Fritzl ist nur die Spitze des Eisbergs

Der im März in Österreich verurteilte Josef Fritzl ist nicht Ausnahme, sondern willkommenes Alibi in einer Gesellschaft, die heftig wegdiskutiert, dass sie zunehmend von Ungerechtigkeiten und Gewalt in verschiedensten Formen bestimmt wird.

Das männliche Familienoberhaupt in einer patrilineal ausgerichteten Gesellschaft will mit mehr oder weniger Nachdruck sicherstellen, dass der Tochter der genetisch und gesellschaftlich hochwertigste Hengst zugeführt wird. Fritzl hat die Kontrolle und Bevormundung so weit getrieben, dass er die Rolle des Begatters selbst übernommen und durch das 24-jährige Einsperren seiner Tochter Konkurrenten zuverlässig ausgeschlossen hat.

Monstervater und Charakterlump
Es war zu erwarten und ist verständlich, dass sich die Justiz in der heutigen gesellschaftlichen Lage dafür entscheiden wird, diesen Mann bis an sein Lebensende zu verwahren. Der Täter würde Symbiosen mit Opfern schnell wieder installieren.
Es geht aber auch darum, mit dem strengen Urteil „lebenslange Haft mit anschliessender Sicherheitsverwahrung“ ein Exempel zu statuieren, das beweist, dass der Monstervater und Charakterlump die grosse Ausnahme ist, der gerechten Strafe zugeführt wird und dass wir unsere Werte, unser zusammen Leben und Wirtschaften nicht zu hinterfragen brauchen. Die grossen Medien lieben solche Personalisierungen, Vereinfachungen und Ablenkungsmanöver, das gibt Quote und Auflage.

Blinde Flecken
Gesellschaft und Wirtschaft sind heute wie sie sind. Voll von blinden Flecken, Unverhältnismässigkeiten, Missverständnissen und Doppelbödigkeiten. Von Konkurrenz, Neid, Intrigen und Propaganda. Von Demokratiedefiziten, Machtverhältnissen, Ungerechtigkeiten, Grausamkeiten und Abhängigkeiten. Wo Abhängigkeit ist, gibt es Vorteile für Überlegene wie Dominierte, aber auch Gewalt und Missbrauch. Gewalt und Missbrauch werden durch Hierarchien und Abhängigkeiten in der entfremdeten menschlichen Gesellschaft geradezu gefördert.

Ungleichgewichte
Hierarchien sind Ausdruck von gestörten Gleichgewichten, die in der Regel von den Akteuren, den Dominierenden wie den Dominierten, aufrechterhalten werden. Die Schwächeren werden ausgebeutet und unter Druck gesetzt, viele verinnerlichen diese Gewalt und schenken den Herrschern in bester Absicht, aus Angst oder Opportunismus ihre Macht anstatt diese selber zu gebrauchen.

Schwächere aber soll man nicht übervorteilen und diskriminieren, sondern schützen, ihre Menschenwürde sicherstellen. Schöne Absichten, tönt es da oft, aber der Mensch ist nicht so. – Äh, pardon, wie lange ist „der Mensch“ schon so?

Brutal zur Sache
Seit etwa 2 Millionen Jahren leben Menschen auf dem Planeten. Während Eiszeit und Altsteinzeit lebten sie in matrilinealen, matrizentrischen, gleichberechtigten und dezentralen Naturgemeinschaften.
Kapitalismus und Patriarchat haben sich seit der Jungsteinzeit (ab etwa 4'500 vor u.Z.) da und dort mit mehr oder weniger Gewalt in den gleichberechtigten, mit Spiritualität sozial und wirtschaftlich ausbalancierten Gesellschaften ausgebreitet.

Mit dem Hellenismus der Griechen und Römer in der Antike und der Ausbreitung des Christentums im mittelalterlichen Europa ging es dann brutal und nachhaltig zur Sache: mit bewussten Mythenfälschungen, Unterdrückung von Spiritualität und Sexualität, zwangsweiser Einführung von Privateigentum, Pro-Forma-Monogamie und Vaterrecht, Entfernen der Frauen aus der Öffentlichkeit, Kriegen, Hexen- und Ketzerverfolgungen.

Mehr: Artussage

KLARTEXT LYRIKPROSA
20. März 2009
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