Sanft werden wir siegen.

(Foto: Danny Owens / deathtostockphoto.com)

Vorab: Es ist wohl eine Illusion zu glauben, dass wir eines Tages in einer vollkommenen äusseren Freiheit leben werden. Nicht beim derzeitigen Bewusstseinszustand der Menschheit.

In kleineren Gruppen kann es gelingen, oder an bestimmten Orten schon eher, und individuell sicherlich. Das kollektive Umfeld aber, in dem wir alle leben, richtet sich nach den Bedürfnissen der Massen, und da wird Freiheit gar nicht angestrebt, höchstens im Bereich «Was kaufe ich mir als nächstes?», oder «Wo verbringe ich meinen nächsten Urlaub?», oder «Welchen Film schauen wir heute Abend?»

Ich aber spreche hier von einer anderen Freiheit, einer Freiheit des Geistes, einer inhaltlichen Freiheit, die unsere schöpferischen Ausdrucksmöglichkeiten betrifft, und natürlich wünschen wir uns auch ein Umfeld, in dem wir unser frei mitteilen können, ohne Zwänge oder Einschränkungen irgendwelcher Art.

Was ist Freiheit?
Freiheit beinhaltet Bewusstsein. Die bewusste Wahrnehmung: Ich bin frei – oder nicht. Ich bin mir also meiner Freiheit bewusst, oder meiner Unfreiheit.

Wenn ich einfach nur irgendwo drinstecke, ohne meinen Zustand zu kennen oder zu hinterfragen, mag er sich vielleicht frei anfühlen – dann ist es gut. Oder unfrei, und ich merke es eventuell garnicht, weil ich es nicht anders kenne, dann scheint soweit auch alles gut.

Wir mögen uns äusserlich frei fühlen, sind aber innerlich gebunden an Glaubenssätze, Zwänge, Bräuche, Erwartungen.

Es geht also auch um das subjektive Gefühl: Wie frei fühle ich mich, das ist entscheidend. Wir mögen uns äusserlich frei fühlen, sind aber innerlich gebunden an Glaubenssätze, Verhaltensmuster, psychologische Zwänge, vererbte Bräuche, an uns gestellte oder eingebildete Erwartungen, und vieles mehr.

Freiheit bedeutet mehr, als sich äusserlich frei bewegen zu können, oder alles tun und sagen zu können was man will – ohne jemand anderen zu schädigen natürlich.

Ist Freiheit nicht letztlich ein innerer Zustand, der auch in äusserer Unfreiheit empfunden werden kann? So wie das manche grosse Menschen in extremen Situationen, wie in grosser Not, im KZ oder Gefängnis erfahren konnten.

Darum geht es. Wie kann ich innerlich frei sein, egal in welcher Umgebung, in welchem System oder Land ich lebe, in welche Strukturen ich eingebunden bin?

Wenn wir diese innere Freiheit erreichen, dann sind wir wirklich unabhängig, frei. Ein hoher Zustand, aber nicht fern oder unerreichbar. Dann können wir effektiv wirken in allem, was wir denken, sprechen, tun. Das könnte unser Ziel sein: Ein innerer freier Zustand, den uns niemand nehmen kann, weil wir frei sind. Auch unser Tun würde das zum Ausdruck bringen.

Üben wir jetzt einmal das Frei-Sein, durch genaue Beobachtung:
Unterscheiden wir wahrgenommene, erscheinende Phänomene vom beobachtenden Bewusstsein.
Ich bin (als Subjekt) nicht gleich dem, was ich wahrnehme (Objekt): mein Körper, meine Sinneseindrücke, Gefühle, Gedanken, meine charakterlichen Eigenschaften, äussere Dinge oder Geschehnisse. Sie alle erscheinen – und vergehen, wie jedes Phänomen im Universum. Alles Erscheinende hat eine vorübergehende, endliche Dauer, von meinem Körper, einer Fliege bis zu den Galaxien.

