Der letzte seiner Art

Meine Recherchen zu Walter Rys, dem möglicherweise letzten echten Hausierer der Schweiz, verliefen sich im Leeren. «Einisch isch jo de s’letzscht Mol woni chume», sagte Rys im Gespräch mit dem Schweizer Fernsehen, das sich 2006 seiner Geschichte annahm. In diesem Punkt wird er nun recht behalten haben. Fast vierzig Jahre war Rys mit seinem Handwagen im Aargau unterwegs. Hemli, Socken, Nastücher und lange Unterhosen stapelten sich in Netzsäcken in seinem Wagen, den er zu Fuss von Hof zu Hof zog. Angefangen hatte alles in den Achzigern, als Rys senior den damals 47 Jahre alten Walter in die Lehre nahm: Ein strenger Chef, der das Portemonnaie nie aus der Hand gab. Mehr als einmal bot die Wohngemeinde Walliswil Walter eine andere Arbeit an. «Walter», fragten sie ihn, «willst du nicht die Post austragen?» Aber Walter wusste, dass der Vater ihn brauchte.
Nach seinem Tod übernahm er das Geschäft – gab denen, die es gut meinten mit ihm, Rätsel auf. Vielleicht auch sich selbst: «Zahlen konnte man, essen konnte man, aber wenn man dann auch noch hätte heiraten wollen ...» Walter blieb zeitlebens ledig, die Frauen aber kannte er ganz genau. Vielleicht hat er gerade deshalb sein Sortiment nie gewechselt. Ihnen etwas aufzuschwatzen, das hatte Walter nie nötig. Wohin er kam, gingen Fenster und Türen vor ihm auf. So auch im Altersheim «Jurablick» in Niederbipp, wo zuletzt viele seiner Kunden lebten. Ein kleines Fest, wenn wieder der Handwagen über den Hof rumpelte und Walter endlich mit den karierten Nastüchern kam.

Weitere Geschichten und Aufsätze zum Thema im Schwerpunktheft «Lebensreisen», erscheint am 25. Juni.
24. Juni 2012
von: