»Krisen? Eine grosse Chance zu Wachheit und Bewusstwerdung»

Im neuesten Beitrag unserer Serie «Was denkst du über die Krise, wie bereitest du dich vor?“ sprechen zwei Menschen turbulente Gedanken aus: Erfahrungen aus Heimlichkeiten während der C-Zeit, philosophische, emotionale und sehr praktische Vorschläge. Wir danken weiterhin für Zuschriften und Kommentare an [email protected]

«Wir sind schon fünf!» Foto: (c) Cottonbro Studio

Krise

Ich bin in einer wöchentlichen Meditationsgruppe. Alle wissen, wo der Schlüssel zum Meditationsraum liegt. Es ist eine Gasheizung im Haus. Ob es allerdings dann noch warm sein wird, wissen wir noch nicht. Aber treffen können wir uns trotzdem.

Mein erster Sohn hat im Garten einen grossen, überdachten Grillplatz. Ich denke, wir kochen dort und essen, wenn´s zu kalte Luft wird, bei mir. Ich habe einen Holzofen und einen Ster Holz bei einer Behindertenwerkstatt bestellt. Leider kann ich auf meinem Ofen nicht kochen, höchstens Wasser lauwarm machen. In meiner früheren Wohnung hatte ich einen damals teuren Stubenofen. Bei dem hatte es oben ein Fenster zum Schliessen, ich konnte sogar Brot backen. Schon damals, 2003, dachte ich, man, frau weiss ja nie, ob es ja evtl. mal einen Stromausfall gibt. Leider hat mein zweiter Sohn keinen so guten Ofen gekauft. Und in seiner Wohnung lebe ich jetzt. Immerhin gibt er Wärme ab.

Dann bin ich mit beteiligt in einer Genossenschaft von Solila = Solidarischer Landwirtschaft. Und schon seit ein paar Jahre funktioniert die Ernte so, dass wir im Winter viele Karotten und Kartoffeln, evtl. Sauerkraut, Randen im Abo bekommen.

Zudem arbeite ich wöchentlich im Claro-Laden. Und falls die Grossverteiler keinen Strom mehr haben oder keine Karten mehr ablesen können, hab ich da noch Zugang. Wie lange, ist dann natürlich die Frage.

Im Moment benütze ich unsere Gemeindebibliothek. Und solange ich was zu lesen habe, vergeht mir die Zeit schnell. In meiner Kirchgemeinde haben sie nun auch einen grossen Tablar, wo man / frau Bücher hinstellen und sich frei bedienen kann.

Ich wohne nur 300 m vom Wald entfernt. Dort würde ich auch regelmässig hingehen, so wie jetzt auch schon. Denn immer regnen wird es ja wohl hoffentlich nicht.

Eurem ganzen Team danke ich herzlich. Eure wöchentlichen News habe ich schon die ganze Coronazeit sehr gerne gelesen und sie haben mir gut getan.Ich habe den Zeitpunkt schon seit der Anfangszeit abonniert. Mit meinem älteren Sohn hörte ich mal in Rheinfelden einen Vortrag von Christoph Pfluger. Der hat ihm sehr Eindruck gemacht, seither liest er auch den Zeitpunkt, was auch wieder gemeinsame Diskussionen gibt, wo wir übereinstimmen. Letztes Jahr feierten wir seinen Geburtstag und waren etwa 8 Leute, als man nur noch 5 hätten sein dürfen. Da sagte mein Sohn, falls jetzt ein Polizist kommen sollte, sagen wir ihm, wir seien schon fünf – wir hätten also keinen Platz mehr. Er könne nicht hinein.

Und genauso hoffe und werde ich mich weiter mit aufgestellten, positiv denkenden Menschen treffen und wir uns gegenseitig stärken.

Ah ja, da gibt es bei uns noch die schöne Geschichte: Während des Lockdowns bot ein Therapeut einen Familienaufstellungstag an, ohne Masken. Dazu hatten sich auch zwei Polizisten angemeldet. Das wusste er nicht im Voraus. Nichts geschah. Keine Anzeigen, nichts. Ein andermal schauten wir einen Film mit über 30 Menschen, alle ohne Maske, auch zur Zeit, als nur 5 Menschen sich hätten treffen dürfen. Auch da: ohne unangenehme Folgen seitens der Polizei. Ja, wir fühlen uns alle sehr beschützt in diesem Raum, verschicken natürlich auch viel Licht in die Welt.

