«Ihr seid Götter»

Seit über siebzig Jahren fasziniert Superman die Menschen. Er wurde zum wohl berühmtesten Helden der virtuellen Welt – und zugleich zum mächtigen Mittel politischer Manipulation

 S upermans Karriere begann bereits in den schicksalsträchtigen 1930er Jahren. Und zwar in den Köpfen zweier unbekannter Teenager in Gestalt eines anfangs noch glatzköpfigen
«Super-Man». Nach seinem sensationellen Erfolg setzten die Amerikaner ihn von 1942 bis 1945 als Kriegspropaganda gegen Japan und Nazideutschland ein, in Kurzfilmen und Comic-Heftchen, die den Soldaten auch an die Front geschickt wurden. Brauchte es den magischen Kick eines Übermenschen amerikanischen Typs, um den Bann der «arischen Superrasse» zu brechen?
Seither wurde Superman immer wieder als politische Galionsfigur eingesetzt. Jüngstes Beispiel ist der US-Wahlkampf 2016, in dem Donald Trump als «Super-Trump» posierte. Noch dreister waren jene Comic-Hefte, die die US-Armee 1999 im Kosovo verteilte: Sie zeigen, wie Superman Kinder vor dem Tod durch Minenbomben rettet – aber nicht, dass die US-Armee diese zuvor dort abgeworfen hatte.

«Ein kollektives Bedürfnis nach dieser Art von Heldenfiguren weist auf Missstände hin», analysierte Dana Frei von der Universität Zürich den Erfolg von Comic-Helden. Neben sozialen Defiziten spielen offenbar spirituelle Motive eine bedeutende Rolle. «Comics verraten uns, dass religiöse Themen, Symbole und Geschichten nie verschwunden, sondern aktuell geblieben sind», resümiert Jürgen Mohns seine langjährigen Forschungen zum Thema. Mohns ist Professor für Theologie in Basel und Mitglied der Gesellschaft für Comicforschung. Einer seiner Forschungsschwerpunkte lautet: «Religion im Comic».
Superman bedeutet übersetzt «Übermensch», und tatsächlich zeigt Superman übermenschliche, ja gottähnliche Züge. Im Alltag scheint er zwar eher das Gegenteil davon zu sein: ein vertrottelter Zeitungsreporter namens Clark Kent. Doch wann immer er will, verwandelt er sich in einen Superhelden, der alles kann: fliegen, retten und «das Gute» durchboxen. Eine Art mystischer Vergottungsprozess findet statt – ein Motiv, das die Menschheit seit Jahrtausenden beschäftigt.

Die deutlichen Jesus-Analogien wurden in den USA kritisiert, nachdem Hollywood Superman Returns 2006 in die Kinos gebracht hatte,     schrieb damals Die Welt. Sogar der Spiegel konstatierte, dieser Film erinnere «zu stark an das Jesusmotiv, als dass es Zufall sein könnte». Ein Blick auf das DVD-Cover bestätigt dies: Wir sehen den himmlischen Retter buchstäblich aus den Wolken zu uns fliegen. Hat nicht die biblisch-apokalyptische Überlieferung die Wiederkehr des auferstandenen Christus «in den Wolken» prophezeit? Gewiss – jedoch nicht in Gestalt eines amerikanischen Dandys, der auf dem Mond US-Flaggen geraderückt und vor der UNO amerikanische Kriege entschuldigt. Superman war nicht erst seit 2006, sondern von Anfang an ein Comic-Verschnitt des auferstandenen Christus, was auch der Theologe Olaf Seydel in einer wissenschaftlichen Arbeit von 2009 detailliert nachgewiesen hat. Dennoch wissen 99 Prozent der Superman-Konsumenten bis heute nichts davon. Dabei ist dies nur die Spitze des Eisbergs. Wer sich in die zahlreichen Superman-Comics und -Filme vertieft, wird darin einen Abgrund spiritueller Inhalte entdecken. Wüsste so mancher materialistisch denkende Mensch, was er da im Kino eigentlich bewundert, würde ihm wohl die Schamröte ins Gesicht steigen: Nicht nur religiöser Kitsch findet sich dort, auch esoterische Inhalte spielen eine bedeutende Rolle.

