Einstellung von über 3’900 illegalen Mobilfunkantennen: «Das Bundesgericht gibt uns Recht»

Der Kampf um korrekte Bewilligungsverfahren für 5G-Antennen geht in eine neue Runde. Sieger nach Punkten ist die Wohnbevölkerung. Nach dem neuesten, kürzlich veröffentlichten Bundesgerichtsentscheid «Winterthur» steht fest: Alle adaptiven 5G-Antennen mit Korrekturfaktor und alle unbewilligt umgebauten Antennen sind illegal in Betrieb.

Nun sind die Mobilfunkanbieter gefragt. Sie müssen die illegal betriebenen Antennen ausser Betrieb nehmen und die Korrekturfaktoren deaktivieren. Zur Durchsetzung verpflichtet sind die Gemeinden als Bauaufsichtsbehörden. Gleichzeitig reichen Anwohnende Einsprache gegen hunderte unzulässige, nachträgliche Baugesuche ein. Sollten die unbewilligt betriebenen Antennen nicht unverzüglich den gesetzlichen Bestimmungen angepasst werden, drohen neben den Einsprachen auch zahlreiche baurechtliche Anzeigen.

Der Verein Schutz vor Strahlung unterstützt das Engagement der Bevölkerung mit Dokumentvorlagen zum Download. Diese Massnahmen sind wichtig zum Schutz der Menschen gegen überhöhte Strahlung von Mobilfunkantennen.

Aufgrund inkorrekter Baueingaben und «durchgewinkter» Baubewilligungen im Bagatellverfahren sind zurzeit rund 3'900 Mobilfunkantennen illegal in Betrieb. Dies begründen verschiedene aktuelle Bundesgerichtsentscheide. Das Bundesgericht hat darin mehrere Fragen zur Baubewilligung von Mobilfunkantennen und deren Modifikationen zu Gunsten der betroffenen Bevölkerung abschliessend beantwortet (siehe unten «Hintergrund»). Durch den Umbau auf die adaptive Technologie (Effekt: grösseres Strahlenfeld) und den Einsatz des Korrekturfaktors (Effekt: höhere Strahlungsspitzen) können die Emissionen einzelner Antennen die zulässigen Grenzwerte übersteigen, ohne dass dies in Baugesuchen durch die Mobilfunkbetreiber beantragt bzw. korrekt ausgewiesen wurde. Verschiedene Bundesgerichtsentscheide zwingen die Mobilfunkbetreiber nun, einen Teil der strittigen Antennen per sofort abzuschalten und erst dann wieder in Betrieb zu nehmen, wenn ihr rechtmässiger Zustand wieder hergestellt ist. Bei einem anderen Teil der Antennen muss der Korrekturfaktor deaktiviert werden. Die unzulässig betriebenen Antennen betreffen rund 300'000 Personen im unmittelbaren Sendeumkreis dieser Anlagen.

Lawinen von Einsprachen erwartet

Dies hat zur Folge, dass die Mobilfunkanbieter Swisscom, Salt und Sunrise zusammen rund 3'900 angepasste Baugesuche einreichen müssten, um den bestehenden Betrieb von adaptiven Antennen mit Korrekturfaktor nachträglich zu legalisieren. Zwischen Oktober und Dezember reichte die Betreiberin Swisscom bereits rund 750 nachträgliche Baugesuche ein – in denen der adaptive Betrieb allerdings nicht korrekt ausgewiesen wird. Diese Baugesuche sind somit nicht zulässig. Dass diesen Gesuchen durch die Gemeinden möglicherweise nicht so leicht entsprochen werden kann, ist das eine. Das andere ist, dass diese Baugesuche öffentlich gemacht werden müssen und darum mit Lawinen von Einsprachen durch die betroffene Bevölkerung zu rechnen ist. Ein Riesenaufwand nicht nur für die Anbieter, sondern auch für die betroffenen Gemeinden! Effizienter wäre es, bei den betreffenden Antennen den Korrekturfaktor dauerhaft abzuschalten und modifizierte Antennen wieder auf ihren rechtmässigen Betrieb zurückzubauen.

