Babaji und der Mythos Unsterblichkeit
Babaji, der «Yogi-Christus» vom Himalaya, wurde durch Paramahansa Yogananda und seine «Autobiografie eines Yogi» weltbekannt. Doch ist er nur eine literarische Kunstfigur, oder solle wir den zahllosen Zeugen glauben, die ihm begegnet sein wollen? (Roland Rottenfußer)
«Babaji, hast du ein Lied für mich, um der Welt von ihrem Schutzengel zu erzählen?» Meine erste Begegnung mit Babaji verdanke ich keinem esoterischen Buch, sondern dem Popsänger Roger Hodgson, der das Lied 1977 für «Supertramp» schrieb. Ich hatte im Alter von 15 keine Ahnung, wovon das Lied handelte, aber es lief bei mir rauf und runter. Es dauerte 25 Jahre, bis ich in der Lage war, meinen Lieblingssong aus den 70ern zu verstehen. Auf dem Hausaltar meiner neuen Freundin sah ich das Bild eines jungen, androgyn wirkenden Mannes mit langem dunklen Haarem, weich gezeichnet, mit entspannten Gesichtszügen. «Das ist Babaji», erklärte die Freundin, ein spiritueller Meister, den sie sehr verehrte. Wenn ich näheres wissen wollte, sollte ich die «Autobiografie eines Yogi» von Yogananda lesen.
«Oh, was ist es, was mich an dich glauben lässt?», sang Hodgson mit Inbrunst. In der Tat muss man diese Frage stellen: Warum glaubten und glauben Millionen von Menschen in aller Welt an Babaji? Als Antwort muss man zunächst auf Yogananda verweisen, dessen Buch 1947 erschienen war und bis heute zu den unsterblichen spirituellen Klassikern gehört. Damals sprach noch niemand von einer «Esoterik-Welle». Millionen von Menschen haben seither von den rätselhaften Fähigkeiten der indischen Yogis erfahren, von strengen Meistern und hingebungsvollen Schülern, vom Konzept der «Erleuchtung» – und vor allem von Babaji.
Avatar – Aufbruch zum Himalaja
Ich las und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ein unsterblicher Yogi sollte dieser Babaji sein. Er lebt seit vielen Jahrhunderten im Himalaja im Körper eines 16-jährigen und verströmt gleich einer Sendestation unablässig seinen immateriellen Segen in die Welt. Sein Titel ist der eines «Mahavatars» (grossen Avatars). Assoziationen an einen bekannten Film sind nicht ganz falsch. Ein Avatar ist ein göttliches Wesen, das, obwohl dem Kreislauf der Inkarnationen entronnen, freiwillig in einen Menschenkörper eintaucht, um der Erde bei ihrer spirituellen Entwicklung beizustehen. Babaji vermag Gedanken in die Köpfe auserwählter Menschen zu pflanzen und so die Weltgeschichte zu beeinflussen. Er kann mit Gedankengeschwindigkeit reisen und sich materialisieren oder entmaterialisieren wie es ihm gefällt. «Dann sahen wir ein plötzliches Aufleuchten und erlebten die augenblickliche Entstofflichung seines Körpers, dessen Elementarteilchen sich in einem nebelhaften Licht auflösten.»
Laut Yogananda steht der Mahavatar auf einer Stufe mit Christus, mit dem er in «ständiger Verbindung» steht. Im Gegensatz zu diesem ist sein Wirken aber nicht auf eine kurze historische Epoche beschränkt. Babaji arbeitet über einen längeren Zeitraum, jedoch verborgen, im Hintergrund. «Solche Meister entziehen sich stets den neugierigen Blicken der Menge und haben die Macht, sich jederzeit unsichtbar zu machen.» (Yogananda) Babajis Sangha (spirituelle Gemeinschaft) im Himalaya, ist durch einen magischen Bann vor den Blicken neugieriger Wanderer abgeschirmt. Babaji kann nur von demjenigen gesehen werden, den er selbst dazu auserwählt hat.
