Auf dem Mittelweg zwischen Glauben und Wissen
Sam Harris bietet einen interessanten Weg durch das philosophische Minenfeld zwischen Gehirnforschung und Mystik
Der amerikanische Philosoph und Neurowissenschaftler Sam Harris (*1967) ist einer der prominentesten Kritiker der Religionen im angelsächsischen Sprachraum. Gleichzeitig ist er sehr offen für spirituelle Erfahrungen. Sein kürzlich in der edition Spuren erschienenes Buch «Erwachen» beschreibt seinen Weg dazu. Die zentrale Aussage des Buches ist «das Gefühl, das wir unser ‹Ich› nennen, ist eine Illusion.»
Es war das Ziel des Autors, «den Diamanten aus dem Misthaufen esoterischer Religion herauszuklauben». Ihn in die Hand zu bekommen, verlange jedoch, «den tiefsten Grundsätzen des wissenschaftlichen Skeptizismus treu zu bleiben und keine Zugeständnisse an die Tradition zu machen». Nach unserer Einschätzung ist ihm dies gut gelungen. Natürlich kann auch er nicht das letzte Tor zur Wahrheit aufstossen, hinter der wir entweder das unermessliche Göttliche oder das absolute Nichts vermuten. Und das ist gut so. Ein Kritiker der Religionen soll keine neue Religion anbieten.
Eine Frage bleibt: An wen richtet sich das Buch? Die Harcore-Materialisten werden sich von den Erinnerungen eines Suchenden, der Einführung in die Gehirnforschung und den Anleitungen zur Kontemplation kaum überzeugen lassen. Und die «Spirituellen», wen immer man sich unter diesem schwammigen Begriff vorstellen mag, werden Harris nicht als einer der Ihren akzeptieren. Aber für alle dazwischen ist Harris’ Weg ein anregender Reiseführer in flüssiger, eingängiger Sprache.
Sam Harris: Erwachen – jenseits von Glaube und Religion. edition spuren, 2019. 296 Seiten, geb. Fr. 26.–, ISBN 978-3-905752-46-5
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