Der Bundesrat lockert den Grenzwert: bis zehnfache Sendeleistung für 5G

Dabei werden die Rechte von Antennenanwohnern mit Füssen getreten. Weder sie noch die Gemeinden erhalten eine rekursfähige Verfügung. Es reicht die Einreichung eines Formulars bei der kantonalen Behörde. Dies steht im Widerspruch zu einem Bundesgerichtsentscheid, nach dem bei einer Änderung des Einflusses auf die Umwelt eine Baubewilligung nötig ist.

Aus dem Buebetrickli zur Lockerung de Grenzwerts ist nun eine Verordnung geworden, die offensichtlich den Widerstand der Bevölkerung gegen 5G gewaltsam aufbrechen soll. Der Bundesrat übergeht damit zwei Ständerats-Entscheide, die grosse Mehrheit der Bevölkerung sowie die unermüdlichen Warnungen von Ärztinnen und Ärzten.

Er bricht sein früheres Versprechen, die Grenzwerte für Mobilfunk nicht zu lockern. So will er auf illegitime Weise Antennenanwohnern, Gemeinden und Kantonen viele ihrer Rechte entziehen, obwohl Gerichte dies als unzulässig beurteilten.

Der Verein «Schutz vor Strahlung» verurteilt diesen bundesrätlichen Entscheid aufs Schärfste: Er gefährdet die Gesundheit, ist rechtswidrig und sorgt für Wut in weiten Kreisen, ebenso für viele hundert weitere unnötige Gerichtsverfahren.

Seit 2016 versuchen die Mobilfunkbetreiber, die Grenzwerte für Mobilfunkanlagen zu lockern. Diese Grenzwerte gelten in der Wohnung, am Arbeitsplatz und auf dem Spielplatz. Zweimal stimmte der Ständerat gegen eine Lockerung der Grenzwerte, ebenso sprach sich die Bevölkerung gegen eine Lockerung der Grenzwerte für 5G aus: 85% der Befragten stimmten in einer Umfrage im Jahr 2020 dagegen.

Antennen-Anwohner setzen sich mit tausenden Einsprachen zur Wehr. Wo Anlagen bewilligt wurden, hat man versprochen, die voraussichtliche Strahlenbelastung sei der Worst Case. Man verstand, dass die Grenzwerte jederzeit eingehalten werden müssen, so wie es der Bundesrat öffentlich mehrfach versprochen hatte.
Sollte später der vom BAFU empfohlene Korrekturfaktor bei einem Projekt angewendet werden, gingen die bewilligenden Gemeinden davon aus, dass ein neues Baubewilligungsverfahren nötig würde.

Doch plötzlich kommt nun die Kehrtwende: Der Bundesrat greift zu seinem letzten Mittel, um die Einführung von 5G zu beschleunigen. Er hält in der revidierten Verordnung NISV fest, dass adaptive 5G-Antennen bis zu 10 Mal stärker strahlen dürften als die anderen Antennen.

Sie sollen einen sogenannten «Korrekturfaktor» anwenden können, der über die effektive Strahlenbelastung hinwegtäuscht. Damit noch nicht genug: Der Bundesrat will unterbinden, dass irgend jemand dagegen Einsprache erheben kann und schreibt fest, dass weder die Antennen-Anwohner noch die Gemeinde überhaupt etwas von der Verstärkung der Sendeleistung der Antenne erfahren, während die Kantone nur ein geändertes Formular zu akzeptieren haben.

Die Argumentation zugunsten des Korrekturfaktors ist simpel, gleichzeitig aber technisch falsch: Adaptive Antennen würden gesamthaft zu weniger Strahlung als konventionelle Antennen führen, weil sie gezielt strahlen würden. Doch das genaue Gegenteil ist der Fall:

  • Eine adaptive Antenne kann mehrere Beams gleichzeitig mit voller Leistung ausstrahlen, wofür sie ja gebaut ist: Sie heisst MIMO-Antenne, das MO steht für Multiple Output – mehrfachen Output. Gerade die mehrfachen Beams sind ja der Trick bei adaptiven Antennen, um mehr Daten zu übertragen.4
  • Diese Antenne ist dafür da, viel mehr Daten zu übertragen, was wiederum zu mehr Strahlung führt (Rebound-Effekt)
  • Die adaptive Antenne kommt zu den bisherigen Antennen und Frequenzen hinzu.
  • Die adaptive Antenne hat eine viel kleinere Reichweite5 wegen der hohen Frequenz. Deshalb muss sie – allein um das zu kompensieren – bis zu 12 Mal stärker strahlen als bisherige Antennen.
  • Der Beam einer adaptiven Antenne ist nach 100 Metern bereits rund 30 Meter breit und bestrahlt alle Personen hinter, vor und neben dem Nutzer mit.
  • Schliesslich nimmt die Strahlung nur theoretisch gemittelt (das BAFU schreibt «insgesamt»6) ab, und zwar über die Fläche, also über Wald, Wiese, Berge und Siedlungsgebiete gemittelt.

Die Mittelung über 6 Minuten soll gemäss Bundesrat für die Antennenanwohner trotz der enorm hohen Spitzen zu gleich viel Strahlung führen wie bisher. Damit wird jedochdie Gesundheit der Anwohner auf unverantwortliche Art gefährdet.

In ihrem Newsletter vom Januar 2021 hat die beratende Expertengruppe des Bundes BERENIS eine vom BAFU finanzierte Studie veröffentlicht. Die Studienautoren erwarten negative Gesundheitseffekte bereits bei 5 V/m – und zwar bei Menschen mit Vorerkrankungen, bei kleinen Kindern ebenso wie bei alten Individuen.

Mit den adaptiven Antennen sind kontinuierliche Spitzen von bis zu 18 V/m möglich. Der ständige extreme Wechsel der Strahlenbelastung ist für den Körper zudem Stress pur. Wir können dies vergleichen mit unserer Alltagserfahrung: ständige Luftdruckschwankungen verursachen Kopfschmerzen, Temperaturschwankungen belasten das Herz, Blitzlichter schaden dem Auge.

Ginge es nach dem Bundesrat, sollen nun genau die viel schädlicheren und nicht messbaren adaptiven Antennen viel stärker strahlen dürfen als die konstant strahlenden Antennen.

Der Grenzwert ist nur im Durchschnitt eingehalten

 

Indem der Bundesrat definiert, dass die enorme Verstärkung der Antenne keine «Änderung» der Anlage sei, will er jegliches Einsprache- und Informationsrecht aufheben. Die Betreiber sollen, gemäss Bundesrat, ein Formular an den Kanton schicken und von diesem Moment an mit bis zu 10-facher Leistung senden dürfen.

Diese rechtswidrige Verordnung steht in Konflikt mit bisherigen Urteilen: Das Berner Verwaltungsgericht sowie das Zürcher Baurekurs-Gericht hielten bereits fest, dass die Anwendung des Korrekturfaktors eines erneuten Baubewilligungsverfahrens bedarf. Denn die bundesgerichtliche Rechtsprechung ist klar: Ändert sich ein Einfluss auf die Umwelt, ist eine Baubewilligung nötig.

Der Verein Schutz vor Strahlung fordert den Bundesrat auf, die Verordnung unverzüglich zurückzunehmen und anschliessend echte Rechtssicherheit aus Sicht der Anwohner, und nicht aus Sicht der Antennenbetreiber zu schaffen.

Der Verein wird jeden unterstützen, sein Recht auf Information, auf Einsprache und rechtliches Gehör sowie Schutz der Gesundheit nach Möglichkeit durchzusetzen – seien es Antennenanwohner, Gemeinden oder seien es die Kantone.

 

Quelle: Medienmitteilung von «Schutz vor Strahlung». Medienmitteilung «Bundesrat lockert Grenzwert: Bis zehnfache Sendeleistung für 5G»