Geld, Schulden und Reformen

Überlegungen zu ‚Geld-Literatur‘ und ‚Geld-Wirkungen‘

Die Literatur  zu Geldfragen ist kaum überschaubar, aber immer noch minim im Verhältnis zur Geld-Macht und Geld-Menge. Im Folgenden werde ich einige ausgewählte Fachbeiträge zum Thema Geld und Schulden kommentieren und anschliessend die m.E. wichtigsten Schlussfolgerungen  für die heutige, dominante Geld- und Finanz-Welt mit ihren widersprüchlichen Theorien zu ziehen.

Bis zum 29. Nov. 2015 läuft im Stapferhaus Lenzburg noch die empfehlenswerte Geld-Ausstellung: Jenseits von Gut und Böse. Das dazu publizierte Jahrbuch referiert u.a. die Fragen, warum wir über Geld sprechen müssen, was Geld für uns bedeutet oder was die Welt zusammenhält? Die dort ausgewählte Literatur bietet wie Wikipedia einen guten Überblick und Einstieg zum Geld-Thema. Zum Initiativ-Thema Vollgeld  findet am 4. Juni  2015 nach 20 Uhr eine kontradiktorische Veranstaltung statt.


Geld  ist heute für die meisten Menschen ‚das Mass aller Dinge, als das was gilt‘. In den unzähligen Geld-Definitionen wird Geld i.d.R. als dasjenige, was als Zahlungsmittel in einer Volkswirtschaft akzeptiert wird, umschrieben; so als Banknoten und Münzen (Bargeld), als Guthaben auf Bankkonten (Buchgeld) sowie als digitales Zeichengeld wie Bitcoins.  Das sind aber nur unbefriedigende Um-schreibungen der Akzeptanz von ‚Geld-Arten‘. Heute werden in allen OECD-Staaten nur gesetzlich definierte Währungen als legale Zahlungsmittel - wie z.B. der Franken - rechtlich anerkannt.
Schulden  repräsentieren die moralisch/religiöse und ökonomisch/politische Komplementärseite von Geld. Sie prägen heute mit 200 Bio. $ die Welt spiegelverkehrt zur überschiessenden Geldmenge.

Der deutsche Philosoph Christoph Türcke hat in seinem bei C.H. Beck 2015 erschienenen Buch Mehr! Philosophie des Geldes  die ‚archaische Schreck- und Schuldbewältigung‘ als Ursprung des Geldes und seine ‚Plusmacherei‘ als Kern der historischen Entwicklung zu Münz-, Papier- und Digitalgeld beschrieben. Das deutsche Wort ‚Geld‘ kommt vom altenglischen ‚gilt‘ = Schuld, bzw. dem archaischen Opfer einer Kultgemeinde an ihre Götter. In der Altsteinzeit suchte man das traumatisch Schreckliche durch Opfer von Menschen und Tieren fassbar zu machen, da man glaubte den Naturgewalten bzw. Göttern etwas zu schulden und sie so zu versöhnen. Demzufolge waren Schlachtopfer die ‚Urwährung‘ des Geldes. Später verstand man diese Entschuldung mit Vieh (lat. pecunia) bzw. mit Münzen (Moneten) praktischer. Die ursprünglichen ‚Tempel-Zahlungen‘ verlagerten sich auf Märkte. So wurden sie zum Ursprung des profitablen und wachsenden Leihverkehrs, der späteren ‚Plusmacherei‘ mit Krediten und die Priester (heutige Banker) zu mächtigen Herrschern auch über das Geld-Diesseits.

Schuldenorientiert argumentiert der amerikanische in London lehrende Anthropologe und Anarchist David Graeber  in seinem Bestseller ‚Schulden: Die ersten 5000 Jahre‘ (Klett-Cotta, 2012). Er gilt als einer der geistigen Väter der inzwischen eingeschlafenen Occupy-Bewegung. Für Graeber entstand vor rund 5000 Jahren in Mesopotamien der Handel aus Krediten, d.h. dem Versprechen, die Entge-gennahme von Waren erst später zu begleichen. Münzgeld sei 2000 Jahre später erfunden bzw. geprägt worden und der Tauschhandel sei erst entstanden, wenn Geldsysteme zusammenbrachen. So verbringen auch die meisten Menschen einen Grossteil ihres Lebens als Schuldner.
Nach Graeber haben erst das Kredit- und Bankensystem die Finanzierung von Kriegen ermöglicht und die Zentralbanken und Geschäftsbanken begründeten die permanenten Verschuldungszwänge  von Staaten und Privaten. Wenn man eine Lösung aus dieser Schuldenfalle finden wolle, müsse man die Welt aus dieser Schuldensklaverei befreien, d.h. aus einem Schuldensystem, in dem Geld aus dem Nichts geschaffen wird.

Gute Übersichten zum Standardwerk von Georg Simmels Philosophie des Geldes (1900/1989) bieten Paschen von Flotow (suhrkamp taschenbuch wissenschaft, stw 1144 von 1995); sowie Paul Kellermann, Soziologie des Geldes  in Handbuch der Wirtschaftssoziologie, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008).

Die moderne, dominante Geldtheorie  (vgl. z.B. Ralph Anderegg, Grundzüge der Geldtheorie und Geldpolitik, Oldenburg Wissenschaftsverlag, München 2007) versteht sich als Teil der Volkswirtschaft, die Geldpolitik als Teil der Wirtschaftspolitik.
Die zahlreichen (hier nicht zu erklärenden) Geldtheorien beruhen im Wesentlichen auf unterschiedlichen Denkrichtungen bzw. Ideologien; wie der Geldmengen-, Geldnachfrage-, Geldangebots-, Zins-, Inflations-, Beschäftigungs-, Wachstums- oder monetären Aussenwirtschaftstheorie.  Keine dieser Theorien konnte die Essenz von Geld erfassen bzw. die immer wiederkehrenden Krisen und Verschuldungen nachhaltig verhindern!  Eine Vollgeldreform  beansprucht zwar auch nicht, alle ‚Geld-Probleme‘ zu ‚lösen‘, sie wäre aber bei einer konsequenten Anwendung eine Voraussetzung zur effektiven Geldmengen-Steuerung im Interesse des Landes, zu einer massvollen Wachstumspolitik und einer Abschöpfung der leistungslosen Geldschöpfungsgewinne der Banken.

Schlussfolgerungen und Postulate
Geld regiert die Welt! doch wer regiert das Geld? Verfügen wir zu dieser Erkenntnis über grundlegen-de Antworten und Alternativen? Die neoliberale Antwort lautet: there is no alternative (TINA)! Unsere Antwort sollte heissen: there are thousands of alternatives (TISA)  und  Banken in die Schranken!
Wir besitzen zwar heute weder absolute Wahrheiten noch absolute Lösungen,  aber wir können uns auch in ‚Geld-Fragen‘  Wissen zu eindeutig sozialeren, ökologisch effizienteren, nachhaltigeren und gerechteren Antworten und Lösungen erarbeiten und diese mit  konkreten Utopien  zu verwirklichen  helfen. Dazu gehören wirkungsvolle Vermögens- und Erbschaftsteuern, national und international koordinierte Steuerharmonisierungen sowie Börsenregeln und Finanztransaktionssteuern. Damit könnten wir in zehn Jahren alle OECD-Staaten und ihre Einwohner aus der bisher geld- und struktur-bedingten Schuldenfalle befreien und allen Menschen ein gesichertes Leben finanzieren.

Um all dies zu erreichen, benötigen wir aber primär einmal ein entsprechendes gesellschaftliches Bewusstsein. Antonio Gramsci nannte dies die notwendige Hegemoniebildung im Denken und Handeln der Menschen durch organische Intellektuelle und kritische Medien (vgl. Baruff/Jehle, Gramsci zur Einführung, Junius-Verlag, Hamburg 2014). Solange 1300 Milliardäre und ihre Konzern-Manager die Weltmeinung dominieren, bleiben aber unsere Demokratien faktisch weitgehend wirkungslos.
Ohne Katastrophen bleibt uns keine andere Wahl als die oben genannten Reformen weiter zu führen.