Doch das Superman-Christus-Motiv hat längst eine weitere Verbreitung in Comic und Film gefunden. Die bekanntesten Beispiele dürften Walt Disneys Donald Duck und der erfolgreiche Science-Fiction-Film Matrix sein. In letzterem fliegt ein als «der Auserwählte» bezeichneter junger Mann namens Neo während seiner – wie es im Film wörtlich heisst – «Superman-Nummer» durchs Wolkenland, um später zusammen mit seiner Freundin Trinity (christlich: Trinität) in dem Raumschiff Logos (das Wort Gottes) die letzten Reste der in Zion (Name des Tempelbergs in Jerusalem) versammelten Menschheit zu retten. Der Film verwendet wörtlich diese und andere biblische Ausdrücke und lehnt sich auch in der Handlung an traditionelle christliche Erzählungen an. Dies freilich in extrem verzerrter Form, wodurch die eigentlich christlichen Werte letztlich in ihr Gegenteil verkehrt werden. So etwa durch die alle Filme durchziehende unverhohlene Gewaltverherrlichung, die nicht wenige Amokläufer stimuliert haben dürfte, die sich bei ihrer Tat ähnlich wie die «Helden» in Matrix kleideten.
Auch Donald verwandelt sich zum Segen Entenhausens zuweilen in Super-Duck (seit Band 41 der Lustigen Taschenbücher), in Deutschland «Phantomias» genannt. Die Parallelen zu klassischen Christusdarstellungen sind auch hier verblüffend. Der Umhang ist bei beiden rot, die gelbe Geistessonne leuchtet im Hintergrund. Bläulich ist bei Christus das Lendentuch, bei Phantomias der eng anliegende Anzug. Bei beiden ist wie bei Superman die Farbkombination rot, gelb, blau dominant. Beide posieren in Superman-typischer Armhaltung (ein Arm hoch, der andere runter), sie können fliegen und retten die Menschheit.

Pittoresk bewölkte Himmel galten schon immer als Metapher göttlicher Sphären – und jetzt eben auch in Comics. Die «Wiederkehr Christi in den Wolken», von der die Bibel spricht, ist im Sinne dieser Bildersprache als Wiederkehr in einer nichtmateriellen Sphäre zu verstehen, zu der gemäss christlicher Auffassung prinzipiell jeder Mensch einen inneren Zugang finden kann. Rudolf Steiner sprach in diesem Zusammenhang von der «Wiederkunft Christi im Ätherischen». Nach Steiner kann dies zwar auch zeitweilige physische Sichtbarkeit mit einschliessen. Völlig missverstanden hat man jedoch die christliche Überlieferung, wenn dieser Vorgang mit politischen Führergestalten in Verbindung gebracht wird. Sei es Trump, der sich als «Super-Trump» mit der Aura des auferstandenen Christus umgab, oder seien es diabolische Gestalten wie Hitler oder Stalin, die mittels Propaganda als Christus-ähnliche Messiasgestalten dargestellt wurden. Mit seriöser Politik hat das alles ebenso wenig zu tun wie mit echter Spiritualität oder Christentum. Aber es macht deutlich, dass politische Propaganda mittels Verwendung (pseudo-)spiritueller Motive eine ungeheure manipulative Macht entfalten kann – auch heute noch. Ähnlich wie in der kommerziellen Werbung kann auch hier von einem «fundamentalen Attributionsirrtum» gesprochen werden: Politiker, zuweilen auch ganze Staaten, schmücken sich mit gut versteckten spirituellen Attributen, die ihnen de facto in keiner Weise eigen sind. Indirekte US-Propaganda dieser Art findet man in zeitgenössischen Superhelden-Filmen zuhauf.
27. Mai 2017
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