400 Jahre Bologna-Reform und die Knechtung des Geisteslebens
Vor 25 Jahren wurde die Bologna-Reform beschlossen – ein Akt der Vereinheitlichung und Mobilität der Universitätsausbildungen, der einen Niedergang der Bildungsideale und eine digitale Durchdringung des Studiums mit sich brachte.
Aus einer Ansprache zur Feier des Dies Academicus der Universität Luzern am 6. November 2014 von Prof. Dr. Markus Ries, Kirchenhistoriker:
«Am 8. Januar 1599 – und damit schöne 400 Jahre vor «Bologna» – liess Pater Claudio Aquaviva Societatis Jesu, der fünfte General dieses Ordens, für alle Jesuitenkollegien in Europa eine neue, einheitliche Studienordnung publizieren: die «Ratio atque Institutio studiorum Societatis Jesu».
Damit veränderte und vereinheitlichte er die Rechtsgrundlage für das Studium an den damals rund drei Duzend Jesuitenkollegien in Europa, deren Anzahl sich in den kommenden Jahren vervielfachen sollte. Einrichtungen diese Art existierten in allen katholischen Territorien Europas von Danzig bis Brügge und von Lissabon bis La Valleta. (…) Deren «collegia» bestanden aus einem Gymnasium mit darauf aufbauenden höheren Studienangeboten, dazu gedacht, weltliche und geistliche Exponenten zu formen und die katholischen Territorien kulturell zu einen. (…) Das Konzept von Lehre und Forschung war leistungsorientiert und auf die besten ausgerichtet. Ihrer Förderung sollten insbesondere Ranglisten und öffentliche Preisverleihungen für Spitzenschüler am Ende des Studienjahres dienen. (…).»
Der Jesuitenorden hatte sich die Rekatholisierung des Christlichen Abendlandes auf die Fahnen geschrieben und war die Speerspitze der Gegenreformation.
«Der aktuelle europäische Hochschulraum hingegen ist in einem feierlichen Akt am 19. Juni 1999 begründet worden. Die beteiligten Bildungsminister haben mit dem Ort und, wohl unbewusst, auch mit der Jahreszahl eine historische Beziehung hergestellt. In der gemeinsamen Erklärung der europäischen Bildungsminister heisst es: «Insbesondere müssen wir uns mit dem Ziel der Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Hochschulsystems befassen» (Müller 2012, 272). (…) Vor Augen steht ein europäischer Hochschulverbund, der in globalem Kontext konkurrenzfähig sein soll. Hier die Vereinigten Staaten mit ihren Spitzenuniversitäten, dort ein «Universitätsplatz Europa», der durch freie Mobilität der Studierenden in jeder Phase ihres Studiums geeint wird. (…) Leistungen werden vergleichbar bewertet und dargestellt in einer Art Einheitswährung, deren Elemente «credit points» heissen. Die Mobilität soll eine Art Binnenmarkt erzeugen und es möglich machen, dass die Studierenden sich in Richtung der besseren Universitäten bewegen. Stärkung nach aussen, durch Wettbewerb im Inneren, so die Idee: Gute Universitäten ziehen gute und viele Studierende an, sie wachsen und gedeihen, während schwache Universitäten verkümmern und verschwinden. (…) Wie in jedem Wettbewerb müssen Konsumenten geschützt sein gegen unlautere Machenschaften und Dumping. Daher darf nur Studienangebote auf den «Markt» werfen, wer zertifiziert und akkreditiert ist.»
So seltsam und realitätsfremd sich das oben zitierte Konzept der Bologna Hochschulreform auch ausnimmt, es wurde verwirklicht. Es ist hier nicht der Ort, darüber zu spekulieren, was das Konzept bereits für Schäden in einem ohnehin mangelhaften einseitig materialistischen Geistesleben angerichtet hat. Es ist auch schwer festzustellen, inwiefern die oben zitierten Vorgaben überhaupt umgesetzt werden konnten. Der kleinräumige Charakter Europas und die vielen, sehr unterschiedlich strukturierten Hochschullandschaften werden wohl dafür gesorgt haben, dass vieles von dem, was eine zentralplanerische Instanz verwirklichen wollte, nicht umgesetzt werden konnte.
