Das Terror-Tabu

Der Terror ist allgegenwärtig in den Medien und rechtfertigt inzwischen nicht mehr nur eine immer größer werdende Zahl von Kriegen, sondern auch einen immer weitreichenderen Demokratie- und Grundrechteabbau und beispielsweise die Verwendung von Notstandsgesetzen gegen hunderttausende Protestierende. Er soll schuld an bzw. Grund für alles Mögliche sein. Umso verwunderlicher, dass eine vertiefende Analyse zu den Anschlägen der letzten Zeit und ihren Hintergründen bisher kaum je medial auffindbar war, ja, dass gewisse Fragen offenbar so sehr tabu sind, dass man schnell zum Aussätzigen wird, wenn man sie zu stellen wagt. Der Autor und Publizist Paul Schreyer stellt sie dennoch. Jens Wernicke sprach mit ihm hierzu.

Herr Schreyer, Sie sind seit Langem kritischer Beobachter sowohl der Militarisierung als auch der terroristischen Aktivitäten innerhalb westlicher Gesellschaften. Wie kam es dazu? Woher rührt ihr Engagement?
Ich gehöre zu der Generation, die mit 9/11 politisiert wurde. Als die Flugzeuge ins World Trade Center einschlugen, war ich Mitte Zwanzig und wollte verstehen, was da vor sich ging. Zunächst bloß passiv, als interessierter Leser und Medienkonsument. Das eigene Schreiben begann erst Jahre später. So wie ich es erlebt habe, sind mit dem 11. September 2001 viele Menschen aufgewacht, auch was ein kritisches Bewusstsein den Medien gegenüber angeht.
Jeder, der es sehen wollte, konnte damals erkennen, dass bestimmte Dinge nicht berichtet wurden, dass kritische Fragen und abweichende Sichtweisen unter dem Teppich blieben. Von Anfang an war alles auf eine Story zugeschnitten: Bin Laden und die 19 Räuber. Offene Fragen und Spuren, die in andere Richtungen wiesen, wurden nicht verfolgt.
Dieser Tunnelblick, dieses Weglassen von allem, was nicht zur offiziellen Erzählung passte, das war irritierend. Wenn man mehr wissen wollte, musste man selbst nachforschen. Im Spiegel oder bei ARD und ZDF erfuhr man nur die amtliche Story. Das Misstrauen gegenüber den Leitmedien, das heute überall in der Branche beklagt wird, entstand für viele Menschen, mich eingeschlossen, genau damals, kurz nach dem 11. September.

Können Sie ihren Vorwurf, dass die Medien wichtige Dinge verschweigen, denn belegen?
Vielleicht nur ein Beispiel. Im Oktober 2001 veröffentlichte die indische Schriftstellerin Arundhati Roy im Guardian einen scharfen deutsche Übersetzung. Darin fehlte allerdings ein entscheidender Absatz, in dem es um die dubiose Rolle der milliardenschweren US-Investmentfirma Carlyle ging, welche am Krieg verdiente. Roy hatte die Namen der an diesem Unternehmen beteiligten US-Politiker genannt: Ex-Präsident Bush, Ex-Außenminister Baker, Ex-Verteidigungsminister Carlucci. Diese sehr konkreten und ebenso wichtigen wie zweifelsfrei zutreffenden Informationen waren dem Spiegel offenbar zu heiß. Ohne eine Löschung auch nur kenntlich zu machen, wurde der Passus in der veröffentlichten Übersetzung einfach gestrichen. Als ich damals davon erfuhr, hörte ich auf, den Leitmedien weiter gutgläubig zu vertrauen. Das ist nur ein kleiner Puzzlestein, aber vielleicht ein sehr charakteristischer.
Dieses Weglassen von „Unpassendem“ macht inzwischen immer mehr Schule. Zuletzt wurde das im Ukraine-Konflikt deutlich, aber auch bei der Debatte rund um Griechenland. Eine bestimmte Sichtweise wird breit in den Medien geäußert, die Gegenposition aber fehlt oder sie wird von vornherein als unseriös und irrational abgewertet. Das führt dazu, dass Journalisten oft wie Sprecher der Mächtigen erscheinen und viele Zeitungen – mit den Worten der Kabarettisten der ZDF-Sendung „Die Anstalt“ – als „Lokalausgaben der NATO-Pressestelle“.

