«Europa kann nur Frieden»
Die zentralen Landmassen der Erde, also Russland bis Sibirien, sind den Seemächten letztlich überlegen, vor allem wenn sie sich mit Osteuropa und Afrika verbinden - befand der Geograph Sir Halford John Mackinder 1904 in seiner Heartland-Theorie. In ihrem neuen Buch wendet Ulrike Guérot seine Theorie auf die heutige geopolitische Situation an und zeigt die eigentliche Stärke Europas auf.
Mit «Heartland» bezeichnete der Geograph Sir Halford John Mackinder 1904 die kontinentale Landmasse von Westsibirien bis zum europäischen Russland. Er befand, dass dieses Herzland den so genannten Seemächten wie dem amerikanischen Kontinent, Grossbritannien, Australien etc. überlegen ist und dass es – vor allem wenn es die gesamte «Weltinsel» genannte Region von Osteuropa bis Afrika einbezieht, seine Ressourcen gemeinsam nutzt, seine Verkehrswege, Infrastruktur und Produktionsmöglichkeiten verwaltet und sich zu einigen zu vermag.
Wer über Osteuropa herrscht, beherrscht das Herzland.
Wer über das Herzland herrscht, beherrscht die Weltinsel.
Wer über die Weltinsel herrscht, beherrscht die Welt.
Ulrike Guérot erkennt Sir Halford John Mackinders «Heartland-Theorie» als geografischen Dreh- und Wendepunkt der Geschichte. Sie betrachtet ihn aus einem neuen Blickwinkel und ordnet ihn in das aktuelle Zeitgeschehen ein, inklusive der US-Wahlen. So erkennen wir geostrategische Handlungslinien der heutigen Politik, verstehen den jahrhundertlangen Konflikt mit Russland und die Position der USA und Grossbritanniens im Stellvertreterkrieg in der Ukraine. Denn wenn die «Seemächte» sich tatsächlich so unterlegen fühlen gegenüber einer vereinigten «Weltinsel», müssen sie alles tun, um diese zu entzweien. Europa handle im Ukraine-Krieg gegen seine ureigensten Interessen.
Auf ihrem Blog schrieb sie nach der US-Wahl: «Trump wird die USA hoffentlich, wie angekündigt, zügig aus der Ukraine zurückziehen und keine Gelder für Waffen mehr bewilligen. Das ist gut, ja überlebensnotwendig für Europa. (…) Die einzige Chance, die Europa hat, wenn es seiner zunehmenden Lateinamerikanisierung entkommen will, ist, sich auf seine Kultur, seine Geographie und seine eigenen geostrategischen Interessen zu besinnen; zweitens, sich endlich politisch zu einen; und drittens Kurs auf die BRICS-Staaten zu nehmen.»
Im Buch findet sie weitere klare Worte zu Krieg und Europa: «Nicht nur hat Europa kein Geld für Krieg. Europa kann nicht Krieg und es hat in diesem Krieg nichts zu gewinnen! Es ist dafür strukturell, finanziell und militärisch nicht ausgelegt. Europa kann sich keinen Krieg leisten, wenn es als demokratische Einheit überleben soll. Anders formuliert: Europa hiess einmal #niewiederKrieg! Europa kann nur Frieden. Allein die Rückbesinnung auf seine Geschichte kann Europa retten und seine Emanzipation befördern. Europa muss wieder Friedensmacht werden, muss aus dem Frieden wieder seine Kraft, seine Stärke und seine Identität ziehen. Das ist es, was Europa, eingeübt über Jahrhunderte in einem Gleichgewicht der Mächte, in eine multipolare, eurasische Welt des 21. Jahrhunderts einbringen müsste. Kurz: Europa ist gleichsam der Anti-Mackinder!»
In dem Buch ist der komplette Originaltext von Halford J. Mackinder enthalten. Sir Halford John Mackinder (1861-1947) war ein britischer Geograph, Wirtschafts- und Politikwissenschaftler. Er war Mitbegründer und von 1903 bis 1908 Direktor der London School of Economics.
Ulrike Guérot studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Philosophie in Bonn, Münster und Paris. Sie ist Professorin und Publizistin in den Themenbereichen Europa und Demokratie, mit Stationen in Think Tanks und an Universitäten in Paris, Brüssel, London, Washington, Berlin, Wien und Bonn. 2014 gründete sie das European Democracy Lab e. V., eine Denkfabrik zum Neudenken von Europa. 2016 wurde ihr Buch Warum Europa eine Republik werden muss. Eine politische Utopie europaweit ein Bestseller genauso wie 2022 Wer schweigt, stimmt zu und Endspiel Europa. Sie forscht zur Entwicklung von Konzepten für die Zukunft des europäischen Integrationsprozesses.
Ulrike Guérot über Halford J. Mackinders «Heartland-Theorie. Der geografische Drehpunkt der Geschichte», 124 Seiten, Westend Verlag, 2. Dezember 2024
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