Das Bewusstsein aber, das alles wahrnimmt, das Bewusstsein, das Ich bin, ist kontinuierlich, mit oder ohne Inhalt (Objekt) – es sei denn wir befinden uns im Tiefschlaf, oder wir sind ohnmächtig. Es ist.
Das Bewusstsein ist also kontinuierlich, nicht den Gegensätzlichkeiten von allem Wahrnehmbaren unterworfen, sondern konstant. Aber es ist eigenschaftslos, denn es ist formlos, hat also weder Form noch Dauer.
Es hat einen Geschmack von Ewigkeit, das heisst es ist jenseits von Zeit, von Dauern. Bewusstsein ist immer im Jetzt präsent.

Beobachten wir ganz genau: Bin ich der Gedanke, der gerade erscheint, oder erscheint der Gedanke in meinem Bewusstsein, das auch vor, während oder nach dem Gedanken gleichermassen da ist?
Genauso: Bin ich das Gefühl? Oder erscheint das Gefühl in meinem Bewusstsein, das auch vor, während oder nach dem Gefühl gleichermassen da ist?
Bin ich der Körper? usw.

Wir werden feststellen, dass immer das Bewusstsein das Grössere, das Umfassendere ist. Und da es nicht gebunden ist durch Form, denn in ihm erscheinen zwar alle Formen, aber das Bewusstsein ist nicht seine Inhalte, ist es formlos, frei.
Reines Bewusstsein ist frei.

Da liegt der Schlüssel zu allem. Zu erkennen: Wer bin ich denn eigentlich? All die Formen der phänomenalen Welt, oder das, was diese Formen und Inhalte wahrnimmt? Oder beides zusammen in Einheit?

Und dann können wir uns fragen: Muss ich mich mit allen erscheinenden Formen (Körper, Gefühle, Gedanken, äussere Welt, Besitz, gesellschaftliche Position) identifizieren, oder kann ich sie einfach wahrnehmen, kann ich in und mit der Formenwelt agieren, fröhlich oder leidend, und dennoch innerlich frei sein, bewusst meiner Nicht-Identifikation, meiner Unabhängigkeit, meines Ungebundenseins, meiner Freiheit, meinem Frei-Sein?

Dieses Erkennen würde uns eine innere Stärke verleihen, die allen möglichen äusseren Einschränkungen widersteht. Ein Selbst-Bewusstsein, das in jedem Moment frei und neu, spontan und inspiriert aus dem Augenblick die richtigen Entscheidungen trifft – oder als Musiker die richtigen Töne :)

Ausblick: Was können wir tun?

An den bestehenden Strukturen und ihren oft absurden Auswirkungen können wir als kleine Künstlergruppe vielleicht wenig ändern. Jeder Widerstand scheint sinnlos, wenngleich ein gewisses aufmüpfiges Verhalten zumindest etwas Salz ins gesellschaftliche Getriebe streut und die Verordner zum Nachdenken zwingt.

Aber was wir tun können, ist, dass wir klangvolle Inseln der Kreativität, des Freude, des Miteinanders, des Respektes usw. leben und immer mehr ins Leben rufen, sichtbar für Andere, ansteckend, vorbildlich.
Dann bekommen sie Mut, fragen nach, fühlen sich angesprochen, sympathisieren mit uns, ahmen uns nach in ihrem Lebensbereich. Wir leben unsere Visionen, manifestieren sie, holen sie ins Jetzt.

Gemeinsame Treffen demonstrieren unseren Lebenswillen, eine Bereitschaft zum Vernetzen, zum Umdenken und Neubeginn, zur Suche nach einem solidarischen Geist der Zukunft. Wir bezeugen einen neuen Geist des Gemeinsamen.

Der globale Bedarf zum Umlernen ist so gross, dass wir es vielleicht gar nicht mehr erleben werden, wie sich die Menschheit wirklich zu einer Menschheitsfamilie fügt, in der sich alle Mitglieder für einander einsetzen und sich gegenseitig stärken und schützen.

Aber wir sind diejenigen, die dies mit vorbereiten. Und unser Denken und Handeln, unsere Musik kann wie ein Leuchtturm weit hinaus strahlen, wie Glocken weithin schallen, damit die Götter und alle es deutlich hören: Es werde Frieden, und es komme Freiheit auf Erden.

Sanft werden wir siegen.

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Markus Stockhausen (*1957), Trompeter und Komponist, ist bekannt als vielseitiger Grenzgänger. 25 Jahre lang konzertierte er mit seinem Vater, dem Komponisten Karlheinz Stockhausen, der viele Werke für ihn schrieb. Als Trompeter konzertiert er international und komponierte u.a. für die zwölf Cellisten der Berliner Philharmoniker, die London Sinfonietta, das Metropole Orkest, die Hamburger Symphoniker u.a.
2005 wurde er mit dem WDR-Jazzpreis als bester Improvisator ausgezeichnet, 2017 mit der «Silbernen Stimmgabel» und dem JTI Jazz Award, 2018 bekam er den Echo Jazz Preis, 2021 den Deutschen Jazzpreis als bester Blechbläser. Er gibt Seminare zum Thema «Intuitive Musik» und seit vielen Jahren «Singen und Stille – Wenn die Seele singt». Sein Interesse gilt der «Transformation durch Klang». Über 90 CD-Veröffentlichungen.
www.markusstockhausen.de

Kommentare

sanft

von renekueng
Schöner Text, danke Herr Stockhausen und Zeitpunkt. Wenn nur schon eine Mehrheit sanft spüren könnte, dass, wo und was unstimmig, nicht so sanft, nicht öffnend für das Leben und Lebendige (auch und gerade die Kreativität) ist. Dann bleibt es weiterhin an den noch zu Wenigen, die Betrügereien, Lügen, Zumutungen und das Zerstörerische energisch, nicht sanft, beim Namen zu nennen. Ist es nun Selbstmitleid, oder Weh mit/für unsere Nachkommen, wenn ich die Ahnung «Der globale Bedarf zum Umlernen ist so gross, dass wir es vielleicht gar nicht mehr erleben werden» als sachliche, harte Realität anerkenne? Oder nehmen wir, auch Herr Stockhausen, uns aus der Verantwortung, das deutlicher, mutiger, unverpackt zu benennen, was uns ganz unsanft frontal angreift? Wo die Balance, das richtige Mass, die Grenze die das eigene Leben nicht erdrückt, liegt, muss und darf jeder Mensch selber finden und entscheiden. Respekt, dass ein bekannter Musiker (und wir kennen ja den Tarif für öffentliche Personen) sich sanft und philosophisch äussert. Aus meiner Sicht können und müssten die privilegierten Generationen dem Leben mehr zurück geben, damit der Weg und die Dauer des Umlernens nicht sehr schmerzhaft lang und sehr, sehr wenig sanft wird. Vielleicht, sehr wahrscheinlich zu viel verlangt von uns, die lange und gern in Saus & Braus gelebt haben.

Antwort auf von renekueng

sanft

von Maja Tschiemer
Lieber renekueng / René Küng ich kann Ihre Ungeduld verstehen, - und "sanft" spüren wir ja all die Betrügereien, Lügen, Zumutungen und all das Zerstörerische beileibe nicht! Aber wenn wir unsere Kraft auch noch dorthin lenken, -und sei es dagegen-, verschwenden wir sie an die falschen Orte. Umlernen kann nur jeder für sich, das kann niemand für andere tun oder erzwingen, also bleibt wohl nicht viel anderes, als klar und deutlich, aber sanft und gewaltlos an dem zu wirken, was wir für zukunftsträchtig und lebenswert halten. Was, wenn einige, wie Markus Stockhausen, es so überzeugend tun, dass sich dadurch ganz viele andere ermutigen lassen und es plötzlich sehr viele werden? Es ist unsere Chance!