Der Philosoph des Schenkens

Der Künstler Peter Frank betreibt in Weilheim/Oberbayern eine «Freie Küche», in der er umsonst oder gegen Spenden Mittagessen kocht.

An jedem Werktag kommt Uwe* in die Cantina, Peter Franks Miniatur-Restaurant am Stadtplatz. Uwe lässt sich eine gute Mahlzeit serviere, plaudert mit den anderen Gästen, steht auf und geht. Lange half er nie beim Abwasch, bezahlte keinen Cent – und dies seit es die Freie Küche gab (Dezember 2011). Wie denkt Peter Frank über seinen unkooperativen Dauergast? «Ich bin ihm dankbar», sagt er. «Durch Uwe habe ich Erkenntnisse über die wahre Natur des Lebens gewonnen. Da ist jemand immer da und nimmt das Angebot in Anspruch. Er ermöglicht mir zu tun, was ich tun will: Kochen und Gastgeber sein.»

Die Cantina ist nur ein Raum, nicht grösser als ein Wohnzimmer. Eine Küchennische und ein langer Tisch, an dem sich ein paar Gäste versammeln. Ausser Uwe sind auch Georgi da, eine Frau mit ungarischen Wurzeln, und Ulrich, ein seriös wirkender Anwalt mit Interesse an Spiritualität. Sofort ist man im Gespräch, und Georgi bietet an, für uns Altkleider zum Second Hand-Shop zu bringen. Solche Vernetzungsversuche liegen durchaus in Peter Franks Absicht. Er möchte Menschen zusammenbringen, an der Erschaffung einer Kultur mitwirken, die auf Wertschätzung und Freigebigkeit fusst. Die Anonymität professioneller Restaurants hat in der Cantina nichts zu suchen. Die meisten werfen eine kleine Spende in das Riesensparschwein am Eingang: jeder, so viel er kann.


Achtsamkeit, ja Stille gehören zu den Idealen dieses Platzes, wie ein Flyer auf dem Tisch verrät. Lebhafte Gespräche und Stille sind für Peter kein Widerspruch. «Stille ist nicht einfach die Abwesenheit von Worten, sondern eine innere Verfassung: Weite. Stille kann auch da sein, wenn jemand spricht.» Die meisten Gäste fand Peter Frank bisher im Kreis der Gleichgesinnten. Nur wenige sind in einer sozialen Notlage, so dass sie froh sind, ihr Essen umsonst zu bekommen. «Es gibt schon viele von uns», sagt der Küchenchef. «Wir müssen uns nur besser kennen lernen und zusammen arbeiten». Wen meint Peter mit «uns»? «Selbstermächtigte Menschen, die wissen, dass sie selbst Schöpfer sind, um eine Kultur der Liebe und des Friedens zu etablieren.»
Peters Ideale erscheinen hoch fliegend, entscheidend ist aber, dass er sie mit Leben füllt: Tag für Tag. «Die meisten fragen zuerst: ‚Wie kannst du dir das überhaupt leisten?’ Kaum einer sagt: ‚Wie schön, dass du das machst!’ Ich bin emotional fast verhungert.» Für Peter ein Zeichen dafür, wie stark wir in Kriterien von Leistung und Gegenleistung denken. Tatsächlich ist Peters «Konzept» vor allem ein unerschütterliches Vertrauen in das Leben. Seine Räume mitten im Stadtzentrum wurden ihm vom Vermieter umsonst überlassen. Peter ist von Haus aus Künstler, er gestaltete Steinskulpturen in der Landschaft. Ausserdem beschäftigt er sich mit Geomantie, gibt Seminare. Ein Kunstwerk ist für ihn aber auch die Cantina: «Menschen als Teil einer lebendigen Skulptur».


Bedingungsloses Schenken ist seine Grundidee. Die herkömmliche Ökonomie beruht auf dem Prinzip: «Ich muss mich verkaufen, dafür kann ich mir etwas kaufen.» Dabei werden wir von Kindsbeinen an reich beschenkt: Zuerst von unseren Eltern und von der Natur, die uns Wasser, Luft, Boden und reichlich Früchte spendet. «Wenn es aber um Umweltschutz geht, darum, der Natur auch mal was zurückzugeben, heisst es: Dafür ist kein Geld da», kritisiert Peter. Selbst Regionalgeld und Tauschkreise gehen dem Visionär nicht weit genug. «Da schwingt noch etwas Bedingtes mit: Gibst du mir was, gebe ich dir was.» Die Grundlage einer neuen Zeit muss eine andere sein: «Unsere Frage sollte nicht sein: Kann ich es mir leisten?, sondern: Wie ist es schön?» Wie erhalten meine Arbeit und ihre Ergebnisse ihre höchste und vollendete Form?

Peters Traum wäre ein Netzwerk von Projekten, die auf dem Schenken basieren und sich gegenseitig tragen, so dass Geld zunehmend überflüssig wird. Solange dies nicht Realität ist, steht Peter Frank, der Philosoph des Schenkens, fast allein auf weiter Flur. Dauergast Uwe wird gewiss wiederkommen. Und auch ich werde wiederkommen, zumal Kürbissuppe und Mangoreis bestens gemundet haben. Verdauen muss ich auch erst einmal Peters Ideen. Sie wirken ansteckend – wie Zündfunken einer neuen Zeit.

* Name geändert


Peter Frank , Cantina – die freie Küche, Rathausplatz 15, 82362 Weilheim
Tel. 0881 92779900, www.neue-raeume.com

 

Peter Frank über «Freie Orte»:
Menschen sind Hüter von Orten auf Zeit. Jeder Ort ist ein Erdteil, den wir von der Erde geliehen haben und wir tragen die Verantwortung für seine Entwicklung. Sein an einem freien Ort ist Übernahme der Verantwortung für das Wohlergehen aller damit verbundenen Wesen in Respekt der eigenen Person.
14. April 2012
von: