„Der größte legale Betrug der Geschichte“
Zurzeit wird der Ruf nach einem „starken Staat“ immer lauter. Strengere Gesetze oder zumindest die strengere Einhaltung von Gesetzen erscheinen als probate Mittel zur Regulierung von Verhältnissen, die manche als chaotisch empfinden. Doch wird dabei nicht vergessen, dass Recht und Gesetz noch nie allen gleichermaßen nützlich waren? Wie duldsam der Staat systematischen Verbrechen zugunsten einiger weniger zuschaut, wusste schon Brecht zu sagen: „Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg führen usw. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.“ Man könnte meinen, seit Brechts Zeiten hätte sich da einiges getan. Doch ist dem wirklich so, wenn die Politik im Lande gemeinsam mit den mächtigsten Versicherungskonzernen „den größten legalen Betrug der Geschichte“ wider die eigene Bevölkerung organisiert, wie Holger Balodis dies im Gespräch mit Jens Wernicke kritisiert?
Herr Balodis, vor kurzem erschien Ihr Buch „Garantiert beschissen!“, mit dem Sie den Lebensversicherern vorwerfen, ihre Kunden durch die Bank weg zu „bescheißen“. Von „staatlich gedecktem Betrug“ ist da die Rede. Das ist harter Tobak. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Es ist das Ergebnis harter Fakten, von rund 25 Jahren Recherche. Fürs Fernsehen, für Verbraucherzentralen und für unsere Bücher. Immer wieder haben wir, ich arbeite ja zusammen mit meiner Frau Dagmar Hühne, offen oder verdeckt Daten erhoben.
Natürlich kann man die Ergebnisse auch freundlicher bewerten und von „mies behandeln“ oder „übervorteilen“ reden. Aber wir fanden, dass es an der Zeit ist, es auch mal offen zu benennen, wie es nun mal ist: „Garantiert beschissen!“
Wer genau „bescheißt“ da jetzt wen?
Täter sind jene Versicherer, die seit Jahrzehnten ihren Kunden zunächst Kapitallebensversicherungen und nun das noch schlechtere Nachfolgemodell Privatrente in all seinen Ausprägungen, also Riester-, Rürup- oder Fondsrenten bis hin zu undurchsichtigen Drei-Topf-Hybriden verkaufen. Angeblich um deren Altersversorgung sicherzustellen.
Angeblich?
Wir belegen ja an zahlreichen Beispielen, wer wirklich profitiert. Wenn es tatsächlich um die Altersversorgung der Kunden ginge, dann müssten doch allermindestens zwei Dinge gelten: Erstens sollten die meisten Kunden ihre Verträge bis zum Rentenalter durchhalten können. Und zweitens sollten sie später eine halbwegs ordentliche Rendite bekommen. Beides aber wird grandios verfehlt.
Und Sie unterstellen dabei Vorsatz? Ich würde doch meinen, die Kunden haben sich überschätzt oder schlechte Verträge zu schlechten Konditionen erwischt…
Wenn nur 20 bis 25 Prozent der Kunden die Verträge regulär durchhalten, dann ist doch was faul am System. Und wenn die Mehrheit der Kunden unterm Strich real Geld verliert, wie würden Sie das dann nennen? Mit „Zufall“ oder „Einzelfall“ kann man das nicht mehr abtun.
Die Mehrzahl der Kunden verliert Geld? Wie das denn? Bei Vertragsabschluss werden sie doch beraten, da wird alles ausgerechnet und präsentiert. Und die schönen Tabellen und Grafiken ergeben schwarz auf weiß, dass man Rendite bekommt, die ja der Grund ist, die Police überhaupt in Erwägung zu ziehen…
Die schönen Beispielsrechnungen sind ungefähr so realistisch wie die Abgaswerte von VW. Als Kunde können Sie nicht erkennen, wie viel Geld Ihnen durch die gewaltigen Kosten verloren geht. Und die sehr reale Gefahr einer vorzeitigen Kündigung wird in der Regel gar nicht thematisiert…
Können Sie Ihre Behauptungen denn belegen?
Schauen Sie einfach in die offiziellen Statistiken. Jedes Jahr kündigen einige Millionen Kunden, die meisten erleiden dabei – und das ist unbestritten – ganz erhebliche Verluste. Wir schätzen diese auf insgesamt 10 bis 15 Milliarden Euro. Jedes Jahr!
