Griechenland: der Baum, der den Wald versteckt

Die Griechenlandkrise kann man nur verstehen, wenn man die Rating-Agenturen versteht…

…und das Rating-Geschäft kann man nicht verstehen. Das heisst aber nicht, dass man sich nicht an dieses Rätsel heranpirschen sollte, denn seine Bedeutung für die Weltwirtschaft ist absolut dominant.

Zuerst das Selbstverständliche: Geld ist Kredit und damit nur so viel wert wie die Zahlungsfähigkeit der Schuldner. Weil diese schwierig einzuschätzen ist, gibt es Rating-Agenturen, die den Schuldern, die für die Papiere gerade stehen müssen, Ratings von AAA+ (höchste Qualität) bis D (nicht zahlungsfähig) verteilen. Dieses Rating bestimmt die Höhe des Zinses, der bezahlt werden muss, in vielen Ländern heute der grösste Haushaltsposten. Wenn Politiker in den Parlamenten zusammensitzen und meinen, die Geschicke des Landes zu bestimmen, dann diskutieren sie im wesentlichen nur noch über den engen Spielraum, der ihnen neben den gigantischen Transaktionen an den Finanzmarkt übrig bleibt. Die wirklich wichtigen Entscheidungen werden dort gefällt, wo die Zinssätze festgelegt werden – in den Rating-Agenturen. Griechenland zum Beispiel muss aufgrund der Rückstufung durch die Rating-Agenturen die Hälfte des Ertrags aus dem Sparprogramm gleich wieder für erhöhte Zinskosten ausgeben.

Trotz ihrer absolut entscheidenden Rolle sind die Rating-Agenturen nicht öffentliche Institutionen, sondern private Firmen. Standard&Poor’s gehört dem amerikanischen Verlagshaus McGraw-Hill (Herausgeberein u.a. von Busniess Week), Moody’s zu einem hohen Anteil dem Megamilliardär Warren Buffet, Fitch v.a. französischen Investoren. Sie verfügen über eine Marktanteil am globalen Rating-Geschäft von über 90 Prozent, sitzen alle in den USA und verfolgen im Wesentlichen angelsächsische Interessen. Ihre Dienstleistungen werden nicht von denen bezahlt, die durch die Ratings geschützt werden sollen, d.h. den Anlegern, sondern von denen, die davon profitieren, den Herausgebern der Papiere und ihren Vermittlern in der Finanzbranche. Das birgt natürlich erhebliches Korruptionspotenzial.
Enron, Lehman Brothers, WorldCom, United Airlines, General Motors undsoweiter waren alles Firmen mit erstklassigen Ratings, die den Anlegern (und über die Pensionskassen uns allen) gigantische Verluste bescherten. Die Rating-Agenturen irren aber nicht nur im Einzelfall, sondern auch systematisch.  Sie waren es, die den verwursteten Sub-Prime-Hypotheken beste Ratings verliehen und damit die absurde Spekulation mit Ramschpapieren erst ermöglichten. Sie waren die Lebensmittelkontrolle, die den Finanzhaien die vergiftete Finanz-Charcuterie mit Hundefleisch, Sägemehl und Geschmacksverstärker unter einem Gourmet-Siegel fütterten, der die ganze Welt in eine Lebensmittelvergiftung stürzte. Der Denk- und Rechenfehler der Rating-Agenturen: Sie berechneten die Wahrscheinlichkeit eines Rückgangs des Wirtschaftswachstum nach der herkömmlichen Wahrscheinlichkeitsrechnung auf Basis der Normalverteilung, die sich dafür nicht eignet. Sehr unterhaltsam und einleuchtend beschreibt dies der Mathematiker, Makler und Philosoph Nassim Nicholas Taleb in seinem Beststeller «Der schwarze Schwan». Mit Zahlen lügen – so könnte man das Geschäft der Rating-Agenturen zusammenfassen. Siehe dazu auch: http://www.zeitpunkt.ch/fileadmin/download/ZP_100/100_6-9_Sicherheit.pdf

Privatbesitz, Monopolstruktur und korruptionsanfälliges Geschäftsmodell allein können die griechische Entwicklung allerdings nicht erklären. Die Rückstufung der griechischen Staatsanleihen im letzten Herbst, die eine riesige Spekulation gegen den Euro lostrat, erschien zwar im Licht der exorbitanten Staatsverschuldung hinreichend begründet, war es aber nicht. Der französische Thinktank «Laboratoire Européen d’Anticipation Politique» (LEAP) hat zur Bewertung der Giftigkeit von Staatsanleihen noch andere Faktoren als die Höhe der Staatsverschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung herangezogen, nämlich den Finanzierungsbedarf in absoluten Zahlen und die Wahrscheinlichkeit einer Haushaltskonsolidierung bis 2012/2013. Das Resultat kann Menschen, die sich auch ausserhalb der Mainstream-Medien informieren, nicht erstaunen. Das LEAP listet acht Staaten, bei denen die Gefahr einer Zahlungsunfähigkeit grösser ist als bei Griechenland (in der Reihenfolge ihrer Gefährdung): USA, Grossbritannien, Irland, Niederlande, Japan, Spanien, Frankreich, Portugal. Griechenland ist für das LEAP «der Baum, hinter dem man den Wald nicht sieht» – oder besser gesagt: nicht sehen soll!

Das bringt uns zur entscheidenden Frage, wem das Griechenland-Szenario am meisten nützt. Die Antwort: dem Dollar und dem angelsächsichen Finanzestablishment. Mit der reichlich willkürlichen Rückstufung Griechenlands durch die Rating-Agenturen, gelang es, Griechenland in echte Schwierigkeiten zu stürzen und das Vertrauen in den Euro zu erschüttern, obwohl er strukturell weniger schlecht dasteht als der Dollar. Anstatt über die gigantischen Defizite und den astronomischen Finanzierungsbedarf der USA diskutiert die Welt nun über das kleine Griechenland und die Schwierigkeiten der EU, die Hilfe auf die Reihe zu kriegen.

Fazit: Rating-Agenturen vernebeln grosse und verstärken kleine Risiken und bewerten damit weitgehend irrational. Wirklich erfassen lassen sie sich aufgrund der öffentlich zugänglichen Informationen nicht. Verstehen kann man sie nur mit Frage, wem ihr Handeln nützt. Die Antwort darauf erfahren wir leider erst in der Zukunft.
05. Mai 2010
von: