Die Tricks der Grossverteiler
Wie Migros und Coop Verschwendung schönreden
320 Gramm. So viel Essen verschwendet jede Person täglich. Pro Kopf und Jahr kostet das rund tausend Franken. Entlang der ganzen Wertschöpfungskette landen Nahrungsmittel im Müll, weil sie den Handelnormen nicht entsprechen oder überproduziert wurden. Doch fast die Hälfte der Lebensmittelverschwendung entsteht im privaten Haushalt. Das besagt ein Bericht von WWF Schweiz und foodwaste.ch.
Weit besser schneidet der Detailhandel ab. Dort gehen bloss rund fünf Prozent der Lebensmitteln verloren. Was nicht verkauft werden kann, wird an karitative Organisationen abgegeben, zu Biogas verwertet oder verbrannt. So steht es auf den Webseiten von Migros und Coop.
Was Food Waste (nicht) ist
Wofür stehen diese fünf Prozent genau? Sowohl Coop als auch Migros nennen auf Anfrage keine absoluten Zahlen. Auch nicht, wie viele Tonnen sie an Hilfsorganisationen spenden. Oder wie viel unförmige Ware über das 2012 lancierte Coop-Label Ünique vermarktet wird.
Claudio Beretta, Präsident von foodwaste.ch, betrachtet die Verschwendungsstatistiken der Grossverteiler kritisch. «Die Zahlen werden oft beschönigt», sagt Beretta. Konkret würden Produkte, die etwa zu Biogas verwertet werden, nicht mitgezählt. Auch berücksichtigten die Grossverteiler Getränke in der Statistik. «Getränke sind aufgrund ihrer Masse gewichtige Faktoren», so Beretta. «Sie überschreiten kaum je das Mindesthaltbarkeitsdatum, weil die meisten sehr lange haltbar sind.»
Manipulieren und animieren
Trotzdem wird mit Abstand am meisten bei uns zu Hause verschwendet. Dass wir zu viel kaufen, ist unsere Schuld. Aber nicht nur: Denn wir werden von Migros und Coop auch gezielt manipuliert und zu übermässigem Konsum animiert. Zum Beispiel durch Werbung: In frohen Botschaften wird uns eine kleinbäuerliche Idylle aufgetischt, die es so nicht mehr gibt. Gerade bei der Tierhaltung klaffen Schein und Sein immer mehr auseinander. Das zeigt eine Studie im Auftrag des Schweizer Tierschutzes. Die Diskrepanz zwischen der heilen Werbung und der industriellen Realität lässt sich anhand von Statistiken belegen: Die Betriebe werden immer grösser, die Arbeit wird rationalisiert bzw. automatisiert und immer mehr Tiere werden auf immer weniger Raum gehalten.
Auch Sonderangebote animieren zum Konsum. Obwohl wir weniger als 10 Prozent unseres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben, geben wir uns preissensibel. Der Geiz, der früher als Laster galt, wandelte sich in der Konsumgesellschaft zur Tugend. So ist die Verlockung gross, wenn es heisst «3 für 2». Auch wenn das entsprechende Produkt gar nicht auf dem Einkaufszettel stand.
Am perfidesten wirkt jedoch das Neuromarketing. Wie die neuere Hirnforschung zeigt, werden bis zu 90Prozent unserer Entscheidungen unbewusst gefällt. Es ist nicht die Vernunft, die uns lenkt, es sind unsere Emotionen. Das Bewusstsein rationalisiert danach unsere Entscheidungen und bringt sie in Einklang mit unseren Wertvorstellungen. Das nutzen die Grossverteiler, indem sie unsere Sinneseindrücke ansprechen. So wartet am Eingang stets das Frischsortiment. Farben beeinflussen unsere Entscheide. Deshalb wird Fleisch rot, Käse gelb und Fisch blau beleuchtet. Neuromarketing ist auch der Grund, wieso Brote vor Ort (auf-)gebacken werden. Und sei es nur an der Tankstelle.
Anders handeln
«Unter dem Druck der Konkurrenz müssen Grossverteiler ihre Gewinne maximieren», sagt Claudio Beretta, «auch wenn dies zu mehr Lebensmittelverschwendung führt». Sie würden ihre Regale in der Regel so füllen, dass die Käufer und Kundinnen möglichst viel kaufen. Beretta hat Lösungsansätze, von denen alle profitieren: «Marketing und Platzierung sollen primär lokales Angebot bewerben.» Würde sich die ganze Branche daran halten, gäbe es auch keine Verlierer.
Als Alternative fernab der Grossverteiler entwickelt sich die sogenannte «Solidarische Landwirtschaft». Mittlerweile existieren in vielen Regionen der Schweiz Gemüse-Abos. Nahrungsmittelkette und Transportwege werden auf ein Minimum verkürzt, sodass wenig Lebensmittel verloren gehen. Bauern und Konsumentinnen begegnen sich, wenn sie wollen – und zwar auf Augenhöhe. Beim Konsumenten wächst die Wertschätzung für Lebensmittel. Und die Bäuerin kann den Preis verlangen, den sie braucht.
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Tobias Sennhauser ist freischaffender Publizist. Er war früher ein Migros-Kind, bis er auf den Geschmack eines Gemüse-Abos kam. www.tobias-sennhauser.ch
Weit besser schneidet der Detailhandel ab. Dort gehen bloss rund fünf Prozent der Lebensmitteln verloren. Was nicht verkauft werden kann, wird an karitative Organisationen abgegeben, zu Biogas verwertet oder verbrannt. So steht es auf den Webseiten von Migros und Coop.
Was Food Waste (nicht) ist
Wofür stehen diese fünf Prozent genau? Sowohl Coop als auch Migros nennen auf Anfrage keine absoluten Zahlen. Auch nicht, wie viele Tonnen sie an Hilfsorganisationen spenden. Oder wie viel unförmige Ware über das 2012 lancierte Coop-Label Ünique vermarktet wird.
Claudio Beretta, Präsident von foodwaste.ch, betrachtet die Verschwendungsstatistiken der Grossverteiler kritisch. «Die Zahlen werden oft beschönigt», sagt Beretta. Konkret würden Produkte, die etwa zu Biogas verwertet werden, nicht mitgezählt. Auch berücksichtigten die Grossverteiler Getränke in der Statistik. «Getränke sind aufgrund ihrer Masse gewichtige Faktoren», so Beretta. «Sie überschreiten kaum je das Mindesthaltbarkeitsdatum, weil die meisten sehr lange haltbar sind.»
Manipulieren und animieren
Trotzdem wird mit Abstand am meisten bei uns zu Hause verschwendet. Dass wir zu viel kaufen, ist unsere Schuld. Aber nicht nur: Denn wir werden von Migros und Coop auch gezielt manipuliert und zu übermässigem Konsum animiert. Zum Beispiel durch Werbung: In frohen Botschaften wird uns eine kleinbäuerliche Idylle aufgetischt, die es so nicht mehr gibt. Gerade bei der Tierhaltung klaffen Schein und Sein immer mehr auseinander. Das zeigt eine Studie im Auftrag des Schweizer Tierschutzes. Die Diskrepanz zwischen der heilen Werbung und der industriellen Realität lässt sich anhand von Statistiken belegen: Die Betriebe werden immer grösser, die Arbeit wird rationalisiert bzw. automatisiert und immer mehr Tiere werden auf immer weniger Raum gehalten.
Auch Sonderangebote animieren zum Konsum. Obwohl wir weniger als 10 Prozent unseres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben, geben wir uns preissensibel. Der Geiz, der früher als Laster galt, wandelte sich in der Konsumgesellschaft zur Tugend. So ist die Verlockung gross, wenn es heisst «3 für 2». Auch wenn das entsprechende Produkt gar nicht auf dem Einkaufszettel stand.
Am perfidesten wirkt jedoch das Neuromarketing. Wie die neuere Hirnforschung zeigt, werden bis zu 90Prozent unserer Entscheidungen unbewusst gefällt. Es ist nicht die Vernunft, die uns lenkt, es sind unsere Emotionen. Das Bewusstsein rationalisiert danach unsere Entscheidungen und bringt sie in Einklang mit unseren Wertvorstellungen. Das nutzen die Grossverteiler, indem sie unsere Sinneseindrücke ansprechen. So wartet am Eingang stets das Frischsortiment. Farben beeinflussen unsere Entscheide. Deshalb wird Fleisch rot, Käse gelb und Fisch blau beleuchtet. Neuromarketing ist auch der Grund, wieso Brote vor Ort (auf-)gebacken werden. Und sei es nur an der Tankstelle.
Anders handeln
«Unter dem Druck der Konkurrenz müssen Grossverteiler ihre Gewinne maximieren», sagt Claudio Beretta, «auch wenn dies zu mehr Lebensmittelverschwendung führt». Sie würden ihre Regale in der Regel so füllen, dass die Käufer und Kundinnen möglichst viel kaufen. Beretta hat Lösungsansätze, von denen alle profitieren: «Marketing und Platzierung sollen primär lokales Angebot bewerben.» Würde sich die ganze Branche daran halten, gäbe es auch keine Verlierer.
Als Alternative fernab der Grossverteiler entwickelt sich die sogenannte «Solidarische Landwirtschaft». Mittlerweile existieren in vielen Regionen der Schweiz Gemüse-Abos. Nahrungsmittelkette und Transportwege werden auf ein Minimum verkürzt, sodass wenig Lebensmittel verloren gehen. Bauern und Konsumentinnen begegnen sich, wenn sie wollen – und zwar auf Augenhöhe. Beim Konsumenten wächst die Wertschätzung für Lebensmittel. Und die Bäuerin kann den Preis verlangen, den sie braucht.
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Tobias Sennhauser ist freischaffender Publizist. Er war früher ein Migros-Kind, bis er auf den Geschmack eines Gemüse-Abos kam. www.tobias-sennhauser.ch
17. Mai 2016
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