Aber auch wer brav durchhält, ist noch nicht auf dem Trockenen. Viele Versicherer haben so exorbitante Kosten, dass sie Probleme haben, im Alter von 65 Jahren die zuvor gezahlten Beiträge überhaupt zu gewährleisten. Und selbst wenn eine maßvolle Verzinsung bis zur Rente gelingt, kann es zu Verlusten kommen.
Das Ausmaß hängt bei den heute verkauften privaten Rentenprodukten davon ab, wie alt Sie werden. Erreichen Sie das aktuell durchschnittliche Sterbealter von 78 oder sterben sogar früher, dann endet Ihr Vertrag ganz tief im Minus, jedenfalls für Sie. Erst wenn Sie – abhängig von der Kalkulation der gewählten Versicherung – rund 90 Jahre alt werden, bekommen Sie Ihre Beiträge wieder zurück. Ohne Inflationsausgleich! Eine ordentliche Verzinsung bekommen wohl nur Hundertjährige.
Wie bitte?
Die Verluste für die Kunden sind in diesem System quasi einprogrammiert. Wir konnten das sehr gut in einer Untersuchung für das Wirtschaftsforschungsinstitut DIW belegen. Dort haben wir Privatrenten analysiert und gefragt: Wie lange muss der Kunde einzahlen, bis der Wert der Versicherung garantiert die zuvor gezahlten Beiträge übertrifft? Das Ergebnis war erschütternd: Es dauerte im Schnitt über 20 und auch bei bekannten Versicherungen manchmal über 30 Jahre! So lange sind die Verträge im Minus und es macht der, wer kündigt, garantiert Verlust. Wir nennen das legalen Betrug.
Wie kann sowas denn legal sein?
Nun, die Politik toleriert das seit Jahrzehnten und auch die Gerichte decken die gewaltigen Verluste. Immerhin hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass die Rückkaufswerte, die gezahlt werden, wenn ein Kunde aussteigt, eine Mindesthöhe erreichen müssen. Früher konnte es sogar passieren, dass ein Kunde nach einer Kündigung gar nichts ausgezahlt bekam.
Haben Sie denn ein oder zwei konkrete Beispiele parat?
Unser Buch ist voll von authentischen, belegten Fällen. Von einer alleinerziehenden Mutter, der gleich vier grottenschlechte Kinderrentenversicherungen aufgeschwatzt wurden. Von einem Unternehmer, der zur Absicherung eines Kredites eine Lebensversicherung abschließen musste und dadurch gut 500.000 Euro verlor.
Für Sie sind also allein die bösen Versicherungen die Täter. Was aber ist mit Finanzkrise und Niedrigzins? Hört man auf Allianz und Co., so ist die Politik mit der verordneten Niedrigzinspolitik der Totengräber der Altersversorgung.
Da werfen Allianz und Co. erfolgreich Nebelkerzen. Es ist nachweisbar, dass die Versicherer für das Geld ihrer Kunden seit vielen Jahren im Schnitt vier bis fünf Prozent Zinsen kassieren, doch bei den Kunden kommt davon nur wenig an.
Stattdessen verstecken die Versicherungen viele Milliarden Euro in dubiosen Reservetöpfen. Ob ein Kunde davon jemals auch nur einen Cent bekommen wird, steht in den Sternen.
Und die Politik?
Die Bundesregierung segnet diese Verschiebung der Kundengelder offiziell ab. Zum Beispiel mit dem Lebensversicherungsreformgesetz oder der Vorgabe einer Zinszusatzreserve, in der bis zum Jahr 2024 voraussichtlich 100 Milliarden Euro den heutigen Kunden vorenthalten werden.
Unglaublich! Aber wenn das alles nachweisbar ist: Wieso um alles in der Welt geht dann kein Aufschrei durchs Land?
Gute Frage. Ich denke, das liegt vor allem an zwei Faktoren. Erstens sind wir alle geprägt durch eine jahrzehntelange Gehirnwäsche. Versicherer, einige Wissenschaftler und führende Politiker haben uns eingehämmert: Wir alle müssen privat vorsorgen, am besten und sichersten mit einer privaten Rentenversicherung. Dass die uns nun nach Strich und Faden betuppt, das will man in dieser Klarheit einfach nicht glauben.
Und zweitens befinden wir uns in einer psychologischen Falle. Nahezu jeder hat bereits einen solchen Vertrag abgeschlossen. Jetzt der Wahrheit ins Auge zu sehen, fällt schwer. Da ist es vermeintlich leichter, den Missstand zu ignorieren. Selbst wer ahnt, dass er reingefallen ist, neigt dazu, sich die Sache schön zu reden, zu hoffen, dass ausgerechnet er von seinem Versicherer ordentlich behandelt wird.
