Fussballsmog-Alarm
In WM-Zeiten haben es «Fussballverweigerer» nicht leicht. Der Sport dominiert den öffentlichen Raum, und ein Entrinnen scheint kaum möglich. Es wird Zeit, dass sich Widerstand regt. Roland Rottenfußer sprach mit Miroslav Struntz, dem Vorsitzenden des Vereins für Nichtfussballfan-Schutz (VNFS).
Herr Struntz, Sie vergleichen die Belästigung von Nichtfussballfans durch Fussball-Turniere mit den Gefahren des Passivrauchens. Ist das nicht reichlich übertrieben?
Struntz: Keineswegs. Sie können sich in WM-Zeiten kaum in eine Kneipe oder in ein Restaurant setzen, in dem nicht auf einem Bildschirm Fussball läuft. Es kommt Fussballfans nicht in den Sinn, dass es Menschen mit anderen Interessen gibt, die sich dadurch gestört fühlen. Wenn ich mich in der Öffentlichkeit unterhalte, sind das Plappern des Stadionsprechers und die erregten Ausrufe der Fans immer als Grundrauschen im Hintergrund. Ich spreche deshalb auch von Fussballsmog, in Anlehnung an Infosmog oder Elektrosmog. Fahre ich mit der U-Bahn, kommen mir betrunkene, grotesk kostümierte Fans entgegen. Besuche ich ein Fest, gibt es sicher einen Gast, der fragt, ob es nicht einen Fernseher gibt und er sich «das Spiel» anschauen darf.
Was genau fordern Sie von den Verantwortlichen?
Zunächst ein generelles Fussballverbot in Einraum-Kneipen und eine strikte Trennung zwischen Fussball und Nichtfussball-Bereichen in Gaststätten mit mehreren Räumen. Wir wollen auch, dass Public Viewing auf öffentlichen Plätzen generell abgeschafft wird. Sportsendungen sollten auf einen eigenen, öffentlich-rechtlichen Fernsehkanal verbannt werden, damit Nichtfans die Chance haben, die Medien zu verfolgen, ohne dass ihnen dauernd Sportnachrichten aufgedrängt werden.
Sie rufen nach einem autoritären Staat.
Ich will nicht mehr staatliche Autorität als unbedingt nötig. Wie beim Nichtraucherschutz muss auch beim Fussball der Opferschutz Vorrang haben vor der Selbstentfaltung der Täter.
Sie bezeichnen sich als Opfer? Ich heul gleich!
Ich bleibe dabei: Die Hysterie gerade zu WM-Zeiten grenzt an Diskriminierung der Nichtfussballfans. So genannte Fussball-Muffel werden entweder ungefragt vereinnahmt oder ausgegrenzt. Vereinnahmt, wenn z.B. von «Fussball-Deutschland» gesprochen oder behauptet wird: «Ganz Deutschland fiebert mit unseren Jungs». Ich bin Deutscher, und meine Körpertemperatur bewegt sich im normalen Rahmen.
Und warum fühlen Sie sich ausgegrenzt?
Weil ich als Nicht-Fans als vaterlandslose Geselle oder verhaltensgestörtes Kuriosum vorgeführt werde. Bei der WM 2006 gab es Radiointerviews mit «Fussballverweigerern», die von der Moderatorin herablassend befragt wurden. Und wehe, ich kann einmal bei einem Fussballgespräch im Büro nicht mithalten. Es dauert nicht lang, dann versucht man mich in eine Konversation über infantile Namen wie Schweini, Poldi oder Jogi zu verwickeln. «Was sagst du zum Schweini-Tor? Was, du hast das Spiel nicht gesehen? Sag mal, wo lebst du eigentlich?»
Immerhin zwingt Sie niemand, Fussball zu schauen. Sie können ausweichen.
Machen Sie Witze? Als Nichtfussballfan bin ich gezwungen, mein Leben um Fussball herum zu organisieren. Anpassung oder Flucht heisst die Devise. Anpassung steht dem deutschen Gemüt natürlich erst mal näher. Wer trotzdem die Flucht wählt, findet kaum noch Rückzugsräume. Wenn ich z.B. versuche, während eines Deutschlandspiels in ein leeres Kino auszuweichen, holen mich auf dem Nachhauseweg brüllende Fankolonnen ein. Schon der Zwang, über Spieltermine informiert zu sein, um wenigstens den schlimmsten Fanströmen auszuweichen, bindet den Nicht-Fan indirekt an Fussball.
Wir leben in einem freien Land. Wenn Menschen spontan und öffentlich ihre Begeisterung zeigen wollen, sollen sie es tun.
Es ist eine sehr selektive Freiheit. Der Staat zeigt sich kleinlich, wenn Jugendliche auf Plätzen lärmen. Streng überwacht er Demonstranten, die aus politischen Gründen Platz für sich beanspruchen. Fussballfans bekommen den öffentlichen Raum ohne Probleme, obwohl sie weder unauffällig, noch nüchtern oder besonders freidliebend sind. Man sieht daran, welche Art von Bürgern dem Staat lieber ist.
Aber die Fussballbegeisterung ist im Volk tief verwurzelt. Sie ist keine Erfindung des Staates.
Das stimmt nur teilweise. Ab einer bestimmten Grössenordnung wird ein Phänomen zum Selbstläufer. Auch Menschen mit wenig Interesse an Fussball vermeiden lieber das Unbehagen, «nicht dazu zu gehören». Es ist die archaische Angst davor, von der Herde ausgestossen zu werden. Eine Fussball-WM zu ignorieren ist ungefähr so unmöglich wie Weihnachten zu ignorieren. Man fühlt sich aus der Gemeinschaft der Rechtgläubigen ausgeschlossen. Aber an Weihnachten wurde immerhin Jesus geboren; bei der WM bolzen Poldi und Schweini. Es sagt etwas über eine Kultur aus, von welchen Phänomenen sie sich dominieren lässt.
Das klingt so, als ob Sie sich über Sportfans generell erhaben fühlen. Es gibt auch viele intelligente Fussball-Zuschauer.
Ja, aber die sind trotz des Fussballs intelligent, nicht wegen ihm. Sport hat erst mal nichts mit Intelligenz, sondern mit Körperbeherrschung zu tun. Durch die Dominanz einer lautstarken Minderheit und den Einfluss der Medien hat sich die Fussballszene aber zu einem Musterbeispiel verdummender Spasskultur entwickelt. Fanatiker in Ganzkörperbemalung in den Landesfarben, werden mehr beachtet als gemässigte Fans.
Wie erklären Sie es sich dann, dass die Fussballbegeisterung alle Altersgruppen und Gesellschaftsschichten durchzieht?
Das hat sicher mit der Lust an ungehemmter Gefühlsentladung zu tun. Laut sein, Begeisterung, in Gemeinschaft schwelgen – das tut allen Menschen bisweilen gut. Und es gibt in unserer Leisetreter-Gesellschaft viel zu wenig Gelegenheit dazu. Fussball ist da eher wie Karneval. Es ist ein Ventil und dient der Seelenhygiene. Ein periodischer Ausbruch des «dionysischen Chaos» ist offenbar nötig, damit sich die Menschen sonst ruhig verhalten können. Die Frage ist nur: Warum sollen Sie sich ruhig verhalten?
Wie meinen Sie das? Wittern Sie eine politische Verschwörung?
Ich glaube auf jeden Fall, dass Fussball auch ein Politikum ist. Grossturniere, vor allem der Sieg der eigenen Mannschaft, helfen immer der Regierung. Nelson Mandela hat sich 1995 des Rugby-Sports bedient, um sein zerrissenes Land zusammen zu schweissen. Und man fragt sich, was Angela Merkel 2006 im Trainingslager der deutschen Mannschaft zu suchen hatte. Sie war vorher nie durch ihre sportliche Kompetenz aufgefallen und versuchte sich in im Glanz von Ballack und Co. zu sonnen. Was daran politisch ist? Das heutige «Fussball-Deutschland» investiert Gefühl in eine Bagatelle und verweigert zugleich sein Engagement in Fragen, die uns alle brennend interessieren sollten. Z.B. Krieg, Überwachungsstaat oder Sozialabbau. «Brot und Spiel», damit haben schon die alten Römer die Massen kontrolliert.
