Fraktale Psychologie: Sabotieren wir manchmal selbst unser Lebensglück?
Der Psychoneuroimmunologe und Ärztliche Psychotherapeut Prof. Dr. Dr. Christian Schubert zur Bewusstmachung und Auflösung von seelischen Belastungsmustern.
Der Psychoneuroimmunologe Professor Dr. Dr. Christian Schubert von der Medizinischen Universität Innsbruck erforscht seit mehr als 25 Jahren die Wechselwirkungen zwischen Psyche, Gehirn und Immunsystem. Seine Sicht auf seelische Muster, die er als fraktale (also sich selbstähnlich wiederholende) Strukturen versteht, kann helfen, die zentralen Konfliktthemen eines Menschen schnell zu erkennen. In seiner psychotherapeutischen Arbeit begegnet der 63-jährige Psychoneuroimmunologe immer wieder Menschen, die bestimmte, aus der unbewussten Tiefe der eigenen Biografie gespeiste Belastungsmuster, wiederholen.
So berichtete ein depressiver Patient mit körperlichen Symptomen über seine aktuell sehr schwierige Lebenssituation. Er befand sich in Scheidung, worunter besonders das jüngste seiner drei Kinder litt, was dem Patienten wiederum sehr zusetzte. Im Gespräch stellte sich dann heraus, dass der Patient selbst ein Scheidungskind war, das seine damaligen seelischen Belastungen mit niemandem besprechen konnte und sie somit ins Unbewusste verdrängen musste.
In einem zweiten Fall hatte eine depressive Frau zwei Schwestern, eine ältere und eine jüngere. Nach der ersten Schwester wurde ein Sohn geboren, welcher als potenzieller Erbe der elterlichen Firma schon sehnlichst erwartet worden war, bei der Geburt jedoch verstarb. Als einige Zeit später die Patientin zur Welt kam, wurde ihr laut eigenen Angaben als Ersatz des verstorbenen Bruders zeitlebens besondere Aufmerksamkeit seitens ihrer Mutter zuteil – sehr zum Leidwesen der jüngsten Schwester. Interessanterweise bekam die Klientin selbst ebenfalls drei Töchter und berichtet auch hier davon, dass sich die jüngste Tochter nicht ausreichend wahrgenommen fühlt. Ist das alles Zufall? Oder sind diese Dinge verbunden? Wiederholen sich hier möglicherweise die Dramen und Muster der eigenen Kindheit?
Das Fraktal ist ein Muster, bei dem sich das Ganze in den Teilen selbstähnlich widerspiegelt.
Fraktale Strukturen in vielen Bereichen
Schubert sieht Verbindungen in diesen Schilderungen und zieht dazu den Erklärungsansatz über Fraktale des Mathematikers Benoît Mandelbrot (1924–2010) heran. Dazu Schubert: «Das Fraktal ist ein Muster, bei dem sich das Ganze in den Teilen selbstähnlich widerspiegelt». Mandelbrot spricht von «Selbstähnlichkeit» und kann damit skalenunabhängig mehrdimensionale, hochkomplexe, nicht-lineare dynamische Gestalten erfassen. Das ist nicht die herkömmliche Geometrie mit ihren Geraden, Quadraten und Rechtecken, sondern eine mathematische Methode, mit der man die unregelmässigeren Formen, wie sie die Natur hervorbringt, erfassen kann. Der berühmte Mathematiker fand fraktale Strukturen in der Geographie, der Musik, der Malerei und der Architektur, ja sogar in Börsenkursen.
«Auch wir Menschen haben fraktale Strukturen in unserem Körper», so Schubert, «das Gefässnetz, den Bronchialbaum, das Nervensystem». Und da Körper, Geist und Seele sowie soziale Beziehungen untrennbar miteinander verbunden sind, lassen sich auch in psychischen und sozialen Begebenheiten fraktale Strukturen, also sich wiederholende Muster, erkennen.