Es ist aber symptomatisch für den kleingeistigen Charakter heutiger Vorstellungen über das Geistesleben, dass es sich durch Strukturen fesseln lässt, die dem Ordnungsgeist klerikalen Konservativismus entspringen könnten. So wie sich die Katholische Kirche mit ihren Apologeten, den Jesuiten, an die Macht klammerte, so scheint sich auch mit der Bolognareform das angelsächsische Imperium seinen Einfluss über seine Vasallenprovinzen sichern zu wollen.
Man kann jedoch etwas anderes an solchen Vorgängen studieren: Das letztlich unkreative Wirtschafts-Imperium, das auf den Erhalt seiner Macht ausgerichtet ist, kann nur dadurch bestehen, dass es auch in geistiger Beziehung Macht ausübt. Es tut dies durch Vergleiche, Wettbewerb und die Schaffung von Abhängigkeiten und Seilschaften von Gefolgsleuten. Ehrungen welche sich eingespielten Netzwerken verdanken, haben eine bestimmte Wirkung: Sie produzieren Sieger und Verlierer. Damit erzeugen sie innerhalb einer Gruppe prinzipiell Gleicher künstlich Ungleichheit Das Ziel ist letztlich Beherrschbarkeit der kulturell zu unterwerfenden Gebiete. Anerkennungen, Akkreditierungen und staatliche Förderung dienen in diesem Sinne dem gleichen Ziel: Es soll das gefördert und rezipiert werden, was für den Staat verwertbar und für die Lenkung der Massen erforderlich ist.
Es sollte vor diesem Hintergrund eigentlich selbstverständlich sein, dass sich «Freie Hochschulen» einem solchen System nicht unterwerfen können. Der Staat, der weltanschaulich durch Vorgaben und Narrative bestimmter Lobbygruppen beeinflusst und letztlich festgelegt wird, kann zum Beispiel Wissenschaften wie die Anthroposophie nicht anerkennen, deren wissenschaftliche Grundlagen er in Abrede stellen muss.
Corona demonstriert ebenfalls eindrücklich, wie der Staat aufgrund seiner durch Lobbyismus festgelegten Narrative bestimmte Auffassungen ausschliesst, wenn sie den Vorgaben dominierender Industrien, oder internationalen Verflechtungen zuwiderlaufen.
Freiheit von Lehre und Forschung?
Die Freiheit von Lehre und Forschung findet immer schon dort ihre quasi natürliche Grenze, wo staatliches Selbstverständnis, als selbstverständlich vorausgesetzte Hierarchien oder die Definitionshoheit des Auftraggebers Staat in Frage gestellt werden. Es gibt Beispiele wo Aspiranten für den Lehrerberuf nur deshalb abgelehnt wurden, weil sie weltanschaulich umstrittene Positionen vertraten, oder keinen ordentlichen Lebenswandel vorzeigen konnten (1).
So fühlte sich auch mein Onkel nur deshalb zum Militärdienst verpflichtet, weil er danach den Lehrerberuf ergreifen wollte. Eine Verweigerung, so dachte er, hätte seiner Lehrerkarriere abträglich sein können. Das gleiche gilt selbstverständlich umso mehr auf höheren Ebenen, wie dem Zugang zu einer Professur an einer Schweizer Hochschule.
