Wir sollen glauben
Medien sind der Transmissionsriemen der Megamaschine in die Gesellschaft. Macht hängt davon ab, dass wir sie nicht erkennen und ihr unbewusst folgen.
Der Kampf gegen Fake News hält die Medienwelt nach wie vor auf Trab. Aber es gibt weit subtilere Wege, die Öffentlichkeit geistig an die Hand zu nehmen oder zu manipulieren: das unbemerkte Weglassen wichtiger Faktoren, die anhaltende Über- oder Unterbewertung von Themen und Ereignissen, die Zementierung nützlicher Feindbilder oder die Entmutigung von Menschen durch das Erzeugen von Angst.
Das Geschäft setzt die Themen
Der Dieselskandal und die möglichen Schadenersatzforderungen gegen VW belegten monatelang alle Medienkanäle. Aber von den noch viel grösseren Forderungen gegen die Mobilfunkindustrie, die seit mehr als zwei Jahren vor der obersten Zivilkammer in Washington anhängig sind, und den Risiken der neuen G5-Technologie, haben die meisten Medienkonsumenten kein Wort erfahren. Über die Gründe kann man nur spekulieren. Das enorme Werbevolumen der Mobilfunkbetreiber in den Mainstream-Medien dürfte zur Schere im Kopf der Verlagsmanager beigetragen haben.
Die Medien sind als Unternehmen in erster Linie dem Gewinn verpflichtet und den Regierungen, von denen sie privilegierte, aber selektionierte Informationen beziehen.
Auch gute Nachrichten werden – bewusst oder unbewusst – unterdrückt. So stellten naturwissenschaftliche Fachzeitschriften bereits über bis zu dreissig technische und biologische Verfahren zur Neutralisierung radioaktiver Abfälle vor, einige davon patentiert. Aber wenn die Mainstream-Medien nicht darüber berichten, ist die Chance gering, dass Forschungsmittel zu deren Weiterentwicklung gesprochen werden. Denn Entsorgung und Endlagerung radioaktiver Abfälle sind ein enormes Geschäft. Allein die Entsorgung der 27 Kernkraftwerke Deutschlands kostet nach Angaben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) knapp 42 Mrd. Euro. Weltweit sind 447 KKW in Betrieb, weitere 58 im Bau (nuklearforum.ch).
Die Medien sind als wirtschaftliche Unternehmen in erster Linie dem Gewinn verpflichtet und den Regierungen und ihren Organisationen, von denen sie privilegierte, aber selektionierte Informationen beziehen. Die Konsumenten der Medienprodukte kommen erst an dritter Stelle.
Ignoriert oder heruntergespielt werden auch viele weitere, für die Zukunft der Erde entscheidende Themen: Bodenerosion, die massive Störung des Stickstoffkreislaufs, der Artenverlust und selbst der Klimawandel.
Wer auf diese Weise den Anschein erweckt, alles sei gleich wichtig (z.B. Fussball und Klimaschutz) trägt aktiv zur Desorientierung und Desinformation bei.
Hauptsache Wachstum
Die Wirtschaft kann auf einer endlichen Welt nicht ohne gravierende Folgen immer weiter wachsen. Dies liegt nicht zuletzt an eindeutigen physikalischen Gesetzmäs-sigkeiten. Dass die Wirtschaftredaktionen landauf und landab diese Tatsache negieren und wachstumskritischen Debatten keinen Raum geben, hat eher politische und wirtschaftliche Gründe. Und die liessen sich ändern.
Gemäss Analysen der Berichterstattung deutscher Leitmedien, die der Wirtschafsjournalist Ferdinand Knauss jüngst vorlegte, neigen Wirtschaftsredaktionen systematisch dazu, Wirtschaftswachstum ausschliesslich positiv zu bewerten und die negativen Aspekte und Folgen (ökologische und soziale Risiken, Finanzkrisen) auszublenden.
Feindbild Russland
Nicht erst seit der Krimkrise wird abfällig als «Putinversteher» bezeichnet, wer Zweifel an der grundsätzlichen Feindseligkeit Russlands hegt. Wenn dagegen die Schotten über ihre Unabhängigkeit abstimmen, geht es um das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Wenn die Bewohner der Krim sich dafür entscheiden, zu Russland zu gehören, ist von Annektierung und Völkerrechtsbruch die Rede.
Dass die Russinnen und Russen während der Fussball-Weltmeisterschaft «erstaunlich» offen, fröhlich und liebenswürdig waren, animierte viele deutsche Journalisten zu eigenartigen Kommentaren. Sie warnten die Fernseh-zuschauer, sich von der guten Laune nicht täuschen zu lassen. Putin habe nur vorübergehend «die Zügel locker gelassen» und werde sie anschliessend wieder umso härter anziehen. So bedient Framing auch bei vergleichsweise unwichtigen Dingen ein bestimmtes Feindbild.
Das Bedrohungsszenario Russland, das von privaten und öffentlich-rechtlichen Medien ständig genährt wird, lässt natürlich unerwähnt, dass die Militärausgaben der NATO rund zehnmal höher sind. Und niemand spricht darüber, dass die NATO-Truppen Russland immer näher rücken. Die Sicherheitsbedürfnisse Russlands spielen ebenfalls keine Rolle. Was Russland tut, wird als Aggression dargestellt; was die NATO unternimmt, ist Verteidigung. Die Berichterstattung über den Fall Skripal passt in dieses Bild. Bis heute liegen keinerlei Beweise für eine Beteiligung der russischen Regierung vor. Nachdem die Medien zunächst unkritisch alles übernahmen, was die englische Regierung verlautbarte, gab es nach der Ausweisung von über hundert Diplomaten nur noch Schweigen. Tatsachen vernebelt, Ziel erreicht.
Eine Sprachwissenschaftlerin der Gruppe «Swiss Propaganda», die Berichte der NZZ über die Ukraine-Krise (April 2014) und über den Syrienkrieg (Oktober 2015) untersuchte, stellte der Zeitung ein verheerendes Zeugnis aus. Sie bescheinigte der NZZ «bei geopolitischen Konflikten überwiegend Propaganda der Konfliktpartei USA/NATO» zu verbreiten, «Propaganda nur auf der Gegenseite» zu identifizieren, unausgewogene und teilweise wenig transparente Drittquellen zu verwenden und damit insgesamt einseitig und wenig objektiv zu berichten und zu kommentieren. Sie erklärt diesen Befund mit einer Kombination aus ideologischer Ausrichtung, Mitgliedschaft in transatlantischen Eliten-Netzwerken und militärisch-politisch-ökonomischer Abhängigkeit der Schweiz von der Konfliktpartei USA/NATO.
O-Ton vom «Feind», der ihn menschlich und verständlich macht, ist unkommentiert fast gar nicht mehr zu hören.
Propaganda lebt von Stereotypen
Nur selten verirren sich Fakten und Meinungen in die Mainstream-Medien, die dieser fein sortierten Wahrnehmungswelt gefährlich werden könnten. O-Ton vom «Feind», der ihn menschlich und verständlich macht, ist unkommentiert fast gar nicht mehr zu hören. Auch die vielen Talkshows, die als Arenen der freien Meinungsäusserung daherkommen, stehen derzeit wegen offensichtlichem Framing in der Kritik. Dass die meisten Medien immer über das Gleiche berichten, hat nicht nur mit mangelnder Objektivität zu tun, sondern mit der schlechten personellen Ausstattung der Medien. Kaum eine Redaktion verfügt heute noch über eigene Quellen, Auslandsredakteure sowie Reporter mit genügend Wissen und Ressourcen für fundierte Recherchen. Was bleibt ihnen da anderes, als das Material zu veröffentlichen, das die drei marktbeherrschenden Presseagenturen Associated Press (ap), Thomson-Reuters und Agence France Presse (afp) liefern?
Angst demobilisiert oder: Wo bleibt denn das Positive?
Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten. Das stimmt in den Mainstream-Medien mehr denn je. Menschen in ständiger Angst zu halten, macht sie gefügig. Wer sich vor allem nach Sicherheit sehnt, ist eher bereit, zu glauben, zu tun und zu ertragen, was die Obrigkeit sagt und von ihm verlangt.
In den letzten Jahren kam es deshalb an vielen Orten auf der Welt zur Gründung von Medien für «konstruktiven Journalismus. Sie legen ihren Schwerpunkt – ähnlich wie der Zeitpunkt – auf die «wachsenden Wälder»: Sie informieren über Menschen, Bewegungen, Projekte und Unternehmen, die sich dem Frieden, dem Erhalt der Lebensgrundlagen, der Solidarität, Kooperation und dem Gemeinwohl verschrieben haben. Sie lenken den Blick und die Gedanken auf das was geht, und wie wir die Welt zu einem besseren Ort machen können.
Das ist nicht immer einfach. Und es erfordert nicht nur Mut und Standhaftigkeit, sondern auch eine Leserschaft, die das unterstützt.
«Bürger demokratischer Gesellschaften sollten Kurse für geistige Selbstverteidigung machen, um sich gegen Manipulation und Kontrolle wehren zu können», sagt Noam Chomsky, der meistzitierte Intellektuelle der Welt und Co-Autor des Grundlagenwerks «Manufacturing Consent – The Political Economy of the Mass Media» (zusammen mit Edward S. Herman). Die Kurse muss man sich vorderhand noch selber geben.
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