Lahiri Mahasayas Vision
So geschah es dem Postbeamten und Familienvater Lahiri Mahasaya. Babaji weihte ihn unter wahrhaft fantastischen Umständen in die Technik des Kriya-Yoga ein – mit dem Auftrag, diese überall in der Welt zu verbreiten. So materialisierte Babaji für die Einweihungszeremonie einen prachtvollen Palast im Himalaja, der am nächsten Morgen wieder verschwunden war. Der Kriya-Yoga, soll Babaji zu Lahiri Mahasaya gesagt haben, «ist eine Wiederbelebung derselben Wissenschaft, die Krishna vor mehreren Jahrtausenden Arjuna vermittelte und die später auch Patanjali und Christus sowie Johannes, Paulus und anderen Jüngern bekannt wurde.» Im Kern handelt es sich um eine Atemtechnik (Pranayama), nicht schwer zu erlernen, aber auch nicht so leicht, dass man selbst darauf kommen kann. Yogananda nennt den Kriya-Yoga «Ein Werkzeug, durch das die menschliche Evolution beschleunigt werden kann.» Es stellt quasi die Überholspur zur Erleuchtung dar.
Auch dem wichtigsten Schüler Lahiris erschien der rätselhafte Babaji: Sri Yukteswar. Ihm prophezeite der Unsterbliche, dass er bald einem jungen Mann begegnen würde, der dazu ausersehen sei, den Kriya-Yoga im Westen zu verbreiten. Es war Paramahansa Yogananda selbst, der in den 20er-Jahren nach Los Angeles zog und die bis heute bestehende Organisation «Self-Realization Fellowship» gründete. Mit unzähligen Vorträgen und Kursen sowie seinem Bestseller «Autobiografie eines Yogi» brachte er dem Westen aber nicht nur den Kriya-Yoga; er trug entscheidend zur Popularität des Yoga und der Spiritualität überhaupt bei. Im Zuge des Yogananda-Booms wurde Babaji zu einer Art Pop-Ikone der Hippie-Ära. Sein Konterfei zierte u.a. das berühmte Cover des Beatles-Albums «Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band».
Märchenfigur oder reale Person?
Babaji als eine Art Märchenfigur zur verehren, mag ja noch angehen. Nicht wenige Menschen betrachten ihn aber als real. Zahlreiche Zeugen, auch abseits der Meisterlinie von Lahiri-Mahasaya, behaupten, mit dem Mahavatar kommuniziert, ihn gesehen oder seine Präsenz gespürt zu haben. So die beiden indischen Yogameister S.A.A. Ramaiah und V.T. Neelakantan, die Theosophin Annie Besant und Leonard Orr, Begründer der Atemtherapie «Rebirthing». Schon im15. Jahrhundert soll Babaji den berühmen Dichter und Mystiker Kabir in den Kriya-Yoga eingeweiht haben. Kann es soviel Rauch geben ohne eine Feuer, das ihn verursacht hat? Anders gefragt: Existiert Babaji? Eine touristische Expedition in den Himalaja scheint da wenig aussichtsreich. Der US-amerikanische Yogananda-Schüler Roy Eugene Davis, den ich vor Jahren selbst kennen lernen durfte, sagte dazu: «Yogananda, Yukteswar und Lahiri forderten alle ihre Schüler auf, nicht im Himalaya nach Babaji zu suchen, sondern ihn durch tiefe Meditation und Kontemplation in ihrem Inneren zu finden.»
Yogananda ist (bis auf eine persönliche Begegnung mit Babaji, die er erzählt) keine Primärquelle. Er gibt überwiegend die Berichte Dritter wider. Tatsache ist, dass die «Autobiografie» eine Art Babaji-Evangelium voll eindrucksvoller Worte und Szenen enthält. Auch von Jesus wissen wir schliesslich nicht, ob er alles «wirklich genau so» gesagt hat. Auf dem spirituellen Fest Kumbha-Mela begegnet Lahiri Mahasaya einem Sadhu (Asketen) mit einer Bettelschale, den er verächtlich der Heuchelei bezichtigt. Wenige Momente später sieht er Babaji vor dem Sadhu knien und ihm lächelnd die Füsse waschen. Lahiri: «Da wusste ich, was er mir zu verstehen geben wollte: ich sollte niemanden kritisieren, sondern Gott im Tempel eines jeden Körpers sehen, ganz gleich, ob es sich um höher- oder tieferstehende Menschen handelt.»
Gibt es Unsterblichkeit?