So kann ein Psychotherapeut manchmal bereits an den kleinen Alltagsdramen eines Klienten erkennen, welche fraktalen Strukturen dieser in seinem Leben immer wieder neu inszeniert. «Kleine Zweiglein verweisen dann auf grössere Äste», so Christian Schubert. «Selbstähnliche Elemente können sich im Kleinen ebenso wie im Grossen zeigen. Sie tauchen in den meisten Biografien auf – oftmals sogar über Generationen hinweg. Wiederkehrende Muster geben uns die Chance, etwas zu erkennen und eventuell zu korrigieren. Sie können Warnsignale sein und zeigen, hier möchte etwas aufgelöst werden. Ich spreche gerne von einem «Zerstäuben» der Fraktale, von einem allmählich schwächer werdenden Wirken der unbewussten Kräfte, die diese Muster hervorrufen. Bewusstmachung ist Therapie».
Fraktale in Zeitsprüngen
Eine Klientin, die anfangs auffallend fröhlich und locker auftrat, spürte auf Nachfragen mehr in sich hinein und sprach dann mit Tränen in den Augen über die schwere Geburt ihres ersten Kindes, bei der sie 2013 fast gestorben wäre. Zehn Jahre zuvor, also im Jahre 2003, litt sie während einer Mexiko-Reise unter einer schweren Gallenkolik und musste sich vor Ort einer Operation unterziehen, bei der es auch noch zu Behandlungsfehlern kam. Nicht ganz zehn – jedoch acht Jahre später – also im Jahr 2021, erlebte die Klientin einen schweren Autounfall. Mehrere Autos fuhren ineinander und ihre beiden Kinder sassen auf dem Rücksitz und schrien. Der Fahrer, der in ihr Auto gefahren war, schützte dann den Wagen der Klientin, in dem er sein Auto mit etwas Abstand quer über beide Fahrbahnen hinter ihres stellte.
Im weiteren Gesprächsverlauf kam heraus, dass die junge Frau bereits als Kind auf einer Ferienreise einen Autounfall erlebt hatte. Im Auto sassen vier Kinder, ihr Vater sass am Steuer und stiess mit einem Fahrzeug, das entgegenkam, zusammen. Der Schock war jeweils gross, aber es passierte zum Glück nichts weiter. 1995 – 2003 – 2013 – 2021 – jedes Mal ging es gut aus, und damit war die Sache erledigt. Wenige Worte wurden noch darüber verloren. Für den Therapeuten jedoch wurde deutlich: «Es war auffällig, dass hier irgendein unbewusster Auslöser in recht regelmässigen Abständen lebensgefährlich und in selbstähnlicher Weise zuschlug».
Jeder kann in seiner Lebensgeschichte nach solchen sich wiederholenden Mustern forschen, dabei lohnt es sich die Jahreszahlen und Zeitrhythmen im Blick zu behalten. «Oft sind tatsächlich die ersten Eindrücke und die ersten Minuten einer Therapiestunde sowie die erste Stunde einer Gesamttherapie ganz wesentlich», meint Christian Schubert.
An die Kinder weitergereichte Muster
Kommt ein Klient mit den Worten: «Das möchte ich nicht nochmal erleben!» zu ihm, dann weiss Christian Schubert, dass sein Gegenüber das bisherige Muster bzw. Fraktal auflösen und «zerstäuben» möchte. So ging es einem Sechzigjährigen in einer persönlichen Krise. Er hatte aus seiner Ehe drei Kinder, zwei Söhne mit je 22 und 32 und eine Tochter mit 29 Jahren. Schon vor zwanzig Jahren hatte er sich von seiner Ehefrau getrennt und lebte mit seiner ehemaligen Sekretärin zusammen. Als jüngstes Kind der Familie hatte er selber im Alter von acht Jahren seinem damals vierzigjährigen Vater verloren. Die Familie besass eine Gaststätte, die Mutter war sehr belastet und verfiel dem Alkohol. Er selbst kümmerte sich um die Mutter und half in der Gaststätte, zog aber mit 16 Jahren von zu Hause aus.
Das Thema Alkoholsucht nahm er mit. Zum Zeitpunkt des Gesprächs trank der Klient seit 30 Jahren regelmässig. Folgende Selbstähnlichkeiten fielen dem Psychotherapeuten auf: Die Kinder des Klienten hatten ihren Vater durch dessen Auszug gewissermassen ebenfalls verloren, als dieser vierzig war. Sein jüngster Sohn trank desgleichen. Dieser Sohn war auch der Jüngste beim Verlust des Vaters durch die Scheidung – nämlich neun Jahre alt und ähnelte ihm am meisten. Der Klient hatte den Verlust des Vaters durchgemacht – und sein Sohn erfuhr selbstähnlich das Gleiche. Auch der Alkohol als Kompensationsmuster wurde weitergegeben.
Dazu Christian Schubert: «Zieht sich etwas über zwei Generationen, liegt es nahe, dass es sich noch weiter `vererbt´, wenn es nicht bearbeitet wird. Vor allem ungünstige, das Lebensglück sabotierende Erlebens- und Verhaltensweisen treten in der Biografie – oft über Generationen hinweg – als immer wiederkehrende Muster auf».
In der Kindheit sind wir gleichartigen Einflüssen wieder und wieder ausgesetzt, der Grundstimmung und den Grundthemen unserer Umwelt. Wir erfahren die gleiche Art Bestätigung, Überforderung, Zuwendung oder Mangel daran. Das prägt uns und lässt uns Traumatisierungen und Konflikte wiederholen. Das Feedback aus unserer Umwelt während der Kindheit beeinflusst die unbewusste Ausgestaltung unseres Wesens. Vieles, was wir erleben, was dann später unseren Alltag und unsere Biografie ausmacht, organisieren wir nicht bewusst, zum Beispiel unsere Partnerwahl. Das Wiederholen bestimmter Worte verweist oft auf ein Fraktal. Wie wir kommunizieren, welche Sprache wir verwenden, welche Worte wir wiederholen – all das ist Teil unserer charakteristischen Signatur.
Menschen mit einer Autoimmunerkrankung haben zum Beispiel häufig Schwierigkeiten damit, ihre Wut zu äussern. Sie unterdrücken ihre Aggression, als läge ein Verbot darauf. Im Erwachsenenalter kann sich die schwelende Wut gegen sie selbst richten und Entzündungsreaktionen im Körper begünstigen. In der Therapie lernen sie dann das Zulassen der Aggression und können ihre lange unterdrückten Wutimpulse hervorholen. Übrigens: Dass Psychotherapie lebensverlängernd wirken kann, ist schon lange eindeutig belegt!
Hin zu einer ganzheitlichen Medizin
«Unsere derzeitige Medizin ist gekennzeichnet durch das Maschinenparadigma und die Trennung von Körper, Geist und Seele. Der Mensch wird als Objekt und Ware gesehen. Man denke nur an die Massnahmen während der Coronazeit», stellt Christian Schubert fest. «Hier wurde auf dem Rücken verängstigter und wehrloser Menschen mit Testungen, Masken und Impfungen sehr viel Geld verdient. Viele Menschen dürften daraufhin erst recht krank geworden und verstorben sein. Dies alles zeigt den seit langem existierenden Irrweg der Schulmedizin sehr deutlich auf. Aber wir können dieser Coronakrise auch dankbar sein, denn sie hat uns klargemacht, was wir verändern müssen. Dazu gehört als gute und stabile Grundlage für eine neue Ausrichtung auch eine ehrliche Aufarbeitung».
Darunter versteht Schubert auch einen Paradigmenwechsel in der Medizin, um die Medizin wieder zu dem zu machen, was sie ursprünglich war: Eine auf Natur und Kultur basierende ärztliche Kunst, die den ganzen Menschen in den Mittelpunkt des Interesses stellt.
«Hier kann uns das Einbeziehen der Fraktale helfen, den Menschen wieder mehr zu erden und den inneren Kompass in Richtung Menschlichkeit, Ganzheitlichkeit und Natürlichkeit zu kalibrieren». Wer sich näher mit dem faszinierenden Thema der menschlichen Fraktale befassen möchte, dem sei das Buch «Geometrie der Seele: Wie unbewusste Muster das Drehbuch unseres Lebens bestimmen» von Prof. Christian Schubert ans Herz gelegt.
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Dr. Christine Born
Dr. Christine Born ist Diplom-Journalistin und Autorin. Sie ist Mitglied im Deutschen Journalistenverband und interessiert sich für Politik,Kultur, Pädagogik, Psychologie sowie Naturthemen aller Art.
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