Der politische Filz
Während Lobbyisten im deutschen Bundestag ein- und ausgehen und das Parlament sich trotz gerichtlicher Verpflichtung hierzu dennoch weigert, deren Namen öffentlich zu machen, werden Whistleblower, die verbrecherische, klandestine Praxen der Mächtigen öffentlich machen, als Staatsfeinde verfolgt. Die Verstrickungen zwischen Macht und Politik scheinen – ebenso wie die von diesen Kreisen ausgehende Manipulation – allgegenwärtig und umfassend zu sein. Aber geht es eigentlich nur um „die Lobbyisten im Bundestag“, „den VW-Skandal“, diese oder jene mächtige Stiftung? Geht es nicht, meint Werner Rügemer, der in seinem Buch „Colonia Corrupta“ anhand der „Korruptionshauptstadt Köln“ die Alltäglichkeit deutschen Filzes und deutscher Korruption ans Licht der Öffentlichkeit bringt. Jens Wernicke sprach mit ihm.
Herr Rügemer, in Ihrem Buch „Colonia Corrupta“, das soeben in 8. Auflage erschienen ist, thematisieren Sie exemplarisch den politischen Klüngel nebst all seinen Machenschaften und Korruption. Wie darf man sich das vorstellen: eine korrupte Politik?
Korruption kommt von lateinisch corrumpere, brechen. Korruption bedeutet die Brechung des politischen Willens der Mehrheit der Bevölkerung oder gewählter Volksvertreter. Auch Verwaltungsbeamte, die im Auftrag gewählter Volksvertreter oder eines gewählten Bürgermeisters handeln, können korrumpiert werden. Korrupteure sind vor allem mächtige Leute, die über Macht und/oder Geld verfügen und sich auf heimliche und rechtswidrige Weise Vorteile verschaffen wollen. Da geht es, das ist der bekannteste Fall, um Bau- und Rüstungsaufträge oder um Aufträge anderer Art, zum Beispiel Dienstleistungs- und Mietverträge, und zwar zum Schaden der Stadt, des Staates. Korruption zwischen Unternehmern und Managern gibt es natürlich auch, aber das lassen wir hier außer Betracht.
Im Buch „Colonia Corrupta“ habe ich mehrere größere Korruptionsvorgänge beschrieben – und zwar zunächst auf der kommunalen Ebene am Beispiel der Stadt Köln. Etwa hat der Anlagenbaukonzern Steinmüller den Geschäftsführer der Kölner städtischen Abfallgesellschaft, den SPD-Fraktionsgeschäftsführer und andere insgesamt mit Millionenbeträgen bestochen, damit sein Angebot zum Bau eines neuen Müllofens bevorzugt wird. Der Baukonzern Holzmann lud den Oberstadtdirektor auf schöne Reisen ein, um den Auftrag für eine neue Veranstaltungshalle zu bekommen. Die Bank Oppenheim stellte dem Oberstadtdirektor einen hochdotierten Posten in Aussicht, wenn er den Auftrag für eine Veranstaltungshalle und für das neue Rathaus an eine Banktochter durchdrückt, mit einem für die Stadt höchst ungünstigen 30-Jahres-Mietvertrag. Und die US-Bank First Union zahlte offiziell eine zweistellige Millionensumme, damit die Stadt ihre Kanalisation verkauft, ein rechtswidriges Geschäft, dessen Risiken gegenüber den Ratsmitgliedern und der Öffentlichkeit verheimlicht wurden. Mit dabei sind bei solchen Geschehnissen in aller Regel auch ein ganzer Schwarm von Anwälten, Wirtschaftsprüfern und anderen Beratern, die sich auch gut entlohnen lassen.
Ich habe dargestellt, wie sich der frühere Oberbürgermeister Konrad Adenauer Sympathien durch Zahlungen aus einer schwarzen Kasse verschafft hat. Aber auch das Verschweigen oder die öffentliche Beschönigung von Korruption kann dazu beitragen, den politischen Willen in einer Stadt zu brechen – das habe ich am Kölner Erzbischof Kardinal Meisner ebenso dargestellt wie am regionalen Medienkonzern DuMont Schauberg, der den „Kölner Stadt-Anzeiger“ herausgibt.
Das Ganze ist eingebettet in ein Milieu, das sich gegenseitig bestätigt und wo die meisten sicherlich gar nichts von korruptiven Vorgängen wissen. Dazu gehören die Industrie- und Handels- sowie die Handwerkskammer, Unternehmerverbände, Rotary- und Lionsclubs, das Spitzenpersonal aus Parteien und Verwaltung. In jeder Stadt kommen ein paar Besonderheiten dazu, in Köln sind das etwa die großen Karnevalsvereine, die Managern und Unternehmern offenstehen, oder etwa auch der Dombauverein. Und ich habe die Justiz geschildert, die sich sehr schwer tut, gegen Prominente vorzugehen, wenn die noch in Amt und Würden sind. Abgehalfterte Banker wie die Oppenheims – die nimmt man sich dagegen schon mal ausgiebig vor, um das Publikum zu unterhalten. Und auf jeden Fall aber, und das ist von immenser Wichtigkeit, gehört zu diesem Milieu das jeweilige lokale und regionale Medienmonopol.
Jetzt haben Sie mich aber neugierig gemacht. Sie haben dem Medienkonzern DuMont Schauberg Korruption vorgeworfen? Und das „regionale Medienmonopol“ ist Ihrer Einschätzung nach stets fester Bestandteil korruptiver Klüngel? Führen Sie das doch bitte ein wenig aus.
Man darf korruptive Beziehungen heute nicht als Kauf mit Bargeld gleichsetzen. In meinem Buch habe ich die offenen und nicht so offenen Verbindungen des Verlages und des Verlegers etwa mit der IHK, der alteingesessenen Bank Sal. Oppenheim, mit dem städtischen Museums- und Kulturbetrieb dargestellt. Wegen dieser wurden durch Verlagsmedien sozial- und haushaltsschädliche Praktiken eben nicht angemessen thematisiert, etwa in Bezug auf den Energiekonzern RWE, die Baukonzerne Hochtief und Bilfinger Berger.
