«Die Universität der Wildnis»
Immer wieder reiste er in sein «heiliges Land». In der Wildnis holte sich John Muir, der schottisch-amerikanische Universalgelehrte und Pionier des Naturschutzes die Kraft für sein Lebenswerk. In den USA eine Berühmtheit, bei uns fast unbekannt, ist Muir ein Mensch, von dem wir einiges für unsere Reise mitnehmen können.
«Ich wanderte von Fels zu Fels, von Fluss zu Fluss, von Hain zu Hain. ... Wenn ich eine neue Pflanze entdeckte, setzte ich mich für eine Minute oder einen Tag neben sie, um Bekanntschaft zu schliessen und zu hören, was sie zu erzählen hatte.» So beschrieb John Muir seine Art, wissenschaftliche Feldarbeit zu betreiben. Er leitete seine Befunde aus der direkten Begegnung mit der Natur ab, orientierte sich an der «Universität der Wildnis». Geschriebenes war von geringerem Wert. «Sich einen Tag lang in den Bergen aufzuhalten ist besser als Fuhren von Büchern», steht in seinem Tagebuch. Dieses Werturteil bringt aber auch zum Ausdruck, dass er sich selbst als unfähig betrachtete, das Erfahrene adäquat zu Papier zu bringen. Er selber liess sich durchaus auch von Büchern über die Natur inspirieren.
Wer aber war John Muir? Ein 1838 geborener Schotte, der als Jüngling ein hartes Farmleben in Wisconsin mitmachte und mit 22 Jahren das Weite suchte, um sich aus den Fängen eines tyrannischen Vaters zu befreien. Nach Zwischenstationen, darunter einem halben Studium an der University of Wisconsin in Madison, landete er in Kalifornien. Da entdeckte er die überwältigende landschaftliche Szenerie der Sierra Nevada, die Berge mit Schnee und Eis, die Canyons mit steilen Felswänden und Wasserfällen, die riesigen, oft mehrere tausend Jahre alten Mammutbäume. Ein achtsamer Besucher wie Muir konnte davon nicht unberührt bleiben:
Dies war ein heiliges Land. Nicht die von Menschen errichteten Kirchen, sondern die hiesigen Wälder waren «Gottes Tempel».
Diesem Juwel drohten aber Gefahren: Nachdem die Indianer beiseite geräumt waren, betrachteten viele der weissen Einwanderer die staatlichen «public lands» als Selbstbedienungsladen. Riesige Schafherden frassen alles kahl, und Holzfäller rückten den Baumriesen zu Leibe. Muir machte sich erste Gedanken über Naturschutz und begann trotz seiner Bedenken zu schreiben. Mit einer Mischung von wissenschaftlicher Exaktheit und poetischer Emotionalität versuchte er den Graben zwischen «dem Genauen und dem Mächtigen» (Karl Schmid) zu überbrücken. In dieser Zeit wurde Muir zu einem Zivilisationsflüchtling, allerdings einem nie gänzlich überzeugten. Zwar pflegte er zu sagen, in die Berge zu gehen sei gleichbedeutend mit nach Hause zu kommen, aber er vermisste dabei die auch ihm teure Geselligkeit unter Menschen.
Nach langen abenteuerlichen Jahren kippte Muirs Leben auf die sesshafte Seite: Er wurde Ehemann und Familienvater und gut verdienender Früchteproduzent, was ihm aber sowohl physisch und psychisch nicht bekömmlich war. Mit seiner Ranch trug er selbst zur rasanten landschaftlichen Umwandlung Kaliforniens bei, die ihm im Innersten doch zuwider war. Nach zehn Jahren befreite er sich von der Rancharbeit, engagierte sich fortan bei politischen Naturschutzkampagnen und unterstützte diese mit der Veröffentlichung von Artikeln und Büchern. Sein grösster Erfolg war die Gründung des Yosemite-Nationalparks 1890, seine grösste Niederlage der Entscheid von 1913, für die Wasserversorgung San Franciscos das innerhalb der Parkgrenzen liegende Hetch-Hetchy-Tal einem Stausee zu opfern. Es ist wahrscheinlich, dass dieser Tiefschlag das Ende Muirs beschleunigt hat: Er starb am Weihnachtstag 1914.
Mit dem Leben und Wirken des bei uns praktisch unbekannten Muir ist eine Botschaft verbunden: Ob wissenschaftlich oder nicht, unser heute teilnahmsloses Verhältnis zur Natur muss wieder etwas von der Muirschen Achtsamkeit annehmen, wenn wir unseren Planeten nicht flächendeckend ruinieren wollen. Dies kann auch so beginnen, wie Mike van Audenhove es in einem seiner unnachahmlichen Comics dargestellt hat: Ein Mann im Auto sitzt im Stau fest und steigt zum Zeitvertreib aus. Dabei entdeckt er ein aus dem Asphalt des Trottoirs spriessendes Blümchen. Er steigt wieder ein und sagt zu sich selbst: «Moll, so öppedie verusse cho, das mach i glaub öfter.»
Dieter Steiner: Die Universität der Wildnis – John Muir und sein Weg zum Naturschutz in den USA. oekom Verlag, 2011. 402 S., Fr. 42.- / 23,99 Euro.
