Green Economy und Décroissance
Vortrag gehalten am 28.08.12 in der Vollversammlung von Décroissance Bern
1. Hintergründe
Wir fragen uns bei Décroissance Bern ab und zu, wo genau die Grenze verläuft zwischen uns und anderen ökologisch oder sozial motivierten Gruppen. In solchen Diskussionen spielt der Begriff der Green Economy eine zunehmend wichtige Rolle. Stichworte dazu sind etwa die Konferenz Rio+20 oder die Initiative der grünen Partei der Schweiz. Viele hoffen, dass Green Economy die ökologische Wende bringen wird. Andere sehen in Green Economy eine grosse Gefahr. Ich finde es deshalb wichtig, dass wir uns selbst Klarheit verschaffen über unsere Einstellung zu dieser Sache.
2. Begriffsklärung
In den Achtziger- und Neunzigerjahren gab es einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen grünen Wachstumsgegnern und der Wirtschaft unter Wachstumszwang. Viele Leute suchten nach einer Überwindung dieses Gegensatzes. Das Ergebnis war das Konzept der ökologischen Modernisierung. Man sah die Lösung der Probleme in technischer Innovation, zum Beipiel mit Effizienzsteigerung in der Produktion oder mit der Umstellung auf erneuerbare Energien. Es ging klar um Wachstumswirtschaft, die in ihrem eigenen Interesse auf ökologisch verträglichere Methoden umstellen sollte. Das ist im Wesentlichen das, was man später Green New Deal nannte und was heute Green Economy heisst. Green Economy lässt sich also folgendermassen charakterisieren: Es ist eine auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaft, die umwelt- und klimaschonend arbeiten will und dabei auf technische Innovation und Steigerung der Energie- und Ressourceneffizienz setzt.
3. Was wir über Green Economy nicht sicher wissen
Die Diskussion über Green Economy ist unter anderem deshalb schwierig, weil sie ein Thema betrifft, das nur in Form von Projekten, Ankündigungen, Prognosen und Wünschen existiert. Es gibt bisher nirgends auf der Welt in einem grösseren räumlichen und zeitlichen Rahmen ein reales Beispiel für Green Economy. Das ruft bei älteren Leuten Erinnerungen wach. In den Siebzigerjahren, nach der Publikation des Berichts «Die Grenzen des Wachstums», wurde häufig so genanntes qualitatives Wachstum gefordert, was immer das bedeuten mochte. Heute muss man feststellen: Der Begriff des qualitativen Wachstums ist absolut folgenlos geblieben, es sei denn, man verstehe darunter ein Wachstum aufgrund von Effizienzsteigerungen im Energie- und Ressourcenverbrauch. In den Achtziger- und Neunzigerjahren kam die Forderung nach nachhaltiger Entwicklung. Nachhaltigkeit bedeutet, dass man im Produktionsprozess nicht mehr Ressourcen verbrauchen soll, als natürlicherweise nachwachsen können. Heute muss man feststellen, dass auch Nachhaltigkeit ein reines Ankündigungsprogramm geblieben ist.
Nach diesen Erfahrungen drängt sich der Verdacht auf, dass es sich mit der grünen Wirtschaft ebenso verhalten könnte. Aber das werden wir erst in zwei bis drei Jahrzehnten wissen. Die Schwierigkeit ist die: Für die ökologische Wende bleibt nicht mehr viel Zeit.
Wenn sich 2030 oder 2040 zeigt, dass auch Green Economy vor allem ein
Ankündigungsprogramm war, ist es für eine Richtungsänderung vermutlich zu spät. Da wir in dieser Beziehung keine Gewissheit haben, beschränke ich mich in diesem Teil auf einige Fragen.
Erste Frage: Wie «grün» ist die Umbauphase, bis wir eine grüne, also ökologisch neutrale Wirtschaft haben? Was geschieht zum Beispiel mit den bestehenden umweltschädigenden Produktions- und Energieanlagen? Man muss kein Fachmann sein, um zu verstehen, dass der Umbau auf Grün in jedem Fall ein titanisches Vorhaben ist, das sehr viel zusätzlichen Rohstoff- und Energieverbrauch erfordert. Zumindest die Umbauphase ist also nicht ökologisch neutral. Die Frage ist nur, ob wir diesen Umbau in Bezug auf Rohstoff- und Energiebedarf und unter entsprechender Fortführung der Klimaschädigung noch schaffen können. Ich habe zu dieser Frage kürzlich in einem Artikel des französischen Rohstoff-Experten Philippe Bihouix ein Beispiel gefunden. Er hält es für wahrscheinlich, dass für den Rückbau der meisten bestehenden AKW drei Dinge fehlen werden: erschwingliche Rohstoffe, erschwingliche Energie und Kapital. Wir werden uns den Rückbau der AKW wahrscheinlich nicht mehr leisten können, sondern sie einfach als Tabuzonen der Zukunft in der Landschaft stehen lassen müssen.
