Feindbild Russland

Eine neue Ost-West-Konfrontation beherrscht die politischen Beziehungen zwischen Washington und Brüssel auf der einen, Moskau auf der
anderen Seite. Die westliche Kritik richtet sich vordergründig gegen die Regierung Wladimir Putin. Erstaunlich zurückhaltend verhält sich die Linke. Wo steht sie in dem Konflikt?

 A m 28. April 2017 sind es drei Jahre, seit Brüssel Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt hat. Gegenmassnahmen aus Moskau führten zu einem Wirtschaftskrieg, der das im Westen vorhandene Feindbild Russland ökonomisch zementiert. Zudem wuchsen sich bürgerkriegsartige Kämpfe in der Ukraine und Syrien zu Stellvertreterkriegen zwischen der US-geführten NATO und der russischen Armee aus. Die Weltlage ist angespannt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Und die Linke weiss nicht so recht, wie sie sich im brandgefährlichen west-östlichen Konfliktfeld verhalten soll.

Die für Kapitalherrschaft und ursprüngliche Akkumulation phantastischen 1990er-Jahre waren noch nicht zu Ende, als der militärische Vormarsch der NATO und die wirtschaftliche Expansion der EU in Moskau zunehmend auf Missfallen stiessen. Der Krieg gegen Jugoslawien im Frühjahr 1999 stellte die erste wesentliche Zäsur in der Verschlechterung der Ost-West-Beziehungen dar. Und während sich die NATO krakenhaft in Richtung russischer Grenze ausbreitete, stoppte Wladimir Putin im Jahr 2003 den Versuch des damals reichsten russischen Oligarchen, Michail Chodorkowski, sein unternehmerisches Herzstück Jukos an den US-Konkurrenten Exxon-Mobil zu verscherbeln. Im August 2008 folgte dann der nächste negative Einschnitt im Verhältnis zwischen USA/EU und Russland. Der Versuch des georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili, die abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien nach 17 Jahren unter die Kontrolle Tiflis zu bringen, scheiterte am Eingreifen von russischer Armee und Marine, die übrigens erstmals seit ihrem Bestehen jenseits des eigenen Territoriums zum Einsatz kamen.

Als dann Ende November 2013 Brüssel im Kampf um die Ukraine die Zahl seiner Schläge mittels Assoziierungsabkommen erhöhte und in der Folge einen Regimewechsel provozierte, zerbrach der junge Staat entlang historischer und wirtschaftlicher Bruchstellen. Die Ukraine und ihre abtrünnigen Volksrepubliken im Donbass gesellten sich zu jenen Ländern mit ungeklärter Territorialität, die mittlerweile mit Serbien/Kosovo, Moldawien/Transnistrien und Georgien/Südossetien & Abchasien einen gefährlichen Grenzsaum zwischen der EU und Russland bilden. Diese immer wieder auch mit Waffengewalt aufflackernde Feindschaft am Boden wird von ständigen Feindbildproduktionen aus der Feder meinungsbildender westlicher Medien und den Reden führender Politiker begleitet.

Die Linke lässt dazu eine klare Position vermissen. Das liegt in erster Linie an der durchaus ehrenwerten Einstellung, in den grossen Auseinandersetzungen unserer Tage klare Konturen der sozialen Frage ausmachen zu wollen. Solche sind indes kaum vorhanden. Vor geopolitischen Einschätzungen scheut man wiederum zurück, droht doch durch sie – nach klassischer Lesart – die Klassenfrage aus dem Blick zu geraten. Zudem müssen sich Traditionslinke offensichtlich erst daran gewöhnen, dass sich in Russland seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine Oligarchenwirtschaft etabliert hat, die nur widerwillig einen staatlichen Rahmen akzeptiert. Besonders verstörend wirkt dann auf Linke noch die Tatsache, dass der Kreml keine Berührungsängste mit der Neuen Rechten in Europa hat.

Was tun? Eine linke Orientierung ist selbst in dieser teilweise unappetitlichen Gemengelage möglich, wenn man – zugegeben – die Ansprüche nicht zu hoch schraubt. Im Vorrücken von NATO und EU Richtung Osten ist unschwer ein weltsystemisches Muster zu erkennen, mit dem die Zentralräume politische oder wirtschaftliche Integrationsversuche ausserhalb der eigenen Kontrolle zu unterbinden suchen. Die westliche Embargopolitik ist seit der Einführung des COCOM im Jahre 1948 (als Gegenstück zum Marshall-Plan) Ausdruck dieses modernen Imperialismus. Circa 1000 US-Militärbasen auf allen Kontinenten und zehn Flugzeugträger der US-Navy unterstreichen diesen weltherrschaftlichen Anspruch im Dienste der führenden Kapitalgruppen. Jeder Widerstand dagegen beginnt mit der Wiedererlangung eines politischen Primats über ökonomische Prozesse. Zwar sind Versuche zur Herstellung eines politischen Primats – wie ein Blick auf die Weltlage zeigt – nicht automatisch links oder emanzipativ, aber ohne politischen Handlungsspielraum erstickt jede Bemühung um Souveränität. Der Kreml ist seit dem Amtsantritt von Wladimir Putin am 1. Januar 2000 genau um solch eine Handlungsfähigkeit bemüht; innenpolitisch, indem er das Land gegen die regionalen Fliehkräfte konsolidierte und politische Opposition nicht aufkommen lässt; aussenpolitisch, indem er dem weiteren Vorrücken der NATO einen Riegel vorschiebt. Als Gegenstrategie zu den westlichen militärischen und wirtschaftlichen Erweiterungsvorhaben hat er die Wichtigkeit der Unterstützung oppositioneller Bewegungen in den westlichen Zentren erkannt, mögen diese nun politisch links oder rechts stehen. Sein taktischer, um nicht zu sagen instrumenteller Zugang dazu mag auf viele Linke abstossend wirken und er zielt auch nicht auf deren Sympathie. Sie ist allerdings aufgefordert, das durch die Konsolidierungspolitik des Kreml möglich gewordene Ende der monopolaren Herrschaft der USA zu nutzen. Die Linke kann sich nur selbst stärken, eine multipolare Welt gibt ihr dazu mehr Chancen. Und Russland ist der Schlüssel für eine solche Multipolarität, weshalb ein Feindbild Russland nicht im Interesse der Linken sein kann.

Hannes Hofbauer, Jahrgang 1955, studierte Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien. Er arbeitet als Publizist und Verleger.


Vor Kurzem ist von ihm im Promedia Verlag erschienen: Feindbild Russland – Geschichte einer Dämonisierung. (CHF 28.90/EUR 19.90)