Aber Kritik an der Lebensversicherung gibt es doch durchaus!
Aber nur in engen Grenzen. Sie können schreiben, dass die Gewinnbeteiligung erneut sinkt, dass die Ablaufsummen deutlich unter den Prognosewerten liegen und dass die Kosten noch immer zu hoch sind. Wenn Sie aber, wie wir es tun, ernsthaft belegen, dass Altersvorsorge mit Privatrenten eine systematische Enteignung der Sparer bedeutet, hört der Spaß auf. Nur drei deutsche Tageszeitungen waren bereit, „Garantiert beschissen!“ zu rezensieren.
Über die Gründe für diese Zurückhaltung kann man nur spekulieren. Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass der Versicherungsverband GDV einen starken Einfluss auf die Presse hat und mit seinem sogenannten Newsroom für viele Redaktionen die Themen setzt und den Tenor bestimmt.
Was also tun? Was raten Sie all jenen, die diese Zustände nicht länger hinzunehmen bereit sind? Und was den Versicherten, die ob Ihrer Argumente nun verunsichert sind?
Wir plädieren ganz stark für den Ausbau der umlagefinanzierten staatlichen Rente mit deutlich mehr Solidarelementen als bisher. Leider gibt es hierfür bei den im Bundestag vertretenen Parteien außer der Linken derzeit wenig Bereitschaft, obwohl das der großen Mehrheit der Bevölkerung nutzen würde. Hier muss also aus der Gesellschaft heraus viel mehr Druck erzeugt werden.
Was der Einzelne mit einem bestehenden privaten Vertrag machen kann oder wie sich auch ohne Versicherungskonzerne eine zusätzliche Altersvorsorge aufbauen lässt, dazu schreiben wir eine ganze Menge im Schlusskapitel unseres Buches. Nur so viel: Jeder Einzelne kann das mindestens so gut wie die Versicherer!
Noch ein letztes Wort?
Ich würde mir wünschen, dass wir den Irrweg der Privatisierung in der Altersvorsorge so schnell wie möglich verlassen und zu einer solidarischen Rente zurückkehren. Denn nur dann können wir die drohende Altersverarmung noch verhindern.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Holger Balodis, Jahrgang 1960, berichtete zusammen mit Dagmar Hühne 25 Jahre lang als Fachautor für die ARD-Magazine „Monitor“, „Plusminus“ und „Ratgeber Recht“. Er ist ausgewiesener Experte auf den Gebieten Altersvorsorge, Versicherungen und Finanzen. Im Jahr 2012 veröffentlichte er den Spiegel-Bestseller „Die Vorsorgelüge“. 2014 folgte für das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die Untersuchung „Privatrenten als (un)geeignetes Instrument der Altersvorsorge“. Das aktuelle Buch „Garantiert beschissen!“ erschien 2015 im Westend Verlag.
Es ist das Ergebnis harter Fakten, von rund 25 Jahren Recherche. Fürs Fernsehen, für Verbraucherzentralen und für unsere Bücher. Immer wieder haben wir, ich arbeite ja zusammen mit meiner Frau Dagmar Hühne, offen oder verdeckt Daten erhoben.
Natürlich kann man die Ergebnisse auch freundlicher bewerten und von „mies behandeln“ oder „übervorteilen“ reden. Aber wir fanden, dass es an der Zeit ist, es auch mal offen zu benennen, wie es nun mal ist: „Garantiert beschissen!“
Wer genau „bescheißt“ da jetzt wen?
Täter sind jene Versicherer, die seit Jahrzehnten ihren Kunden zunächst Kapitallebensversicherungen und nun das noch schlechtere Nachfolgemodell Privatrente in all seinen Ausprägungen, also Riester-, Rürup- oder Fondsrenten bis hin zu undurchsichtigen Drei-Topf-Hybriden verkaufen. Angeblich um deren Altersversorgung sicherzustellen.
Angeblich?
Wir belegen ja an zahlreichen Beispielen, wer wirklich profitiert. Wenn es tatsächlich um die Altersversorgung der Kunden ginge, dann müssten doch allermindestens zwei Dinge gelten: Erstens sollten die meisten Kunden ihre Verträge bis zum Rentenalter durchhalten können. Und zweitens sollten sie später eine halbwegs ordentliche Rendite bekommen. Beides aber wird grandios verfehlt.