Zweite Frage: Wie ist das Problem zu bewältigen, das sich schon vor der nächsten
Jahrhundertmitte erstmals stellen könnte: die Erneuerung der neu gebauten Infrastruktur?
Das Ersetzen der zahlreichen Windkraftanlagen wird zum Beispiel Metalle in riesigen Mengen erfordern. Und vermutlich wird man auf die Möglichkeit verzichten müssen, Metalle aus Recycling zu verwenden, weil die Qualität weniger gut ist als bei neuem Material.
Dritte Frage: Wie bekommt man die zahlreichen Rebound-Effekte in den Griff, die durch die Effizienzsteigerung im Material- und Energieverbrauch zu erwarten sind? Ich nenne nur den gefährlichsten dieser Rebound-Effekte: den Effekt auf den Konsum. Wenn Wirtschaft wächst - nicht nur die grüne -, bietet sie mehr Produkte zum Konsum an und gibt den Konsumierenden mehr Geld in die Hand. Dieses wachsende Angebot und dieses zusätzlich verfügbare Geld werden - wenn überhaupt - nur in einer fernen Zukunft keine Umweltschäden mehr verursachen.
Vierte Frage: Wie kann eine Wirtschaft, die sich in den letzten vier Jahrzehnten aufgrund ökonomischer Überlegungen um die Lösung der drängenden Umwelt- und Klimaprobleme gedrückt hat, zum ökologischen Umbau bewegt werden? Wir stehen in - und vielleicht erst vor! - der grössten Wirtschaftskrise seit den Dreissigerjahren. Wie soll die Wirtschaft, die unter härtestem Konkurrenzdruck gewinnorientiert arbeiten muss, in einer Krisenzeit den gigantischen Umbau bewältigen, den sie in besseren Zeiten abgelehnt hat? Nach meiner Meinung heisst die überzeugendste Antwort: durch die Aufnahme von Krediten, also durch Verschuldung, also durch vorprogrammiertes Wachstum, von dem wir nicht zum Voraus wissen können, ob es auch wirklich «grünes» Wachstum sein wird. Eine andere Vorgehensweise ist kaum vorstellbar, und der Umbau ist übrigens total freiwillig. Es gibt nämlich keine internationale Behörde, die die grossen Unternehmen zu diesem Umbau zwingen könnte, von den nationalen Behörden ganz zu schweigen.
4. Was wir über Green Economy wissen
Alles bisher Erwähnte ist Hypothese, Vermutung. Es gibt aber bezüglich Green Economy auch einige Gewissheiten. Wir kommen diesen Gewissheiten näher, wenn wir fragen, wer Green Economy fordert. Wer nämlich glaubt, Green Economy sei eine Erfindung ökologisch motivierter Personen und Gruppen, täuscht sich. Die Erfinder und Förderer von Green Economy waren schon vor der Verwendung des eigentlichen Begriffs Wirtschaftsleute und Politiker, die verstanden, dass der Wachstumszwang der Wirtschaft die Erschliessung neuer Tätigkeitsbereiche zwingend nötig macht. Zwei dieser neuen Bereiche heissen Klima und Umwelt. Ich möchte euch trotz Zeitknappheit kurz die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre in Erinnerung rufen. 1992 nahmen einige Dutzend grosser Konzerne unter der Leitung des Schweizers Stephan Schmidheiny entscheidend Einfluss auf die internationale Politik. Schmidheiny war die rechte Hand von Maurice Strong, dem Generalsekretär der Rio-Konferenz. Um den Verlauf der Konferenz in seinem Sinne zu beeinflussen, publizierte Schmidheiny das Buch «Kurswechsel», das vielen Umweltbewegten Mut machte. Darin stellte er die freie Marktwirtschaft als das einzig mögliche Instrument für nachhaltige Entwicklung dar. Er gründete den Unternehmerrat für nachhaltige Entwicklung, BCSD. Diesem Unternehmerrat traten vierzig bis fünfzig grosse Konzerne bei. Unter Schmidheinys Führung prägte der BCSD die Konferenz von Rio 1992 entscheidend und machte den Begriff der nachhaltigen Entwicklung zu ihrem Leitbegriff.
