3 Fragen an Mutmacherinnen Silke Klingelfuss und Therese Stolze

Silke, Therese, Manuela und Leo: Vier Freunde, die das Schicksal um Corona noch enger zusammengeführt hat. Sie sind weder MusikerInnen, noch TänzerInnen. Aber sie lieben die Musik und stehen mutig ein für Freiheit, Lebensfreude und Ehrlichkeit. Sie treten singend und tanzend dort auf, wo die Lebensfreude erdrückt zu werden droht. Zeitpunkt sprach mit den beiden Hauptakteurinnen: mit der 52-jährigen Handanalytikerin und Hypnosetherapeutin Silke Klingelfuss aus Rapperswil und mit der 57-jährigen Lehrerin Therese Stolze aus dem zürcherischen Rüti.

Silke Klingelfuss und Therese Stolze im Zug mit Ziel Luzern und Lebensfreude. / © zvg

Zeitpunkt: Während der Corona-Zeit wart ihr oft an Demos, Montagsaperos, und Spaziergängen für die Freiheit anzutreffen. Auf dem Weg dorthin, im Zug, aber auch am Rande der Kundgebungen, habt ihr selbst getextete Lieder zu bekannten Stücken gesungen. Was hat euch dazu bewegt?

Silke Klingelfuss: Wir lieben die Menschen, das Leben und setzen uns in unseren pädagogischen und therapeutischen Berufen für ganzheitliche Gesundheit ein. Die verhängten, engen Corona-Massnahmen und der durch die Politik ausgeübte Zwang schienen uns dem aber keineswegs förderlich. Denn sowohl Angst als auch Zwang setzen Menschen psychisch unter Druck, führen erst recht zu Stress und Erkrankungen. Darum wollten wir uns für das engagieren, was uns sinnvoll und hilfreich schien.

Wir studierten den Tanz Jerusalema als Vierer-Gruppe ein und tanzten auf der Strasse.

Begonnen hat eigentlich alles damit, als ich mal ziemlich schlecht gelaunt aus dem Haus ging, Kopfhörer in die Ohren steckte und Jerusalema lief. Schlagartig hatte ich gute Laune. Da entstand die Idee, Menschen wieder Lebensfreude zu vermitteln mit Musik, Gesang und Tanz. Wir studierten den Tanz Jerusalema als Vierer-Gruppe ein und tanzten auf der Strasse. Als wir dann am Spaziergang in Zürich teilnahmen, kam uns in den Sinn: dass Musik ja verbindet, dass mit ihr Botschaften gut vermittelt werden können und wir gehört werden. Darauf suchte Therese nach passenden Songs, die jeder und jede kennt und die fröhlich sind. Sie schrieb dazu eigenen Texte. Aus zwei Songs am Anfang wurden sechs.

Therese Stolze: Bei unserem ersten Spaziergang in Zürich erlebten wir viel Aggression von Seiten der Polizei mit ihren Hunden. Da kam uns der Gedanke, dem mit Singen entgegenzutreten. Viele Schlager, insbesondere die aus den 50er und 60er Jahren sind humorvoll, nehmen sich selber nicht so ernst und helfen, schwierige Situationen mit Humor besser anzunehmen. Wir suchten nach einem Lied, das passen würde, das alle kennen und mitsingen können und das uns eint. Als erstes wählten wir die Melodie von «Er hat ein knall-rotes Gummiboot» und schrieben selber einen passenden Text dazu. Dass die Lieder, die witzig, spritzig und frech waren, bei den meisten ZuhörerInnen gut ankamen, machte uns Mut. Bald folgten weitere Lieder zu den Melodien von «Bossanova», «Wenn nicht jetzt, wann dann?», «This Train is bound for glory», «Sixteen tons», «Give me hope Joanna». Gerade das letzte Lied schien uns als Antiapartheid-Lied besonders passend zu den zunehmend spaltenden und ausgrenzenden politischen Entwicklungen.

Zeitpunkt: Nun sind die Massnahmen aufgehoben, und ihr seid mit einem neuen Projekt unterwegs. Diesmal nicht singend, sondern tanzend auf der Strasse. Eure kleine Gruppe hat sich vergrössert. Einige werden denken: ‹Die wollen einfach keine Ruhe geben!› Silke, du bist die Initiatorin, warum findest du öffentliches Tanzen notwendig?

Silke Klingelfuss: Unser erster Tanz, bevor wir mit den Liedern angefangen haben, war ja Jerusalema. Wir wollten damit Freude, Hoffnung und Trost bringen. Uns fiel die bedrückte und angespannte Stimmung vieler unserer Mitmenschen auf. Viele Gesichter hinter den Masken kamen mir vor wie Zombies: leblos, erstarrt, verängstigt, unter Schock.

Nun, da die Massnahmen weggefallen sind, geht es den Menschen nicht auf Befehl einfach wieder gut. Die zwei Jahre der Angst und des Drucks haben Spuren hinterlassen. Das natürliche, angeborene Urvertrauen ins Schicksal und die unbeschwerte Lebensfreude sind weniger präsent als vor der Pandemie. Abgesehen davon lauert die mögliche neue Gefahr noch immer wie ein Gespenst im Hintergrund, so dass viele nicht einfach loslassen können. Und die Kriegssituation in der Ukraine, macht das Leben auch nicht unbeschwerter.

Wir gehen flasmobartig an verschiedenen Orten tanzen.

Musik und Tänze lenken ab, reissen die Menschen auf der Gefühlsebene mit und ermöglichen ein Gegengewicht zum «Sorgen-Druck» der Gedanken. Sie sind pure Lebensfreude und bringen die Menschen zum Strahlen. Darum gehen wir flasmobartig an verschiedenen Orten auf die Strasse und tanzen zum Teil eigene Choreographien, etwa zu «Jerusalema» oder «Give me Hope Joanna». Gerade afrikanische Tänze erden und verbinden die Menschen mit ihrem Körper. Sich selbst wahrzunehmen, in der Bewegung gut und tief zu atmen, draussen zu sein und Freude zu empfinden, sind enorm wichtig für die Gesundheit und für die Stärkung des Immunsystems.

Zeitpunkt: Was sind eure Visionen für eine gesunde Welt?

Silke Klingelfuss: Ich wünsche mir eine Menschheit, die respektvoll mit Mensch, Tier und Natur umgeht und Eigenverantwortung für ihr Handeln und ihre Gesundheit übernimmt. Eine Menschheit, die erkennt, dass Harmonie nur in sich selber zu finden ist und dass man nur ernten kann, was man sät.

Therese Stolze: Meine Vision einer lebenswerten Welt, in der Menschen, Tiere und Pflanzen gedeihen dürfen, ist eine Welt, in der jeder Mensch erfahren darf: Du bist wichtig! Was du sagst und tust, ist wichtig. Und ein Tag, an dem du einem anderen Menschen etwas zuliebe getan hast, ist ein wichtiger Tag. Dabei soll auch der Humor nicht zu kurz kommen, denn gerade dieser hilft uns Menschen, uns weniger wichtig zu nehmen.