«Europa kann nur Frieden»

Die zentralen Landmassen der Erde, also Russland bis Sibirien, sind den Seemächten letztlich überlegen, vor allem wenn sie sich mit Osteuropa und Afrika verbinden - befand der Geograph Sir Halford John Mackinder 1904 in seiner Heartland-Theorie. In ihrem neuen Buch wendet Ulrike Guérot seine Theorie auf die heutige geopolitische Situation an und zeigt die eigentliche Stärke Europas auf.

Die Einteilung der „Weltinsel“ in Mackinders Heartland-Theorie. Bildquelle: Wikipedia
Die Einteilung der „Weltinsel“ in Mackinders Heartland-Theorie. Bildquelle: Wikipedia

Mit «Heartland» bezeichnete der Geograph Sir Halford John Mackinder 1904 die kontinentale Landmasse von Westsibirien bis zum europäischen Russland. Er befand, dass dieses Herzland den so genannten Seemächten wie dem amerikanischen Kontinent, Grossbritannien, Australien etc. überlegen ist und dass es – vor allem wenn es die gesamte «Weltinsel» genannte Region von Osteuropa bis Afrika einbezieht, seine Ressourcen gemeinsam nutzt, seine Verkehrswege, Infrastruktur und Produktionsmöglichkeiten verwaltet und sich zu einigen zu vermag.

Wer über Osteuropa herrscht, beherrscht das Herzland.
Wer über das Herzland herrscht, beherrscht die Weltinsel.
Wer über die Weltinsel herrscht, beherrscht die Welt.

Ulrike Guérot erkennt Sir Halford John Mackinders «Heartland-Theorie» als geografischen Dreh- und Wendepunkt der Geschichte. Sie betrachtet ihn aus einem neuen Blickwinkel und ordnet ihn in das aktuelle Zeitgeschehen ein, inklusive der US-Wahlen. So erkennen wir geostrategische Handlungslinien der heutigen Politik, verstehen den jahrhundertlangen Konflikt mit Russland und die Position der USA und Grossbritanniens im Stellvertreterkrieg in der Ukraine. Denn wenn die «Seemächte» sich tatsächlich so unterlegen fühlen gegenüber einer vereinigten «Weltinsel», müssen sie alles tun, um diese zu entzweien. Europa handle im Ukraine-Krieg gegen seine ureigensten Interessen.

Auf ihrem Blog schrieb sie nach der US-Wahl: «Trump wird die USA hoffentlich, wie angekündigt, zügig aus der Ukraine zurückziehen und keine Gelder für Waffen mehr bewilligen. Das ist gut, ja überlebensnotwendig für Europa. (…) Die einzige Chance, die Europa hat, wenn es seiner zunehmenden Lateinamerikanisierung entkommen will, ist, sich auf seine Kultur, seine Geographie und seine eigenen geostrategischen Interessen zu besinnen; zweitens, sich endlich politisch zu einen; und drittens Kurs auf die BRICS-Staaten zu nehmen.»

Im Buch findet sie weitere klare Worte zu Krieg und Europa: «Nicht nur hat Europa kein Geld für Krieg. Europa kann nicht Krieg und es hat in diesem Krieg nichts zu gewinnen! Es ist dafür strukturell, finanziell und militärisch nicht ausgelegt. Europa kann sich keinen Krieg leisten, wenn es als demokratische Einheit überleben soll. Anders formuliert: Europa hiess einmal #niewiederKrieg! Europa kann nur Frieden. Allein die Rückbesinnung auf seine Geschichte kann Europa retten und seine Emanzipation befördern. Europa muss wieder Friedensmacht werden, muss aus dem Frieden wieder seine Kraft, seine Stärke und seine Identität ziehen. Das ist es, was Europa, eingeübt über Jahrhunderte in einem Gleichgewicht der Mächte, in eine multipolare, eurasische Welt des 21. Jahrhunderts einbringen müsste. Kurz: Europa ist gleichsam der Anti-Mackinder!»

MackinderIn dem Buch ist der komplette Originaltext von Halford J. Mackinder enthalten. Sir Halford John Mackinder (1861-1947) war ein britischer Geograph, Wirtschafts- und Politikwissenschaftler. Er war Mitbegründer und von 1903 bis 1908 Direktor der London School of Economics.

guerotUlrike Guérot studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Philosophie in Bonn, Münster und Paris. Sie ist Professorin und Publizistin in den Themenbereichen Europa und Demokratie, mit Stationen in Think Tanks und an Universitäten in Paris, Brüssel, London, Washington, Berlin, Wien und Bonn. 2014 gründete sie das European Democracy Lab e. V., eine Denkfabrik zum Neudenken von Europa. 2016 wurde ihr Buch Warum Europa eine Republik werden muss. Eine politische Utopie europaweit ein Bestseller genauso wie 2022 Wer schweigt, stimmt zu und Endspiel Europa. Sie forscht zur Entwicklung von Konzepten für die Zukunft des europäischen Integrationsprozesses.