Und genauso hoffe und werde ich mich weiter mit aufgestellten, positiv denkenden Menschen treffen und wir uns gegenseitig stärken.

Euch nochmals danke schön und ich schicke euch viele herzliche, gute Wünsche in jeder Hinsicht und ebensolche Grüße.

Rosemarie Henz, Rheinfelden

 

 

Der letzte Raum, in dem Freiheit gilt, werde ich selber sein.

Wie ihr schon angeführt habt, lässt sich mit etwas Vorrat und praktischen Accessoires leicht vorkehren. Aus meiner Sicht stabilisiert sich die reale Lebenssituation zusätzlich mit einem festen Dach über dem Kopf und/oder einen sicheren Platz an einem wärmenden Herd. Weiter versuche ich selber mit möglichst wenig Schulden oder Abhängigkeiten in einer nahen Zukunft dazustehen. Praktisch erweist sich, ein kleines Depot an Geld- und Tauschmitteln zur Verfügung zu haben, also eine längere Zeit ohne Einkommen zurecht zu kommen. Dies übe ich schon seit Jahren bewusst auch ohne Krisensituation, durch vielfältige Kontaktformen an meinem Wohnort und der näheren Umgebung, durch gemeinnützige Arbeit und schliesslich durch die fortwährende Aneignung von lebenspraktischem Wissen und Können.

Jeder Menschen, dem ich herzlich begegne, bleibt mir in Erinnerung.

Da ich mein Leben immer auch räumlich begreife, als ein äusseres, ein selbstbezogenes und ein immaterielles, lass ich mich über Wahrnehmen, Erkennen und Kreieren führen, manchmal auch verführen. So wurde es mir zur Gewohnheit, mir selber Sprüche zum Tage zu geben. Sie sind selten weise, jedoch nie hoffnungslos.

Jeder Menschen, dem ich herzlich begegne, bleibt mir in Erinnerung.

Sicherheit im Aussen festige ich besonders durch mein Kontaktverhalten. Je herzoffener ich meinem Gegenüber begegne, um so leichter entstehen tragfähige Kontaktformen. 

Was soll daran gut sein, dass es mich gibt?

Ich nehme wahr und werde wahrgenommen. Darin geben sich natürliche Begegnungen zu erkennen, einfache Kontakte werden so authentisch und herzlich. Mein gewöhnliches Misstrauen und Abwehr halte ich im Hintergrund. Vertrauen und kreative Impulse schmücken mein Kontaktangebot. Ich kann vertrauensvoll handeln, wenn ich angemessen denke und fühle. Im Selbstbezug kommen in aggressiven Zeiten, zwischen Angst und Liebe, zwingend Fragen auf. Ich werde ihnen nicht ausweichen. 

Der letzte Raum, in dem Freiheit gilt, werde ich selber sein.

Was motiviert mich zum Widerspruch, wenn die Willkür zur Herrschaft kommt? Wohin ziehen mich meine Bedürfnisse und mitunter, welcher Teufel reitet mich gerade? Mit etwas wacher Vernunft kann ich meine Standpunkte vertreten oder relativieren. Worauf lasse ich mich ein, um zu meinen neuen Einsichten zu kommen? Nein zu sagen, ist weniger ein Widerstand als verdeutlichte Eingabe.

Über gute Fragen lassen sich mit allen Menschen gute Gespräche führen.

Wie bekommen Fragen ihre Qualität? Jede Klarheit verliert sich irgendwann im ständigen Wiederholen von Lügen. Besser ist da doch die Frage: Wie diene ich mir und dem Ganzen? Was verursacht wirkliche Not und wie gewinne ich für mich und andere Übersicht und Zuversicht? Die Zugabe: Über gute Fragen lassen sich mit allen Menschen gute Gespräche führen.

Die Suche nach Lebenswürde ist weniger Haltung als die eigentliche Perspektive. 

Gelingt es mir, über meinen eigenen, kleinen Lebensraum hinaus zu fühlen, zu denken und schliesslich aus einer Entscheidung heraus zu handeln? Mit diesen Vorstössen werden unmittelbare Überlebens-Sinnfragen Antwort finden. Dabei sind Angst und Liebe die mächtigsten Antriebe. Einen sorglosen Weg des Lebensvertrauens zu gehen, hat so seine eigenen Bedingungen. Na gut denn, die Angst lass ich einfach hinter mir! Klingt leichtfertig? Ist leicht, denn die Angst steht nicht für Lebensverlust, sondern für mangelnden Selbstwert oder gar verzehrenden Selbsthass. Diese heftigen Peiniger sind keine Strafen, sie sind weder selbstverschuldet noch kontrollierbar. Sie sind auferlegt. Im Gegensatz dazu, die Erbsünde Trägheit (Scott Peck).

