aus den Entschädigungszahlungen des ecuadorianischen Staates, zwei Cessnas wurden davon gekauft. Ende 2015 erhob sich die erste Propellermaschine in die Lüfte. «Surcando cielos de la selva viva» – Himmelsgleiter im lebendigen Urwald, wie es auf der Homepage steht. Auf den Flügeln ist ein stolzer Kichwa-Krieger mit einem Speer auf der Schulter abgebildet.
Pilot Arau Viteri ist von Anfang an dabei. Seine Familie stammt ebenfalls aus dem Dorf und so ist auch er stolz auf das «Rebellendorf» Sarayaku. «Die eigene Fluglinie zeigt, wie stark das Dorf Sarayaku ist. Es ist ein besonderes Hilfsangebot, und zwar von Kichwa-Indianern für Kichwa-Indianer und auch für alle anderen Indianerstämme im Urwald, für alle, die Hilfe brauchen – das ist toll.» Die Fluggesellschaft versteht sich als sozialer Dienstleister: Wird in einer der Amazonasgemeinden jemand von einer Schlange gebissen, wird er schnell mit «Aero Sarayaku» ins Krankenhaus in die Kleinstadt Puyo geflogen. Auch Reissäcke, Baumaterial oder Treibstoff werden oft transportiert.
Einzeltickets gibt es nicht. Wer das Flugzeug nutzen will, muss gleich eine ganze Maschine chartern, den Dreisitzer für 228 Dollar. Wenn dann noch Platz ist, nutzen auch gerne Einheimische die Maschine – kostenlos. So leisten fliegende Touristen ein Stück «Sozialdienst», denn mit den Fliegern kommen nun auch häufiger internationale Gruppen zu Besuch, die die Einwohner in ihrem Kampf bestärken.
Auf Verhandlungen mit den Ölkonzernen hat sich Sarayaku nie eingelassen, im Gegensatz zu anderen Dörfern im Urwald. Der «Fall Lago Agrio» hat sie vorgewarnt. Nur 400 Kilometer nördlich von Sarayaku hatte die amerikanische Firma Texaco dreissig Jahre lang Öl gefördert, bis 1992. Die Verschmutzungen, die Texaco verursacht hat, bezeichnen Umweltorganisationen als «Tschernobyl» im Dschungel Ecuadors. Als Folge der Erdölbohrungen sind dort Trinkwasser und Böden bis heute verseucht, Gemüseanbau ist nicht möglich.
Zurück nach Sarayaku. Eines der Kinder erzählt, dass heute ein ganz besonderer Tag sei: «Día de la abundancia», Tag des Überflusses. An diesem Tag gibt es, saisonbedingt, Fisch in Hülle und Fülle. Kurz vor Beginn der Regenzeit wandern die Fische den Fluss hoch, um zu laichen. Jetzt macht sich das ganze Dorf auf, um gemeinsam zu fischen – nur die Jüngsten bleiben zurück und stellen das Dorf auf den Kopf, klettern auf die Urwaldriesen, schaukeln in den Hängematten zwischen den Bambushütten.
Der «Tag des Fischfangs» wird in Sarayaku ganz offiziell von der gewählten Dorfspitze angeordnet. Nur an diesen Tagen darf in grossen Mengen gefischt werden, um den Bestand der Fische nicht zu gefährden. Mit der Natur in Einklang leben, nur so viel fangen, wie man zum Leben braucht, das ist einer der Grundsätze der Kichwa-Indianer. Am Abend wird der Fang aufgeteilt. Nelson Gualinga von der Dorfleitung erzählt: «Wenn eine Familie zu wenig für sich gefischt hat, bekommt sie von den anderen welche geschenkt. Auch die Frauen, die alleine leben, zum Beispiel als Witwen, versorgen wir als Zeichen unserer Solidarität.» Am Abend werden die Fische dann von den Frauen ausgenommen, eingewickelt in Bananenblätter, mit Kräutern gewürzt und auf einem Rost über einer offenen Feuerstelle gegart.
