Fassungslosigkeit aufseiten des Publikums, das bereits am Vortag mit der Rede von Pentagon-Chef Pete Hegseth an die Grenzen der Belastbarkeit geführt worden war, der unmissverständlich erklärt hatte, dass die Hilfe für die Ukraine nicht mehr vorrangige Sache der amerikanischen Interessen sei. Stattdessen hatte sein Chef, Donald Trump, bereits ein Gespräch mit Putin initiiert, in dem es um einen Friedensplan zwischen Russland und der Ukraine gehen soll.
Kalt erwischt! Was ist aus der wunderbaren Freundschaft zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika, für die man besonders in Deutschland mehr als genug getan hat, um alle ihre Wünsche zu erfüllen und sie fast unterwürfig bei Laune zu halten, geworden?
Man kann nicht behaupten, man habe von alledem nichts gewusst. Donald Trump hatte angekündigt, was er vorhatte und ist jetzt dabei, dies unverzüglich umzusetzen – egal, was man im einzelnen davon halten mag oder nicht. Und Europa spielt bei diesen Vorhaben nur eine untergeordnete Rolle, mal abgesehen von Zahlungen, die es leisten soll und die stark am Haushaltsbudget der einzelnen Länder kratzen. Henry Kissinger, ehemaliger Aussenminister der USA, hat mal auf den Punkt gebracht, was sich jetzt in Europa, in Deutschland bewahrheitet: «Amerika hat keine Freunde, es hat nur Interessen».
Schon wegen der zu erwartenden unterlassenen Hilfeleistung für die Ukraine und einen bevorstehenden Frieden ist Europa, ganz besonders Deutschland, empört. Man muss nur an die politischen Reaktionen denken, mit denen es in den letzten drei Jahren Parteien wie das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), Friedensorganisationen und Menschen, die sich für Diplomatie eingesetzt haben, zu tun hatten: Sie waren durchweg Lumpenpazifisten oder Friedensschwurbler, die von der politischen und medialen Meinungshoheit geächtet wurden.
Und nun kommt mit Donald Trump, Präsident des Musterlands aller westlichen Demokratien, als Putin-Versteher daher und will mit Diplomatie zu Lösungen kommen? Das muss den meisten Politikern strange vorkommen. Zumal sie nicht aufgerufen sind, an diesem Prozess aktiv teilzunehmen. Sie bekommen einen Fragebogen, in dem sie festhalten sollen, inwieweit sie sich mit welchen sicherheitspolitischen Massnahmen NACH einem erfolgten Waffenstillstand/Frieden beteiligen wollen.
Die wertebasierte Welt des Westens ist seit dem Wochenende aus den Fugen geraten. Fest zemtentiere Einstellungen, Meinungen, Grundsätze sind vom Vizepräsidenten der USA in Frage gestellt worden mit seinem flammenden Aufruf, Andersdenkende in den politischen Diskurs mit einzubeziehen, die Meinungsfreiheit ernst zu nehmen. Auch hier ist die Empörung gross, weil die Eruopäische Union fest daran glaubt, die beste Meinungsfreiheit aller Zeiten festgeschrieben zu haben.
In Deutschland schon allein deswegen, weil sie einer der Grundpfeiler des Grundgesetzes ist, dessen 75. Jubiläum vor einigen Wochen gefeiert wurde. Zu Recht: Was die Mütter und Väter des Grundgesetzes 1949 in schmerzlicher Erinnerung an das 1000jährige Reich zu Papier gebracht haben, ist die Grundlage unserer Demokratie. In der Präambel heisst es u.a.:
Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.
