Kanzler zum Schnäppchenpreis

Alles wird privatisiert, und überall werden Kosten eingespart. Warum sollte dieses erhabene Prinzip nicht auch bei der Vergabe von Regierungsämtern gelten? Wie das aussehen könnte, zeigt eine Satire von Roland Rottenfußer

Die Ausschreibung für die Vergabe der Ämter der neuen Bundesregierung hatte einen klaren Sieger: die Regierungspersonal-Leasing-Firma GovernTopPlus. Die ehemalige Zeitarbeitsfirma hatte sich durch die Vermittlung von Bürohilfskräften einen Namen gemacht und sich dann dem Bedarf an Führungkräften in der Politik zugewandt. Nun hatte sie von der Z.V.R.Ä. (Zentrale Vergabestelle für Regierungsämter) den Zuschlag bekommen und sich damit gegen fünf andere private Kanzler- und Ministeranbieter durchgesetzt, die sich ebenfalls um den hoch dotierten Auftrag bemüht hatten.



«Der Kostenfaktor spielte bei unserer Entscheidung die ausschlaggebende Rolle», gab Z.V.R.Ä.-Präsident Trutz Büsemann der Presse am Mittwoch bekannt. «GovernTopPlus wartete mit einem finanziell äusserst attraktiven Angebot auf und unterbot alle Konkurrenten um ein Vielfaches. In Zeiten knapper Kassen ist es besonders wichtig, auf die Kostenbremse zu treten», begründete der Präsident seine Entscheidung.



Einwänden, die Privatisierung der Vermittlung von Volksvertretern widerspreche dem Verfassungsgrundsatz, alle Gewalt müsse vom Volke ausgehen, begegnete Büsemann mit dem Hinweis, dass man «verfassungs- und sozialromantische Vorstellungen endlich durch ein nüchterne Kenntnisnahme der Realität ersetzen» müsse. «Wir wissen doch alle längst, dass die Gewalt von den Leitern großer, global operierender Firmen und Banken ausgeht. Können Sie sich erinnern einen von denen gewählt zu haben?»



Bundeskanzlerin Angela Merkel wird demgemäss zum 1. November durch eine bei GovernTopPlus angestellte Leihkraft, den 67jährigen Quirin Zupflhuber aus Seehausen ersetzt werden. Die noch amtierende Kanzlerin bezeichnete ihre eigene Ablösung in einem Interview als «schmerzhafte, aber notwendige Einsparmassnahme, die in der Logik der bisherigen Politik der Bundesregierung liegt.»



Angesichts der angespannten öffentlichen Diskussion zur Privatisierungsfrage, war ich besonders erfreut, dass ich als einer der ersten Journalisten zu einem Pressetermin mit dem designierten Bundeskanzler Quirin Zupflhuber in den Räumlichkeiten der GovernTopPlus-Zentrale geladen wurde. Nach einer kurzen Begrüssung durch den Geschäftsführer Ronald Klöppel wurde ich dem künftigen Kanzler vorgestellt.



«Griaß Gott!», begrüsste mich der neue Kanzler mit einem kräftigen Handschlag seiner schraubstockartigen Pranken. Schon aus zwei Metern Entfernung entströmte seinem geröteten, knolligen Gesicht ein nach Bier und Enzian-Schnaps riechender Atem. Sein mächtiger, schwammiger Leib presste sich in einen teuren Armani-Anzug. Es war schwer festzustellen, ob es eher an Herrn Zupflhubers Leibesfülle oder an seinem Alkoholkonsum lag, dass er stark schwitzte und seine Bewegungen ungelenk und leicht schwankend wirkten.



«Das soll der neue Bundeskanzler sein?» fragte ich Herrn Klöppel verunsichert. «Sind Sie sicher, dass er ... ich meine, ein so anspruchsvolles Amt und auch auf internationalem Parkett ...?»



«Sicher wären Persönlichkeiten denkbar, die den Anforderungen des Amtes in noch höherem Masse gerecht würden», antwortete Klöppel ruhig. «Bedenken Sie aber auch bitte, dass Herr Zupflhuber zu einem extrem preisgünstigen Gehalt von monatlich 400 Euro zu haben war. Wer maximale Qualitätsansprüche stellt, der soll konkrete Vorschläge machen, wie diese finanziert werden sollen oder besser schweigen. Ausserdem hat Herr Zupfelhuber in den Wochen seit seiner Nominierung schon viel dazugelernt. Gell, Herr Zupfelhuber, erzählen Sie dem netten Herrn von der Presse doch mal Ihr Regierungsprogramm!»



Durch Zupfelhubers massigen Körper ging sichtlich ein Ruck. Kleine Augen starrten konzentriert ins Leere und eine tiefe, bellende Stimme hob zur Rede an: «W-Wachstum ...äh ... Wirtschaftsstandort s-s-s-sichern ... Lohnnebenkosten ... senken ...»



«Sehen Sie», sagte Klöppel, während er Zupflhuber anerkennend auf die Schultern schlug, «die politische Substanz ist durchaus vorhanden. Nur an der Performance müssen wir noch ein bisschen arbeiten.»



«Aber sagen Sie» wandte ich ein, «Wachstum, Wirtschaftsstandort sichern, Lohnnebenkosten senken – ist das als Regierungsprogramm nicht ein bisschen dünn?»



«Gegenfrage: Haben Sie von unseren etablierten Politikern in letzter Zeit etwas wesentlich Anderes gehört?», erwiderte Klöppel routiniert und komplimentierte mich höflich, aber bestimmt zur Tür hinaus.









09. Juli 2009
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