Ein Tag der Absichtslosigkeit

Als Pensionierter habe ich gewissermassen sieben Tage lang Sonntag. Und trotzdem hat dieser Tag eine ganz eigene Farbe – wie jeder andere übrigens auch. Der Montag ist dem Mond zugeordnet, der Dienstag dem Mars und der Mittwoch dem Merkur. Der Jupiter regiert den Donnerstag, die Venus den Freitag, der Saturn den Samstag, und der Sonntag ist der Tag der Sonne. Für die Christen ist es der Tag des Herrn, für mich der Tag der Absichtslosigkeit.
Als ich noch meine Buchhandlung führte, war der Sonntag ideal für Buchhaltung und Aufräumen. Er war mir in diesem Sinn nicht heilig, aber es war immer ein Tag der Ordnung und des Friedens. Er war auf jeden Fall heiliger, als wenn ich z’Predig gegangen wäre. 
Für den Sonntag mache ich grundsätzlich keine Pläne und gehe nicht weg. Ich stehe wie sonst früh auf, spätestens um sechs und lasse den Tag fliessen. Ich höre vielleicht ein bisschen Radio, lese – aber keine esoterischen Bücher –, male oder koche, aber eigentlich mache ich nichts. Natürlich komme auch ich nicht ganz ohne Verpflichtungen aus. Ich habe eine grosse Familie, wenn auch keine eigene. Punkt neun Uhr morgens rufe ich zum Beispiel einen alten Freund aus Deutschland an und hin und wieder lädt mich spontan jemand zu einem Spaziergang an der Aare ein. Die ist ja ganz in der Nähe. Aber Wanderungen und Ausflüge mache ich prinzipiell nur unter der Woche.

Am Sonntag komme ich mit sehr wenig Weyermann aus. Das ist überhaupt ein wichtiges Thema in meinem Alter. Als Buchhändler, als Referent zu spirituellen Themen und als Mitgründer des Begegnungszentrum Quelle  Bern war ich gezwungenermassen immer jemand, eben der Hansjürg Weyermann. Aber man ist ja nicht das, was sich manifestiert. Deshalb versuche ich, ohne diese Manifestation auszukommen. Der Sonntag ist dafür ideal; es ist der Tag, an dem ich mir am nächsten bin. Wie an keinem anderen Tag kann ich mich am Sonntag vom freien Willen befreien. Als Kleinkind sind wir völlig auf uns bezogen. Erst der erwachte, der erwachsene Mensch kann den Schritt zum Unbekannten, zum Göttlichen wagen. Je älter er wird und je mehr Ego er überwindet, desto mehr nähert sich etwas von einer anderen Seite – der Sonntag des Lebens und der Beginn eines neuen Zyklus.

Aufgezeichnet von Christoph Pfluger

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Hansjörg Weyermann (77), führte jahrzehntelang eine esoterische Buchhandlung in Bern und half massgeblich bei der Gründung des Begegnungszentrums Quelle mit.www.die-quelle.ch
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Mehr über das Verschwinden des Sonntags im Schwerpunktheft «Am siebten Tag»
17. Januar 2014
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