Die Fussballer können doch nichts dafür, wenn sich Politiker an sie dran hängen.
Nein, aber der Fussball zeigte sich gegenüber deer Politik durchaus aufgeschlossen. Jürgen Klinsmann gab in der WM-Doku «Deutschland, ein Sommermärchen» zu Besten, dass «die Deutschen zu viel jammern». Die grandiose Durchhalteleistung der Fussballer müsse nun ein Beispiel positiver Energie geben. Das war mehr als nur kompatibel mit dem Gerede unserer neoliberalen Politiker.
Fussball, ein neoliberaler Sport? Das ist doch lachhaft!
Ein Fussballturnier, das von den Medien zum Nationalepos überhöht wird, rückt genau die Eigenschaften in den Mittelpunkt, die politisch gewollt sind: Härte, Konkurrenz, Kampfgeist, Nationalgefühl und eine infantile Freude am Umgang mit nationalen Symbolen.
Sie mögen halt Fussball einfach nicht, vielleicht weil sie sich mal durch Fangesänge genervt fühlten. Nun machen Sie doch daraus keine Grundsatzfrage!
Es geht nicht um gelegentliche Fangesänge. Schlimmer ist die Gleichschaltung als solche, die totale Vereinnahmung des öffentlichen Raums durch ein einziges Thema. Die WM 2006 zeigte, was einem Interessenkomplex aus Sport, Medien, Politik und Wirtschaft heute möglich ist. Warum sollte dasselbe nicht auch bei einem anderen, gefährlicheren Thema gelingen? Heute sind die Medien sogar imstande, den Volkszorn auf vorher beliebte europäische Länder zu schüren, z.B. die Schweiz und jetzt Griechenland. Das könnte ein Vorgeschmack sein auf das, was noch auf uns zukommt.
Ich finde, man muss nicht alles problematisieren. Die Leute wollen einfach nur Spass haben.
Ja, aber warum muss sich der Spass unbedingt an einem Symbol des Nationalen entzünden, das immer auch ein Symbol des Trennenden ist?
Wenn Menschen durch ein Sportereignis ein Gefühl des Zusammenhalts erleben, ist das noch lange kein gefährlicher Nationalismus.
Nein, aber vor lauter Fahnenseligkeit vergessen wir, dass das Gerede von «Volksgemeinschaft» schon immer eine Lüge war. Sie ist es umso mehr, wenn ein Land zunehmend in Arm und Reich, Verlierer und Gewinner zerfällt. Man fokussiert sich auf einen nationalen Gegensatz, z.B. Deutschland gegen Italien. Dabei tritt ein viel wichtigerer Gegensatz in den Hintergrund: der zwischen Oben und Unten. Je mehr sich das Individuum in seinem sozialen Umfeld machtlos und entwürdigt fühlt, desto mehr verlangt es nach Ausgleich auf der kollektiven Ebene. Der Arbeitsmarkt unter dem Diktat des Kapitalismus bietet für viele Menschen Anlass, sich «klein» zu fühlen.
Es sind wirtschaftlich schwierige Zeiten. Aber ich finde es nicht schlüssig, wenn Sie den Menschen deshalb jetzt die Freude am Fussball nehmen wollen.
Fussball ist nur geliehenes Glück, eine Fremdfreude. Nach dem Fussballevent fallen wir wieder in unsere gefühlte Bedeutungslosigkeit zurück. Statt unseren Stolz an die Nationalmannschaft zu delegieren, sollten wir endlich die Voraussetzung dafür schaffen, auf uns selbst stolz zu sein. Entwickeln wir die Tugenden in uns, die wir uns von den Spielern wünschen und packen wir mit dieser Energie endlich die Themen an, die wirklich wichtig sind!
Das Interview ist leider nur Satire. Weitere Satiren von Roland Rottenfußer lesen Sie in jeder Ausgabe des Zeitpunkt.
Den Zeitpunkt lernen Sie am besten mit einem Schnupperabo kennen (3 Ausgaben à Fr. 20.- statt 30.- am Kiosk):
http://www.zeitpunkt.ch/abonnements/schnupperabo.html
Struntz: Keineswegs. Sie können sich in WM-Zeiten kaum in eine Kneipe oder in ein Restaurant setzen, in dem nicht auf einem Bildschirm Fussball läuft. Es kommt Fussballfans nicht in den Sinn, dass es Menschen mit anderen Interessen gibt, die sich dadurch gestört fühlen. Wenn ich mich in der Öffentlichkeit unterhalte, sind das Plappern des Stadionsprechers und die erregten Ausrufe der Fans immer als Grundrauschen im Hintergrund. Ich spreche deshalb auch von Fussballsmog, in Anlehnung an Infosmog oder Elektrosmog. Fahre ich mit der U-Bahn, kommen mir betrunkene, grotesk kostümierte Fans entgegen. Besuche ich ein Fest, gibt es sicher einen Gast, der fragt, ob es nicht einen Fernseher gibt und er sich «das Spiel» anschauen darf.
Was genau fordern Sie von den Verantwortlichen?
Zunächst ein generelles Fussballverbot in Einraum-Kneipen und eine strikte Trennung zwischen Fussball und Nichtfussball-Bereichen in Gaststätten mit mehreren Räumen. Wir wollen auch, dass Public Viewing auf öffentlichen Plätzen generell abgeschafft wird. Sportsendungen sollten auf einen eigenen, öffentlich-rechtlichen Fernsehkanal verbannt werden, damit Nichtfans die Chance haben, die Medien zu verfolgen, ohne dass ihnen dauernd Sportnachrichten aufgedrängt werden.
Sie rufen nach einem autoritären Staat.
Ich will nicht mehr staatliche Autorität als unbedingt nötig. Wie beim Nichtraucherschutz muss auch beim Fussball der Opferschutz Vorrang haben vor der Selbstentfaltung der Täter.
Sie bezeichnen sich als Opfer? Ich heul gleich!
Ich bleibe dabei: Die Hysterie gerade zu WM-Zeiten grenzt an Diskriminierung der Nichtfussballfans. So genannte Fussball-Muffel werden entweder ungefragt vereinnahmt oder ausgegrenzt. Vereinnahmt, wenn z.B. von «Fussball-Deutschland» gesprochen oder behauptet wird: «Ganz Deutschland fiebert mit unseren Jungs». Ich bin Deutscher, und meine Körpertemperatur bewegt sich im normalen Rahmen.
Und warum fühlen Sie sich ausgegrenzt?
Weil ich als Nicht-Fans als vaterlandslose Geselle oder verhaltensgestörtes Kuriosum vorgeführt werde. Bei der WM 2006 gab es Radiointerviews mit «Fussballverweigerern», die von der Moderatorin herablassend befragt wurden. Und wehe, ich kann einmal bei einem Fussballgespräch im Büro nicht mithalten. Es dauert nicht lang, dann versucht man mich in eine Konversation über infantile Namen wie Schweini, Poldi oder Jogi zu verwickeln. «Was sagst du zum Schweini-Tor? Was, du hast das Spiel nicht gesehen? Sag mal, wo lebst du eigentlich?»
Immerhin zwingt Sie niemand, Fussball zu schauen. Sie können ausweichen.
Machen Sie Witze? Als Nichtfussballfan bin ich gezwungen, mein Leben um Fussball herum zu organisieren. Anpassung oder Flucht heisst die Devise. Anpassung steht dem deutschen Gemüt natürlich erst mal näher. Wer trotzdem die Flucht wählt, findet kaum noch Rückzugsräume. Wenn ich z.B. versuche, während eines Deutschlandspiels in ein leeres Kino auszuweichen, holen mich auf dem Nachhauseweg brüllende Fankolonnen ein. Schon der Zwang, über Spieltermine informiert zu sein, um wenigstens den schlimmsten Fanströmen auszuweichen, bindet den Nicht-Fan indirekt an Fussball.