Die Gretchenfrage im Umgang mit Babaji lautet sicher: «Wie hältst du’s mit der Unsterblichkeit?» Können wir den teilweise fantastischen Berichten glauben? Carter Phipps schreibt in der Zeitschrift «Was ist Erleuchtung?»: «Manch einer sagte, Babajis Erleuchtung überträfe selbst die des Buddha, sie wäre eine vollkommene Transformation des Bewusstseins, deren machtvolle Kraft radikale Veränderungen bis in die Zellen des physischen Körpers hinein bewirken würde.» Ist die Wirklichkeit vielleicht nicht so fest gefügt, wie wir glauben? Ist sie vielmehr gummiartig verformbar durch den Geist, wenn dieser mittels geheimer Techniken trainiert wurde? Einem Schüler Babajis legt Yoganda folgende poetische Erklärung in den Mund: «Der ganze Kosmos ist ein vom Schöpfer projizierter Gedanke. Und so ist auch der im Raum schwebende, schwere Erdkörper nichts als ein Traum Gottes, der alle Dinge aus Seinem Geist erschaffen hat, ähnlich wie der Mensch im Traum alle Lebewesen der Schöpfung nachbildet und lebendig werden lassen kann.»
Weiteren Aufschluss über Babaji und die von ihm angewandten «Techniken» erhalten wir aus dem Buch «Babaji., Kriya Yoga und die 18 Siddhas» von Marshall Govindan. Der Autor gibt an, Babaji selbst einmal im Himalaya begegnet zu sein, jedoch nicht in grobstofflicher Form. «Er erschien auf der Vitalebene (…), es war eher wie eine Parallelrealität.» Govindan liefert auch, was uns Yogananda hartnäckig verweigerte: eine Biografie des Erdenlebens Babajis, beginnend mit seiner Kindheit. Demnach wurde Babaji 203 in einem kleinen Dorf in Tamil Nadu, Indien, geboren. Das Kind wurde von seinen Eltern Nagaraj (König der Schlangen) genannt, was auf seine spätere Beherrschung der Kundalini-Energie hinweist. Nagaraj wuchs in einer Brahmanen-Familie im Schutz eines großen Shiva-Tempels auf. Mit fünf Jahren wurde der Knabe von einem Menschhändler entführt. Dieses Verbrechen erwies sich als Segen, denn er gelangte an einen reichen Mann, der ihn bald freigab und schloss sich einer Gruppe wandernder Saddhus an.
Liebeserklärung an das Leben
Der spätere Babaji (wörtlich «verehrter Vater») wurde ein Gelehrter der heiligen Schriften. Bald schon verstand er aber, dass die Wahrheit nicht in den Worten lag. Er wurde Schüler eines grossen Siddha namens Agastyar. Die Siddhas der südindischen (tamilischen) Tradition verstanden, «dass ihre Fähigkeit, das Göttliche zu erleben und zu manifestieren, nicht auf die spirituelle Ebene der Existenz begrenzt war.» Es könne vielmehr «in die niedrigeren Ebenen der Existenz herabsteigen», einschliesslich des physischen Körpers. Vereinfacht gesagt, hatte Agastyar Übungstechniken entwickelt, die es erlaubten, den Körper ganz mit Göttlichkeit zu durchdringen. In Badrinath, einem Heiligtum nahe der indisch-tibetischen Grenze, trat Nagaraj nach 18 Monaten strenger yogischer Disziplin in den «Soruba Samadhi» ein. Das bedeutet: die Gottheit steigt in den Körper herab und transformiert ihn zu reinem Licht. Er ist nun unzerstörbar, unsterblich.
Laut Marshall Govindan hat die die südindische Siddha-Tradition ihren Ursprung im versunkenen Kontinent Kumari Kandam (oder Lemuria), dessen höchste Erhebung heute Sri Lanka ist. Dort entwickelte sich eine eigenständige spirituelle Tradition, die sich von der nordindischen Advaita-Lehre fundamental unterscheidet. «Denn für sie ist die Welt eine Illusion und deshalb von geringem Wert – sie ist eine einzige riesige Ablenkung. Die Siddhas hingegen erkannten, dass die Welt göttlich ist und dass sich alles in einem Prozess der Evolution befindet.» Der Mythos Babajis kann demnach auch als eine Liebeserklärung an das Leben und den Körper verstanden werden. Einem Körper, der nicht verachtet, nicht gezüchtigt, sondern nur veredelt werden will: zu einem Werkzeug ewiger Freude, zum Auffanggefäss Gottes. Einer Kultur, die Unsterblichkeit nur noch bei den Vampiren der Popkultur kennt, tut dies als Denkanstoss gewiss gut.
Der «echte» Babaji – 1970 gefunden
So schön der Mythos ist, etwas unbefriedigend bleibt es doch, dass man es immer nur mit einem Phantom zu tun hat. Es ist gibt keine Fotos oder Videoaufnahmen des Mahavatars. Oder doch? Gibt man «Babaji» bei «google Bilder» ein, so erhält man überwiegend Fotos von einem jungen Mann, der, abgesehen von aufgemalten Querstrichen auf der Stirn, ziemlich normal aussieht. Es handelt sich um den so genannten Haidakhan Babaji, der angeblich 1970 in einer Höhle im indischen Haidakhan «erschien». Vielen Anhängern galt der Jüngling als Wiedergeburt eines Asketen aus dem frühen 20. Jahrhundert. Sie in beiden Inkarnationen den «wahren Babaji». In den späten 70ern und frühen 80ern strömten Tausende zu seinen Auftritten. Man sagte ihm eine energetische Ausstrahlung und magischer Kräfte nach, z.B. das Gedankenlesen.
«Babajis» überall
Für Kenner von Yoganandas Babaji mag dies irritierend wirken, denn der sieht nicht nur auf den klassischen Porträtzeichnungen ganz anders auch, er musste sich auch nicht reinkarnieren, da er gar nicht erst starb. Von seinen Anhängern abgesehen, wurde der Haidakhan Babaji auch von niemandem als der «echte» anerkannt, schon gar nicht von Yoganandas Self-Realization Fellowship. Das Misstrauen schien gerechtfertigt, da Haidakhan Baba 1984 starb – immerhin ein peinlicher Vorgang für einen Unsterblichen. Wer mit den Wunderkräften der Siddhas vertraut ist, mag hierin aber kein ernstes Glaubenshindernis sehen. Könnte Babaji nicht in mehreren «Ausstrahlungen» oder Verkörperungen zugleich gegenwärtig sein?
Leonard Orr, der berühmteste westliche Schüler des Haidakhan Babaji, hält seinen Meister, des frühen Todes ungeachtet, für niemanden geringeren als Gott selbst. «Babaji ist der ewige Vater in menschlicher Form, der in östlichen Traditionen als Shiva-Yogi bekannt ist, als die ewige Jugend. Man muss verstehen, dass Babaji so viele Körper haben kann, wie er will.» Orr behauptet, Babaji tauche schon in der Bibel als «Engel des Herrn» auf, im Koran als «Khidir» und im Hindu-Glauben als Krishna. Auch für den Widerspruch zwischen dem (sterblichen) Haidkhan Babaji und dem (unsterblichen) Yogananda-Babaji hat Orr eine Erklärung parat: Letzterer sei nicht Babaji selbst, sondern dessen Sohn (im Sinne einer Teilinkarnation). Wem das zu weit geht, der möge sich daran erinnern, dass Christen überall auf der Welt an die Identität des Menschen Jesus mit Gottvater glauben. Trotzdem ist die Quellenlage im Fall Babaji zugegebenermaßen verworren. Der Babaji-Forscher Carter Phipps stieß allein auf zwei lebende Personen, die angaben, Babaji zu sein – nicht zu reden von denen, die ihn «gespürt» haben wollen.
Eine Ahnung von Babajis Segen
Ich lege «Best of Supertramp» in den CD-Spieler und höre das Lied noch mal. «Mein ganzes Leben lang fühlte ich, dass du zuhörst», beginnt es. Ist es mehr als ein hohles Versprechen, wenn Lahiri Mahasaya sagt: «Jeder, den Namen Babajis ehrfürchtig ausspricht, zieht augenblicklich seinen Segen auf sich herab»? Ich habe vor Jahren eine Kriya-Einweihung bei Roy Eugene Davis absolviert und die Technik erlernt. Mit der Erleuchtung hapert es noch ein bisschen. Das liegt aber wohl an meiner mangelnden Konsequenz beim Üben. Bestätigen kann ich, dass sich beim Atmen ein strömendes Gefühl an der Wirbelsäule einstellt, eine starke Energieansammlung im «Dritten Auge», eine Art kribbelndes Lustempfinden bis in die Fingerspitzen, Gedankenstille und – ich kann es nicht anders ausdrücken – das Gefühl, von einer Art Segen berührt zu werden.
Auch wenn das für Skeptiker keine akzeptable Erklärung sein dürfte, ende ich mit einem Wort, das laut Yogananda von Babaji selbst stammt: «Es ist leicht, an etwas zu glauben, was man sieht; jede seelische Suche ist dann überflüssig. Nur diejenigen, die ihren natürlichen Skeptizismus und ihre materialistische Einstellung überwinden, verdienen es, die übernatürliche Wirklichkeit zu schauen.»
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