So scheiterte Daniele Ganser trotz guter Leistungen daran, an einem renommierten ETH Institut Karriere machen zu können, weil er das herrschende 9/11-Narrativ in Frage gestellt hatte. Es gibt immer schon ungeschriebene Gesetze, was man sagen darf, welche das Hochschul- und Pressewesen bestimmen. An einem staatlichen Vorzeigeinstitut wie dem ETH Center for Security Studies kommt dazu, dass es sich in besonderer Weise im Dienste des schweizerischen Staates sieht. Der Staat nimmt in vielfältiger Weise Einfluss auf Lehre und Forschung. Einerseits über die Finanzierung, aber auch über bestimmte, mit den Medien zusammen festgelegte Ideologien, die für sein Selbstverständnis als essentiel oder opportun angesehen werden.
Neu an Bologna war deshalb nicht, dass der Staat plötzlich angefangen hätte vermehrt Einfluss auf die Freiheit von Lehre und Forschung zu nehmen. Neu war, dass sich die europäischen Hochschulsysteme damit zunehmend dem Einfluss angelsächsischer Bildungsvorstellungen unterwarfen. Auch in Bezug auf den zunehmenden Einfluss internationaler Organisationen wie der WHO und der EU auf die nationale Souveränität zahlreicher Länder muss gesagt werden: Die neue Dimension liegt nicht in der Übergriffigkeit staatlicher Institutionen auf das unfreie Geistesleben von Bildungseinrichtungen, sondern darin, dass souveräne Staaten diese Übergriffigkeit nicht einmal mehr selbst ausüben. Sie delegieren sie mehr und mehr an supranationale Organisationen. Vorhanden war sie an sich schon immer. Der Einheitsstaat muss dasjenige, was ihn selbst substantiell in Frage stellen könnte kontrollieren, will er nicht Einbussen seiner Legitimation bei der Bevölkerung in Kauf nehmen.
Weil dies ein strukturelles Problem ist, lässt es sich auch nur durch die Veränderung der strukturellen Bedingungen des Staates lösen.
Rudolf Steiner sieht deshalb als erste, unerlässliche Bedingung für die weitere Entwicklung der Menschheit, und auch des modernen Staates, die Auflösung der staatlichen Hoheit über die Bildung.
Solange Staat und Bildung so miteinander verknüpft bleiben wie sie es gegenwärtig sind, wird die Schule und Hochschule immer die Tendenz haben treue Staatsdiener hervorzubringen. In einem ersten unabdingbaren Schritt müssen jedoch die Medien von jeder staatlichen Einflussnahme entbunden und von ihren Subventionen befreit werden. Staatstreue Medien sind das wichtigste Mittel des Staates beim Herstellen eines einheitlichen Meinungskorridors.
Leider verstehen immer noch etliche Gruppen, auch aus der Bürgerrechtsbewegung, nicht, dass zu den konstitutionellen Bedingungen des Einheitsstaats auch die direkte und indirekte Kontrolle der Medien gehört. Wer deshalb an den bestehenden Machtverhältnissen substantiell etwas ändern will, muss die staatliche Kontrolle und Einflussnahme auf sogenannte Leitmedien (service public) ebenso abschaffen, wie die staatliche Kontrolle von Bildungseinrichtungen.
Dies könnte beispielsweise über Bildungsgutscheine versucht werden, mittels derer die Menschen denjenigen Schulen ihre Steuergelder zukommen lassen könnten, denen sie am ehesten zutrauen ihren Kindern und Jugendlichen ein fundierte Bildung zu vermitteln. Eine staatliche Bevorzugung von Volksschulen und Universitäten verbietet sich aus eben dem Grundsatz, den heutige Bildungseinrichtungen vorgeben hochzuhalten: Der Freiheit von Lehre und Forschung.
*Geplant ist ein baldiges Podium zum Thema «Befreit die Schulen vom Staat» mit Olivier Kessler, Direktor des liberalen Instituts
(1) «Wer regiert die Schweiz» Hans Tschäni, 1983
Podium in Luzern am 1.10 zum Thema Reform des Gesundheitswesens mit Prof. Beck und Dr. Heisler
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