Die Käuflichkeit eines ehemaligen Oberstadtdirektors gehört dazu, die Komplizenschaft der Kommunalaufsicht, die einseitige publizistische Förderung der FDP. Und auch die exzessive Selbstdarstellung des eigenen Milieus und dessen Vorzeigefiguren manipulieren die Wirklichkeit.
Die Aktivitäten von Gewerkschaften, Bürgerinitiativen und von allem, was als links oder kritisch beurteilt wird, werden ausgeblendet. Deren Veranstaltungen kommen so gut wie nicht vor. Arbeitswelt? Fehlanzeige! – während allerdings etwa jeder sexistische Furz des Erzbischofs umfänglich kommentiert wird.
Man muss allerdings hinzufügen, dass die vielen großen Medien, die in Köln ihren Sitz haben, sich nicht anders verhalten, so etwa der WDR mit seinen braven Lokalsendungen in Köln wie in vielen anderen Städten in Nordrhein-Westfalen.
Und können Sie sagen, woher es kommt, dass derlei Filz und Korruption in unseren Städten medial so wenig Beachtung finden?
Die überregionalen Medien in Deutschland beschäftigen sich immer wieder mit ausgewählten Formen des Filzes und der Korruption auf Bundesebene. Da waren zum Beispiel der Flick-Skandal, Kohls schwarze Kassen, die Spende eines Waffenhändlers an den damaligen CDU-Vorsitzenden Schäuble, Bundespräsident Wulff und Ex-Kanzleramtschef Pofalla. Auch in bekannte Konzerne wie Siemens und VW und etwa in den ADAC wird mal hineingeleuchtet. Aber das Geschehen in den Städten wird kaum beachtet.
Auch das hat wesentlich mit den regionalen Medienmonopolen und -monopölchen zu tun. Solche beherrschen praktisch in allen Städten und Großregionen die beschönigende Selbstdarstellung des lokalen und regionalen Filzes. Und sie tragen auch dadurch zur einheitlichen vorherrschenden Meinungsmacht und -mache bei, indem sie ihre Redaktionen immer weiter ausdünnen, sich auf die Bearbeitung von Meldungen der Nachrichten-Agenturen verlegen und Spiegel, F.A.Z., Süddeutsche und BILD als Leitmedien ansehen.
In „Colonia Corrupta“ habe ich das anhand der Medienkrake DuMont Schauberg dargestellt. Ihre vielen Arme reichen hier in die Tageszeitungen Kölner Stadt-Anzeiger, Express Köln, Express Düsseldorf, Express Bonn, Kölner Rundschau, Bonner Generalanzeiger, in ein Dutzend lokale und regionale Anzeigenblätter, in Szenezeitschriften wie Kölner Illustrierte. Die Mediengruppe DuMont betreibt zahlreiche regionale Rundfunk- und TV-Sender in Köln und umgebenden Städten, Ticket-Services mit Kölnticket, Bonnticket, westticket, den Kunst- und Literaturverlag, Medien- und Vertriebstöchter, Callcenter, die DuMont Management Academy und die Westdeutsche Medienakademie, eine Immobilienplattform, die Kinderzeitung Duda.
Und auch das Anzeigengeschäft schafft intransparente Beziehungen – nehmen Sie nur mal die Anzeigen für Prostitution, Massagesalons, Damenbegleitung und Bordelle, die den Express füllen – der auf das „gutbürgerliche“ Publikum orientierte Stadt-Anzeiger ist übrigens von diesen Anzeigen frei, dafür hat er das Geschäft mit den Todesanzeigen und die Kulturberichterstattung fest in der Hand. Ein ähnliches Gespinst hat der DuMont Verlag auch im ostdeutschen Halle mit der Tochtergesellschaft Mitteldeutsche Zeitung aufgebaut.
Als 2002 die Erstauflage von „Colonia Corrupta“ erschien, brach zufällig der Korruptionsskandal um die Müllverbrennungsanlage auf. Über den hatte ich in der Szenezeitschrift „Kölner StadtRevue“ schon Jahre zuvor berichtet – die DuMont-Presse hatte derlei aber über die Jahre rigoros verdrängt oder etwa durch Interviews mit dem Regierungspräsidenten beschönigt. Als ich dann in einer großen Buchhandlung, die das Buch gut verkaufte, anfragte, ob ich eine Lesung machen könne, wurde mir bedeutet: Eigentlich gern, aber das können wir uns nicht leisten, wir sind auf die Ankündigungen unserer Veranstaltungen im Kölner Stadt-Anzeiger angewiesen. Durch eine Lesung mit Ihnen würden wir uns das verderben.
Ist Köln hier denn etwas Besonderes – oder sieht es so oder ähnlich auch in anderen deutschen Städten aus?
Immer wieder haben Bürger zum Beispiel aus Bonn, Düsseldorf, Hamburg, Dresden, Hannover angefragt, ob ich nicht auch ein solches Buch über ihre Stadt schreiben könne. Sie hatten Hinweise, dass es dort so ähnlich wie in Köln zugeht. Ich musste allerdings immer antworten: Eigentlich gern, aber das erfordert viel Arbeit. „Colonia Corrupta“ ist ja aus einem ganzen Jahrzehnt der Beschäftigung mit den Kölner Verhältnissen hervorgegangen, von 1990 bis 2002 etwa. In der Zeit habe ich vor allem in der Kölner StadtRevue, im Kölner Volksblatt, in der damals erscheinenden NRW-Regionalausgabe der taz und in der Neuen Rheinischen Zeitung zumindest die Erstveröffentlichungen zum Thema Kölner Klüngel bestritten. Und durch die Verleumdungsklagen etwa des Oberbürgermeisters, des Oberstadtdirektors, eines SPD-Hinterbänklers – der aber zahlreiche Aufsichtsratsmandate in städtischen Unternehmen hatte – und des Präsidenten des 1. FC Köln und durch die dann folgenden Gerichtsverfahren gegen mich habe ich weitere Einblicke gewonnen. Auch die zwei Dutzend Verfahren der Bank Sal. Oppenheim gegen mich waren sehr aufschlussreich.
In anderen Städten sieht das Verhältnis zwischen kleinen, kritischen Medien und der jeweiligen herrschenden Öffentlichkeit inzwischen aber wohl ähnlich oder sogar noch schlechter aus. Und das ist auch folgelogisch, denn viele Umstände sind gleich: Erstens sind es dieselben Bau- und Energiekonzerne, Wirtschaftsprüfer, Anwaltskanzleien, Banken, die in allen großen Städten gleichermaßen aktiv sind. Zweitens sind es ja dieselben politischen Parteien, die wie auf Bundesebene auch in den Stadträten, Stadtverwaltungen und städtischen Unternehmen die wichtigen Plätze besetzen. Drittens finden seit zwei Jahrzehnten in allen Städten die gleichen Maßnahmen zur „Haushaltssanierung“ statt, wie ich sie an Kölner Beispielen bei Privatisierungen etwa in den Bereichen Müllentsorgung, Rathausbau, Messehallen, Museen und Archäologie dargestellt habe – Bereiche, in denen die politisch „Verantwortlichen“ wegen Schuldenbremse und Kürzungsdiktaten schlicht erpressbar sind.
Anhand von Kölner Beispielen habe ich im Buch das Ende der 1990er Jahre in Mode gekommene dubiose Cross Border Leasing mit der städtischen Infrastruktur dargestellt, wo die Stadt unter Beratung der Deutschen Bank und der Kanzlei Allen & Overy die Kanalisation, Messehallen und Straßenbahnen erst an anonyme US-Investoren verkauft und dann zurückgemietet hat – das wurde auch in dutzenden anderen Städten Deutschlands und im europäischen Ausland gemacht. Desgleichen beim Finanzprodukt Public Private Partnership, bei dem die Städte draufzahlen. Und viertens sind überall dieselben Berater wie Freshfields, Price Waterhouse Coopers, Alfen Consult und die Partnerschaften Deutschland AG beteiligt. Im Untertitel heißt mein Buch deshalb auch „Globalisierung, Privatisierung und Korruption im Schatten des Kölner Klüngels“.
Und nicht zuletzt beherrschen, wie schon erwähnt, lokale und regionale Medienmonopole die Selbstdarstellung des jeweiligen Filzes, dessen Teil sie selbst auch sind. Schauen Sie sich etwa die Mediengeflechte der Südwestdeutschen Medienholding an – Stuttgarter Zeitung, Stuttgarter Nachrichten, Schwarzwälder Bote, Süddeutsche Zeitung -, die Mittelbayerische Zeitung in Regensburg und Umgebung, die Rheinische Post in Düsseldorf und Umgebung, die Westdeutsche Zeitung in der Region Wuppertal, die Westdeutsche Allgemeine Zeitung, kurz WAZ, im Ruhrgebiet, die Madsack-Gruppe in Hannover, die Augsburger Allgemeine, die Mainpost in Würzburg, Bamberg und Aschaffenburg, die Rheinzeitung in Koblenz und Umgebung, die Bremer Tageszeitungen AG, das Medienhaus Nord in der Region Rostock, die Süddeutsche Zeitung und die FAZ mit ihren Regionalausgaben, die Leipziger Volkszeitung, die Mitteldeutsche Zeitung, die Springer-Dominanz in Hamburg und Berlin usw. usf. Diese unscheinbar einflussreichen Medien-Provinzmächte und –Klüngel hat noch niemand genau unter die Lupe genommen, Zeit wäre es aber sicherlich!
Und warum bezeichnen Sie Köln dann im Buch als „Korruptionshauptstadt der Bundesrepublik“, was gibt es Besonderes hier, wenn doch alles ähnlich ist wie allerorts?
Das galt ab 1945 bis in die 1960er Jahre, also in der Gründungszeit des Separatstaates Bundesrepublik Deutschland. Die ersten Bundesregierungen wurden vom Bundeskanzler Konrad Adenauer geführt, der gleichzeitig CDU-Vorsitzender war. Adenauer war über seine zweite Frau Gussie verwandt mit dem US-Hochkommissar John McCloy, einem Wall Street-Banker aus der Chase Manhattan Bank, die zum Rockefeller-Imperium gehörte. McCloy überwachte mithilfe seines Verwandten Adenauer die Formulierungen des Grundgesetzes, die Sicherung des Privateigentums und die Freilassung von Flick, Krupp und anderen NS-Größen, sowie ab etwa 1950 auch die Vorbereitungen der Bundeswehr.
Bonn war die neue Bundeshauptstadt, aus der die Korrespondenten in alle Welt berichteten. Das war die Vorderbühne mit dem Parlament, dem Bundestag. Das benachbarte Köln aber war die Hinterbühne, wo wichtige Entscheidungen fielen. Hier saßen nicht nur die Botschaften der anderen Staaten, sondern auch die Industrie- und Bankenlobbyisten, allen voran die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und der Bundesverband der deutschen Industrie – und auch die Bank Oppenheim.
Die Deutsche Bank, die Dresdner Bank und die Commerzbank waren durch die NS-Kollaboration diskreditiert. Beim Nürnberger Kriegsverbrecher-Tribunal wurden sie jedoch noch in letzter Minute von der Liste der Angeklagten gestrichen und dann aber in Regionalbanken aufgespalten. Deshalb übernahm die Kölner Privatbank Sal. Oppenheim & Cie eine Führungsfunktion. Die konnte sie umso besser spielen als sie sich als von den Nazis verfolgte Bank darstellte, obwohl sie als kriegswichtig gegolten hatte. Miteigentümer Robert Pferdmenges wiederum war mit Adenauer befreundet, seit der bis 1933 Kölner Oberbürgermeister war. Pferdmenges kam aus dem protestantischen Milieu, Adenauer war Repräsentant des katholischen Milieus – und gemeinsam gründeten sie die CDU. „Union“ bedeutet ja: Protestanten und Katholiken gemeinsam.
Das „Ahlener Programm“ der CDU von 1947 mit ihrer scheinbar erstaunlichen Kritik am Kapitalismus wurde übrigens in den Räumen der Bank Oppenheim schlussredigiert: Da wurde ausbaldowert, welche Formulierungen man den kritischen Gründungsmitgliedern zunächst vorlegen musste, und wie man die Kritik beim nächsten Programm wieder in Vergessenheit geraten lassen könnte. Pferdmenges übernahm 1946 sofort das Amt des Schatzmeisters der CDU Rheinland und finanzierte mit Unternehmensspenden die ersten Wahlkämpfe, beispielsweise für den NRW-Landtag. Gleichzeitig war Pferdmenges Treuhänder des in Nürnberg angeklagten NS-Profiteurs Friedrich Flick und Präsident des Deutschen Bankenverbandes.
Und dann saß in Köln eben noch der BDI mit seinem Vorsitzenden Fritz Berg, einem unscheinbaren Mittelständler. Pferdmenges, Adenauer und Berg – ich bezeichne sie im Buch als Trio Capitale – schlossen 1949 vor der ersten Bundestagswahl das Pyrmonter Abkommen. Man sammelte zentralbürokratisch Spenden bei den BDI-Mitgliedsunternehmen ein. Damit finanzierte man die Wahlkämpfe der noch finanzschwachen Parteien CDU, FDP, Deutsche Partei und Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten, die bereit waren, Adenauer als Bundeskanzler zu wählen. Später entwickelten die Unternehmen weitere Instrumente zur Bespendung der kapital- und US-freundlichen Parteien. Etwa die Spendensammelstelle Staatsbürgerliche Vereinigung Köln e.V. und ähnliche „Fördergesellschaften“ auf Landesebene wie in Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Die so gelenkten Spenden wurden zugleich als steuermindernd anerkannt und auf das BDI-Konto bei der Bank Oppenheim eingezahlt. Der CDU-Vorsitzende konnte bei der „Adenauer-Spende“ über das Geld persönlich frei verfügen. Einige Jahre zuvor hatte eine sehr ähnliche Spendenaktion des BDI-Vorgängers RDI noch „Hitler-Spende“ geheißen. Die späteren schwarzen Kassen Kohls dürften an die schwarzen Kassen seines Vorgängers und Vorbilds Adenauer wohl kaum herangereicht haben.
So wurde Köln zur „Korruptionshauptstadt der Bundesrepublik“. SPD, KPD und andere, auch konservative Bewegungen wurden verteufelt und finanziell übertrumpft. So ist die Bundesrepublik Deutschland wohl auch der einzige Staat der Welt, dessen System der Bespendung der regierenden politischen Parteien durch Privatunternehmen bereits mit der Gründung eingerichtet war.
Durch Ihr Buch haben Sie sich in Köln sicherlich sehr beliebt gemacht. Derlei Recherchen über sich selbst und ihre Machenschaften lesen die Mächtigen ja besonders gern…
In bestimmten Kreisen natürlich nicht, dafür aber in anderen. Ich fand in Köln für das Buch beispielsweise keinen Verlag. Kleine Verlage waren interessiert, fürchteten aber jede Menge juristischen Ärger. Der bekannte Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch lehnte ab, weil ihm mein Kapitel über den Kölner Regierungspräsidenten Franz-Josef Antwerpes nicht passte – einem Autor des Verlags. Und die großen Verlage der Republik lehnten ab, weil das Thema Köln „zu speziell“ oder „nicht aktuell“ sei. So fand sich schließlich der Verlag Westfälisches Dampfboot in Münster.
Die Lesungs-Absagen in großen Kölner Buchhandlungen habe ich ja schon erwähnt. Der Kulturausschuss des Stadtrates verhängte sogar eine Auftrittssperre in allen Kölner Kultureinrichtungen gegen mich. Über die Verleumdungsklagen des Oberbürgermeisters, des Oberstadtdirektors, der Bank Oppenheim und anderer gegen mich haben die DuMont-Medien anfangs zwar immer berichtet. Aber sie haben nie berichtet, dass zum Teil Jahre später in den höheren Instanzen alle Klagen abgewiesen oder eingestellt worden sind, dass mein Buch also „juristisch sauber“ ist und stimmt, was hierin geschrieben steht.
Also unkontrollierte Kölner Meinungsmacht?
Ein einziges Mal hat der Kölner Stadt-Anzeiger einen Artikel veröffentlicht, den ich geschrieben hatte, zusammen mit meinem Kollegen Erasmus Schöfer. Die Chefredakteurin hatte ihn bei uns bestellt, weil sie unser Feature „Der Weg allen Wassers – Aus dem Unterleib der Städte“ im WDR gehört hatte, das war 1996. Darin hatten wir geschildert, welche Giftstoffe aus den 40.000 Kölner Unternehmen in die städtische Kanalisation eingeleitet werden, wie sie in den Kölner Abwasser-Kläranlagen nicht adäquat gereinigt werden und wohin sie dann über die Abluft und den Klärschlamm weiter gelangen.
Die Redaktion schrieb den Artikel jedoch ohne Absprache an mehreren dutzend Stellen um und verkehrte Aussagen ins Gegenteil. Die Pressekammer des Kölner Landgerichts hat uns auf unsere Klage wegen Urkundenfälschung und Rufschädigung deswegen ein Schmerzensgeld von 10.000 DM zugesprochen. Das war ein erstmaliges Urteil dieser Art. Als sich das Urteil abzeichnete, hatte uns der Verlag einen Vergleich vorgeschlagen: 7.000 DM Schmerzensgeld, verbunden mit einer Schweigeverpflichtung. Das hatten wir abgelehnt.
Übrigens: Der für die Text-Manipulationen verantwortliche Redakteur der Wochenendbeilage hatte sich offensichtlich für Höheres qualifiziert. Er stieg danach in die Redaktion des Magazins „Der Spiegel“ auf.
Seitdem wird mein Name in den Produkten dieses Verlages jedenfalls nicht mehr erwähnt. Das ist allerdings nicht wirklich schlimm. Denn auch ohne jemals in einem DuMont-Medium erwähnt worden zu sein, erscheint nun „Colonia Corrupta“ in der 8. Auflage. Die Leute wollen Aufklärung und Wahrheit; und sie organisieren sie sich inzwischen oftmals auch an den großen Meinungsmachern und Manipulateuren vorbei. Das ist gut so. Das macht Mut.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Werner Rügemer (Dr. phil.), interventionistischer Philosoph, ist tätig als Publizist, Berater und Lehrbeauftragter an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied im deutschen PEN-Club, im wissenschaftlichen Beirat von Attac und bei Business Crime Control. 2002 erhielt er den Journalistenpreis des Bundes der Steuerzahler NRW, 2008 den Kölner Karlspreis für kritische Publizistik. Bei transcript ist von ihm unter anderem erschienen: »›Heuschrecken‹ im öffentlichen Raum. Public Private Partnership« sowie »Die Ratingagenturen – Einblicke in die Kapitalmacht der Gegenwart«.
Dieser Text erschien zuerst auf den "NachDenkSeiten - die kritische Website". Die Verwertung durch uns erfolgt im Rahmen der Creative Commons Lizenz 2.0 Non-Commercial, unter welcher er publiziert wurde.
Korruption kommt von lateinisch corrumpere, brechen. Korruption bedeutet die Brechung des politischen Willens der Mehrheit der Bevölkerung oder gewählter Volksvertreter. Auch Verwaltungsbeamte, die im Auftrag gewählter Volksvertreter oder eines gewählten Bürgermeisters handeln, können korrumpiert werden. Korrupteure sind vor allem mächtige Leute, die über Macht und/oder Geld verfügen und sich auf heimliche und rechtswidrige Weise Vorteile verschaffen wollen. Da geht es, das ist der bekannteste Fall, um Bau- und Rüstungsaufträge oder um Aufträge anderer Art, zum Beispiel Dienstleistungs- und Mietverträge, und zwar zum Schaden der Stadt, des Staates. Korruption zwischen Unternehmern und Managern gibt es natürlich auch, aber das lassen wir hier außer Betracht.
Im Buch „Colonia Corrupta“ habe ich mehrere größere Korruptionsvorgänge beschrieben – und zwar zunächst auf der kommunalen Ebene am Beispiel der Stadt Köln. Etwa hat der Anlagenbaukonzern Steinmüller den Geschäftsführer der Kölner städtischen Abfallgesellschaft, den SPD-Fraktionsgeschäftsführer und andere insgesamt mit Millionenbeträgen bestochen, damit sein Angebot zum Bau eines neuen Müllofens bevorzugt wird. Der Baukonzern Holzmann lud den Oberstadtdirektor auf schöne Reisen ein, um den Auftrag für eine neue Veranstaltungshalle zu bekommen. Die Bank Oppenheim stellte dem Oberstadtdirektor einen hochdotierten Posten in Aussicht, wenn er den Auftrag für eine Veranstaltungshalle und für das neue Rathaus an eine Banktochter durchdrückt, mit einem für die Stadt höchst ungünstigen 30-Jahres-Mietvertrag. Und die US-Bank First Union zahlte offiziell eine zweistellige Millionensumme, damit die Stadt ihre Kanalisation verkauft, ein rechtswidriges Geschäft, dessen Risiken gegenüber den Ratsmitgliedern und der Öffentlichkeit verheimlicht wurden. Mit dabei sind bei solchen Geschehnissen in aller Regel auch ein ganzer Schwarm von Anwälten, Wirtschaftsprüfern und anderen Beratern, die sich auch gut entlohnen lassen.
Ich habe dargestellt, wie sich der frühere Oberbürgermeister Konrad Adenauer Sympathien durch Zahlungen aus einer schwarzen Kasse verschafft hat. Aber auch das Verschweigen oder die öffentliche Beschönigung von Korruption kann dazu beitragen, den politischen Willen in einer Stadt zu brechen – das habe ich am Kölner Erzbischof Kardinal Meisner ebenso dargestellt wie am regionalen Medienkonzern DuMont Schauberg, der den „Kölner Stadt-Anzeiger“ herausgibt.
Das Ganze ist eingebettet in ein Milieu, das sich gegenseitig bestätigt und wo die meisten sicherlich gar nichts von korruptiven Vorgängen wissen. Dazu gehören die Industrie- und Handels- sowie die Handwerkskammer, Unternehmerverbände, Rotary- und Lionsclubs, das Spitzenpersonal aus Parteien und Verwaltung. In jeder Stadt kommen ein paar Besonderheiten dazu, in Köln sind das etwa die großen Karnevalsvereine, die Managern und Unternehmern offenstehen, oder etwa auch der Dombauverein. Und ich habe die Justiz geschildert, die sich sehr schwer tut, gegen Prominente vorzugehen, wenn die noch in Amt und Würden sind. Abgehalfterte Banker wie die Oppenheims – die nimmt man sich dagegen schon mal ausgiebig vor, um das Publikum zu unterhalten. Und auf jeden Fall aber, und das ist von immenser Wichtigkeit, gehört zu diesem Milieu das jeweilige lokale und regionale Medienmonopol.
Jetzt haben Sie mich aber neugierig gemacht. Sie haben dem Medienkonzern DuMont Schauberg Korruption vorgeworfen? Und das „regionale Medienmonopol“ ist Ihrer Einschätzung nach stets fester Bestandteil korruptiver Klüngel? Führen Sie das doch bitte ein wenig aus.
Man darf korruptive Beziehungen heute nicht als Kauf mit Bargeld gleichsetzen. In meinem Buch habe ich die offenen und nicht so offenen Verbindungen des Verlages und des Verlegers etwa mit der IHK, der alteingesessenen Bank Sal. Oppenheim, mit dem städtischen Museums- und Kulturbetrieb dargestellt. Wegen dieser wurden durch Verlagsmedien sozial- und haushaltsschädliche Praktiken eben nicht angemessen thematisiert, etwa in Bezug auf den Energiekonzern RWE, die Baukonzerne Hochtief und Bilfinger Berger.
Die Käuflichkeit eines ehemaligen Oberstadtdirektors gehört dazu, die Komplizenschaft der Kommunalaufsicht, die einseitige publizistische Förderung der FDP. Und auch die exzessive Selbstdarstellung des eigenen Milieus und dessen Vorzeigefiguren manipulieren die Wirklichkeit.
Die Aktivitäten von Gewerkschaften, Bürgerinitiativen und von allem, was als links oder kritisch beurteilt wird, werden ausgeblendet. Deren Veranstaltungen kommen so gut wie nicht vor. Arbeitswelt? Fehlanzeige! – während allerdings etwa jeder sexistische Furz des Erzbischofs umfänglich kommentiert wird.
Man muss allerdings hinzufügen, dass die vielen großen Medien, die in Köln ihren Sitz haben, sich nicht anders verhalten, so etwa der WDR mit seinen braven Lokalsendungen in Köln wie in vielen anderen Städten in Nordrhein-Westfalen.
Und können Sie sagen, woher es kommt, dass derlei Filz und Korruption in unseren Städten medial so wenig Beachtung finden?
Die überregionalen Medien in Deutschland beschäftigen sich immer wieder mit ausgewählten Formen des Filzes und der Korruption auf Bundesebene. Da waren zum Beispiel der Flick-Skandal, Kohls schwarze Kassen, die Spende eines Waffenhändlers an den damaligen CDU-Vorsitzenden Schäuble, Bundespräsident Wulff und Ex-Kanzleramtschef Pofalla. Auch in bekannte Konzerne wie Siemens und VW und etwa in den ADAC wird mal hineingeleuchtet. Aber das Geschehen in den Städten wird kaum beachtet.
Auch das hat wesentlich mit den regionalen Medienmonopolen und -monopölchen zu tun. Solche beherrschen praktisch in allen Städten und Großregionen die beschönigende Selbstdarstellung des lokalen und regionalen Filzes. Und sie tragen auch dadurch zur einheitlichen vorherrschenden Meinungsmacht und -mache bei, indem sie ihre Redaktionen immer weiter ausdünnen, sich auf die Bearbeitung von Meldungen der Nachrichten-Agenturen verlegen und Spiegel, F.A.Z., Süddeutsche und BILD als Leitmedien ansehen.
In „Colonia Corrupta“ habe ich das anhand der Medienkrake DuMont Schauberg dargestellt. Ihre vielen Arme reichen hier in die Tageszeitungen Kölner Stadt-Anzeiger, Express Köln, Express Düsseldorf, Express Bonn, Kölner Rundschau, Bonner Generalanzeiger, in ein Dutzend lokale und regionale Anzeigenblätter, in Szenezeitschriften wie Kölner Illustrierte. Die Mediengruppe DuMont betreibt zahlreiche regionale Rundfunk- und TV-Sender in Köln und umgebenden Städten, Ticket-Services mit Kölnticket, Bonnticket, westticket, den Kunst- und Literaturverlag, Medien- und Vertriebstöchter, Callcenter, die DuMont Management Academy und die Westdeutsche Medienakademie, eine Immobilienplattform, die Kinderzeitung Duda.
Und auch das Anzeigengeschäft schafft intransparente Beziehungen – nehmen Sie nur mal die Anzeigen für Prostitution, Massagesalons, Damenbegleitung und Bordelle, die den Express füllen – der auf das „gutbürgerliche“ Publikum orientierte Stadt-Anzeiger ist übrigens von diesen Anzeigen frei, dafür hat er das Geschäft mit den Todesanzeigen und die Kulturberichterstattung fest in der Hand. Ein ähnliches Gespinst hat der DuMont Verlag auch im ostdeutschen Halle mit der Tochtergesellschaft Mitteldeutsche Zeitung aufgebaut.
Als 2002 die Erstauflage von „Colonia Corrupta“ erschien, brach zufällig der Korruptionsskandal um die Müllverbrennungsanlage auf. Über den hatte ich in der Szenezeitschrift „Kölner StadtRevue“ schon Jahre zuvor berichtet – die DuMont-Presse hatte derlei aber über die Jahre rigoros verdrängt oder etwa durch Interviews mit dem Regierungspräsidenten beschönigt. Als ich dann in einer großen Buchhandlung, die das Buch gut verkaufte, anfragte, ob ich eine Lesung machen könne, wurde mir bedeutet: Eigentlich gern, aber das können wir uns nicht leisten, wir sind auf die Ankündigungen unserer Veranstaltungen im Kölner Stadt-Anzeiger angewiesen. Durch eine Lesung mit Ihnen würden wir uns das verderben.
Ist Köln hier denn etwas Besonderes – oder sieht es so oder ähnlich auch in anderen deutschen Städten aus?
Immer wieder haben Bürger zum Beispiel aus Bonn, Düsseldorf, Hamburg, Dresden, Hannover angefragt, ob ich nicht auch ein solches Buch über ihre Stadt schreiben könne. Sie hatten Hinweise, dass es dort so ähnlich wie in Köln zugeht. Ich musste allerdings immer antworten: Eigentlich gern, aber das erfordert viel Arbeit. „Colonia Corrupta“ ist ja aus einem ganzen Jahrzehnt der Beschäftigung mit den Kölner Verhältnissen hervorgegangen, von 1990 bis 2002 etwa. In der Zeit habe ich vor allem in der Kölner StadtRevue, im Kölner Volksblatt, in der damals erscheinenden NRW-Regionalausgabe der taz und in der Neuen Rheinischen Zeitung zumindest die Erstveröffentlichungen zum Thema Kölner Klüngel bestritten. Und durch die Verleumdungsklagen etwa des Oberbürgermeisters, des Oberstadtdirektors, eines SPD-Hinterbänklers – der aber zahlreiche Aufsichtsratsmandate in städtischen Unternehmen hatte – und des Präsidenten des 1. FC Köln und durch die dann folgenden Gerichtsverfahren gegen mich habe ich weitere Einblicke gewonnen. Auch die zwei Dutzend Verfahren der Bank Sal. Oppenheim gegen mich waren sehr aufschlussreich.
In anderen Städten sieht das Verhältnis zwischen kleinen, kritischen Medien und der jeweiligen herrschenden Öffentlichkeit inzwischen aber wohl ähnlich oder sogar noch schlechter aus. Und das ist auch folgelogisch, denn viele Umstände sind gleich: Erstens sind es dieselben Bau- und Energiekonzerne, Wirtschaftsprüfer, Anwaltskanzleien, Banken, die in allen großen Städten gleichermaßen aktiv sind. Zweitens sind es ja dieselben politischen Parteien, die wie auf Bundesebene auch in den Stadträten, Stadtverwaltungen und städtischen Unternehmen die wichtigen Plätze besetzen. Drittens finden seit zwei Jahrzehnten in allen Städten die gleichen Maßnahmen zur „Haushaltssanierung“ statt, wie ich sie an Kölner Beispielen bei Privatisierungen etwa in den Bereichen Müllentsorgung, Rathausbau, Messehallen, Museen und Archäologie dargestellt habe – Bereiche, in denen die politisch „Verantwortlichen“ wegen Schuldenbremse und Kürzungsdiktaten schlicht erpressbar sind.
Anhand von Kölner Beispielen habe ich im Buch das Ende der 1990er Jahre in Mode gekommene dubiose Cross Border Leasing mit der städtischen Infrastruktur dargestellt, wo die Stadt unter Beratung der Deutschen Bank und der Kanzlei Allen & Overy die Kanalisation, Messehallen und Straßenbahnen erst an anonyme US-Investoren verkauft und dann zurückgemietet hat – das wurde auch in dutzenden anderen Städten Deutschlands und im europäischen Ausland gemacht. Desgleichen beim Finanzprodukt Public Private Partnership, bei dem die Städte draufzahlen. Und viertens sind überall dieselben Berater wie Freshfields, Price Waterhouse Coopers, Alfen Consult und die Partnerschaften Deutschland AG beteiligt. Im Untertitel heißt mein Buch deshalb auch „Globalisierung, Privatisierung und Korruption im Schatten des Kölner Klüngels“.
Und nicht zuletzt beherrschen, wie schon erwähnt, lokale und regionale Medienmonopole die Selbstdarstellung des jeweiligen Filzes, dessen Teil sie selbst auch sind. Schauen Sie sich etwa die Mediengeflechte der Südwestdeutschen Medienholding an – Stuttgarter Zeitung, Stuttgarter Nachrichten, Schwarzwälder Bote, Süddeutsche Zeitung -, die Mittelbayerische Zeitung in Regensburg und Umgebung, die Rheinische Post in Düsseldorf und Umgebung, die Westdeutsche Zeitung in der Region Wuppertal, die Westdeutsche Allgemeine Zeitung, kurz WAZ, im Ruhrgebiet, die Madsack-Gruppe in Hannover, die Augsburger Allgemeine, die Mainpost in Würzburg, Bamberg und Aschaffenburg, die Rheinzeitung in Koblenz und Umgebung, die Bremer Tageszeitungen AG, das Medienhaus Nord in der Region Rostock, die Süddeutsche Zeitung und die FAZ mit ihren Regionalausgaben, die Leipziger Volkszeitung, die Mitteldeutsche Zeitung, die Springer-Dominanz in Hamburg und Berlin usw. usf. Diese unscheinbar einflussreichen Medien-Provinzmächte und –Klüngel hat noch niemand genau unter die Lupe genommen, Zeit wäre es aber sicherlich!
Und warum bezeichnen Sie Köln dann im Buch als „Korruptionshauptstadt der Bundesrepublik“, was gibt es Besonderes hier, wenn doch alles ähnlich ist wie allerorts?
Das galt ab 1945 bis in die 1960er Jahre, also in der Gründungszeit des Separatstaates Bundesrepublik Deutschland. Die ersten Bundesregierungen wurden vom Bundeskanzler Konrad Adenauer geführt, der gleichzeitig CDU-Vorsitzender war. Adenauer war über seine zweite Frau Gussie verwandt mit dem US-Hochkommissar John McCloy, einem Wall Street-Banker aus der Chase Manhattan Bank, die zum Rockefeller-Imperium gehörte. McCloy überwachte mithilfe seines Verwandten Adenauer die Formulierungen des Grundgesetzes, die Sicherung des Privateigentums und die Freilassung von Flick, Krupp und anderen NS-Größen, sowie ab etwa 1950 auch die Vorbereitungen der Bundeswehr.
Bonn war die neue Bundeshauptstadt, aus der die Korrespondenten in alle Welt berichteten. Das war die Vorderbühne mit dem Parlament, dem Bundestag. Das benachbarte Köln aber war die Hinterbühne, wo wichtige Entscheidungen fielen. Hier saßen nicht nur die Botschaften der anderen Staaten, sondern auch die Industrie- und Bankenlobbyisten, allen voran die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und der Bundesverband der deutschen Industrie – und auch die Bank Oppenheim.
Die Deutsche Bank, die Dresdner Bank und die Commerzbank waren durch die NS-Kollaboration diskreditiert. Beim Nürnberger Kriegsverbrecher-Tribunal wurden sie jedoch noch in letzter Minute von der Liste der Angeklagten gestrichen und dann aber in Regionalbanken aufgespalten. Deshalb übernahm die Kölner Privatbank Sal. Oppenheim & Cie eine Führungsfunktion. Die konnte sie umso besser spielen als sie sich als von den Nazis verfolgte Bank darstellte, obwohl sie als kriegswichtig gegolten hatte. Miteigentümer Robert Pferdmenges wiederum war mit Adenauer befreundet, seit der bis 1933 Kölner Oberbürgermeister war. Pferdmenges kam aus dem protestantischen Milieu, Adenauer war Repräsentant des katholischen Milieus – und gemeinsam gründeten sie die CDU. „Union“ bedeutet ja: Protestanten und Katholiken gemeinsam.
Das „Ahlener Programm“ der CDU von 1947 mit ihrer scheinbar erstaunlichen Kritik am Kapitalismus wurde übrigens in den Räumen der Bank Oppenheim schlussredigiert: Da wurde ausbaldowert, welche Formulierungen man den kritischen Gründungsmitgliedern zunächst vorlegen musste, und wie man die Kritik beim nächsten Programm wieder in Vergessenheit geraten lassen könnte. Pferdmenges übernahm 1946 sofort das Amt des Schatzmeisters der CDU Rheinland und finanzierte mit Unternehmensspenden die ersten Wahlkämpfe, beispielsweise für den NRW-Landtag. Gleichzeitig war Pferdmenges Treuhänder des in Nürnberg angeklagten NS-Profiteurs Friedrich Flick und Präsident des Deutschen Bankenverbandes.
Und dann saß in Köln eben noch der BDI mit seinem Vorsitzenden Fritz Berg, einem unscheinbaren Mittelständler. Pferdmenges, Adenauer und Berg – ich bezeichne sie im Buch als Trio Capitale – schlossen 1949 vor der ersten Bundestagswahl das Pyrmonter Abkommen. Man sammelte zentralbürokratisch Spenden bei den BDI-Mitgliedsunternehmen ein. Damit finanzierte man die Wahlkämpfe der noch finanzschwachen Parteien CDU, FDP, Deutsche Partei und Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten, die bereit waren, Adenauer als Bundeskanzler zu wählen. Später entwickelten die Unternehmen weitere Instrumente zur Bespendung der kapital- und US-freundlichen Parteien. Etwa die Spendensammelstelle Staatsbürgerliche Vereinigung Köln e.V. und ähnliche „Fördergesellschaften“ auf Landesebene wie in Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Die so gelenkten Spenden wurden zugleich als steuermindernd anerkannt und auf das BDI-Konto bei der Bank Oppenheim eingezahlt. Der CDU-Vorsitzende konnte bei der „Adenauer-Spende“ über das Geld persönlich frei verfügen. Einige Jahre zuvor hatte eine sehr ähnliche Spendenaktion des BDI-Vorgängers RDI noch „Hitler-Spende“ geheißen. Die späteren schwarzen Kassen Kohls dürften an die schwarzen Kassen seines Vorgängers und Vorbilds Adenauer wohl kaum herangereicht haben.
So wurde Köln zur „Korruptionshauptstadt der Bundesrepublik“. SPD, KPD und andere, auch konservative Bewegungen wurden verteufelt und finanziell übertrumpft. So ist die Bundesrepublik Deutschland wohl auch der einzige Staat der Welt, dessen System der Bespendung der regierenden politischen Parteien durch Privatunternehmen bereits mit der Gründung eingerichtet war.
Durch Ihr Buch haben Sie sich in Köln sicherlich sehr beliebt gemacht. Derlei Recherchen über sich selbst und ihre Machenschaften lesen die Mächtigen ja besonders gern…
In bestimmten Kreisen natürlich nicht, dafür aber in anderen. Ich fand in Köln für das Buch beispielsweise keinen Verlag. Kleine Verlage waren interessiert, fürchteten aber jede Menge juristischen Ärger. Der bekannte Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch lehnte ab, weil ihm mein Kapitel über den Kölner Regierungspräsidenten Franz-Josef Antwerpes nicht passte – einem Autor des Verlags. Und die großen Verlage der Republik lehnten ab, weil das Thema Köln „zu speziell“ oder „nicht aktuell“ sei. So fand sich schließlich der Verlag Westfälisches Dampfboot in Münster.
Die Lesungs-Absagen in großen Kölner Buchhandlungen habe ich ja schon erwähnt. Der Kulturausschuss des Stadtrates verhängte sogar eine Auftrittssperre in allen Kölner Kultureinrichtungen gegen mich. Über die Verleumdungsklagen des Oberbürgermeisters, des Oberstadtdirektors, der Bank Oppenheim und anderer gegen mich haben die DuMont-Medien anfangs zwar immer berichtet. Aber sie haben nie berichtet, dass zum Teil Jahre später in den höheren Instanzen alle Klagen abgewiesen oder eingestellt worden sind, dass mein Buch also „juristisch sauber“ ist und stimmt, was hierin geschrieben steht.
Also unkontrollierte Kölner Meinungsmacht?
Ein einziges Mal hat der Kölner Stadt-Anzeiger einen Artikel veröffentlicht, den ich geschrieben hatte, zusammen mit meinem Kollegen Erasmus Schöfer. Die Chefredakteurin hatte ihn bei uns bestellt, weil sie unser Feature „Der Weg allen Wassers – Aus dem Unterleib der Städte“ im WDR gehört hatte, das war 1996. Darin hatten wir geschildert, welche Giftstoffe aus den 40.000 Kölner Unternehmen in die städtische Kanalisation eingeleitet werden, wie sie in den Kölner Abwasser-Kläranlagen nicht adäquat gereinigt werden und wohin sie dann über die Abluft und den Klärschlamm weiter gelangen.
Die Redaktion schrieb den Artikel jedoch ohne Absprache an mehreren dutzend Stellen um und verkehrte Aussagen ins Gegenteil. Die Pressekammer des Kölner Landgerichts hat uns auf unsere Klage wegen Urkundenfälschung und Rufschädigung deswegen ein Schmerzensgeld von 10.000 DM zugesprochen. Das war ein erstmaliges Urteil dieser Art. Als sich das Urteil abzeichnete, hatte uns der Verlag einen Vergleich vorgeschlagen: 7.000 DM Schmerzensgeld, verbunden mit einer Schweigeverpflichtung. Das hatten wir abgelehnt.
Übrigens: Der für die Text-Manipulationen verantwortliche Redakteur der Wochenendbeilage hatte sich offensichtlich für Höheres qualifiziert. Er stieg danach in die Redaktion des Magazins „Der Spiegel“ auf.
Seitdem wird mein Name in den Produkten dieses Verlages jedenfalls nicht mehr erwähnt. Das ist allerdings nicht wirklich schlimm. Denn auch ohne jemals in einem DuMont-Medium erwähnt worden zu sein, erscheint nun „Colonia Corrupta“ in der 8. Auflage. Die Leute wollen Aufklärung und Wahrheit; und sie organisieren sie sich inzwischen oftmals auch an den großen Meinungsmachern und Manipulateuren vorbei. Das ist gut so. Das macht Mut.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Werner Rügemer (Dr. phil.), interventionistischer Philosoph, ist tätig als Publizist, Berater und Lehrbeauftragter an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied im deutschen PEN-Club, im wissenschaftlichen Beirat von Attac und bei Business Crime Control. 2002 erhielt er den Journalistenpreis des Bundes der Steuerzahler NRW, 2008 den Kölner Karlspreis für kritische Publizistik. Bei transcript ist von ihm unter anderem erschienen: »›Heuschrecken‹ im öffentlichen Raum. Public Private Partnership« sowie »Die Ratingagenturen – Einblicke in die Kapitalmacht der Gegenwart«.
Dieser Text erschien zuerst auf den "NachDenkSeiten - die kritische Website". Die Verwertung durch uns erfolgt im Rahmen der Creative Commons Lizenz 2.0 Non-Commercial, unter welcher er publiziert wurde.
23. November 2015
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