Wir leben in einem freien Land. Wenn Menschen spontan und öffentlich ihre Begeisterung zeigen wollen, sollen sie es tun.
Es ist eine sehr selektive Freiheit. Der Staat zeigt sich kleinlich, wenn Jugendliche auf Plätzen lärmen. Streng überwacht er Demonstranten, die aus politischen Gründen Platz für sich beanspruchen. Fussballfans bekommen den öffentlichen Raum ohne Probleme, obwohl sie weder unauffällig, noch nüchtern oder besonders freidliebend sind. Man sieht daran, welche Art von Bürgern dem Staat lieber ist.
Aber die Fussballbegeisterung ist im Volk tief verwurzelt. Sie ist keine Erfindung des Staates.
Das stimmt nur teilweise. Ab einer bestimmten Grössenordnung wird ein Phänomen zum Selbstläufer. Auch Menschen mit wenig Interesse an Fussball vermeiden lieber das Unbehagen, «nicht dazu zu gehören». Es ist die archaische Angst davor, von der Herde ausgestossen zu werden. Eine Fussball-WM zu ignorieren ist ungefähr so unmöglich wie Weihnachten zu ignorieren. Man fühlt sich aus der Gemeinschaft der Rechtgläubigen ausgeschlossen. Aber an Weihnachten wurde immerhin Jesus geboren; bei der WM bolzen Poldi und Schweini. Es sagt etwas über eine Kultur aus, von welchen Phänomenen sie sich dominieren lässt.
Das klingt so, als ob Sie sich über Sportfans generell erhaben fühlen. Es gibt auch viele intelligente Fussball-Zuschauer.
Ja, aber die sind trotz des Fussballs intelligent, nicht wegen ihm. Sport hat erst mal nichts mit Intelligenz, sondern mit Körperbeherrschung zu tun. Durch die Dominanz einer lautstarken Minderheit und den Einfluss der Medien hat sich die Fussballszene aber zu einem Musterbeispiel verdummender Spasskultur entwickelt. Fanatiker in Ganzkörperbemalung in den Landesfarben, werden mehr beachtet als gemässigte Fans.
Wie erklären Sie es sich dann, dass die Fussballbegeisterung alle Altersgruppen und Gesellschaftsschichten durchzieht?
Das hat sicher mit der Lust an ungehemmter Gefühlsentladung zu tun. Laut sein, Begeisterung, in Gemeinschaft schwelgen – das tut allen Menschen bisweilen gut. Und es gibt in unserer Leisetreter-Gesellschaft viel zu wenig Gelegenheit dazu. Fussball ist da eher wie Karneval. Es ist ein Ventil und dient der Seelenhygiene. Ein periodischer Ausbruch des «dionysischen Chaos» ist offenbar nötig, damit sich die Menschen sonst ruhig verhalten können. Die Frage ist nur: Warum sollen Sie sich ruhig verhalten?
Wie meinen Sie das? Wittern Sie eine politische Verschwörung?
Ich glaube auf jeden Fall, dass Fussball auch ein Politikum ist. Grossturniere, vor allem der Sieg der eigenen Mannschaft, helfen immer der Regierung. Nelson Mandela hat sich 1995 des Rugby-Sports bedient, um sein zerrissenes Land zusammen zu schweissen. Und man fragt sich, was Angela Merkel 2006 im Trainingslager der deutschen Mannschaft zu suchen hatte. Sie war vorher nie durch ihre sportliche Kompetenz aufgefallen und versuchte sich in im Glanz von Ballack und Co. zu sonnen. Was daran politisch ist? Das heutige «Fussball-Deutschland» investiert Gefühl in eine Bagatelle und verweigert zugleich sein Engagement in Fragen, die uns alle brennend interessieren sollten. Z.B. Krieg, Überwachungsstaat oder Sozialabbau. «Brot und Spiel», damit haben schon die alten Römer die Massen kontrolliert.
Die Fussballer können doch nichts dafür, wenn sich Politiker an sie dran hängen.
