Auf der Suche nach dem real existierenden Glück

Experten wollten wir keine befragen, das war uns ziemlich rasch klar. Die Fülle an Glücksliteratur wird vermutlich nur noch von der an Diät-Kochbüchern übertroffen, und wer das Glück festhalten oder beschreiben will, hat es vermutlich schon verloren. Glücksfachleute kamen für unsere Suche nach dem real existierenden Glück also nicht in Frage. Aber wer dann?


Unsere Leserinnen und Leser wussten weiter. Fast 50 Hinweise erhielten wir auf unsere E-Mail-Anfrage mit der Bitte, uns Menschen und Orte anzugeben, die wir auf der Suche nach dem real existierenden Glück besuchen könnten.
Die Reportage hätten wir gerne dort begonnen, wo der Regenbogen die Erde berührt, wo der Legende nach das Glück oder zumindest ein Kessel mit Gold zu finden ist. Doch m it den Leuten vom Rainbow-Project in Schwanden im Emmental liess sich partout kein Termin finden. Thomas Bertschi, seine Frau Pema Lobsang und Paul Christ, die die Welt mit Regenbogen-Fahnen, Büchern über hoffnungsvolle Projekte, Filmen und Kulturanlässen beglücken, waren während zweier Wochen nie gleichzeitig zu Hause.

 
Das grüne Reich in der Grauzone
So beschlossen wir, unsere Reise mit Christoph Trummer zu beginnen, der seit acht Jahren als eine Art Eremit in einer selbstgebauten Hütte am Gebirgsfluss Engstligen in der Nähe von Frutigen im Berner Oberland lebt. Einen Termin mit ihm auszumachen, war ebenso aussichtslos. Auf der Gemeindeverwaltung Frutigen gibt man uns zwar bereitwillig Auskunft über den Mann, der trotz der vielen Weidenbögen in seinem grünen Reich am Fluss eigentlich in einer Grauzone lebt. Wir danken für die Telefonnummer der Eltern und winden den Behörden in Gedanken ein Kränzchen, dass sie den Mann gewähren lassen. Ein Glücksfall.
Die Mutter, bestimmt schon um die achtzig, weiss auch nicht, ob ihr Sohn auf dem Platz anzutreffen sei. Sie beschreibt uns den Weg, und in ihrer Stimme ist ein gewisser Stolz auf den Sohn nicht zu überhören.

Am nächsten Tag machen wir uns auf den Weg. Nach einem kurzen Fussmarsch der Engstligen entlang signalisiert ein Weidenbogen am Wegrand einen Eingang in die Auenwildnis: Hier muss der Naturmensch  hausen. Der Weg schlängelt sich durch Erlen und Weiden und je näher wir dem Ufer kommen, desto gepflegter wirkt die Pflästerung. Plötzlich sind wir da: Lauschige Terrassen am Ufer, der Bach zu grossen Teichen gestaut und im Gebüsch versteckt eine halboffene Hütte – einfach, sauber und alles mit Naturmaterialien gebaut. Nur über einem halbfertigen Anbau schützt Plastik vor dem Regen. Ein Mensch in Harmonie mit der Natur und viel Zeit für liebevolle Detailarbeit muss hier leben. Nur: der Mensch ist nicht da. Wir beschliessen, es uns in der Nähe gemütlich zu machen und zu warten. Da entdecken wir im Gebüsch einen braun gebrannten Oberkörper, wir rufen und ein junger Mann tritt hervor mit freundlich leuchtenden Augen und begrüsst uns. Er sei «eine Art Lehrling» hier, und Stöffu, den wir suchen, sei vermutlich in einer Stunde hier. Ob wir einen Kaffee trinken möchten. Der Lehrling führt uns zur Hütte seines Meisters, erweckt die Glut zu neuem Leben, setzt einen Topf auf, und das Gespräch beginnt. «Das Glück ruht in jedem Menschen», sagt der Lehrling. «Man muss es nur wahrnehmen.» Aber wenn man, wie dies in der Gesellschaft üblich sei, das Glück von aussen herbeiführen möchte, verliere man die Ruhe, um seine Mitte noch spüren zu können. Das tönt gut und man glaubt es ihm – aber sind es seine Worte oder nicht eher die seines Meisters? Auch die Feststellung, dass hier am Bach alles auf Sand gebaut sei und vom nächsten Hochwasser weggespült werde, hat meisterlichen Tiefgang. Vor zwei Jahren stoppte die Flut ein paar Zentimeter unter der Schwelle der Hütte. Alles andere, die Terrassen, die Teiche, die kunstvollen Aussenräume wurden dem Bachbett gleichgemacht. So oder so: «Wenn ich hier gehe, nehme ich nichts mit als meine Erfahrung», sagt der Lehrling.

Wir sitzen im Halbschatten, der Bergfluss rauscht und der Widerspruch ist weit weg. «Als Gesellschaft sind wir geistig in der Pubertät», diagnostiziert er weiter. «Wir machen fast absichtlich das Gegenteil von dem, was die Natur von uns verlangt.» Auch da kein Widerspruch, aber eine Frage, die wir lieber dem Meister gestellt hätten: Wie sieht denn die Alternative aus? Zwei Männer ohne Familie können vielleicht am Bach leben, im kleinen Garten im Dorf Gemüse ziehen und für die restlichen Aufwendungen von 400 Franken im Monat Gelegenheitsarbeiten erledigen. Aber der grosse Rest, die Millionen und Abermillionen in den Tretmühlen der Moderne? Für die gibt es nicht einmal genug Bäche.

 
Nach zweieinhalb Stunden in dieser friedlichen Welt brechen wir auf, der nächste Glückssucher wartet. Der Zufall will es, dass wir auf unserem Weg aus dem Dickicht hinaus in die Zuvielisation auf den Meister selber treffen. Instant-Freundschaft liegt in der Luft, auch wenn er die Stirn runzelt, als er vernimmt, dass sein «Lehrling» an seiner Stelle Red und Antwort gestanden sei. «Es geht nicht um mich», sagt der Mann mit der Langzeiterfahrung mit dem einfachen Leben. «Es geht um die Sache, um die Alternative zum ganzen Wahnsinn.» Er spürt, dass seine Botschaft hinaus in die Gesellschaft will, aber er weiss noch nicht wie. Ob wir dabei helfen können, müssen wir offen lassen. Denn jetzt steht Viktor Kambli vor der Tür, oder vielmehr wir vor seiner.


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