heartland

Ulrike Guérot über Halford J. Mackinders «Heartland-Theorie. Der geografische Drehpunkt der Geschichte», 124 Seiten, Westend Verlag, 2. Dezember 2024

Kommentare

Kann Europa nur Frieden?

von DerEntwickler
Die im Artikel zitierte Aussage von Ulrike Guérot, dass Europa Krieg nicht kann wäre meiner ist m.A.n. nur dann korrekt, wenn Europa als Nation oder Kontinent nicht gäbe. Da Europa keine Nation ist, wohl aber als Kontinent besteht (je nach Autor mit unterschiedlicher Ausdehnung im Osten) ist diese Aussage m.A.n. objektiv falsch. Richtig ist, dass die Länder Europas Krieg bestens können (was Zeiten des Nicht-Kriegs und lokalen Aufblühens durchaus einschliesst). Viele dieser Nationen sind ja gerade aus Kriegen hervorgegangen. Dass Krieg und Wiederaufbau zwar Staaten ruiniert jedoch bedauerlicherweise noch immer als sehr lukrative Geschäfte gehandelt werden, darauf gehe ich hier nicht ein. Wir dürfen uns als Menschen (egal wo wir leben) Krieg nicht mehr leisten! Regierende wissen genau, dass Kriege unsägliches Leiden hervorbringen und Volkswirtschaften ruinieren. Sie wissen auch bestens, dass ein Krieg geradewegs zum nächsten Krieg führt. All das ist den Regierenden bekannt, für sie jedoch offensichtlich kein Grund friedliche Wege der Konfliktlösung einzuschlagen. Beschämend! Dass Europa Krieg kann bezeugen schon die vielen Burgen, die auf unserem Kontinent heute noch zu finden sind. (Anderorts in der Welt sollen es bedeutend weniger sein, siehe dazu auch Peter Frankpopan’s Buch Licht aus dem Osten). Diese Festungen sind eindrückliches Abbild der ‚Militarisierung der Religion‘ in Europa wie Jacques LeGoff in Die Geburt Europas im Mittelalter aufzeigt. Da der Klerus nicht töten darf, erschuf sich die katholische Kirche das Rittertum als ihren eigenen Söldnertrupp; von Königen finanziert. Wenn wir die Geschichte unseres Kontinentes anschauen verwundert es dann auch nicht, dass die europäische Geschichte vor allem eine blutige ist. Krieg nach Krieg bis heute. Als die Seefahrt erschlossen wurde, exportierten die Reiche Europas ihre Kriege untereinander um Vormacht und Ressourcen in die ganze Welt. Die Spuren der Kolonialisierung werden heute noch erlitten. Ich kann gut verstehen, dass es Menschen in Deutschland gibt, die sich - angesichts des zweigeteilten Weltkrieges zu welchem Deutschland (wenn auch nicht alleinig so doch massgeblich) geführt hat - eine Einbettung ihres Landes in etwas Grösseres dringlichst suchen. Dieser Wunsch, Deutschland vor sich selber zu schützen, ist nach einer solchen grauenhaften Entgleisung (durch das Nazireich) völlig verständlich, gerade weil Deutschland wieder die stärkste Macht Europas und somit führend wurde. Eine solche Einbettung wäre jedoch nichts anderes als ein ‚Aufgehen Europas in Deutschland‘ wie Deutschland bei seiner Staatenbegründung 1871 eigentlich im Preussentum aufgegangen ist (ich weiss nicht mehr, in welchem Buch ich diese, wie mir scheint, passende Formulierung gelesen habe). Das Bedürfnis des Schutzes vor sich selber sowie das Bedürfnis endlich doch noch auf der vermeintlich richtigen Seite zu stehen, kann auch erklären, warum gerade die ideologisch geprägten Sozialdemokraten und Grünen sich erneut den USA unterwerfen und deren Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine massgeblich mitführen. Ein weiterer Krieg in Europa unter so entsetzlich vielen. Wenn Europa aus der Geschichte eines gelernt haben sollte, dann das: eine friedliche Ko-Existenz von benachbarten Regionen und unterschiedlichen Menschengruppen ist heute ebenso möglich wie Pflicht! Ersteres hat uns die Geschichte mehrfach gezeigt (s. Auch Licht aus dem Osten). Letzteres ergibt sich aus einem zeitgemässen Menschenverständnis: durch die Erkenntnis, dass wir nicht alle gleich sind, sein können, wollen und müssen (was sich etwas in den Menschenrechten spiegelt). Beides sollte uns vor Weltregierungsfantasien schützen. Der ganze Beitrag findet sich unter https://derentwickler.ch/blog/