Solidarisch den Fischfang teilen, die eigene Sprache Kichwa sprechen: die etwa 1400 Einwohner Sarayakus halten ihre traditionellen Werte hoch. Sarayaku, das heisst so viel wie «Fluss des Maises». Der Legende nach haben ihre Vorfahren auf der Suche nach neuem Lebensraum in einer Vision am Ufer des Río Bobonaza eine Ansammlung Mais gesehen – und sich für das Sesshaftwerden an genau dieser Stelle entschieden. Vierhundert Jahre ist das nun her. Die Kichwa glauben fest daran, dass Pachayaya – ihr Name für Gott, der die Welt erschaffen hat –dieses Stück Land für sie vorgesehen hat. Immer nur so viel Fisch fangen, wie wirklich gebraucht wird und nur an bestimmten Tagen. Der Mensch ist in eine feste Gemeinschaft eingebettet – und diese ist wiederum Teil der Natur.
«Sumak Kawsay» nennen die Indios dieses Prinzip. Es zielt auf die Zufriedenheit aller Mitglieder einer Gemeinschaft ab, auf materieller, sozialer und spiritueller Ebene. Das Wohl Einzelner darf jedoch nicht auf Kosten Anderer und nicht auf Kosten der natürlichen Lebensgrundlagen gehen.
Was wie eine romantische Verklärung des Urwaldlebens klingt, hat sogar auf politischer Ebene grossen Anklang gefunden. «El buen vivir», heisst es auf Spanisch, das «Prinzip des guten Lebens». Der Wirtschaftswissenschaftler und Politiker Alberto Acosta, der in Deutschland studiert hat, sieht in der Aufwertung der Natur eine grosse Chance für eine neue Form des Miteinanders. «Gemeinschaft, weil die Leute verstanden haben, dass wir Menschen als Individuen in einer Gemeinschaft leben müssen. Und wir sind zweitens Teil der Natur. Nicht nur Teil der Natur – wir sind Natur. Wir müssen uns auch in der Natur anders bewegen und anders organisieren. Die Natur ist ein Subjekt, nicht mehr ein Objekt.»
Alberto Acosta war es auch, der im Jahr 2008 das «Buen Vivir» in der neuen Verfassung Ecuadors verankerte. Sein Credo: Nachhaltigkeit statt Rohstoffausbeutung. Doch anders als in einem Nationalstaat ist der Grundsatz des «Buen Vivir» in einem Dorf mit 1400 Menschen einfacher zu verwirklichen.
Professor Acosta ist von dem friedlichen Widerstand Sarayakus’ begeistert – er selbst bezeichnet die Bewohner als «Asterix und Obelix der Globalisierung». Sie hätten ihren ganz eigenen Zaubertrank: eine Mischung aus Organisationstalent und Glauben an die eigene Kraft. «Ich glaube, wir könnten viel von diesen Leuten aus Sarayaku lernen, und darum brauchen diese Leute auch unsere Solidarität und darum müssen wir alle diese Lebensweise unterstützen.»
Am nächsten Morgen sitzt Franco Viteri wieder mit seiner Familie an der Feuerstelle. So einfach seine Bambushütte eingerichtet ist, ohne Strom, Herd, fliessendes Wasser, so klar sieht er seine Verantwortung für die Zukunft: «Das ist meine Aufgabe, den nachfolgenden Generationen die Weisheit einer intakten Natur zu übermitteln. Wie sollen denn unsere Kinder sonst erfahren, wie zum Beispiel Tiere aussehen, wenn es keine mehr gibt hier? Auf einem anderen Planeten? Wenn wir unsere Umwelt bewahren, können die europäischen Kinder, die amerikanischen, die asiatischen hierher zu uns ins Dorf kommen und lernen, wie eine intakte Umwelt aussieht.»
29. Mai 2017
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