Jetzt sind die Mobilfunkbetreiber, die Kantone und alle beteiligten Behörden gefragt. Einerseits müssen die Betreiber die Sendeleistung einzelner Antennen auf das gesetzeskonforme Niveau herunterfahren oder unbewilligt umgebaute Antennen sofort abschalten. Andererseits sind BPUK, BAFU und die kantonalen NIS-Fachstellen angehalten, schnellstmöglich neue rechtssichere Empfehlungen zu veröffentlichen. Die in den vergangenen Jahren über Medienmitteilungen veröffentlichten Empfehlungen der BPUK und des BAFU hat das Bundesgericht in Bezug auf die Baubewilligungsfrage als unzulässig oder unverbindlich erklärt. Zuletzt sind die Gemeinden als Bauaufsichtsbehörden in der Pflicht, die Reduktion der Sendleistung und die Abschaltungen unverzüglich durchzusetzen.

Illegale Mobilfunkantennen verhindern

Diese neue Situation bewegt derzeit hunderte Anwohnerinnen und Anwohner von Antennen dazu, ihre rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Sie machen ihre Rechte mit zahlreichen Einsprachen gegen nachträgliche Baugesuche geltend. Zugleich sind über zweitausend Einsprachen gegen «normale» Antennenbaugesuche hängig, und es laufen über zweihundert Ge-richtsverfahren wegen baurechtlichen Verstössen teilweise bis vor Bundesgericht. Sollten die Bauaufsichtsbehörden die Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands – das heisst den Rückbau auf den bewilligten Zustand und die Deaktivierung des Korrekturfaktors – nicht durchsetzen, ist eine Welle an baurechtlichen Anzeigen zu erwarten. Der Verein Schutz vor Strahlung hat sich dazu entschieden, die betroffene Bevölkerung zu unterstützen und alles dafür zu unternehmen, heimliche Grenzwertüberschreitungen zu verhindern.

Hintergrund

Ausschlaggebend für die aktuelle Entwicklung und die Pflichten der Mobilfunkbetreiber sowie der Bauaufsichtsbehörden sind vor allem zwei aktuelle Bundesgerichtsentscheide. Diese unterbinden den unerlaubten Betrieb von Mobilfunkantennen mit Korrekturfaktor und die Umgehung von Baugesuchen bei Neu- und Umbau von Mobilfunkantennen.

Der «Fall Sarnen»

Signalwirkung für die ganze Schweiz hat der Entscheid des Bundesgerichtes im «Fall Sarnen» (BGE 1C_414/2022): Aufgrund der rechtswidrigen Baubewilligung für den Umbau einer konventionellen Antenne auf Adaptiv-Technologie wird Swisscom vom Bundesgericht gezwungen, die umstrittene Antenne abzuschalten, bis der einstmals bewilligte Zustand wiederhergestellt ist. Das oberste Gericht hebt damit die Entscheide des Verwaltungsgerichts des Kantons Obwalden auf. Entgegen der üblichen Praxis fordert das Bundesgericht überdies Swisscom direkt auf, «den Betrieb der vorliegend umstrittenen Antennen, deren Antennendiagramm vom ursprünglich baubewilligten abweicht, vorerst antragsgemäss einzustellen.»

Der «Fall Winterthur»

Hinzu kommt, dass aufgrund eines Bundesgerichtsentscheids in Winterthur (BGE 1C_310/2024) vom Oktober dieses Jahres verlangt wird, «dass das Standortdatenblatt [d.i. die Dokumentation der Leistung und zu erwartenden Strahlung einer Mobilfunkantenne], aufgrund dessen die Bau-bewilligung erteilt werden soll, die konkrete Anwendung der Korrekturfaktoren darlegt.» Bis zu diesem Bundesgerichtsentscheid – und auch jetzt noch – wurden und werden Standortdatenblätter eingereicht, welche die Strahlenbelastung durch den Einsatz des Korrekturfaktors nicht ausreichend dokumentieren. Viele der eingereichten Baugesuche sind daher gar nicht zulässig, weil die alten Standortblätter den neuen Bestimmungen nicht mehr gerecht werden. Zudem darf auf allen bisher vermeintlich ordentlich bewilligten Antennen mit Korrekturfaktor der Korrektur-faktor nicht mehr angewendet werden. Das Bundesgericht bestätigt den Entscheid des Ver-waltungsgerichts des Kantons Zürich: «Ohne Deklaration des Korrekturfaktors muss schon allein aus Rechtssicherheitsgründen davon ausgegangen werden, dass sich das ursprüngliche Baugesuch auf einen adaptiven Betrieb ohne Anwendung des Korrekturfaktors bezieht.»