Nein, aber der Fussball zeigte sich gegenüber deer Politik durchaus aufgeschlossen. Jürgen Klinsmann gab in der WM-Doku «Deutschland, ein Sommermärchen» zu Besten, dass «die Deutschen zu viel jammern». Die grandiose Durchhalteleistung der Fussballer müsse nun ein Beispiel positiver Energie geben. Das war mehr als nur kompatibel mit dem Gerede unserer neoliberalen Politiker.
Fussball, ein neoliberaler Sport? Das ist doch lachhaft!
Ein Fussballturnier, das von den Medien zum Nationalepos überhöht wird, rückt genau die Eigenschaften in den Mittelpunkt, die politisch gewollt sind: Härte, Konkurrenz, Kampfgeist, Nationalgefühl und eine infantile Freude am Umgang mit nationalen Symbolen.
Sie mögen halt Fussball einfach nicht, vielleicht weil sie sich mal durch Fangesänge genervt fühlten. Nun machen Sie doch daraus keine Grundsatzfrage!
Es geht nicht um gelegentliche Fangesänge. Schlimmer ist die Gleichschaltung als solche, die totale Vereinnahmung des öffentlichen Raums durch ein einziges Thema. Die WM 2006 zeigte, was einem Interessenkomplex aus Sport, Medien, Politik und Wirtschaft heute möglich ist. Warum sollte dasselbe nicht auch bei einem anderen, gefährlicheren Thema gelingen? Heute sind die Medien sogar imstande, den Volkszorn auf vorher beliebte europäische Länder zu schüren, z.B. die Schweiz und jetzt Griechenland. Das könnte ein Vorgeschmack sein auf das, was noch auf uns zukommt.
Ich finde, man muss nicht alles problematisieren. Die Leute wollen einfach nur Spass haben.
Ja, aber warum muss sich der Spass unbedingt an einem Symbol des Nationalen entzünden, das immer auch ein Symbol des Trennenden ist?
Wenn Menschen durch ein Sportereignis ein Gefühl des Zusammenhalts erleben, ist das noch lange kein gefährlicher Nationalismus.
Nein, aber vor lauter Fahnenseligkeit vergessen wir, dass das Gerede von «Volksgemeinschaft» schon immer eine Lüge war. Sie ist es umso mehr, wenn ein Land zunehmend in Arm und Reich, Verlierer und Gewinner zerfällt. Man fokussiert sich auf einen nationalen Gegensatz, z.B. Deutschland gegen Italien. Dabei tritt ein viel wichtigerer Gegensatz in den Hintergrund: der zwischen Oben und Unten. Je mehr sich das Individuum in seinem sozialen Umfeld machtlos und entwürdigt fühlt, desto mehr verlangt es nach Ausgleich auf der kollektiven Ebene. Der Arbeitsmarkt unter dem Diktat des Kapitalismus bietet für viele Menschen Anlass, sich «klein» zu fühlen.
Es sind wirtschaftlich schwierige Zeiten. Aber ich finde es nicht schlüssig, wenn Sie den Menschen deshalb jetzt die Freude am Fussball nehmen wollen.
Fussball ist nur geliehenes Glück, eine Fremdfreude. Nach dem Fussballevent fallen wir wieder in unsere gefühlte Bedeutungslosigkeit zurück. Statt unseren Stolz an die Nationalmannschaft zu delegieren, sollten wir endlich die Voraussetzung dafür schaffen, auf uns selbst stolz zu sein. Entwickeln wir die Tugenden in uns, die wir uns von den Spielern wünschen und packen wir mit dieser Energie endlich die Themen an, die wirklich wichtig sind!
Das Interview ist leider nur Satire. Weitere Satiren von Roland Rottenfußer lesen Sie in jeder Ausgabe des Zeitpunkt.
Den Zeitpunkt lernen Sie am besten mit einem Schnupperabo kennen (3 Ausgaben à Fr. 20.- statt 30.- am Kiosk):
http://www.zeitpunkt.ch/abonnements/schnupperabo.html
11. Juni 2010
von:
von:
- Anmelden oder Registieren um Kommentare verfassen zu können