«ganz normale Menschen»

Vor 14 Jahren konnte ich nach langem Warten endlich in unser gemeinsam neugebautes Haus unserer Wohnungsbaugenossenschaft einziehen. Jahrelang haben wir in vielen Gesprächen, Sitzungen und Wochenendseminaren überlegt, wie die Wohnungen geschnitten, welche Fliesen die Küchen und Bäder erhalten sollten und wie unsere hoch gesteckten ökologischen, sozialen und gemeinschaftlichen Ziele realisiert werden können. Ich selbst war da immer ganz entspannt, die Diskussion über Materialien und Farben interessierte mich eher am Rande, wusste ich doch, dass genügend Fachleute unter uns sind, die sich da kompetent einbringen können. Ich wollte einen Aufzug haben und entschied mich daher in das Haus «A» in das oberste Stockwerk zu ziehen. Da ich selbst einmal drei Monate im Rollstuhl saß, weiß ich wie schwierig es ist, Treppen zu steigen, wenn man an Krücken gehen muss. In das oberste Stockwerk bin ich gezogen, um genügend Abstand zu den Wohnungen mit Kindern zu haben, da ich durchaus meine Ruhe brauche. Der Alltag zeigte dann bald, dass es trotz der Gemeinsamkeit der Mitglieder heiße Diskussionen gibt: Wie laut und wie lange darf gefeiert werden? Für was werden die Gelder verwendet? Wer übernimmt welche Aufgaben? Wieviel Zeit nehmen wir uns für die Diskussion über die Auswahl der Vorhangstoffe etc. Ich bin bei diesen Themen meist pragmatisch und denke mir, dass diejenigen, die den Gemeinschaftsraum verwalten, auf jeden Fall Vorschlagsrecht und daher das letzte Wort haben sollten. Alle sechs Wochen bin ich beim Reinigen der Hausflure des Hauses «A» dran. Naja Spass macht es nicht, es muss halt sein. Das Reinigen klappt aber ganz gut, klar wird gelegentlich ein oder zwei Tage zu spät geputzt. Manche regt das auf, ich bin bei diesen Dingen eher entspannt, es gibt wirklich wichtigere Themen im Leben. Aber da tickt jeder ein wenig anders, auch Genossenschaftsmitglieder sind ganz normale Menschen – manchmal nur mit einem höheren Anspruch an sich und an andere.      

Gerhard Endres (59) wohnt in einer Wohngenossenschaft in München.
www.wogeno.de
           
12. Mai 2014
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