Gemeinsam mit Mathias Bröckers haben Sie unlängst ja auch das Buch „Wir sind die Guten. Ansichten eines Putinverstehers oder wie uns Medien manipulieren“ veröffentlicht. Ihre Kritik an den Medien zielt also offenbar nicht auf einen Einzelfall, sondern auf eine, ja, „systemische Manipulation“?
Es gibt eine wirklich beunruhigende Tendenz zur Einseitigkeit und wir müssen fragen, woher das kommt.
Die Position der Leitmedien dazu lautet ungefähr: „Alles Quatsch, wir sind völlig frei in unserem Tun und bekommen keinerlei Vorgaben von oben, also gibt es auch keine Gleichschaltung“. Nun ist es in der Tat sicher nicht so, dass in den Chefredaktionen jeden Morgen jemand anruft, einen „Tagesbefehl“ durchgibt und bestimmt, was geschrieben werden soll und was nicht. So eine Vorstellung ist wirklich Unsinn. Dennoch ist es für jeden halbwegs wachen Geist offenkundig, dass die großen Medien zumindest bei den Hauptthemen wie Ukraine, Griechenland oder eben Terrorismus tatsächlich mehr oder weniger das Gleiche schreiben. Es gibt da kaum noch substanzielle Unterschiede zwischen ARD, ZDF, RTL, FAZ, TAZ, Spiegel, Stern etc. Der Grundtenor bei den einzelnen Themen, vor allem bei außenpolitischen Fragen, ist oft derselbe. Putin ist böse, Varoufakis unseriös, Staatsterror bloß Verschwörungstheorie. Das finden Sie querbeet von Bild bis Süddeutsche.
Aber wie entsteht dieser Gleichklang? Darüber sollte endlich einmal öffentlich diskutiert werden, und zwar nicht bloß in selbstgefälligen Scheindebatten wie dem „uniform?

Was glauben denn Sie?
Ich denke, da spielen mehrere Aspekte eine Rolle. Zunächst mal gibt es ganz schlicht eine bei den Zeitungen. Redaktionen werden zusammengelegt. Das große Verlagshaus DuMont hat zum Beispiel eine Hauptstadtredaktion. Und wenn einer der Redakteure dort eine Story schreibt, dann erscheint die wortgleich in der Frankfurter Rundschau, der Berliner Zeitung, dem Kölner Stadtanzeiger und weiteren Blättern. Das erklärt schon mal einen Teil des Gleichklangs. Dann schreiben sehr viele Journalisten einfach von den Leitmedien ab. Sie schauen, was bringt Spiegel Online zu dem Thema und übernehmen einfach die dortige Perspektive. Das ist wirklich ein Riesenproblem. Man kann es fast täglich beobachten. Kollegen verzichten auf eigenes Nachdenken und schließen sich freiwillig der Masse an.
Wir haben also zum einen wirtschaftlichen Druck durch Rationalisierung und Zusammenlegung, worauf die einzelnen Journalisten wenig Einfluss haben, und zum anderen eine Mischung aus Bequemlichkeit und Opportunismus.
Dann gibt es aber noch einen dritten Faktor, nämlich gezielt gesetzte Anreize und Karriereoptionen im Umfeld von Lobbygruppen. Es scheint mir zum Beispiel absurd, zu behaupten, dass transatlantische Netzwerke keine Rolle in der deutschen Medienlandschaft spielen würden. Sie spielen eine Rolle und auch darüber sollte geredet werden.
In diesen Netzwerken findet zwar keine Gehirnwäsche von Journalisten statt, wir leben ja nicht in Nordkorea, aber es werden dort eben gezielt Medienmacher eingeladen, von denen die Organisatoren wissen, dass sie schon ähnlich ticken. Und wenn diese Leitartikler dann weiterhin das schreiben und sagen, was in den Netzwerken zum guten Ton gehört, und wenn sie das weglassen, was man dort nicht gern hören möchte, dann gibt es auch Belohnungen, wie etwa Einladungen zu exklusiven Konferenzen, Zugang zu einflussreichen Interviewpartnern und Aussicht auf Jobs im Umfeld der Netzwerke.
Wenn solche Prozesse über Jahrzehnte ablaufen, dann entstehen irgendwann genau die Leitmedien, die wir heute haben. Die Pointe dabei ist, dass sich die besagten Medienmacher selbst für völlig integer und unabhängig halten.

Im Online-Magazin Abbau von Grund- und Freiheitsrechten zu forcieren, hingewiesen. Warum ist dieses Thema so wichtig für Sie?
Mit Terror wird Politik gemacht, überall, und eigentlich auch schon immer. Der Abbau von Bürgerrechten ist das eine. Zugleich werden mit Terroranschlägen weiterhin Kriege im Ausland legitimiert, die man sonst kaum durchsetzen könnte. Wir erleben es ja gerade wieder. Kurz nach dem Blutbad in Paris schickt die Bundeswehr Soldaten nach Mali und Tornado-Jets nach Syrien.
Man sollte sich dabei immer wieder klar machen, dass eine Unterscheidung zwischen Terrorismus und Krieg völlig willkürlich ist. Der Krieg ist seinem Wesen nach eine Abfolge von Terrorangriffen. Der „“ ist also zutreffender ein „Terror gegen den Terror“, oder noch zutreffender häufig ein „Terror zur Erlangung von Bodenschätzen“.
Gerade deshalb ist es so wichtig, darauf zu beharren, dass Terroranschläge transparent aufgeklärt werden. Da gibt es große Lücken. Auch das erleben wir gerade wieder. Einen Tag nach den Pariser Anschlägen wurde behauptet, man kenne die Täter und inzwischen fragt kaum noch jemand nach einer detaillierten, sauberen Aufklärung mit Fakten, Indizien, überprüfbaren Beweisen und transparentem Strafprozess. Alles scheint längst geklärt, die Attentäter sind tot oder verschwunden, die Entsendung von Militär als „Antwort“ nur noch Formsache. Dabei sind auch bei diesem Terroranschlag viele Fragen offen.

Vor Kurzem wiesen Sie auf ein interessantes Muster hin, das diesbezüglich in letzter Zeit zu beobachten gewesen sei und von dem der normale Mediennutzer sicher noch nie etwas gehört haben wird….
Jemand, der sich intensiv und über Jahre hinweg mit 9/11 befasst hat, der sieht jeden neuen Anschlag mit sehr kritischen Augen. Man achtet auf Dinge, die anderen vielleicht nicht gleich auffallen.
Ich wurde zum Beispiel hellhörig, als nach den Pariser Anschlägen gemeldet wurde, dass am selben Tag auch eine Notfallübung stattgefunden hätte, deren Szenario dem ähnelte, was nur wenige Stunden später dann real geschah. Ich musste an die Londoner Anschläge von 2005 denken, wo es ebenfalls am gleichen Tag eine Übung mit einem Szenario gegeben hatte, dass dem damaligen Anschlag bis ins Detail glich. Und auch die Luftabwehrübungen am Morgen von 9/11, bei denen eine Flugzeugentführung geprobt wurde, hatte ich in Erinnerung.
Diese Informationen verknüpfte ich zu einem Aftenposten und im amerikanischen Boston Globe – und fügte alles zu einem zweiten Artikel zusammen. Daraufhin gab es erneut hunderte von Kommentaren. Auf Facebook teilten insgesamt gut zehntausend Menschen die beiden Texte. Diese Dimension ist neu. Viele Menschen sind hellwach, möchten sich allseitig informieren und nicht für dumm verkaufen lassen.

Wie meinen Sie das?
Vielen fällt langsam ein bestimmtes Schema auf. Immer, wenn ein großer Anschlag verübt wird, heißt es zuerst, die Sicherheitsbehörden seien vollkommen überrascht worden. Schon 24 Stunden später kennt man dann aber angeblich genau die Täter. Die präsentierte Lösung ist auch immer dieselbe: Noch mehr Krieg im Ausland. Und häufig wurde am Tattag ein ähnliches Szenario geübt. Ein bisschen viel Zufall für manchen Beobachter.

Leute, die auf so etwas hinweisen, werden üblicherweise ja als Verschwörungstheoretiker diffamiert und aus dem Diskurs ausgegrenzt. Irgendwie schafft es eine solche Analyse – egal, wie glaubwürdig, belegt oder fundiert – allerdings kaum je in den breiten Mediendiskurs…
Stimmt, in den großen Medien werden solche Zusammenhänge kaum debattiert, sondern von vornherein als „Unsinn“ ausgesondert. Auch darüber sollte einmal geredet werden.
Die spannende Frage ist für mich, nach welchen Kriterien eigentlich unterschieden wird. Was macht eine Überlegung zu einer „Verschwörungstheorie“? Wer legt das fest und nach welchen Prinzipien? Auf diese Frage bekommt man von denen, die den Begriff benutzen, selten eine klare Antwort. Es ist ein Totschlagargument ohne konsistente und logische Definition.
De facto wird das Etikett immer dann vergeben, wenn es um vermutete geheime Absprachen von Menschen geht, die in der eigenen Gesellschaft – also nicht bei Feinden – hohe Machtpositionen bekleiden. Wer „Verschwörungstheorie“ in abwertendem Sinn sagt, der meint im Grunde: „Bei uns gibt es keine Verschwörungen Mächtiger zum Schaden der Allgemeinheit“.
Auffällig ist, wie pauschal der Begriff verwendet wird. Um das einmal klar zu sagen: Zu 9/11 kursieren ohne Frage viele verrückte und absurde Theorien. Als „Verschwörungstheorien“ gelten aber nicht bloß diese fünf oder vielleicht auch zehn abseitigen Behauptungen, sondern vielmehr alle Interpretationen, die von der amtlichen Story abweichen. Das ist völlig indifferent und vom Denken her im Grunde totalitär. Leider ist das vielen noch immer nicht klar.

Warum sind Fragen zu Terror denn derart Tabu? Auch das spricht ja nicht gerade für Offenheit und Ausgewogenheit unserer Medien, oder irre ich mich?
Es geht ja auch um viel. Das Thema behandelt Macht auf einer sehr hohen Ebene. Dagegen sind die Affären, die uns sonst so beschäftigen, vom VW-Abgasskandal bis zur FIFA-Korruption, eher belanglos. Hier geht es an die Grundlagen der Politik. Jeder, der am heiligen Gral Terrorismus rührt und ihn mit Staatsterrorismus verknüpft, der stellt die Substanz infrage. Darum die ständige Ausgrenzung solcher Debatten. Im Grunde ist das Schweigen zwingend. Wie sollte es denn auch weitergehen, wenn wirklich einmal offen bei Anne Will oder Frank Plasberg über 9/11 oder das Wissen um die Verstrickungen von Geheimdiensten in so manches Attentat geredet werden würde? Was sollte daraus folgen? Da tut sich ein Abgrund auf. Und alle spüren das, auch wenn keiner in den Leitmedien darüber redet. Ich habe das in verschiedenen persönlichen Gesprächen mit Journalisten bemerkt.
Elmar Theveßen etwa, der Terrorexperte vom ZDF, hielt sich zum Thema 9/11 mir gegenüber sehr bedeckt, obwohl er selbst 2011 ein Buch dazu verfasst hatte. Als ich einzelne Punkte mit ihm diskutieren wollte, wurde es schnell still am anderen Ende. Und Jochen Bittner von der ZEIT meinte mir gegenüber, alternative Sichtweisen zu 9/11 wolle man lieber nicht drucken, weil das „die Leser verunsichern“ könne. Das ist kein Scherz. So denken führende Leute in den Redaktionen. Daher bleibt man lieber auf vermeintlich sicherem Boden und redet von „Verschwörungstheorien“. Das ist bequem, weil man sich dann mit den Fakten gar nicht erst auseinanderzusetzen braucht. Außerdem machen es ja alle so und man fällt dann nicht auf. Das ganze Thema ist sehr stark angstbesetzt, so mein Eindruck.

Was wünschen Sie sich diesbezüglich denn – von Medien und der Zivilgesellschaft? Wo lang führte der Ihrer Einschätzung nach richtige Weg hin zu mehr Offenheit und Pluralität in den Medien und bei der öffentlichen Meinungsbildung?
Am Ende geht es um die Frage, wieviel Freiheit in unserer Gesellschaft real existiert. Wie frei sind wir, wenn einige heiße Eisen tabuisiert werden, weil alle Angst vor den Folgen haben?
Das ist ja auch der große Punkt bei der ganzen Snowden-Affäre. Snowden hat gezeigt, was hinter den schönen Worten von der offenen Gesellschaft steht.
Und niemand in Europa hat nun die Souveränität, diesem Mann Asyl zu gewähren. Was sagt uns das eigentlich über unsere Situation heute? Wenn es wirklich eine offene Gesellschaft geben soll, dann muss sie sich beweisen, gerade in solchen Fragen. Wir brauchen mehr Ehrlichkeit und weniger Angst.

Ich bedanke mich für das Gespräch.

Paul Schreyer ist freier Journalist, unter anderem für das Magazin Telepolis. Zu seinem 2013 erschienenen Buch „Faktencheck 9/11“ meinte Dr. Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht: „Gehört zum Besten, was man an kritischen Analysen zu diesem Thema auf dem deutschen Buchmarkt finden kann“. Sein letztes Buch „Wir sind die Guten – Ansichten eines Putinverstehers oder wie uns die Medien manipulieren“ (mit Mathias Bröckers) wurde ein Spiegel-Bestseller.

Dieser Text erschien zuerst auf den "NachDenkSeiten - die kritische Website". Die Verwertung durch uns erfolgt im Rahmen der Creative Commons Lizenz 2.0 Non-Commercial, unter welcher er publiziert wurde.

22. Januar 2016
von: