Der Souverän oder wer im Staat das Sagen hat
Was ist der Souverän? Den Begriff richtig zu erfassen, ist notwendig, um den Zustand der Demokratie zu erfassen! Wie erkennen wir den Souverän? Was zeichnet ihn aus?
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Der Begriff der Souverän – ein Kind europäischer Vorstellungen von Staat und Regierung – bezeichnet die Macht in einem Staatsgebilde. Foto: Markus Spiske

(Dieser Text baut auf das Verständnis von Demokratie auf, wie dargelegt im Artikel: zeitpunkt.ch/demokratie-governance-der-freien-menschen)

Jemand entscheidet – und manchmal entscheidet dieser Jemand auch über andere. Kein Staatsgebilde kommt an einer Regierungsstruktur vorbei, in der das nicht mehr oder weniger eine Realität ist. Dieser Jemand gilt in der Staatstheorie als der Souverän. In den gegenwärtigen, fälschlicherweise als Demokratie bezeichneten Staatsformen wird meist die Bevölkerung als der Souverän bezeichnet – so auch in der Schweiz. Dies ist aber falsch. Da heute niemand in einer tatsächlichen Demokratie lebt, ist auch nirgendwo die Bevölkerung der Souverän.

Die Schweizer Bundesverfassung benennt als Souverän die Kantone: «Die Kanton sind souverän», aber nur, «soweit ihre Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist (….)» (BV, Art. 3). Dann nämlich wird der Bundesrat zum Souverän. Auch in der Schweiz haben also nicht die Bürger und Bürgerinnen das Sagen, hier ist der Bundesrat, die «LEITENDE und vollziehende Behörde» (s. BV Art. 174) im Staat, sprich der Souverän.

Der Souverän bezeichnet die Macht im Staat

Der Begriff der Souverän – ein Kind europäischer Vorstellungen von Staat und Regierung – bezeichnet die Macht in einem Staatsgebilde. Es ist als solcher durchaus definierbar, da er darüber aufklärt, wer ein Land befehligt und wer es gegen aussen repräsentiert. Doch schauen wir zuerst einmal an, woher der Begriff des Souveräns überhaupt stammt.

In lateinischer Sprache wird der Begriff «Majestas» für die Begriffe «der Souverän» oder «die Souveränität» verwendet. EineMajestät ist die oben ausgeführte Hoheit über ein Land – also die Souveränität. Eine Hoheit ist eine Person, die über allem, über allen andern steht. Das führte der französische Staatstheoretiker Jean Bodin (der als Begründer des modernen Souveränitätsbegriffes gilt) bereits im ausgehenden 16. Jahrhundert unter dem französischen Begriff «le soureraine» nachvollziehbar aus. Gemäss Bodin lässt sich der Souverän definieren als «die höchste Gewalt ÜBER Bürger und Untertanen stehend und LOSGELÖST von den Gesetzen» (Bodin Jean: Sechs Bücher über den Staat; 1593; I/8/122).

Bodin, als Kind seiner Zeit, ging von einem König (wenn es die Erbfolge hergab auch einer Königin) als dem Souverän aus. Doch auch heute findet dieser Begriff in der modernen Staatslehre noch rege Verwendung. Den Begriff richtig zu erfassen, ist ein Gebot an unserer Zeit! Wie erkennen wir den Souverän? Was zeichnet ihn aus? Betrachten wir zuerst genauer Bodin’s Kriterien. Zusätzlich zu dem erwähnten Repräsentieren eines Staates – «Der Staat bin ich» soll König Ludwig XIV behauptet haben, der Frankreich von 1643 bis 1715 regiert hat – hat Bodin folgende Merkmale festgehalten (siehe Bodin Jean: Sechs Bücher über den Staat; 1593; I/8/122):

Gesetze erlassen: Durch das Erlassen von Gesetzen nimmt der Souverän Einfluss auf die Rechtspraxis, also darüber, was als Verbrechen anzusehen ist und was nicht. Kein Gesetz, kein Gesetzesverstoss. Die Bevölkerung hat dazu nichts zu sagen, hat sich aber den Gesetzen zu unterwerfen. Nicht so der Souverän.

Die letzte und ultimative Entscheidungsinstanz liegt mindestens in einem Rechtsstaat beim höchsten Gericht. Es gibt jedoch für den Souverän keinen Zwang, solche Entscheide umzusetzen, da die Politik (als der Souverän) über den Gesetzen steht. Da der Souverän Gesetze hervorbringt, kann er letztlich auch über deren Anwendung entscheiden.

Entscheidung über Krieg und Frieden: Sie wird vom Souverän ausgerufen. Die Bevölkerung, welche die Kriegsbefehle dann auszuführen hat und bezahlen muss, hat nichts zu sagen; wird jedoch, wenn nicht genug Kriegsstimmung herrscht, mit Propaganda kriegswillig gemacht.

Beamte ernennen und absetzen erfolgt durch den Souverän. Sie helfen ihm seine Gesetze und Bestimmungen umzusetzen. Als solche haben Beamte die Anliegen des Souveräns – nicht der Bevölkerungen – als ihre Aufgabe.

Steuern erheben erfolgt auch durch den Souverän nach seinem Bedarf an Kapital. Oft haben Bürger und Bürgerinnen auch hier revoltiert (als gewaltige Form eines Referendums).

Den Geldwert festsetzen ist ebenfalls Aufgabe des Souveräns (obwohl die Gelder des Souveräns bereits seit dem frühen Mittelalter von privaten Geldinstituten verwaltet wurden). Heute wird der Geldwert meist durch Zentralbanken bestimmt, abgestimmt auf herrschende Marktbedingungen. Nicht selten sind das halb öffentliche-, halb privat-rechtliche Nationalbanken. Der Souverän «gestaltet» den Markt; die Bevölkerung richtet sich danach aus.

Privilegien vergeben – zum Beispiel in Form von Steuergeschenken – werden ausschliesslich vom Souverän. Er braucht sie zur Sicherung seiner Macht. Dazu dient auch ...

das Entgegennehmen von Eiden der Untertanen. Auch heute noch werden dem Souverän Treueschwüre geleistet, von gewählte Parlamenten und auch von Polizei und Militär. Um das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen, leistet manchmal auch der Souverän selber einen Eid (zum Beispiel auf eine Staatsverfassung). Diese haben jedoch nur symbolischen Charakter, stellen also gegenüber der Bevölkerung keine Verpflichtung dar; sind Staatsinteressen doch ausschliesslich die Interessen des Souveräns.

Begnadigungen letztlich sind ein Symbol der Allmacht – das Vergeben von Gnade - und rückt den Souverän in göttliche Nähe (von der er meint zu kommen). Ob die Zahl der Regenten zunimmt, die sich als Souverän durch Gottes Gnaden sehen? Die Praxis der Begnadigung durch den Souverän wurde in verschiedenen Ländern beibehalten. So dürfen noch heute die Staatsoberhäupter der USA und von Frankreich Begnadigungen aussprechen.

Ein Souverän ist nur dann wirklich souverän ist, wenn er neben der Macht Gesetze zu machen, auch deren Vollzug bewirken kann.

Wie gesagt leiten sich diese Kriterien aus den Erfahrungen mit Regenten und Regentinnen damaliger Zeiten ab. Spätere Regierungsformen führten zu Erweiterungen des Souveränbegriffs. So führen Michael Hardt und Antonio Negri (2003) dem Souverän ein weiteres Element zur Macht bei, das der Gewalt: «Souveränität ist nicht nur eine Politische Macht (…) Souveränität ist auch eine Polizeimacht».

Im Extremfall kann nur mittels Gewalt ein Individuum der Totalität des Ganzen (dem Staat) und somit dem Willen des Souverän unterworfen werden. Das bedeutet, dass ein Souverän nur dann wirklich souverän ist, wenn er neben der Macht, Gesetze zu machen, auch deren Vollzug bewirken kann. Das Befehligen der Polizei ist also ein weiterer Ausdruck des Souverän.

Adam Zamoyski geht in seinem Buch «Phantome des Terrors» der Entstehungsgeschichte der Polizei nach. Nur die Vorläufer heutiger Polizei (häufig selbstorganisierte und freiwillige Bürgerwehr, meist auf dem Land) dienten dem Schutz der Bevölkerung. Revolutionen führten zur «Verstaatlichung» der Polizei (und dazu gehören Geheimpolizei, Inlandgeheimdienst, Staatsschutz). DurchSteuern finanziert wurde Polizei vom Souverän zum eigenen Schutz erschaffen. «Die Polizei, dein Freund und Helfer» bezieht sich also auf den Souverän und seine Entourage. Zu dieser Gewalt gehört natürlich auch das Befehligen des Militärs nicht nur gegen vermeintlich äussere Feinde. Wie die Geschichte uns lehrt, wurde vom Souverän auch das Militär gegen die eigene Bevölkerung befehligt.

Das jedoch wohl ultimative Element, welches den Souveräns gerade heute offenbart, wurde vom Politikwissenschaftler Carl Schmitt identifiziert. Der Souverän offenbart sich, gemäss Schmitt, tatsächlich am Verhängen des Ausnahmezustandes. Wer in einer Nation den Ausnahmezustand verhängen kann, ist der tatsächliche Souverän. Damit bestätigt er gleich zwei Thesen Bodins: Der Souverän ist, wer Recht gibt und nimmt, wie dies im im Ausnahmezustand der Fall ist. Dabei werden Ausnahmezustände vom Souverän dazu missbraucht um Verschärfungen in der Gesetzgebung durchzusetzen (als Beispiel dient der Patriot Act in den USA nach 9/11). Mehr Rechte für den Souverän, weniger für die Bevölkerung. Dieser Machtmissbrauch ist weder neu, noch nimmt er ab und dient dazu, letztlich auch verfassungsmässig garantierte Rechte ausser Kraft zu setzen.

Die Macht, zu definieren, was die Bevölkerung als Realität anzusehen, zu akzeptieren und in ihrem Handeln zu berücksichtigen hat, ist letztlich die ultimative Macht. Die bereits ausgeführten Elemente der Macht dienen letztlich alle dieser einen Macht.

Das Verhängen eines Ausnahmezustand ist eine Reaktion auf eine vermeintliche «grosse Bedrohung». Als solche könnte er durchaus Sinn machen, wenn es dann eine solche Bedrohung tatsächlich gibt (s. Phantome des Terrors). Das führt uns zum Begriff der Meinungssouveränität (die Meinungshoheit) als zusätzlich aufzudeckendes – doch bei weitem nicht neues - Kriterium des Souveräns.

Bleiben wir beim Beispiel des Verhängens des Ausnahmezustandes, welches nachvollziehbarer Weise das ultimative Machtmerkmal darstellt. Die Meinungshoheit gibt dem Souverän die Macht, die Gründe für einen solchen festzulegen. Dazu gehört, das, was nicht in das Bild passt, als «fake news» zu bekämpfen, um andere Meinungen letztlich durch neue Gesetze zu illegalisieren. Die Macht, zu definieren, was die Bevölkerung als Realität anzusehen, zu akzeptieren und in ihrem Handeln zu berücksichtigen hat, ist letztlich die ultimative Macht. Die bereits ausgeführten Elemente der Macht dienen letztlich alle dieser einen Macht, und sie machen deutlich, dass das Verständnis eines Staatswesens ein Geteiltes ist, geteilt in Regierung (als Souverän) und Regierte (die Bevölkerung). Macht und Gewalt wird nur zum Schein vom tatsächlichen Souverän den Bürgerinnen und Bürgern zugeschrieben.

Wird sein Handeln in Frage gestellt, schützt sich der tatsächliche Souverän mittels politischer Immunität. Politische Immunität bedeutet, dass der Souverän, während er die Fülle der dargestellten Macht innehat und ausführt, für die Art und Weise seiner «Amtsausübung» nicht belangt werden darf. (Das gilt für alle Mitglieder der Regierung, des Parlaments oder eines Gerichts.) Der Souverän betreibt also die Staatsgeschäfte nach eigenem Gutdünken. Er darf dabei die Souveränität des Staates auch gefährden und verletzen, sei es durch Hassreden, Privatisierung von Gemeingütern (wie Boden, Wasser, Allmenden), Abschaffen der Landeswährung und Destabilisierung der Ernährungs- sowie Energiesouveränität, um nur einige Beispiele zu nennen.

Das bestätigt auch Bodins Kriterien, dass sich der Souverän eigentlich in einem, auf ein Staatswesen bezogen, gesetzlosen Raum bewegt. Weil dies mit Recht von immer mehr Bürgern und Bürgerinnen in Frage gestellt wird, wird ein besonders rücksichtsloses Vorgehen gegen kritische Stimmen immer mehr zur Handschrift des Souveräns; immer notwendiger, um sich in seiner Macht zu schützen und sich auch weiter von der Bevölkerung abzuheben.

Nirgendwo regiert die Bevölkerung; noch nirgends ist die Bevölkerung der Souverän. Immer mehr Menschen erahnen das. Die buchstäbliche Abgabe unserer Stimmen (bei Wahlen) und die dadurch immer noch herrschende Bevormundung «von oben» wird zunehmend durchschaut. Situative Verschiebungen der Macht an einen andern Souverän (zum Beispiel an die Bank für internationalen Zahlungsausgleich, die WHO, die NATO) ändern nichts an diesen Machtverhältnissen. Die Governance durch und für die Bürgerinnen und Bürger ist noch nirgends Realität. Die Macht ist also noch nicht an der Basis angekommen. Das wäre dannDemokratie. Konsequente Gewaltentrennung , die aber in sich unterteilt werden muss, führt in diese Richtung. Für Demokratie aber muss sich aber auch unser Verständnis des Souveräns und von Macht grundlegend verändern.

Michael U. Baumgartner

Michael U. Baumgartner

Masterstudiengang in angewandter Ethik (mit Schwerpunkt Medizin- und Umweltethik) am Ethikinstitut der Universität Zürich und in Sozialarbeit (mit Schwerpunkt interkulturelle Arbeit und Konfliktmanagement) an der Fachhochschule Alice-Salomon in Berlin

Ausbildung in Sozialer Arbeit MSW mit Schwerpunkte Gemeinwesenentwicklung und Empowerment (Schweiz, London, Berlin),

Weiterbildung u.a. Spitalseelsorge sowie Biographiearbeit (nach Dr. Rudolf Steiner), in neuro-systemischem Coaching, Organisationsentwicklung, nachhaltiger Entwicklung, Umweltberatung, Neurolinguistischem Programmieren, internationalen Menschenrechtsinstrumenten und externalisierter Emotionsarbeit (nach Dr. Elisabeth Kübler-Ross) sowie Kommunikation/PR.

Diplomarbeit ‚Die Psycho-Sozialen Betreuung von Folteropfern und ihre Bedeutung für die Sozialarbeit’ publiziert im Verlag Edition Soziothek Bern.

Mitglied der International Association for Community Development IACD , der EU-COST-Action zu Deliberativer Demokratie CONSTDELIB (bis 2022) und im Vorstand von Neustart Schweiz und Losdemokratie

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