Und Sie unterstellen dabei Vorsatz? Ich würde doch meinen, die Kunden haben sich überschätzt oder schlechte Verträge zu schlechten Konditionen erwischt…
Wenn nur 20 bis 25 Prozent der Kunden die Verträge regulär durchhalten, dann ist doch was faul am System. Und wenn die Mehrheit der Kunden unterm Strich real Geld verliert, wie würden Sie das dann nennen? Mit „Zufall“ oder „Einzelfall“ kann man das nicht mehr abtun.
Die Mehrzahl der Kunden verliert Geld? Wie das denn? Bei Vertragsabschluss werden sie doch beraten, da wird alles ausgerechnet und präsentiert. Und die schönen Tabellen und Grafiken ergeben schwarz auf weiß, dass man Rendite bekommt, die ja der Grund ist, die Police überhaupt in Erwägung zu ziehen…
Die schönen Beispielsrechnungen sind ungefähr so realistisch wie die Abgaswerte von VW. Als Kunde können Sie nicht erkennen, wie viel Geld Ihnen durch die gewaltigen Kosten verloren geht. Und die sehr reale Gefahr einer vorzeitigen Kündigung wird in der Regel gar nicht thematisiert…
Können Sie Ihre Behauptungen denn belegen?
Schauen Sie einfach in die offiziellen Statistiken. Jedes Jahr kündigen einige Millionen Kunden, die meisten erleiden dabei – und das ist unbestritten – ganz erhebliche Verluste. Wir schätzen diese auf insgesamt 10 bis 15 Milliarden Euro. Jedes Jahr!
Aber auch wer brav durchhält, ist noch nicht auf dem Trockenen. Viele Versicherer haben so exorbitante Kosten, dass sie Probleme haben, im Alter von 65 Jahren die zuvor gezahlten Beiträge überhaupt zu gewährleisten. Und selbst wenn eine maßvolle Verzinsung bis zur Rente gelingt, kann es zu Verlusten kommen.
Das Ausmaß hängt bei den heute verkauften privaten Rentenprodukten davon ab, wie alt Sie werden. Erreichen Sie das aktuell durchschnittliche Sterbealter von 78 oder sterben sogar früher, dann endet Ihr Vertrag ganz tief im Minus, jedenfalls für Sie. Erst wenn Sie – abhängig von der Kalkulation der gewählten Versicherung – rund 90 Jahre alt werden, bekommen Sie Ihre Beiträge wieder zurück. Ohne Inflationsausgleich! Eine ordentliche Verzinsung bekommen wohl nur Hundertjährige.
Wie bitte?
Die Verluste für die Kunden sind in diesem System quasi einprogrammiert. Wir konnten das sehr gut in einer Untersuchung für das Wirtschaftsforschungsinstitut DIW belegen. Dort haben wir Privatrenten analysiert und gefragt: Wie lange muss der Kunde einzahlen, bis der Wert der Versicherung garantiert die zuvor gezahlten Beiträge übertrifft? Das Ergebnis war erschütternd: Es dauerte im Schnitt über 20 und auch bei bekannten Versicherungen manchmal über 30 Jahre! So lange sind die Verträge im Minus und es macht der, wer kündigt, garantiert Verlust. Wir nennen das legalen Betrug.
Wie kann sowas denn legal sein?
Nun, die Politik toleriert das seit Jahrzehnten und auch die Gerichte decken die gewaltigen Verluste. Immerhin hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass die Rückkaufswerte, die gezahlt werden, wenn ein Kunde aussteigt, eine Mindesthöhe erreichen müssen. Früher konnte es sogar passieren, dass ein Kunde nach einer Kündigung gar nichts ausgezahlt bekam.
Haben Sie denn ein oder zwei konkrete Beispiele parat?
Unser Buch ist voll von authentischen, belegten Fällen. Von einer alleinerziehenden Mutter, der gleich vier grottenschlechte Kinderrentenversicherungen aufgeschwatzt wurden. Von einem Unternehmer, der zur Absicherung eines Kredites eine Lebensversicherung abschließen musste und dadurch gut 500.000 Euro verlor.
Für Sie sind also allein die bösen Versicherungen die Täter. Was aber ist mit Finanzkrise und Niedrigzins? Hört man auf Allianz und Co., so ist die Politik mit der verordneten Niedrigzinspolitik der Totengräber der Altersversorgung.
Da werfen Allianz und Co. erfolgreich Nebelkerzen. Es ist nachweisbar, dass die Versicherer für das Geld ihrer Kunden seit vielen Jahren im Schnitt vier bis fünf Prozent Zinsen kassieren, doch bei den Kunden kommt davon nur wenig an.
