Kleine Brüder und Schwestern der Schöpfung

Impulse zum Franziskustag 4. Oktober 2013

Am 24. August dieses Jahres ist Jean Bastaire (geb. 1927) gestorben, der grosse Intellektuelle und Schriftsteller in der Tradition Charles Péguys (1873 - 1914), Paul Claudels (1868 - 1955) und des Theologen Henri de Lubac (1896 - 1991). Zusammen mit seiner Frau Hélene, einer Ärztin, wurde er zum Wortführer einer «christlichen Ökologie» , was ihm den Übernamen «grüner Papst» einbrachte. Sein Anliegen war nicht, der Ökologie einen christlichen Anstrich zu geben, sondern die Christen zu ihrer wesentlich ökologischen Berufung zu führen. Seine Bücher sind leider nicht in die deutsche Sprache übersetzt worden. Zu nennen sind vor allem: «Le chant des créature» (1996), «Chiens du Seigneur» (2001), «Lettre à François d'Assise sur la fraternité cosmique» (2001), «Pour une écologie chrétienne» (2004), «Le rire de l'univers» (2004), «Un nouveau franciscanisme, Les petits frères et les petites soeurs de la Création» (2005),» Approche franciscaine de l'écologie» (2006), «Le cantique féminin de la Création» (2006), «Pour un Christ vert» (2006), «Éloge de la fidélité au temps de l'éphémère» (2009), «La terre de gloire - Essai d'écologie parousiaque» (2010), «La création, pour quoi faire? : une réponse aux créationnistes (2010) «Pâque de l'univers» (2010), «Insurrection Pascale» (2012). Was bei diesen Titeln auffällt, ist der Bezug zu Franz von Assisi, als dessen Jünger er sich verstand.
In einem fiktiven Gespräch mit Jean Bastaire sollen einige Aspekte dieser christlichen Ökologie herausgestellt werden. Die Antworten auf die Fragen der «Aktion Kirche und Tiere» (AKUT, Anton Rotzetter) erfolgen aus dem Geist des Schriftstellers, oft auch wörtlich (Anführungsstriche).

AKUT: Herr Bastaire, Ihre Frau ist bereits 1992 gestorben, und doch nennen sie sie in beinahe allen ihren Büchern als Mitautorin. Warum?

Jean Bastaire: Sie hat wesentlich dazu beigetragen, dass ich der bin, der ich geworden bin. Wir hatten eine tiefe innere Verbundenheit, die auch nach ihrem Tod andauerte. Ich lebte in einem lebendigen vertrauten Dialog mit ihr. Meine Gedanken sind deshalb auch ihre Gedanken. Zudem bin ich fest überzeugt, dass nichts verloren geht, was diese irdische Zeit erfüllt hat. Die Lichtgestalt Gottes ist das Ziel des Menschen. Meine Frau ist erfüllt vom Glanz Gottes.


Das gilt Ihrer Meinung nach auch für die ganze Schöpfung?

Ja, für jede Pflanze, jedes Tier, jeden Menschen. Wir müssen uns doch fragen, welches das Ziel der Schöpfung ist. «Wenn die Zeit zu Ende geht, ist dann die Schöpfung dem Untergang, der Vernichtung geweiht? Und der Mensch allein wird von der Katastrophe verschont? Die Bibel sagt entschieden nein, besonders im Neuen Testament, vor allem durch den Mund des Apostels Paulus. Das Universum hat eine ewige Bestimmung, es wartet mit Seufzen auf die Befreiung des Menschen und die eigene. Auch das Universum wird einen verherrlichten Leib haben, besser gesagt: von diesem universalen Leib wird der Mensch sein eigenes ?verwandeltes, substanziell überstrahltes Fleisch» leihen. Und das in und durch den verherrlichten Leib Christi, den kosmischen Leib Christi, der alles, was ist, in sich zusammenfasst, und Gott, dem Vater übergibt.»


Das ist wohl eine etwas schwere Kost. In meinem eben erschienenen Buch «Franziskus - ein Name ein Programm» mache ich mir ähnliche Gedanken. Ich verweise da auf den Begriff «Fleisch» des Johannesevangeliums. Leider hat die Theologie diesen Begriff bloss auf den Menschen bezogen und einzig die «Menschwerdung Gottes» verkündet. Der Begriff geht aber weit über diesen Aspekt hinaus. In Jesus ist Gott in alles eingegangen, was vergänglich ist, auch in Pflanze und Tier. Natürlich auch in den Menschen, aber eben nicht nur. In der logischen Konsequenz müssen wir dann auch von der Auferstehung der Schöpfung sprechen. Sie sprechen ja dann vom «Ostern des Universums» und von einer «österlichen Revolution» .

Ja. «Diese Verherrlichung am Ende ist das, was Christen bezeugen sollten. Aber sie denken kaum daran. Doch wäre dieses Motiv der eigentliche und ohne Zweifel wichtigste Grund, die ganze Schöpfung zu lieben und nicht nur für die Bewahrung der zeitlichen Schöpfung zu arbeiten, sondern auch für ihr endgültiges Heil. Das Ziel der Ökologie ist dann die Parusie, die Erscheinung des Lichtglanzes Gottes in allem.»


Was heisst das konkret ?

Man muss das Leiden der Tiere und der Natur in sich verspüren. Seit vielen Jahren «kann ich das Martyrium der Erde und die Verachtung kaum ertragen, welche die Geschöpfe Gottes in ihrer Gesamtheit erleiden müssen.» Man muss alles tun, damit diese Leidensgeschichte ein Ende hat. Tiere und Pflanzen sind unsere Schwestern und Brüder. Sie sind nicht in erster Linie Gebrauchsgegenstände oder Konsumgüter, sondern eigenständige Wesen, die aus der Liebe Gottes entstanden sind.


Sie sprechen von einem Sündenfall der Theologen.

Ja, die Theologie folgte zu wenig der biblischen Logik. Sie haben aus Gott ein abstraktes «erstes Prinzip» gemacht. Aber ein Prinzip liebt nicht. Die Bibel dagegen spricht von einem «liebenden Antlitz» , das sich uns und dem Universum zeigt. Sie spricht von einem Wort, das uns und der Schöpfung zugesagt ist und in dem und durch das alles geschaffen ist. Sie spricht von der «Anrufbarkeit» des Geschöpfes, des Menschen, und von der liebenden Antwort, zu der die Geschöpfe insgesamt fähig sind.

Ist das nicht eine zu schöne Perspektive, um wahr zu sein? Gibt es nicht auch schon in der Natur und im Tierreich das Böse, die Gewalt, das Leiden?

Natürlich. Aber wir sollten nicht zu lange über den Ursprung des Bösen nachdenken. Es geht doch in der ganzen biblischen Geschichte um die Befreiung aus der Gefangenschaft des Bösen. Gerade wir Menschen müssten uns daraus befreien lassen und uns der befreienden Kraft der Liebe Gottes überlassen - und dann alles tun, damit auch die Erde aus ihrem Martyrium und die Tiere aus ihrem Leiden befreit werden. Ich komme zurück auf das biblische Gottesbild. Es spricht von Gott als einem Vater oder, wenn Sie so wollen, auch von einer Mutter. Darin besteht doch die «Originalität des Evangeliums. Für den Christen ist Gott die Liebe, was etwas ganz anderes ist als die höchste Ursache.» Er ist der Vater, die Mutter des Kosmos. Die Bäume, die Vögel, die Sterne sind seine Söhne, die Sonne, die Erde, die Pflanzen, die Katzen seine Töchter. «Wenn dem nicht so wäre, wie könnten dann nichtmenschliche Wesen Brüder und Schwestern für uns sein? Wir haben einen gemeinsamen Vater, eine gemeinsame Mutter.»


Wobei wir bei Franziskus und seinem «Lobgesang der Geschöpfe wären, in dem jedes Geschöpf Bruder oder Schwester der anderen Geschöpfe und der Menschen sind» .

Auf einzigartige Weise hat das Franz von Assisi erfasst. Leider aber nicht die Orden, die auf ihn zurückgehen. Schon bald nach seinem Tod hat man ihn nicht mehr verstanden. Man bewunderte seine Person, aber übersah seine Taten. Oder machte daraus Firlefanz, Folklore, naives Beiwerk, für das man meist ein «herablassendes Lächeln» übrig hat. Dass die Geschöpfe, auch die Tiere, unmittelbar vor Gott stehen und ihn loben, wie er im Sonnengesang sagt, wurde total verkannt. Ich habe einmal geglaubt, dass die Franziskaner der geeignete Schalter sind, an dem eine authentische ökologische Spiritualität zu beziehen wäre. Darum habe ich dem Generalminister einen Brief geschrieben. «Er hat mir mit Sympathie geantwortet. Franziskaner wunderten sich, dass ich mich auf diese oder jene konkrete Initiative einliess. Aber die Reaktionen waren wirklich äusserst wenige. Wie viele andere monastische Orden ist auch der franziskanische blutleer, und Blumen wachsen äusserst selten auf einem alten Stamm» .


Worauf setzen Sie denn noch Ihre Hoffnung?

 Ich hoffe, dass ein neuer Orden entsteht: «die Kleinen Brüder und Kleinen Schwestern der Schöpfung» , die eine Art «neue franziskanische Spiritualität» leben würden, die wirklich an Franz von Assisi orientiert ist. «Alle Geschöpfe, selbst das unscheinbarste Blatt, strecken sich dem WORT entgegen, singen das Lob Gottes, seufzen unbewusst nach Christus. Und er ist zuerst bei den Tieren, sagt F. Dostojewski, und fügt hinzu: Liebe die Tiere, die Pflanzen und du wirst das Geheimnis Gottes in ihnen entdecken. Die Kinder müssten mit Tieren aufwachsen - mit dem Pferd, der Kuh, dem Hund. Dann wird ihre Seele reiner und ihr Verständnis wächst» . Das tägliche Leben wird von Ehrfurcht geprägt werden, und man wird das auch beim Essen feststellen können.

Und die Kirche?

Auch die Kirche muss auf allen Ebenen eine Bekehrung zur Schöpfung und zu den einzelnen Geschöpfen vollziehen. Was sie bis jetzt in ökologischen Bereich tut, ist klein und bewegt sich am Rand. Ein bisschen Wärmeisolation, etwas mehr Fahrradfahren, aber weiterhin folgt man mehr oder weniger den ökonomischen Vorgaben einer auf Konsum angelegten Gesellschaft. Eine ganz andere Grundeinstellung ist gefordert. «Für Priester, Ordensleute ist, denke ich, der Zeitpunkt gekommen, sich bewusst zu machen, dass sich die Kirche über die Grenzen des Menschen hinausbewegen muss und dass zu ihr das ganze Universum gehört. Deshalb gehen die Tiere zu Recht ein in unser Gebet und in unsere Liebe.»


Aktion Kirche und Tiere (AKUT)
Rübibachstr. 9, 6372 Ennetmoos
www.aktion-kirche-und-tiere.ch