Die Konferenz wies folgerichtig den grossen Unternehmen die Führungsrolle in der internationalen Umweltpolitik zu und beschränkte sich auf Appelle an das freiwillige Handeln der Unternehmer, der Behörden und der Zivilgesellschaft. Sie hatte keine nennenswerten positiven Folgen, wie wir heute wissen. Zwanzig Jahre später wurde die gleiche Komödie ein zweites Mal gespielt: Rio+20, diesmal unter dem Schlagwort Green Economy. Keine Verpflichtung für die Wirtschaft, Empfehlungen und Aufrufe an die Weltöffentlichkeit zur Fortführung der nachhaltigen Entwicklung. Weder nationale noch internationale politische Behörden haben irgend eine entscheidende Befugnis, um Umwelt- und Klimapolitik durchzusetzen.
Das ist heute die offizielle UNO-Politik. Das heisst jetzt konkret auf der ganzen Welt und vor allem in den wenig entwickelten Ländern des Südens Folgendes: Die Natur, Wasser, Boden, Luft, Wald, Meeresboden, wird durch die Unternehmen unter dem Vorwand der schonenden Nutzung in Beschlag genommen. Sie wird privatisiert und zu einem wirtschaftlichen Wert gemacht. Der Zweck heisst Wirtschaftswachstum. Das Mittel zum Zweck ist die Ökonomisierung der Natur. Wo die Natur noch Gemeingut ist, also noch niemandem «gehört», geht sie in Privatbesitz über. Kombiniert mit der Tatsache, dass unter Green Economy vor allem technische Innovation und Steigerung der Ressourceneffizienz verstanden wird, kann das schon heute und in naher Zukunft einschneidende Auswirkungen haben. Ich zähle einige Beispiele auf, die man unter diesem Aspekt problemlos als Teile von Green Economy ansehen kann: Die Wasserpolitik von Nestlé; das Projekt eines riesigen Weltraumspiegels zur Abstrahlung von Sonnenlicht; die Düngung der Meere zwecks Klimaschutz; Milliarden von Aluminiumpartikeln in der Stratosphäre zum gleichen Zweck; die Versenkung von CO2 mit grossem technischem Aufwand in Böden und Meeren; die Möglichkeit, mit CO2-Emissionsrechten zu handeln und zu spekulieren; der Bau von Riesenstaudämmen und die damit verbundene Vertreibung oder Umsiedelung der ansässigen Bevölkerung; Land Grabbing; Agrotreibstoffe; Biopiraterie und Patentierung von lebenden Organismen; das Ersetzen von lokalen Traditionen, in denen viel Wissen und Können steckt, durch grünes Agrobusiness; die erzwungene Umstellung grosser Teile der Weltlandwirtschaft auf Gentech, ohne Befragung der betroffenen Bevölkerung; der Putsch vom Juni 2012 gegen Präsident Lugo in Paraguay; es ging darum, dass sich einige Agrokonzerne durch die Landlosenbewegung behindert fühlten. Diese Liste könnte fast beliebig verlängert werden. Aber ich möchte noch zum fünften Teil meiner Ausführungen kommen.
5. Green Economy und Décroissance
Wir sollten meines Erachtens bei Décroissance zwei Dinge klar auseinanderhalten: Einerseits das Bestreben, auf erneuerbare Energien und umweltschonende Produktion umzustellen. Das kann man nur befürworten, vorausgesetzt, dieser grüne Teil der Wirtschaft ist nicht Zusatz zu Bestehendem, sondern Ersatz für Bestehendes. Andererseits die Wachstumsfrage. Das Grundkriterium muss für uns immer die Wachstumsfrage in den entwickelten Ländern des Nordens sein. Das gibt in vielen Fällen klare Richtlinien für unser politisches Handeln. Es wird zum Beispiel heissen, dass wir uns immer dann von Green Economy distanzieren, wenn wir es mit einem Wachstumsprojekt zu tun haben. Es kann aber auch heissen, dass wir grünen Projekten zustimmen, die nicht Teil der Wachstumswirtschaft sind. Persönlich finde ich es gut, dass uns diese Diskussion Gelegenheit gibt, uns mehr Gedanken über unsere politische Linie zu machen und unsere Identität als wachstumsverweigernde Bewegung bewusster wahrzunehmen
Wir fragen uns bei Décroissance Bern ab und zu, wo genau die Grenze verläuft zwischen uns und anderen ökologisch oder sozial motivierten Gruppen. In solchen Diskussionen spielt der Begriff der Green Economy eine zunehmend wichtige Rolle. Stichworte dazu sind etwa die Konferenz Rio+20 oder die Initiative der grünen Partei der Schweiz. Viele hoffen, dass Green Economy die ökologische Wende bringen wird. Andere sehen in Green Economy eine grosse Gefahr. Ich finde es deshalb wichtig, dass wir uns selbst Klarheit verschaffen über unsere Einstellung zu dieser Sache.