Weitere Geschichten und Aufsätze zum Thema im Schwerpunktheft «Lebensreisen».
«Ich wanderte von Fels zu Fels, von Fluss zu Fluss, von Hain zu Hain. ... Wenn ich eine neue Pflanze entdeckte, setzte ich mich für eine Minute oder einen Tag neben sie, um Bekanntschaft zu schliessen und zu hören, was sie zu erzählen hatte.» So beschrieb John Muir seine Art, wissenschaftliche Feldarbeit zu betreiben. Er leitete seine Befunde aus der direkten Begegnung mit der Natur ab, orientierte sich an der «Universität der Wildnis». Geschriebenes war von geringerem Wert. «Sich einen Tag lang in den Bergen aufzuhalten ist besser als Fuhren von Büchern», steht in seinem Tagebuch. Dieses Werturteil bringt aber auch zum Ausdruck, dass er sich selbst als unfähig betrachtete, das Erfahrene adäquat zu Papier zu bringen. Er selber liess sich durchaus auch von Büchern über die Natur inspirieren.
Wer aber war John Muir? Ein 1838 geborener Schotte, der als Jüngling ein hartes Farmleben in Wisconsin mitmachte und mit 22 Jahren das Weite suchte, um sich aus den Fängen eines tyrannischen Vaters zu befreien. Nach Zwischenstationen, darunter einem halben Studium an der University of Wisconsin in Madison, landete er in Kalifornien. Da entdeckte er die überwältigende landschaftliche Szenerie der Sierra Nevada, die Berge mit Schnee und Eis, die Canyons mit steilen Felswänden und Wasserfällen, die riesigen, oft mehrere tausend Jahre alten Mammutbäume. Ein achtsamer Besucher wie Muir konnte davon nicht unberührt bleiben:
Dies war ein heiliges Land. Nicht die von Menschen errichteten Kirchen, sondern die hiesigen Wälder waren «Gottes Tempel».
Diesem Juwel drohten aber Gefahren: Nachdem die Indianer beiseite geräumt waren, betrachteten viele der weissen Einwanderer die staatlichen «public lands» als Selbstbedienungsladen. Riesige Schafherden frassen alles kahl, und Holzfäller rückten den Baumriesen zu Leibe. Muir machte sich erste Gedanken über Naturschutz und begann trotz seiner Bedenken zu schreiben. Mit einer Mischung von wissenschaftlicher Exaktheit und poetischer Emotionalität versuchte er den Graben zwischen «dem Genauen und dem Mächtigen» (Karl Schmid) zu überbrücken. In dieser Zeit wurde Muir zu einem Zivilisationsflüchtling, allerdings einem nie gänzlich überzeugten. Zwar pflegte er zu sagen, in die Berge zu gehen sei gleichbedeutend mit nach Hause zu kommen, aber er vermisste dabei die auch ihm teure Geselligkeit unter Menschen.
Nach langen abenteuerlichen Jahren kippte Muirs Leben auf die sesshafte Seite: Er wurde Ehemann und Familienvater und gut verdienender Früchteproduzent, was ihm aber sowohl physisch und psychisch nicht bekömmlich war. Mit seiner Ranch trug er selbst zur rasanten landschaftlichen Umwandlung Kaliforniens bei, die ihm im Innersten doch zuwider war. Nach zehn Jahren befreite er sich von der Rancharbeit, engagierte sich fortan bei politischen Naturschutzkampagnen und unterstützte diese mit der Veröffentlichung von Artikeln und Büchern. Sein grösster Erfolg war die Gründung des Yosemite-Nationalparks 1890, seine grösste Niederlage der Entscheid von 1913, für die Wasserversorgung San Franciscos das innerhalb der Parkgrenzen liegende Hetch-Hetchy-Tal einem Stausee zu opfern. Es ist wahrscheinlich, dass dieser Tiefschlag das Ende Muirs beschleunigt hat: Er starb am Weihnachtstag 1914.
Mit dem Leben und Wirken des bei uns praktisch unbekannten Muir ist eine Botschaft verbunden: Ob wissenschaftlich oder nicht, unser heute teilnahmsloses Verhältnis zur Natur muss wieder etwas von der Muirschen Achtsamkeit annehmen, wenn wir unseren Planeten nicht flächendeckend ruinieren wollen. Dies kann auch so beginnen, wie Mike van Audenhove es in einem seiner unnachahmlichen Comics dargestellt hat: Ein Mann im Auto sitzt im Stau fest und steigt zum Zeitvertreib aus. Dabei entdeckt er ein aus dem Asphalt des Trottoirs spriessendes Blümchen. Er steigt wieder ein und sagt zu sich selbst: «Moll, so öppedie verusse cho, das mach i glaub öfter.»
Dieter Steiner: Die Universität der Wildnis – John Muir und sein Weg zum Naturschutz in den USA. oekom Verlag, 2011. 402 S., Fr. 42.- / 23,99 Euro.
Weitere Geschichten und Aufsätze zum Thema im Schwerpunktheft «Lebensreisen».
29. Juni 2012
von:
von:
- Anmelden oder Registieren um Kommentare verfassen zu können