Ich bin todgeweiht – wen grüsse ich? 

Hilfreich und segensvoll erweisen sich mir die diametralen Wege der Gefühle. Aus meinem Gefängnis der vermeintlichen Machbarkeit befreit mich nur die verinnerlichte, demütige Bitte um Hilfe. Der liebevolle und gütige Überbau meines Lebens hält bei Demut die äusseren und inneren Aggressoren klein und so eingekreist, dass sie ihre Bedrohung verlieren und sich durch ihre Täterschaft selber entlarven. Jedes Machtverhalten, auch das meine, zeigt sich armselig und lieblos. 

Mein moralischer Sumpf zwingt mich, den Kopf freizuhalten.

Beim Mysterium der Liebe liegen Zufall und Aufstieg glücklicherweise in Zeiten der Krise, zu meinem Vorteil, neben mir. Eine vollkommene Besitznahme und Fremdsteuerung durch Liebesgeschenke sind mir mehr als wünschenswert. Auch die seelenvolle Nähe eines Menschen führt natürlich in die menschliche Begeisterung. Im Zeitraum der Liebesnähe liegt der Sinn des Lebens vollkommen offen. Die Gleichung Liebe = Leben bleibt der einzig wahre Urknall. In der Not wird das Ganze sogar grenzenlos grenzübergreifend.

Krisen? Sie sind und waren für mich immer meine grosse Chance zur Wachheit und Bewusstwerdung. Was sind die eigentlichen Gefahren in meinem aktuellen Gesellschaftsleben? Sehe ich darin Aufträge? Der angesagte Verlust meiner Freiheit wäre mir unerträglich. Wohl sicher sollte ich dafür in irgendeiner Weise unzeitig sterben können. – Wer jemals in gebrochene Augen schaute, weiss, wie sich Lebenskontakt anfühlt. Ahnt, dass wirklich Wesentliches eine besondere Dimensionen hat. Mit meinen über 60 Lebensjahren ist eine Lebenserfahrung zur Gewissheit geworden: Das eigentliche Leben besitzt nur immaterielle Werte. Damit bleibt für mich der gute Lebensauftrag folgenreich, denn ich verwalte selber meine Mit- und Selbstverantwortlichkeit.

Im Urgrund der primären Gefühle von Angst und Liebe nährt mich das unbändige Sehnen nach Leben, nach Erfüllung und nach Gewissheit. Egal was ich darüber zu glauben oder zu wissen meine, im Brennpunkt übersteigt Leben in seiner Gesamtheit mein individuelles beträchtlich. – Und leuchtet mir in der tiefsten, inneren Versenkung nicht der tiefste Frieden und ein unermessliches Glück entgegen? – Mein Leben ist anschmiegsam, da bin ich mir sicher. Im idealen Sinnen und Handeln liegt der wahre Weg für meine und unsere weitere Menschwerdung. Dies beinhaltet auch die geteilte Lebensfreude.

Egal welche Herausforderungen und Sorgen mich heute oder morgen beschäftigen, ihre Umstände verlangen meine Klärung, Bejahung und Tatkraft. Sie erfordern meinen ganzen Einsatz und meine Selbstbestimmung im Tun. Wie dies im Einzelnen für mich und vielleicht für jeden anderen Menschen dann auch aussehen mag, aktives Vorwärts oder passiver Rückzug sind und bleiben selbstverständlich und subjektiv, denn jede erdenkliche Reaktion entwickelt sich zuerst aus eigenem Erfahrungshintergrund. So gesehen kann ich nichts falsch machen, denn jede Vorbereitung wird im Unendlichen enden. 

Herzlich Grüsse an Euch und meine Mitmenschen

Richard Kadler aus Ermatingen

Krise

Wie beurteilen Sie die Lage? Und vor allem: Wie bereiten Sie sich auf die Krise vor? Wofür würden Sie bei Ihrem Nachbarn klingeln? Am liebsten ist uns eine schriftliche Antwort per E-Mail an: [email protected], dann hat die fleissige Redaktion am wenigsten Arbeit.
Es darf auch ganz kurz sein!
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08. Dezember 2022
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