2. Begriffsklärung
In den Achtziger- und Neunzigerjahren gab es einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen grünen Wachstumsgegnern und der Wirtschaft unter Wachstumszwang. Viele Leute suchten nach einer Überwindung dieses Gegensatzes. Das Ergebnis war das Konzept der ökologischen Modernisierung. Man sah die Lösung der Probleme in technischer Innovation, zum Beipiel mit Effizienzsteigerung in der Produktion oder mit der Umstellung auf erneuerbare Energien. Es ging klar um Wachstumswirtschaft, die in ihrem eigenen Interesse auf ökologisch verträglichere Methoden umstellen sollte. Das ist im Wesentlichen das, was man später Green New Deal nannte und was heute Green Economy heisst. Green Economy lässt sich also folgendermassen charakterisieren: Es ist eine auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaft, die umwelt- und klimaschonend arbeiten will und dabei auf technische Innovation und Steigerung der Energie- und Ressourceneffizienz setzt.
3. Was wir über Green Economy nicht sicher wissen
Die Diskussion über Green Economy ist unter anderem deshalb schwierig, weil sie ein Thema betrifft, das nur in Form von Projekten, Ankündigungen, Prognosen und Wünschen existiert. Es gibt bisher nirgends auf der Welt in einem grösseren räumlichen und zeitlichen Rahmen ein reales Beispiel für Green Economy. Das ruft bei älteren Leuten Erinnerungen wach. In den Siebzigerjahren, nach der Publikation des Berichts «Die Grenzen des Wachstums», wurde häufig so genanntes qualitatives Wachstum gefordert, was immer das bedeuten mochte. Heute muss man feststellen: Der Begriff des qualitativen Wachstums ist absolut folgenlos geblieben, es sei denn, man verstehe darunter ein Wachstum aufgrund von Effizienzsteigerungen im Energie- und Ressourcenverbrauch. In den Achtziger- und Neunzigerjahren kam die Forderung nach nachhaltiger Entwicklung. Nachhaltigkeit bedeutet, dass man im Produktionsprozess nicht mehr Ressourcen verbrauchen soll, als natürlicherweise nachwachsen können. Heute muss man feststellen, dass auch Nachhaltigkeit ein reines Ankündigungsprogramm geblieben ist.
Nach diesen Erfahrungen drängt sich der Verdacht auf, dass es sich mit der grünen Wirtschaft ebenso verhalten könnte. Aber das werden wir erst in zwei bis drei Jahrzehnten wissen. Die Schwierigkeit ist die: Für die ökologische Wende bleibt nicht mehr viel Zeit.
Wenn sich 2030 oder 2040 zeigt, dass auch Green Economy vor allem ein
Ankündigungsprogramm war, ist es für eine Richtungsänderung vermutlich zu spät. Da wir in dieser Beziehung keine Gewissheit haben, beschränke ich mich in diesem Teil auf einige Fragen.
Erste Frage: Wie «grün» ist die Umbauphase, bis wir eine grüne, also ökologisch neutrale Wirtschaft haben? Was geschieht zum Beispiel mit den bestehenden umweltschädigenden Produktions- und Energieanlagen? Man muss kein Fachmann sein, um zu verstehen, dass der Umbau auf Grün in jedem Fall ein titanisches Vorhaben ist, das sehr viel zusätzlichen Rohstoff- und Energieverbrauch erfordert. Zumindest die Umbauphase ist also nicht ökologisch neutral. Die Frage ist nur, ob wir diesen Umbau in Bezug auf Rohstoff- und Energiebedarf und unter entsprechender Fortführung der Klimaschädigung noch schaffen können. Ich habe zu dieser Frage kürzlich in einem Artikel des französischen Rohstoff-Experten Philippe Bihouix ein Beispiel gefunden. Er hält es für wahrscheinlich, dass für den Rückbau der meisten bestehenden AKW drei Dinge fehlen werden: erschwingliche Rohstoffe, erschwingliche Energie und Kapital. Wir werden uns den Rückbau der AKW wahrscheinlich nicht mehr leisten können, sondern sie einfach als Tabuzonen der Zukunft in der Landschaft stehen lassen müssen.
Zweite Frage: Wie ist das Problem zu bewältigen, das sich schon vor der nächsten
Jahrhundertmitte erstmals stellen könnte: die Erneuerung der neu gebauten Infrastruktur?
Das Ersetzen der zahlreichen Windkraftanlagen wird zum Beispiel Metalle in riesigen Mengen erfordern. Und vermutlich wird man auf die Möglichkeit verzichten müssen, Metalle aus Recycling zu verwenden, weil die Qualität weniger gut ist als bei neuem Material.
Dritte Frage: Wie bekommt man die zahlreichen Rebound-Effekte in den Griff, die durch die Effizienzsteigerung im Material- und Energieverbrauch zu erwarten sind? Ich nenne nur den gefährlichsten dieser Rebound-Effekte: den Effekt auf den Konsum. Wenn Wirtschaft wächst - nicht nur die grüne -, bietet sie mehr Produkte zum Konsum an und gibt den Konsumierenden mehr Geld in die Hand. Dieses wachsende Angebot und dieses zusätzlich verfügbare Geld werden - wenn überhaupt - nur in einer fernen Zukunft keine Umweltschäden mehr verursachen.
Vierte Frage: Wie kann eine Wirtschaft, die sich in den letzten vier Jahrzehnten aufgrund ökonomischer Überlegungen um die Lösung der drängenden Umwelt- und Klimaprobleme gedrückt hat, zum ökologischen Umbau bewegt werden? Wir stehen in - und vielleicht erst vor! - der grössten Wirtschaftskrise seit den Dreissigerjahren. Wie soll die Wirtschaft, die unter härtestem Konkurrenzdruck gewinnorientiert arbeiten muss, in einer Krisenzeit den gigantischen Umbau bewältigen, den sie in besseren Zeiten abgelehnt hat? Nach meiner Meinung heisst die überzeugendste Antwort: durch die Aufnahme von Krediten, also durch Verschuldung, also durch vorprogrammiertes Wachstum, von dem wir nicht zum Voraus wissen können, ob es auch wirklich «grünes» Wachstum sein wird. Eine andere Vorgehensweise ist kaum vorstellbar, und der Umbau ist übrigens total freiwillig. Es gibt nämlich keine internationale Behörde, die die grossen Unternehmen zu diesem Umbau zwingen könnte, von den nationalen Behörden ganz zu schweigen.
4. Was wir über Green Economy wissen
Alles bisher Erwähnte ist Hypothese, Vermutung. Es gibt aber bezüglich Green Economy auch einige Gewissheiten. Wir kommen diesen Gewissheiten näher, wenn wir fragen, wer Green Economy fordert. Wer nämlich glaubt, Green Economy sei eine Erfindung ökologisch motivierter Personen und Gruppen, täuscht sich. Die Erfinder und Förderer von Green Economy waren schon vor der Verwendung des eigentlichen Begriffs Wirtschaftsleute und Politiker, die verstanden, dass der Wachstumszwang der Wirtschaft die Erschliessung neuer Tätigkeitsbereiche zwingend nötig macht. Zwei dieser neuen Bereiche heissen Klima und Umwelt. Ich möchte euch trotz Zeitknappheit kurz die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre in Erinnerung rufen. 1992 nahmen einige Dutzend grosser Konzerne unter der Leitung des Schweizers Stephan Schmidheiny entscheidend Einfluss auf die internationale Politik. Schmidheiny war die rechte Hand von Maurice Strong, dem Generalsekretär der Rio-Konferenz. Um den Verlauf der Konferenz in seinem Sinne zu beeinflussen, publizierte Schmidheiny das Buch «Kurswechsel», das vielen Umweltbewegten Mut machte. Darin stellte er die freie Marktwirtschaft als das einzig mögliche Instrument für nachhaltige Entwicklung dar. Er gründete den Unternehmerrat für nachhaltige Entwicklung, BCSD. Diesem Unternehmerrat traten vierzig bis fünfzig grosse Konzerne bei. Unter Schmidheinys Führung prägte der BCSD die Konferenz von Rio 1992 entscheidend und machte den Begriff der nachhaltigen Entwicklung zu ihrem Leitbegriff.
Die Konferenz wies folgerichtig den grossen Unternehmen die Führungsrolle in der internationalen Umweltpolitik zu und beschränkte sich auf Appelle an das freiwillige Handeln der Unternehmer, der Behörden und der Zivilgesellschaft. Sie hatte keine nennenswerten positiven Folgen, wie wir heute wissen. Zwanzig Jahre später wurde die gleiche Komödie ein zweites Mal gespielt: Rio+20, diesmal unter dem Schlagwort Green Economy. Keine Verpflichtung für die Wirtschaft, Empfehlungen und Aufrufe an die Weltöffentlichkeit zur Fortführung der nachhaltigen Entwicklung. Weder nationale noch internationale politische Behörden haben irgend eine entscheidende Befugnis, um Umwelt- und Klimapolitik durchzusetzen.
Das ist heute die offizielle UNO-Politik. Das heisst jetzt konkret auf der ganzen Welt und vor allem in den wenig entwickelten Ländern des Südens Folgendes: Die Natur, Wasser, Boden, Luft, Wald, Meeresboden, wird durch die Unternehmen unter dem Vorwand der schonenden Nutzung in Beschlag genommen. Sie wird privatisiert und zu einem wirtschaftlichen Wert gemacht. Der Zweck heisst Wirtschaftswachstum. Das Mittel zum Zweck ist die Ökonomisierung der Natur. Wo die Natur noch Gemeingut ist, also noch niemandem «gehört», geht sie in Privatbesitz über. Kombiniert mit der Tatsache, dass unter Green Economy vor allem technische Innovation und Steigerung der Ressourceneffizienz verstanden wird, kann das schon heute und in naher Zukunft einschneidende Auswirkungen haben. Ich zähle einige Beispiele auf, die man unter diesem Aspekt problemlos als Teile von Green Economy ansehen kann: Die Wasserpolitik von Nestlé; das Projekt eines riesigen Weltraumspiegels zur Abstrahlung von Sonnenlicht; die Düngung der Meere zwecks Klimaschutz; Milliarden von Aluminiumpartikeln in der Stratosphäre zum gleichen Zweck; die Versenkung von CO2 mit grossem technischem Aufwand in Böden und Meeren; die Möglichkeit, mit CO2-Emissionsrechten zu handeln und zu spekulieren; der Bau von Riesenstaudämmen und die damit verbundene Vertreibung oder Umsiedelung der ansässigen Bevölkerung; Land Grabbing; Agrotreibstoffe; Biopiraterie und Patentierung von lebenden Organismen; das Ersetzen von lokalen Traditionen, in denen viel Wissen und Können steckt, durch grünes Agrobusiness; die erzwungene Umstellung grosser Teile der Weltlandwirtschaft auf Gentech, ohne Befragung der betroffenen Bevölkerung; der Putsch vom Juni 2012 gegen Präsident Lugo in Paraguay; es ging darum, dass sich einige Agrokonzerne durch die Landlosenbewegung behindert fühlten. Diese Liste könnte fast beliebig verlängert werden. Aber ich möchte noch zum fünften Teil meiner Ausführungen kommen.
5. Green Economy und Décroissance
Wir sollten meines Erachtens bei Décroissance zwei Dinge klar auseinanderhalten: Einerseits das Bestreben, auf erneuerbare Energien und umweltschonende Produktion umzustellen. Das kann man nur befürworten, vorausgesetzt, dieser grüne Teil der Wirtschaft ist nicht Zusatz zu Bestehendem, sondern Ersatz für Bestehendes. Andererseits die Wachstumsfrage. Das Grundkriterium muss für uns immer die Wachstumsfrage in den entwickelten Ländern des Nordens sein. Das gibt in vielen Fällen klare Richtlinien für unser politisches Handeln. Es wird zum Beispiel heissen, dass wir uns immer dann von Green Economy distanzieren, wenn wir es mit einem Wachstumsprojekt zu tun haben. Es kann aber auch heissen, dass wir grünen Projekten zustimmen, die nicht Teil der Wachstumswirtschaft sind. Persönlich finde ich es gut, dass uns diese Diskussion Gelegenheit gibt, uns mehr Gedanken über unsere politische Linie zu machen und unsere Identität als wachstumsverweigernde Bewegung bewusster wahrzunehmen
04. September 2012
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