Stattdessen verstecken die Versicherungen viele Milliarden Euro in dubiosen Reservetöpfen. Ob ein Kunde davon jemals auch nur einen Cent bekommen wird, steht in den Sternen.
Und die Politik?
Die Bundesregierung segnet diese Verschiebung der Kundengelder offiziell ab. Zum Beispiel mit dem Lebensversicherungsreformgesetz oder der Vorgabe einer Zinszusatzreserve, in der bis zum Jahr 2024 voraussichtlich 100 Milliarden Euro den heutigen Kunden vorenthalten werden.
Unglaublich! Aber wenn das alles nachweisbar ist: Wieso um alles in der Welt geht dann kein Aufschrei durchs Land?
Gute Frage. Ich denke, das liegt vor allem an zwei Faktoren. Erstens sind wir alle geprägt durch eine jahrzehntelange Gehirnwäsche. Versicherer, einige Wissenschaftler und führende Politiker haben uns eingehämmert: Wir alle müssen privat vorsorgen, am besten und sichersten mit einer privaten Rentenversicherung. Dass die uns nun nach Strich und Faden betuppt, das will man in dieser Klarheit einfach nicht glauben.
Und zweitens befinden wir uns in einer psychologischen Falle. Nahezu jeder hat bereits einen solchen Vertrag abgeschlossen. Jetzt der Wahrheit ins Auge zu sehen, fällt schwer. Da ist es vermeintlich leichter, den Missstand zu ignorieren. Selbst wer ahnt, dass er reingefallen ist, neigt dazu, sich die Sache schön zu reden, zu hoffen, dass ausgerechnet er von seinem Versicherer ordentlich behandelt wird.
Aber Kritik an der Lebensversicherung gibt es doch durchaus!
Aber nur in engen Grenzen. Sie können schreiben, dass die Gewinnbeteiligung erneut sinkt, dass die Ablaufsummen deutlich unter den Prognosewerten liegen und dass die Kosten noch immer zu hoch sind. Wenn Sie aber, wie wir es tun, ernsthaft belegen, dass Altersvorsorge mit Privatrenten eine systematische Enteignung der Sparer bedeutet, hört der Spaß auf. Nur drei deutsche Tageszeitungen waren bereit, „Garantiert beschissen!“ zu rezensieren.
Über die Gründe für diese Zurückhaltung kann man nur spekulieren. Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass der Versicherungsverband GDV einen starken Einfluss auf die Presse hat und mit seinem sogenannten Newsroom für viele Redaktionen die Themen setzt und den Tenor bestimmt.
Was also tun? Was raten Sie all jenen, die diese Zustände nicht länger hinzunehmen bereit sind? Und was den Versicherten, die ob Ihrer Argumente nun verunsichert sind?
Wir plädieren ganz stark für den Ausbau der umlagefinanzierten staatlichen Rente mit deutlich mehr Solidarelementen als bisher. Leider gibt es hierfür bei den im Bundestag vertretenen Parteien außer der Linken derzeit wenig Bereitschaft, obwohl das der großen Mehrheit der Bevölkerung nutzen würde. Hier muss also aus der Gesellschaft heraus viel mehr Druck erzeugt werden.
Was der Einzelne mit einem bestehenden privaten Vertrag machen kann oder wie sich auch ohne Versicherungskonzerne eine zusätzliche Altersvorsorge aufbauen lässt, dazu schreiben wir eine ganze Menge im Schlusskapitel unseres Buches. Nur so viel: Jeder Einzelne kann das mindestens so gut wie die Versicherer!
Noch ein letztes Wort?
Ich würde mir wünschen, dass wir den Irrweg der Privatisierung in der Altersvorsorge so schnell wie möglich verlassen und zu einer solidarischen Rente zurückkehren. Denn nur dann können wir die drohende Altersverarmung noch verhindern.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Holger Balodis, Jahrgang 1960, berichtete zusammen mit Dagmar Hühne 25 Jahre lang als Fachautor für die ARD-Magazine „Monitor“, „Plusminus“ und „Ratgeber Recht“. Er ist ausgewiesener Experte auf den Gebieten Altersvorsorge, Versicherungen und Finanzen. Im Jahr 2012 veröffentlichte er den Spiegel-Bestseller „Die Vorsorgelüge“. 2014 folgte für das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die Untersuchung „Privatrenten als (un)geeignetes Instrument der Altersvorsorge“. Das aktuelle Buch „Garantiert beschissen!“ erschien 2015 im Westend Verlag.
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25. Februar 2016
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