Im Kontext der vielzitierten Meinungsvielfalt stellt man fest: Was man sagt, will entweder niemand mehr hören, niemand mehr dürfen oder niemand mehr aushalten, ohne dass einem sofort ein «Ja, aber …» entgegenschallt. Meine ganz persönlichen Favoriten sind dabei die Sätze aus den Lightmedien. Ja, Light, nicht Leit: «Kritiker meinen, Experten sagen».
Da ist man von den Socken! Kritik ist heute nur noch ein Meinungsformat, und Experten sind Leute, die eine Professoren-Brille auf der Nase tragen und flüssig «systemrelevant» sagen können?
Und wer sind eigentlich diese ominösen Experten? Gibt es da einen Wandschrank in den Redaktionen, aus dem man je nach Thema einen anonymen Experten zieht, der dann im Konjunktiv Besorgnis äussert?
Diese Experten haben natürlich auch immer das letzte Wort in der Satzkombination «Kritiker meinen, Experten sagen». Klar. Wer sollte auch widersprechen? Ich etwa, ein Laie, der kein summa cum laude an der Uni der Manipulation gemacht hat? Dabei scheint es inzwischen die einzige Möglichkeit zu sein, überhaupt noch ausreden zu dürfen, wenn man einen eigenen YouTube-Kanal hat und die Kommentare abschaltet.
Zugegeben, da gibt es wirklich einige gute Formate. Ich hätte zum Beispiel nicht gedacht, dass mir die Fülle an Informationen über Narzissmus einen kurzfristig akuten Therapiebedarf ersparen könnte. Inzwischen erkenne ich toxische Persönlichkeitsmuster schneller als meinen eigenen Kontostand. Immerhin, der ist ja auch im vierstelligen Minusbereich. Nur: Was nützt einem all die psychologische Treffsicherheit in Sachen übergriffig, ungeheilt oder – mein persönlicher Favorit – nicht in meiner Mitte, wenn am Ende weder Liebe noch Geld dabei rauskommt?
Während ich nun also als autodidaktischer Traumaspezialist einiges über Gaslighting, Hoovering, inneres Kind und Bindungsvermeidung wiedergeben kann, bemerke ich, dass meine Lebensfreude trotzdem konstant weiter schwankt wie ein Kryptokurs. Letztens schaute ich in den Spiegel und hörte mich tatsächlich sagen: «Oje, du siehst aus wie ein bedrohtes Kohlekraftwerk.»
Warum? Weil man den Verdrehungen von Sätzen, Fakten, Zahlen und Geschichte – was war das nochmal? – diesem ganzen Wortgulasch kaum noch hinterherkommt. Was gestern noch für wahr erschien, ist heute falsch oder anders, weil man etwas missverstanden hat oder weil sich die Umstände geändert haben. Ein Stromausfall etwa, fehlendes WLAN, ein GPS-Satellit, der in der Atmosphäre verdampft wurde, ein Diktator auf dem Mars oder die plötzliche Erfindung einer «neuen Wahrheit», die uns gestern noch als Verschwörungstheorie galt. Irgendeine Begründung findet sich, glauben Sie mir, zur Not gesagt von einem Experten. Eigentlich kann man nichts mehr richtig machen, selbst beim Verfassen schnöder Blogartikel über Saunaöfen.
Der grandiose Narzissmus, der alles verdreht ausser die eigene Wahrnehmung, bläst mit 12 Windstärken aus den politischen Rohren wie ein eskalierter Laubpuster. Schwer, bei diesen drehenden Winden noch in der Mitte eines schaukelnden Dampfers zu bleiben. In der eigenen Bordzentrale bekommen die gereizten Nerven eine immer kürzere Lunte. Bloss nicht den falschen Draht durchschneiden! Aber welcher ist überhaupt der falsche?
Kritik äussern? Ja klar, solange man sie mit Fussnoten oder einem Trigger-Warnhinweis versieht, drei Filter drüberlegt und sie am besten gleich wieder relativiert. Man darf alles meinen, solange es exakt so klingt wie das, was ohnehin schon gesagt wurde. Hauptsache, niemand fühlt sich falsch angesprochen. Oder schlimmer: erinnert! Haltung zeigen! Aber nur wenn sie nicht verdächtig ist!
«Zu Befehl Hauptfeldwebel Pimpelhuber, lassen sie uns Kühlschränke am Nordpol verkaufen!»
Es hat schon eine gewisse Bitterkeit, wenn man als Empörungsfreelancer auf seine satirischen Streiche von vor zehn Jahren zurückblickt. Meine Scherz-Kollegen und ich, wir legten via Nachsynchronisation den Bundestagsabgeordneten Wörter und «Fakten» in den Mund, die so absurd waren, das man sie nicht glauben konnte. Ja, nicht einmal sollte.
Pustekuchen. Wenn Satire zum bitteren Ernst wird, dann merkt man, dass das Problem längst nicht mehr die Pointe ist, sondern dass die Realität sie überholt hat und sich weigert, den Witz zu erklären.
Aber herrje, ich möchte ihnen wirklich nicht den Tag verderben. Denn bei all dem Kommunikationskabarett: Es gibt sie noch, diese anderen Momente. Unscheinbar. Unverplant. Ungefiltert. Da, wo niemand etwas «richtig macht», aber trotzdem etwas Echtes entsteht. Wo Nähe nicht analysiert wird, sondern einfach passiert.
So wie an manchen Samstagen, an denen ich oft diesen ungewöhnlich stilvoll gekleideten Herrn im Baumarkt sah, der immer etwas Kleines kaufte: Eine Zierleiste, ein Kleinpaket 3er-Schrauben. Weil er eigentlich nur ein paar Worte mit der Kassiererin wechseln wollte, in die er anscheinend verliebt war. Keine Talk-Show. Keine «innere Kind»-Dialoge. Keine Beziehungsklärung per Sprachnachricht. Nur eine stille Geste menschlicher Herzlichkeit, wenn sie zurücklächelte.
Also gut. Ich nutze den Frühling, schalte das WLAN ab und gehe raus, an einer Blume schnuppern. Was kümmert’s die Hummeln, was wir so treiben, solange sie noch da sind. Und wer weiss: Vielleicht summt mir ja eine von ihnen den nächsten brauchbaren Gedanken ins Ohr. Ohne Triggerwarnung. Ohne Expertenmeinung.
Einfach so.