Von einer Führungsmacht in Europa, die viele Milliarden Euro aus Steuergeldern ihres Volkes in Form von todbringenden Waffen in ein Kriegsgebiet schickt, ist nicht die Rede. Und auch ein Sondervermögen in Höhe von weiteren 100 Milliarden Euro für die Verteidigung soll nur für den Fall bereit gestellt werden, wenn ein Angriff von aussen unmittelbar bevorsteht. Wenn man dem «Verteidigungs»minister Boris Pistorius zuhört, soll dieser Fall in etwa 5 Jahren eintreten. Dafür muss Deutschland «kriegstüchtig» gemacht werden – ein fürchterlicher Begriff, der anknüpft an die Kriegspropaganda im 2. Weltkrieg: «Kriegstüchtig wie nur je» aus «Das Reich Nr. 28 / 1944». Den Verfassern unseres Grundgesetzes würde spätestens hier angst und bange werden.
In den ersten fünf Artikeln des Grundgesetzes geht es um die Grundrechte: Die Würde des Menschen, die unverletzlichen und unveräusserlichen Menschenrechte als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, dass niemand wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen, seiner Behinderung benachteiligt oder bevorzugt werden darf – unmissverständlich und nicht verhandelbar.
Und es geht natürlich um die Meinungsfreiheit. Die soll bedroht sein? Unsere Demokratie soll Makel haben?
Absurd, sagt die mediale Meinungshoheit der sogenannten Qualitätsmedien, die der Neutralität verpflichtet sind und sich doch mehrheitlich eines immer enger werdenden Meinungskorridors bedient, was ausserhalb dieses Mainstreams als «Cancel Culture» wahrgenommen und kritisiert wird. Dazu bedarf es keiner Zensur vonseiten der Regierungsklasse, denn der Auftrag, diese investigativ zu beobachten und die Ergebnisse der Öffentlichkeit preiszugeben, wird nahezu einheitlich nicht mehr wahrgenommen. Besonders der ÖRR tut sich mit seiner Talkrunden-Zusammensetzung besonders hervor, das Verhältnis ist meist 4:1 + parteiischer Moderation. Die einseitige Berichterstattung über die «Coronakrise» ab 2020 bis zum «Ukrainekrieg» ab 2022 bis heute hat immer mehr Fahrt aufgenommen und lässt keine anderen Ansichten mehr zu. «Sagen, was ist» (journalistischer Grundsatz von Rudolf Augstein, Gründer des SPIEGEL), diese Aufgabe haben jetzt die Alternativmedien übernommen.
Ungeheuerlich, sagt die Politik – und hat doch seit 2022 einiges dafür getan, mithilfe der Medien den Unterschied zwischen «gut» und «böse, «richtigen» und «falschen» Meinungen herauszustellen und einen immer grösser werdenden Teil der Wählerschaft nicht mehr politisch abzubilden. Das schleift den demokratischen Kurs und entspricht nicht den «wertebasierten» Grundsätzen, die Deutschland so gern auf der ganzen Welt verbreiten möchte. Denen entspricht es auch nicht, wenn Medien- und Politgemeinschaft einhellig applaudiert, wenn in einem Land eine demokratische Wahl für ungültig erklärt wird, weil eine «falsche» Partei gewählt wurde, wie zB. kürzlich in Rumänien.
Es ist ein weites Feld, dem sich Mr. Vance in kurzen Worten widmete und sprachlose Fassungslosigkeit auslöste. Die gesamte Führungsriege der amerikanischen Administration macht den Eindruck, als würde sie meinen, was sie sagt. Eines ist sicher: Auf Europa kommt ein Paradigmenwechsel, eine neue Zeitenwende zu, und es wird sich einiges ändern.
Aber wie Kishore Mahbubani, 76, der als Vordenker des »Asiatischen Jahrhunderts« gilt, kürzlich in einem Interview mit einem deutschen Magazin sagte:
Die Welt wird nicht zum Recht des Dschungels zurückkehren, nur weil sich Trump wie Tarzan benimmt. (…) Meine grösste Hoffnung ist allerdings, dass Trump sein Wort hält, wonach er der erste Präsident sein wird, der keine neuen Kriege beginnt. Wenn er nur dieses eine Versprechen einlöst, dann haben wir eine bessere Welt.
Bleiben wir hoffnungsvoll.